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Löcher, in die Frauen fallen

Wortkrieger-Team
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31.01.2016
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Löcher, in die Frauen fallen

Vor dem Bild eines expressionistischen Malers bleibe ich länger stehen und betrachte es, indem ich den Kopf mal zur einen, dann zur anderen Seite neige. Es ist ein kleines Format. Rot und Schwarz dominieren. Auch Grün, Blau und Gelb spielen mit ein, entwickeln eine energetische Wirkung. Doch was mich an diesem Gemälde fesselt, ist ein weißer Kreis inmitten der zentralen Person. Nicht ganz rund, eher ein Oval. Es scheint nicht zur Kleidung zu gehören. Es ist ein weißes Nichts. Ich habe das Gefühl, gezogen zu werden.
Ich verliere mich, nichts, woran ich mich halten kann. Nur eine Leere und ein Sog. Ich beuge mich leicht nach vorn und empfinde ein Schwindelgefühl, etwas schnürt an meinem Hals, ich spüre mein Herz dort, wie es sich gepresst anfühlt, als würden es kräftige Hände umschließen und zusammendrücken. Ich ziehe an dem schwarzen Rollkragen meines Pullovers und stehe regungslos, atme schnell, als wäre ich sehr schnell eine Kurzstrecke gerannt. Der Zustand dauert nur einen Augenblick. Niemand nimmt Notiz von mir.
Als ich mich gefangen, mein Herz wieder einen erträglichen Rhythmus und eine entsprechende Weite hat, laufe ich eilig zum Ausgang des Museums.
An der Garderobe blicke ich in den Spiegel. Ich sehe mich an, als hätte ich mich nie zuvor gesehen. Dort steht eine fremde Frau. Es kommt mir vor, als sähe ich zum ersten Mal das Gesamtbild. Nicht nur die Augenbrauen, die ich morgens nachziehe, den Schwung der Lippen, die ich konturiere, die Hautunebenheiten, die ich mit Make-up überdecke, die gefärbten Haare, die ich sorgfältig frisiere. Ich sehe das Gesicht einer alternden Frau, die schlaffen Augenlider, die Falten zwischen Nase und Mund, die fahle Haut, selbst die Farbe meiner Augen ist mir fremd. In diesem Moment verkleinert sich mein Sichtfeld.

„Es geht schon wieder", höre ich mich sagen und nippe am Wasserglas. Ich sitze im Museumscafé und werde umringt von Personal. Ein Gast hat mich vor der Garderobenausgabe liegend aufgefunden und ins Café begleitet.
„Möchten Sie, dass Sie jemand abholt?", fragt eine ältere Frau mit weißen Haaren und tätschelt dabei meine freie Hand.
„Vielen Dank. Ich hab's nicht weit nach Hause" und versuche ein Lächeln, bringe aber vermutlich nur eine Grimasse zustande, denn die Wärme ihrer Hand brennt auf meiner und ich ziehe sie ruckartig weg.
Als das Interesse an mir nachgelassen hat, verlasse ich das Museum und gehe zurück an meinen Arbeitsplatz. Ich besitze eine kleine Galerie, die ich von meinem Vater übernommen habe.

