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La dolce vita

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02.01.2002
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La dolce vita

Ich lehnte mich erschöpft an einen Laternenpfahl. Stundenlang waren ich und meine Freundin durch die Straßen Roms gelaufen. Die Luft hatte sich ein wenig abgekühlt, doch es war immer noch heiß. Eine Demonstration versperrte dem Bus, der uns vom Bahnhof zum Hotel bringen sollte, den Weg. Niemand wusste, wie lange es noch dauern konnte.

»Ich kann es immer noch nicht glauben«, fluchte Anne. »Nur wegen dieser verdammten Demo sitzen wir hier fest!«

Ich zuckte die Schultern. »Was anderes als Warten bleibt uns nicht übrig.«

Statt einer Antwort zog Anne eine Grimasse. Mit finsterer Miene starrte sie zu den Demonstranten hinüber.

Der anstrengende Besuch des Colosseums in der Mittagshitze hatte Spuren hinterlassen. Ganz in unser Nähe war ein Stand, bei dem ich mir ein Eis kaufte. Außer uns warteten noch einige andere Touristen auf die Weiterfahrt. Die meisten von ihnen hatten sich auf der Bordsteinkante niedergelassen oder die Bänke besetzt. Neben mir studierte ein junger Mann den Fahrplan. Ich schätzte ihn auf Ende Zwanzig.

»Du hast immer die Ruhe weg in solchen Situationen«, schimpfte Anne. Der Fremde wandte den Kopf zu uns, ohne dass meine Freundin es bemerkte. Bei ihren Worten meinte ich ein Blitzen in seinen Augen gesehen zu haben, das auf Verstehen hindeutete. Möglicherweise war auch er ein Deutscher.

»Lamentieren bringt schließlich nichts«, entgegnete ich. Anne schnaubte und mumelte etwas Unverständliches. Ich beachtete sie nicht, sondern sah zu dem jungen Mann, der sich offenbar ein Lächeln verbiss. Kein Zweifel, er hatte verstanden.

Ein Eistropfen berührte meinen Finger und ich leckte ihn hastig ab. Als ich wieder aufsah, traf mein Blick genau in die Augen meines Gegenübers. Sie waren tiefblau. Und wunderschön. So schön wie sein Lächeln. Ein Windhauch streichelte durch meine Haare, während im Hintergrund die rötliche Sonne leuchtete. Er zwinkerte mir zu und ein Kribbeln überzog meine Haut.

Anne zerrte an meinem Shirt. Der Bus hatte seine Türen geöffnet und war bereit zur Weiterfahrt.

»Ich komme ja schon«, murmelte ich und folgte meiner Freundin. Kurz bevor ich einstieg, drehte ich mich noch einmal um. Der Fremde sah mir nach.

Die Ewige Stadt hat mir viele Dinge beschert, an die es sich zurückzudenken lohnt, wie die Bauten, die Kunst, das Flair. Und ein unvergessliches Lächeln.

 

Falls dem einen oder anderen der Text bekannt vorkommt - es handelt sich hier um eine neue Version meiner Geschichte "Roma subridet" aus "Alltag". Nach über einem Jahr Abstand gefiel mir die Originalversion nicht mehr und ich habe sie leicht bearbeitet.

G.

 

Ein Windhauch streichelte durch meine Haare, während im Hintergrund die rötliche Sonne leuchtete.
Sehr schöne Formulierung, der eine oder andere wird das sicherlich in Woltos Thread anmerken. ;) Ansonsten halt nur eine Momentaufnahme, die das Flair Roms zart streift, mehr aber auch nicht. Lokalitäten bringst du mit ein, ja. Reicht aber irgendwie nicht.

Natürlich ist es ein Text, dem man (aus meiner Sicht zumindest) die Schnelligkeit ansieht, in der er verfasst wurde. (Kann mich da aber auch gründlich irren)

Irgendwie fehlt dem Text ein sogenannter Kick, der beim Leser ein Aha-Gefühl auslöst.

Ah, überarbeiteter Text. Ein Glück, dass ich nicht die ursprüngliche Version gelesen habe.

Soll nicht böse klingen, möchte dir nur mitteilen, dass du nicht in beliebigen Belanglosigkeiten hängenbleiben sollst.

Denn ganz ehrlich (ohne Version 1.0 gelesen zu haben): Diese Momentaufnahme ist belanglos. Sorry.

Auch die letzten beiden Sätze reißen das nicht um.

Gruß,
Poncher

 

Ich sehe das anders als Poncher, Ginny-Rose. Natürlich passiert nichts Dramatisches, du beschreibst ein Vexierbild: eine ganz banale, unspektakuläre Alltagsszene, in der ein Moment intensiver erotischer Spannung verborgen ist. Ich kenne das selber: Blickkontakte mit Unbekannten, ganz kurz und einmalig, die ich dennoch in der Erinnerung behalten habe.

Sehr trickreich finde ich auch, dass du das Geschlecht der Ich-Person unklar lässt: Ist es ein Mann, der einen unerwarteten homoerotischen Kick erlebt? Ist es eine Frau und wenn ja - ist die Beziehung zur Freundin eine sexuelle oder einfach nur gefühlsmäßige Verbundenheit? Ich würde zur erstgenannten Variante tendieren.

Zwei Änderungsvorschläge mache ich dir:

Stundenlang waren ich und meine Freundin...
Ich würde die Subjekte umdrehen: "... meine Freundin und ich".

Dem Bus, der uns vom Bahnhof zu unserem Hotel fahren sollte, wurde aufgrund einer Demonstration der Weg versperrt.
Du hast die Passivform gewählt. Ich bevorzuge das Aktiv, weil es kraftvoller, bildhafter, lebendiger ist. Deshalb würde ich schreiben: "Eine Demonstration versperrte dem Bus, der..., den Weg."

Grüße, Chica

 
Zuletzt bearbeitet:

Hi Poncher,

ts, hat dich also meine dezente Werbung hierhergelockt ...

Natürlich ist es ein Text, dem man (aus meiner Sicht zumindest) die Schnelligkeit ansieht, in der er verfasst wurde.
Nicht wirklich. Allerdings ist dieser Text eine meiner wenigen stark autobiographisch gefärbten Geschichten, deswegen wirkt er auf mich natürlich intensiver als auf andere Leser, weil ich ihn nach wie vor mit meinen persönlichen Erinnerungen verknüpfe. Die Originalversion war ein bisschen länger, aber nur gefüllt mit Belanglosigkeiten, meiner Meinung nach, die ich gestrichen habe, weil ich (meistens) versuche möglichst komprimiert zu schreiben. Inhaltlich war es aber das gleiche: Eine Momentaufnahme, die für den Autor offenbar interessanter ist als für den Leser.

Hi Chica,

danke auch dir für deine Gedanken zur Geschichte, die ich interessant finde. Deine Vorschläge werd ich wohl beide übernehmen - hatte lustigerweise bei beiden Stellen überlegt ob ich sie so formuliere und mich dann doch anders entschieden gehabt.

Ginny

 

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