Lügen
Die schwarzen Locken, die ihr auf die Schultern fielen waren im Grunde nur der Rahmen um die Sätze, mit denen sie mich während der Zugfahrt regelrecht umgehauen hatte. Alles an ihr passte. Ihre Einstellung, ihre starke Haltung, jeder Gedanke wirkte, als hätte ich ihn selbst denken können. Sie hatte mich auf ein paar sexistische Äußerungen aufmerksam gemacht, die ich gar nicht als solche empfunden hatte. Nach drei Stunden anregender Diskussion musste ich zugeben, einiges von meinem Wortschatz noch einmal daraufhin überprüfen zu müssen, ob meine Begriffsdefinition auch der „offiziellen“ entsprach. Das war entlarvend und anziehend zugleich.
Es wäre gelogen gewesen, wenn ich behauptet hätte, mich nicht von ihr angezogen zu fühlen. Sie war bildschön, darum ging es aber tatsächlich nicht. Ihre Gedanken und wie sie sie ausdrückte waren der eigentliche Grund für meine Faszination. Sie sah mir an, dass sie mich fesselte und ich machte keinen Hehl daraus. Ein paar Zustimmungen waren vielleicht etwas zu übertrieben und zu offen ausgefallen. Sexistisch, streng genommen. Sie waren aber nicht so gemeint … das hatten wir schon.
Selbst, wenn sie mich aufgefordert hätte, ich hätte nie etwas mit ihr angefangen. Sie fragte nicht und als sie es in meiner Phantasie tat, riet ich ihr, meine Frau von einem Dreier zu überzeugen, dann könnte etwas draus werden. Meine Frau zu betrügen war ausgeschlossen. Der Gedanke daran, wie weh ihr das tun könnte, reichte regelmäßig aus, um mich auch im größten Suff zur Vernunft zu bringen. Die eigene Vorstellung ihrer Untreue war so schmerzhaft, dass ich ihr das nie angetan hätte. Das mochte Besitzdenken sein, ich fand es einfach fair.
Sophie stieg mit mir gemeinsam aus. Ich hätte sie gerne noch auf einen Kaffee eingeladen aber ich musste noch in die Firma, um den Laptop zurückzugeben also folgten wir einander auf twitter und verabredeten, einander zu schreiben. Das war auf die sichere Entfernung ein guter Kompromiss.
Der Chef löcherte mich mit Fragen, die locker bis Montag hätten warten können. Nach zwei Stunden saß ich im Taxi und freute mich auf eine Dusche und meine Frau. Ich hatte ihr etwas aus Frankfurt mitgebracht, das ihr sicher gefallen würde. Mir würde es in jedem Fall an ihr gefallen.
Die Tür fiel moderat ins Schloss, weil ich mich, mit zwei Taschen ausgerüstet, dagegen lehnte. Keine Spur von meiner Frau im Erdgeschoss, also streifte ich die Schuhe ab und stieg die Treppe rauf. Sie kicherte. Ein untrügliches Zeichen dafür, dass sie mit ihrer Freundin telefonierte. Die hieß auch Sophie, konnte aber unmöglich so schöne Sachen sagen wie meine. Meine! Was für ein Quatsch! Ich ging kopfschüttelnd zum Schlafzimmer, um Anna einen Kuss aufzudrücken und unter der Dusche zu verschwinden, bis sie fertig telefoniert hatte.
Ich war im Begriff, die angelehnte Tür aufzudrücken, als ich ein durchdringendes, sehr bekanntes Stöhnen vernahm. Die Tür ließ sich ohne Quietschen nur einen Spalt weit öffnen, also begnügte ich mich damit. Ich sah Annas Rücken auf dem Bett, der sich in diesem Augenblick nach hinten beugte und ich sah ihr Gesicht, das mit geschlossenen Augen „fester“ hauchte. Die Arme, die nicht ihre waren, endeten logisch aber nicht sichtbar als Hände an ihren Brüsten.
Annas Oberkörper richtete sich wieder auf und sie schien über den Auslöser dessen, was ich gerade von ihrem Gesicht hatte ablesen können, herzufallen. Die selbstsichere Ausgabe meiner selbst hätte die Tür aufgestoßen und den Kerl aus dem Haus geprügelt oder – je nach Statur – ihn dessen verwiesen. Ich ging die Treppe runter und hörte von der Haustür in die Stille, bis sie von ihrem nächsten Stöhnen durchbrochen wurde. Dann warf ich die teuren Dessous in den Flur und ging. Die Tür fiel krachend hinter mir zu, mein Weg führte mich zu der Kneipe um die Ecke und an deren Tresen, der von armseligen Gestalten bevölkert wurde, die für mich als angemessene Begleiterscheinungen durchgingen.
Der Wirt glaubte, nur Johnny Walker zu haben als ich Whisky und Bier bestellte. Er sah noch einmal nach und der gefundene Jameson war der erste Lichtblick seit … meiner Sophie. Ich schickte ihr eine Direktnachricht via twitter, fragte, ob sie Lust habe ihren Intellekt und meinen Frust in einer Luxus-Bar zu ertränken und schickte den Namen der Spelunke gleich mit. Ich erhielt keine Antwort. Vielleicht lag sie gerade in Armen, die sich freuten, sie wiederzusehen und die vor allem auf sie gewartet und sich nicht mit jemand anderem getröstet hatten.