Auf dem Foto ist Mutter etwa so alt wie ich jetzt. Vierzig oder einundvierzig. Sie trägt dieselben Ohrringe wie an dem sehr heißen Tag im August, als ich sie fand. Ich war sechs und die Erinnerung an diesen Nachmittag kommt im Laufe der Jahre nur langsam zurück. Ich erinnere mich an das bleiche Gesicht meiner Mutter in der Badewanne, die Augen geschlossen, die Arme über den Beckenrand hängend, der Kopf zur Seite gelegt. Als schliefe sie. Sie trägt nur einen Ohrring. Er ist aus gold und die Perle, die daran hängt, ruht in der kleinen Mulde, zwischen Hals und Schlüsselbein. Den anderen fanden sie in der Wanne nachdem sie fortgetragen wurde. Die goldenen Hänger liegen jetzt in meiner Schublade. Das herablaufende Blut nahm ich erst wahr, als Vater mich aus dem Badezimmer zerrte.
Die kleine Glocke an der Eingangstür holt mich aus meinen Gedanken und ich stelle den Rahmen zurück auf den Schreibtisch.
„Hallo Anja." Mit ausgestreckten Armen kommt mir Vater entgegen. „Wie geht es dir?" Ich greife seine Handgelenke und drücke sie langsam hinunter, blicke ihm stattdessen in die Augen.
„Es geht schon." Er reibt sich den Knöchel seiner linken Hand und sieht sich um.
„Wieso hast du es aufgehängt?", fragt er. Ich muss nicht aufsehen, um zu wissen, wovon er spricht. Es ist ein Landschaftsbild. Impressionistisch, belanglos. Weder Licht noch Farben beeindrucken. Vermutlich hat sie deshalb das weiße Loch gemalt. Es ist nicht groß, auch nicht zentral, aber nicht zu ignorieren.
Ich nehme die kleine Pistole aus der Schublade, sie liegt direkt neben den Ohrringen und stecke sie in meine Manteltasche. Das tue ich aus reiner Gewohnheit. Ich gehe nie ohne sie aus. Sie ist klein und hat einen Griff aus Perlmutt. Ich fühle mich sicherer, wenn ich sie spüre.
„Es ist das schlechteste Bild, das sie je gemalt hat", nörgelt er, „und dabei waren etliche nicht gut." Er hat sie sicher immer schon spüren lassen, was er von ihren Arbeiten hielt. Und sie war zu intelligent, um ihre Mittelmäßigkeit nicht zu erkennen.
Wir betreten den Gehweg und ich schließe hinter uns ab.

Der Vater winkt dem Kellner und bestellt noch Kaffee für uns beide.
„Livia ist für zwei Wochen bei Friedrich. Die beiden verbringen die Ferien gemeinsam im Sommerhaus. Wenn du Lust hast, komm' mich doch in der Zeit besuchen", sagt er wohl wissend, wie ungern ich das Haus betrete seit Livia es nach Mutters Tod eingenommen hatte.
„Anja, das ist alles so lange her. Kannst du nicht endlich einen Schlussstrich ziehen?", fragt er und seine Stimme klingt ungeduldig. Er greift nach meiner Hand, doch ich entziehe sie ihm, kann es nicht ertragen, dass er mich berührt. War das eigentlich schon immer so? Konnte ich jemals seine Nähe aushalten? Ich kann mich nicht an ihn erinnern. Er kommt gar nicht vor in den schwachen Bildern meiner Kindheit.
„Wann ist denn Schluss?", erwidere ich und sehe an ihm vorbei an die Wand. Er ignoriert es. Wie er wohl Vieles im Leben ignoriert und fährt stattdessen fort, sich aus der Verantwortung zu ziehen.
„Die Internate hast du doch aber selbst zu verantworten", flüstert er und ich möchte genauso wenig wie er immer und immer wieder darüber reden. Livia hat meine Gegenwart von Anfang an nicht ertragen und als Friedrich unterwegs war, sorgte Vater dafür, dass sie das auch nicht länger musste. Das erste Internat war im Nachhinein gar nicht übel. Danach verschwimmt alles in grau. Gedanken an diese Zeit legen sich um mein Herz wie ein schwarzes Tuch.
Ich war verloren. Von Beginn an.
„Ich bin verloren, Vater." Er hebt den Arm und verlangt die Rechnung.

„Was gibt es noch zu sagen, Alan? - Gut. - Ja. Um halb acht. Einverstanden."
Ich stecke das Telefon in die Handtasche zurück. Alan hat mich vor einer Woche gegen eine andere Frau ausgetauscht. Wir waren nur knapp ein Jahr ein Paar, wohnten nicht einmal zusammen, deshalb war es ein kurzer, schmerzhafter Prozess.
Sie ist jünger als ich. Viel jünger. Beinahe ein Kind. Sie sprüht vor Lebenslust. Sie weiß von nichts. Ihr Weg schien glatt bis hierher. Man sieht es ihr an. Sie geht, ohne zu wissen wohin. Sie fürchtet sich nicht. Nicht zu stolpern, nicht zu fallen. Sie geht schnell.

