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La dolce vita
Ich lehnte mich erschöpft an einen Laternenpfahl. Stundenlang waren ich und meine Freundin durch die Straßen Roms gelaufen. Die Luft hatte sich ein wenig abgekühlt, doch es war immer noch heiß. Eine Demonstration versperrte dem Bus, der uns vom Bahnhof zum Hotel bringen sollte, den Weg. Niemand wusste, wie lange es noch dauern konnte.
»Ich kann es immer noch nicht glauben«, fluchte Anne. »Nur wegen dieser verdammten Demo sitzen wir hier fest!«
Ich zuckte die Schultern. »Was anderes als Warten bleibt uns nicht übrig.«
Statt einer Antwort zog Anne eine Grimasse. Mit finsterer Miene starrte sie zu den Demonstranten hinüber.
Der anstrengende Besuch des Colosseums in der Mittagshitze hatte Spuren hinterlassen. Ganz in unser Nähe war ein Stand, bei dem ich mir ein Eis kaufte. Außer uns warteten noch einige andere Touristen auf die Weiterfahrt. Die meisten von ihnen hatten sich auf der Bordsteinkante niedergelassen oder die Bänke besetzt. Neben mir studierte ein junger Mann den Fahrplan. Ich schätzte ihn auf Ende Zwanzig.
»Du hast immer die Ruhe weg in solchen Situationen«, schimpfte Anne. Der Fremde wandte den Kopf zu uns, ohne dass meine Freundin es bemerkte. Bei ihren Worten meinte ich ein Blitzen in seinen Augen gesehen zu haben, das auf Verstehen hindeutete. Möglicherweise war auch er ein Deutscher.
»Lamentieren bringt schließlich nichts«, entgegnete ich. Anne schnaubte und mumelte etwas Unverständliches. Ich beachtete sie nicht, sondern sah zu dem jungen Mann, der sich offenbar ein Lächeln verbiss. Kein Zweifel, er hatte verstanden.
Ein Eistropfen berührte meinen Finger und ich leckte ihn hastig ab. Als ich wieder aufsah, traf mein Blick genau in die Augen meines Gegenübers. Sie waren tiefblau. Und wunderschön. So schön wie sein Lächeln. Ein Windhauch streichelte durch meine Haare, während im Hintergrund die rötliche Sonne leuchtete. Er zwinkerte mir zu und ein Kribbeln überzog meine Haut.
Anne zerrte an meinem Shirt. Der Bus hatte seine Türen geöffnet und war bereit zur Weiterfahrt.
»Ich komme ja schon«, murmelte ich und folgte meiner Freundin. Kurz bevor ich einstieg, drehte ich mich noch einmal um. Der Fremde sah mir nach.
Die Ewige Stadt hat mir viele Dinge beschert, an die es sich zurückzudenken lohnt, wie die Bauten, die Kunst, das Flair. Und ein unvergessliches Lächeln.