Mir gingen fünf Jahre durch den Kopf und ich fragte mich, was ich angestellt oder nicht angestellt hatte, damit das passieren konnte. Das Bild von Annas bewegtem Rücken ging mir nicht aus dem Kopf. Die Hände, die hier ein Bier und einen Whisky umklammerten waren diejenigen, die an ihre Brüste gehörten.
Nach drei Gläsern Whisky und zwei Gläsern Bier diskutierte ich mit dem Wirt über angemessene Geschwindigkeit beim Nachschenken und erhielt die Flasche Jameson und einen Stift, um Striche auf meinem Deckel zu machen. Nach drei weiteren grob geschätzten 4cl-Strichen schrieb ich eine Nachricht an meine Sophie.
„Wenn ihr Weiber so gegen Sexismus seid und euch nicht auf euren Körper reduzieren lassen wollt, wieso liegt meine scheiß Frau dann gerade mit irgendeinem Stecher im Bett, der vermutlich nie mit ihr diskutiert, gelacht, geweint oder sonst was gemacht hat, und der ihre scheiß Titten in den Händen hat und sich von ihr reiten lässt?“
Ich erhielt keine Antwort, also schrieb ich sie selbst.
„Weil das alles eine scheiß Lüge ist, damit ihr eure Ruhe vor Kerlen wie mir habt, die zum nett Rumquatschen gut sind und damit die Wichser, die zu doof sind, zwei fehlerfreie Sätze zu schreiben euch ficken können.“
Mir fielen noch ein paar stichhaltige Argumente ein, die ich aber unmöglich in angemessener Zeit hätte tippen können. Der Jameson war halb leer und ich voll. Ich zahlte, was immer der Wirt ausrechnete und wankte nachhause. Als ich das Schlüsselloch getroffen hatte, hoffte ich, dass der Pisser sich verdrückt hatte. Ich legte mich auf die Couch und wäre wohl so eingeschlafen, wenn nicht Annas Gesicht über der Lehne aufgetaucht wäre.
Sie sah mich entgeistert an, soweit ich das beurteilen konnte.
„Was ist denn mit dir los? Ist dir nicht gut?“
„Halt’s Maul, Schlampe.“
„Bist du betrunken?“
„Und wenn schon, bin dir wenigstens treu. Zumindest bis jetzt. Aber das kannst du ab jetzt vergessen.“
Ich schlief mit dem Bild ihres offenen Mundes ein.
Als ich aufwachte, war es stockdunkel. Ich musste pinkeln und hatte noch genug Jameson intus, um nochmal besoffen zu werden. Ich ging in die Küche, nahm eine Kopfschmerztablette und trank einen halben Liter Wasser. In der Gästetoilette kotzte ich es wieder aus, dann pinkelte ich. Halbwegs bei Sinnen saß ich auf der Couch, den Kopf in die Hände gelegt und überlegte, was ich tun sollte.
Von oben drang wieder Annas Kichern zu mir runter. Ich mochte es immer noch. Das machte nichts besser. Eigentlich hatte ich keine Lust, jetzt mit ihr zu diskutieren aber schon, ihr klarzumachen, was sie angerichtet hatte. Ich schleppte mich die Treppe rauf, in der Erwartung, ihr Telefonat mit ihrer Sophie zu beenden und ein paar vielleicht nicht klare aber finale Worte zum Besten zu geben.
Diesmal stieß ich die Tür einfach auf. Sie prallte gegen den Kleiderschrank und die beiden sahen erschrocken in meine Richtung. Anna war nackt und hatte ihre Hand auf einem Bauch liegen, der nicht ihrer war. Ich sah an ihren Fingern entlang, bis ich das Gesicht von Sophie erblickte. Von meiner Sophie! Die war auch nackt und schwirrte in meinen Gedanken rum, indem sie unter Anna lag und deren Brüste anfasste.
„Kannst du mir mal erklären, warum du mich nicht begrüßt und dich lieber volllaufen lässt?“
„Hab da wohl was falsch interpretiert“, nuschelte ich.
Unter der eiskalten Dusche formten sich langsam ein paar klarere Gedanken. Dieses Rumdrucksen der letzten Monate, dass sie sich vorstellen könnte, auch mal eine Frau … aber eine mit Niveau und Verstand und eine, die auch mir gefiele und wie man sowas denn rausfinden sollte und … das sei ja komplett abwegig. All das lag jetzt als meine und ihre Sophie in unserem Bett!
Ich hatte nie mehr als ein paar Worte mit ihr gewechselt.
„Ist Anna da?“
„Moment.“
Das war alles. Und dann haute sie mich im Zug um und jetzt in unserem Bett.
„Wir dachten eigentlich, du kommst sofort nachhause.“
„Mein Chef …“
„Wir waren wohl etwas ungeduldig …“
Anna lächelte, Sophie lächelte und ich kippte aufs Bett.
„Würdet ihr mich für ein paar Stunden entschuldigen? Ich muss da ein paar cl und ein paar dämliche Gedanken loswerden. Sophie, lösch meine Nachrichten. Lesen lohnt nicht.“