Aus reiner Gewohnheit mache ich mich zurecht. Ich sehe keinen Sinn darin, ihn zu treffen, aber Alan wird nicht müde, zu betonen, wie unglücklich er ist.
Unfassbar. Er ist in der Lage, mich abzuservieren und sich auch noch zu beklagen.
Alan sitzt schon am Platz im Restaurant als ich auf ihn zukomme, steht auf und begrüßt mich, indem er meine Wange küsst. Ich nehme ihm gegenüber Platz. Er sieht hässlich aus. Wieso fällt mir das erst jetzt auf?
„Du siehst sehr schön aus", sagt er verlegen. „Ich wünschte, wir hätten eine Lösung finden können", beginnt er überstürzt und theatralisch.
„Für welches Problem?" Ich verstehe nicht, was er meint.
Alan stößt Luft aus der Nase. „Anja, Raissa ist nicht der Grund, weshalb es mit uns nicht klappt. Du weißt das genau!"
„Zur Kränkung schiebst du noch Schuld hinterher? Ich bin nicht gekommen, um mich beleidigen zu lassen." Ich bleibe ruhig. Ich bin großartig darin, so zu tun als ob.
„Ich wünschte, du würdest es verstehen", sagt er niedergeschlagen und nippt am Wein, wobei er die Unterlippe vorschiebt. Jetzt sieht er auch noch dumm aus.
Wir schweigen. „Deine Unnahbarkeit, deine Verschwiegenheit ... Ich komme nicht an dich heran." Er imitiert einen Verzweifelten.
„Du möchtest die Absolution? Ich erteile sie dir. So etwas passiert. Belassen wir es dabei." Ich sehe auf die Tischdecke. Die gestickten Kreise darauf ziehe ich mit dem Finger nach. Es beruhigt mich, etwas zu tun.
„Anja", versucht er es erneut, " ich hätte sehr gerne mit dir gelebt." Er greift nach meiner Hand. Deswegen zeichne ich das Muster schneller nach. Mein Atem beschleunigt sich und ich stehe auf, das Glas fällt um, der rote Wein verursacht einen Fleck. Mein Blick verfängt sich daran, es fällt mir schwer ihn abzuwenden.
Die Stille um mich wabert wie eine weiche, weiße Masse. Ein weißes Nichts, das alles überdeckt, das mir die Luft nimmt. Ich klammere mich an den Griff meiner Pistole, in meiner Jackentasche. So stehe ich vor ihm und er sieht mich an, als würde er mich zum ersten mal sehen. Dann fällt ein Schuss.

Das Restaurant ist gefüllt mit Sanitätern und Polizisten, als man mich bedrängt. Die Waffe halte ich immer noch fest umklammert. Wie es scheint, habe ich auf ihn geschossen. Jemand versorgt seine Hand. Er beachtet mich nicht. Ich bin Luft, kann mich nicht bewegen, stehe wie unter einem Glas.
Eine junge Polizistin ist aufgelöst. Ihre Stimme klingt gedämpft: „Wieso hat sie das getan? Ich kenne sie. Beide. Er ist der neue Freund meiner Schwester."
Sie weint. Ein Kollege stützt sie, redet auf sie ein.
„Hoffentlich lernt Ihre Schwester über die Löcher zu springen, die sich vor ihr noch öffnen werden", flüstere ich und bin nicht sicher, ob sie mich verstanden hat.

 

Hey Kanji

Die Idee deiner Geschichte gefällt mir, falls es deine Idee war, eine Art Psychogramm zu verfassen. Falls nicht, dann sind die folgenden Ausführungen wohl wenig hilfreich. Ich bin drum unsicher, weil der Titel (und das Ende) eher satirisch daher kommen. Aber die Geschichte ist nur mit dem Stichwort "Gesellschaft" versehen, also gehe ich mal von dieser Prämisse aus.

