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Löwenzahn und Bienenstich
Löwenzahn und Bienenstich
Jedes Kind weiß ja, wie klein Bienen im Allgemeinen sind. Diese Geschichte handelt jedoch von einer besonders kleinen Biene, und weil sie so klein war, hatte man ihr verboten, alleine auszufliegen. Ihr Name war Bini und die Bienenkönigin, die auf jeden ihrer Untertanen sehr gut aufpasste, machte sich Sorgen, es könne ihr etwas passieren. Und das hatte seinen guten Grund. In der Nähe des Bienenstocks gab es nämlich eine Zauberwiese, und diese hatte ihre Tücken.
Die älteren und größeren Bienen kannten die Gefahren und wussten, wie sie sich verhalten mussten, wenn sie dort Nektar sammelten. Weil Bini aber so klein war, musste sie zu Hause bleiben und das sogar an ihrem Geburtstag. Aber sie war damit ganz und gar nicht einverstanden. Schließlich war es ein halbrunder Geburtstag. Um genau zu sein, wurde sie nun schon fünf Jahre alt. Also flog sie fest entschlossen zur Bienenkönigin, um zu fragen, ob ihre Majestät nicht einmal eine Ausnahme machen könne.
Die Königin überlegte zuerst sehr lange. Weil es aber ein schöner, warmer Tag war und sie besonders gute Laune hatte, stimmte sie zu.
„Na gut“, sagte sie. „Aber bevor du ausfliegst, muss ich dich vor den Gefahren auf der Zauberwiese warnen. Die gefährlichste Blume dort ist der Löwenzahn. Setzte dich nie, nie, nie auf den Löwenzahn. Und koste auch nie, nie, nie von dessen Nektar. Hörst du, Kindchen?“
Bini nickte hastig, so dass die Fühler vor und zurück wippten. Dann endlich bekam sie die Erlaubnis, die Welt dort draußen zu erkunden.
Gut gelaunt, trällerte sie ein ´Happy-Birthday-to-me´ und flog geradewegs zur Zauberwiese.
Dort angekommen sah sie all die Blumen, die sie nur aus den Büchern der Bienliothek kannte. Butterblumen, Gänseblumen, Kornblumen, Sonnenblumen .... Es gab einfach alles, und sie kostete von jedem Nektar. Bis sie zum Löwenzahn kam. Als sie ihn sah, fielen ihr wieder die warnenden Worte der Bienenkönigin ein. Die Blüte jedoch duftete unwiderstehlich gut, so dass sie sich auf dessen Rand niederließ. Sie wusste ja auch nicht, ob sie jemals wieder die Gelegenheit bekommen würde, so etwas Köstliches zu probieren. Es war ihr jetzt egal, also steckte sie den Kopf in die Blüte um davon zu naschen. In diesem Moment geschah das Unglaubliche. Die kleine Biene Bini verwandelte sich in einen riesengroßen Löwen mit gelben und schwarzen Streifen. Als sie sah, was mit ihr geschehen war, fing sie bitterlich an zu weinen. Zwar wollte sie immer schon einmal größer sein, aber so groß doch nun auch wieder nicht. Hätte sie doch nur auf die Königin gehört!
Bini brauchte einige Zeit, bis sie sich von dem Schrecken ein wenig erholt hatte. Schließlich beschloss sie, sich auf den Weg zu machen, um jemanden zu suchen, der ihr helfen konnte. Schon bald taten ihr die Füße weh, denn eigentlich war sie als Biene vielmehr das Fliegen gewohnt als das Laufen. Nach einer ganzen Weile kam sie in einen Park, in dem viele Menschen spazieren gingen oder sich auf Parkbänken ausruhten. Als die Menschen Bini sahen, war es jedoch mit der Ruhe vorbei.
„HILFE, ein Löwe“, riefen alle und rannten aufgeregt davon. Schon bald war der Park wie leergefegt. Etwas später sah der Löwe Bini, dass ein großer Lieferwagen mit der Aufschrift >ZOO< auf das Parkgelände fuhr. Zwei Männer mit einem Gewehr stiegen aus und kamen langsam auf sie zu.
An das, was dann geschah, konnte sich Bini später nicht mehr erinnern. Sie merkte nur noch ein Pieksen an ihrem Po und fiel in einen tiefen Schlaf. In dem Traum, den sie dann hatte, hörte sie noch die warnenden Worte der Bienenkönigin:
„Setzte dich nie, nie, nie auf den Löwenzahn“.
Als sie nach vielen Stunden wieder aufwachte, erschrak sie. Hunderte von Menschen schauten von außen in den Käfig, in den man sie eingesperrt hatte. Wahrscheinlich war sie als Löwe mit den gelbschwarzen Streifen eine besondere Attraktion. Bini fing wieder an zu weinen, denn immer noch tat ihr Hinterteil weh, und außerdem hatte sie Hunger. Man hatte ihr zwar einen großen Eimer mit Fleisch und etwas Wasser zu trinken hingestellt, doch sie war ja eigentlich kein echter Löwe, sondern eine Honigbiene. Darum hatte sie auch überhaupt keinen Appetit auf all die Sachen. Viel lieber hätte sie etwas Süßes genascht.
Es vergingen einige Tage, in denen Bini immer schwächer wurde, weil sie nichts aß. Schon bald machte man sich ernsthafte Sorgen um sie. Die Zoowärter und Tierärzte beratschlagten, was zu tun sei, doch niemand hatte eine brauchbare Idee.
Bini selbst hatte die Hoffnung schon fast aufgegeben, als ihr plötzlich ein sehr bekannter Geruch in die Nase stieg. Es war ein süßer Geruch, so wie von Zucker. Und weil sie süße Sachen mochte, schaute sie sich um und sah ein kleines Mädchen vor dem Käfig stehen. Von dort kam auch der Duft. Es war der Kuchen, den das Mädchen in der Hand hielt. Aber es war nicht irgendein Kuchen, sondern es war Binis Lieblingskuchen. Es war Bienenstich. Das Mädchen schien keine Angst vor Löwen mit gelbschwarzen Streifen zu haben, denn es reichte den Bienenstich-Kuchen zwischen den Gitterstäben hindurch. Bini kroch neugierig zu den Gitterstäben und schleckte mit der Löwenzunge vorsichtig an dem Kuchen. Als die Leute sahen, wie dicht das Mädchen am Löwenkäfig war, schrieen einige aus Angst um das Kind. Doch als Bini den Kuchen nun ganz aufgegessen hatte, geschah etwas, was wohl niemand je vergessen wird, der an diesem Tag dabei war. Bini wurde immer kleiner... und kleiner... und kleiner. Am Ende sah es so aus, als ob sie sich ganz in Luft aufgelöst hätte. Die Wärter waren ganz aufgeregt und riefen: „Der Löwe ist weg. Der Löwe ist weg. ...“. Es sah auch tatsächlich so aus, als sei Bini ganz verschwunden. Der Käfig schien jedenfalls nun leer zu sein. Aber so war es nicht. Bini hatte sich nur zurückverwandelt in eine Biene. Nur das kleine Mädchen bemerkte, wie Bini durch die Gitterstäbe davonflog.