Ich denke, du solltest dir mehr Zeit lassen, die Idee zu entfalten. Und zwar aus mehreren Gründen. Erstens kommt "die Pointe" als solche daher, das heisst, sie ist für mich psychologisch wenig nachvollziehbar. Da haben wir diese Anfälle (fand ich gut) und dann zackbumm, erschiesst sie ihren Ex. Du hast dafür zwar Erklärungen: Die Jüngere, das Kind, das nie zur Welt kam, der Missbrauch, aber all diese Elemente wirken als eingestreute Infos und Behauptungen, die das Ende erklären sollen. Das wirkt etwas gezwungen. Und diese Infos sind halt etwas klischiert, bedienen Allgemeinplätze. Wenn du die Geschichte ausbaust, das langsam enthüllst, dann wird der Leser stärker hineingezogen. Und ja, vielleicht fällt dir dabei was Individuelleres ein. Die Art wie Alan ihr zu verstehen gegeben hat, dass sie für ihn zu alt wird. Sticheleien. Ein Dialog zur Frage, ob die beiden ein Kind haben wollen. Den Missbrauch würde ich weglassen und mich auf die Beziehung konzentrieren. Ich glaube, so ein Psychogramm braucht einfach Zeit. Sind alles nur Vorschläge. Und ich schreibe das alles auch nur, weil ich denke, dass du das könntest. Das sprachliche und erzählerische Potential ist nämlich da, finde ich. (Ich habe den Satz fett gemacht, damit er im Rahmen meiner Mäkelei mehr Gewicht erhält.)

Mir scheint, dass du dir zu Beginn der Geschichte diese Zeit genommen hast, als Anja das Bild betrachtet, das hat mir gefallen. Auch die Beschreibung des "Anfalls". Aber dann straffst du das alles so sehr, dass für mich die Geschichte zu Ende war, bevor sie begonnen hat.

Und dann noch die Sache mit dem Alter. Na, ich weiss nicht. Ich bin etwas über vierzig und musste bei der Stelle, dass er sie wegen einer Jüngeren verlassen hat, ziemlich grinsen, weil ich das unplausibel finde. (Ich weiss, es gibt reale Fälle, aber trotzdem) Mach die Anja doch älter. Oder, was mir besser gefallen würde: Sag, wie alt die neue Freundin von Alan ist, sagen wir fünfundzwanzig, und verschweige das genaue Alter von Anja. Und eben, wenn es dir gelingt zu zeigen, weshalb am Ende Anja Alan tötet und nicht eine Frau einen Mann, dann brauchst du diese allgemeine Idee der "Jüngeren" vielleicht gar nicht mehr. Was, wenn sich Anja alt fühlt, obwohl Alan sie für eine Gleichaltrige verlassen hat? Damit könntest du auch zeigen, dass relevant ist, was in Anjas Kopf abgeht und nicht, was in der Realität geschehen ist (Anfälle).

Und ein letzter Punkt: die Perspektive. Die Geschichte ist personal erzählt, nahe an Anja, aber der letzte Abschnitt auktorial. Das geschieht manchmal, wenn die Protagonisten sterben. Ist immer unschön, so wie eine an die Geschichte angeheftete Zeitungsnotiz. Und hier ist es gar nicht nötig. Du kannst Anja ja hören lassen, wie die Polizistin das sagt. Sie (und damit den Leser) auch den Schluss der Geschichte erleben lassen.

Es stoppt die positive Energie und zieht Betrachterin ins Innere.

die Betrachterin

entwickeln eine Kraft // Nur eine Leere und ein Sog.

Bilder und ihre Wirkung beschreiben finde ich ziemlich schwierig. Es könnte sich lohnen, hier nach originelleren, kraftvolleren :) Beschreibungen zu suchen. Vielleicht auch ein Vergleich oder so.

Diese Attacken häufen sich und lassen sich nicht länger ignorieren.

Würde ich zeigen oder streichen.


Anja versucht ein Lächeln und verwirft augenblicklich ihr Vorhaben, mit der Freundin über ihre Anfälle zu reden.

Streichen. Weil vorher kein Anlass genannt wird. Und so oder so streichen.

Lieber Gruss
Peeperkorn

 

Hej Peeperkorn, vielen Dank für diese Ausführung.
Es ist schön hier zu sein und Hilfe zu bekommen, wenn der eigene Blick verstellt ist. Du hast mir viele Türen geöffnet mit deiner genauen Sicht und deine Mühe weiß ich zu schätzen. Eine Satire wollte ich tatsächlich nicht verfassen. :shy:
Ich vertraue dir und was ich schnell ändern konnte, ist schon geschehen.
Durch deine inhaltlichen Beispiele machst du es mir leicht, nachzuvollziehen, woran es hapert. Die Umsetzung könnte mich allerdings überfordern. :hmm:
Ich finde es schon schade, dass meine Geschichte auf meine Weise nicht funktioniert. Ich hätte mir gewünscht, diese Form der Tatsachen würden ausreichen. Aber man möchte wohl am Ende selber alle Teile zusammenfügen, um zu verstehen. Ich hab es nicht gestrafft dargestellt, nicht weil ich mir keine Zeit nehmen wollte, sondern um die Gefühllosigkeit zu demonstrieren, ihre Passivität. Da lehne ich mich anscheinend zu weit aus dem Fenster, das scheitert an den Mitteln.
Ich werde versuchen, Anjas Geschichte nachvollziehbar zu erzählen. Ihr eine Vergangenheit geben, wenn ich dich richtig verstanden habe. Ob ihr Kurzschluss dann allerdings reicht, nur weil sie verlassen wurde?

Ich lass' mir das noch mal im Hirn zergehen.

Lieben Gruß, Kanji

 

Hey Kanji


Ich finde es schon schade, dass meine Geschichte auf meine Weise nicht funktioniert.

War ja nur mal eine Meinung. :)

Ich hab es nicht gestrafft dargestellt, nicht weil ich mir keine Zeit nehmen wollte, sondern um die Gefühllosigkeit zu demonstrieren, ihre Passivität.

Ja, das ist für mich der Grund, weshalb ich das eine spannende Idee finde. Diese Anfälle geschehen ihr, dass Alan sie verlässt, geschieht ihr und am Ende scheint es, dass ihr sogar die Tatsache, dass sie Schüsse auf die beiden abfeuert, ebenfalls bloss zustösst. Dieses Spiel zwischen aktiv - passiv finde ich reizvoll. Auch hier, denke ich, ist es eine Überlegung wert, dem mehr Raum / Zeit zu geben. Und ja, verlassen zu werden, darf wohl schon nicht der einzige Grund sein, das wird sonst unplausibel, bzw. braucht dann sehr viel Aufwand, um plausibel zu werden. Insofern ist es schon sinnvoll, mindestens eines der Elemente beizubehalten (das Kind, die Jüngere, der Missbrauch). ich denke, es war die Häufung auf kurzer Strecke, die meinen Eindruck hervorgerufen hat.

Gruss
Peeperkorn

 

Ok, Peeperkorn, jetzt ist der Groschen gefallen! :) Vielen herzlichen Dank. Ein Versuch ist es wert. Mal schauen wie weit meine Kompentenz reicht.

Grüße, Kanji

 

Hi Kanji,
willkommen. Ich hab´ mich nach ein paar Wochen Abstinenz heute endlich wieder einmal eingeklinkt und bin an deinem Titel hängen geblieben:

Löcher, in die Frauen fallen
Das ist wirklich spannend. Ich würde mir wünschen, dass du dieses Bild noch stärker im Laufe der Geschichte aufgreifst. Am Anfang ist es ja da, doch dann verschwindet es immer mehr.
Wie Peeperkorn schon gesagt hat, hast du ja Zeit, damit sich Anja und ihre "Löcher" entwickeln können. Den Mißbrauch würde ich raus nehmen. Das kam mir hier wie ein Klischee vor und passt nicht zur Beziehung von Anja, Alan und der jüngeren Frau. Die müsste sonst noch sehr viel vielschichtiger und kompakter sein. Ich mag deine Idee und deinen Stil. Bin gespannt, wie sich die Story noch entwickelt.
Grüße von Snowmaid

 

Hallo Kanji,

Peeperkorn hat dir ja schon jede Menge Richtiges gesagt, ich will da noch ein bisschen ergänzen.

Vor dem Bild eines expressionistischen Malers bleibt sie lange stehen und betrachtet es mit zur Seite geneigtem Kopf. Es ist ein kleines Format. Die Farbe Rot ist vorherrschend. Auch Grün, Blau und Gelb spielen mit ein, entwickeln eine Kraft. Doch was sie an diesem Gemälde fesselt, ist ein weißer Kreis inmitten der zentralen Person. Nicht ganz rund, eher ein Oval. Es scheint nicht zur Kleidung zu gehören. Es ist ein weißes Nichts. Es stoppt die positive Energie und zieht die Betrachterin ins Innere. Sie verliert sich darin, nichts, woran sie sich halten kann. Nur eine Leere und ein Sog.
Anja beugt sich nach vorn und empfindet ein Schwindelgefühl, etwas schnürt an ihrem Hals, sie spürt ihr Herz dort, wie es sich gepresst anfühlt, als würden es kräftige Hände umschließen und zusammendrücken. Sie zieht an dem schwarzen Rollkragen ihres Pullovers und steht dann regungslos, schnell atmend, als wäre sie eine Kurzstrecke gerannt. Der Zustand dauert nur einen Augenblick. Niemand nimmt Notiz von ihr.
Als sie sich gefangen, ihr Herz wieder einen erträglichen Rhythmus und Weite hat, verlässt sie eilig das Museum.

Ich finde auch, der erste Absatz gelingt dir am besten. Der hat diese Ungewissheit drin, er macht neugierig.
Danach habe ich das Gefühl, dass du nicht genau weißt, wohin die Geschichte gehen soll. Sie wird verlassen, trifft ihn wieder, fällt in Ohnmacht und erschießt ihn und seine Neue anschließend. Hmm..
Alles passiert so abrupt und das Ende ist einfach nicht nachvollziehbar.
Was sollte eigentlich das Thema der Geschichte sein? Was steckt im Kern von Anja? Was ist ihre treibende Kraft, was sind ihre Motive? Warum ist das Verlassenwerden durch Alan für sie so ein Drama, dass sie ihn und seine Frau erschießt? So ein tragisches großes Finale muss verdammt gut vorbereitet werden, ansonsten wirkt es fast unfreiwillig komisch. Das größte Problem der Geschichte ist für mich, dass die Konflikte schablonenhaft dargestellt sind. Man kann immer wieder eine Geschichte über das Verlassenwerden oder über Missbrauch oder über Rache schreiben. Aber wenn du den Leser erreichen willst, muss das alles etwas eigenes haben. Du wirst kaum neue Konflikte finden, aber was du machen kannst, ist es, altbekannten Konflikten eine individuelle Prägung zu geben. Und das hat mit dem ersten Absatz gut angefangen, aber dann ist es eingebrochen.
Denk an deine Figur. Wie würde Anja eigentlich reden, wenn du sie reden ließest. Was findet sie witzig, was macht sie traurig? Wie trinkt sie ihren Kaffee? Fährt sie lieber Bus oder Bahn?
Wenn du eine überzeugende, authentische Figur zeichnen willst, deren Handlungen für den Leser nachvollziehbar sind, musst du in die Details investieren, in die kleinen Dinge. An diesen Dingen glauben wir die Natur des Menschen erkennen zu können. Wir wollen selbst die Transferleistung machen, Raum für eigene Schlussfolgerungen haben. Ich muss gerade an eine Szene aus "Nymphomaniac" denken, wahrscheinlich weil es da auch um eine unglückliche Frau um die 40 geht. Da fragt Seligman Charlotte Gainsbourg ob sie sich immer zuerst die Fingernägel auf der rechten Hand schneidet oder auf der linken. Und sie sagt, natürlich auf der linken, immer zuerst das Vergnügen. Und dann wird diese Art von Fingernägelschneiden irgendwie bezeichnend für die Figur, man kann aus dieser kleinen Gewohnheit vieles ableiten, der Charakter wird plastisch.
Und genau das würde deinem Text gut tun. Versuch dich in die Figur hinein zu versetzen, gib ihr Eigenheiten, richte den Fokus nicht direkt auf die offensichtlichen, klischeigen Dinge, von wegen, der Mann verlässt sie für eine jüngere. Mach es subtiler. Beim Schreiben sollte man sich der eigentlichen Aussage entweder indirekt nähern, oder wenn du es direkt machst, muss es eine besondere Schärfe der Beobachtung haben und vom Ausdruck, von der Sprache total rocken.
Na ja, soviel von mir. Hoffentlich kannst du was damit anfangen.

Liebe Grüße
randundband

 

Hallo @Kanji,

ich bin bestimmt dreimal über den Titel in der Liste gestolpert, ehe ich ein wenig Zeit gefunden habe, deinen Text zu lesen. Der Titel ist übrigens sehr gut. Ich habe aber, wie so häufig, was anderes erwartet. Ich hatte etwas Witziges erwartet.
Ich muss einem meiner Vorkommentatoren zustimmen, dass das Bild des Loches vom Titel und ersten Absatz gerne häufiger kommen könnte.
Der erste Absatz ist stark, keine Frage. Mir ist aber vor allem der dritte Absatz aufgefallen. Du beschreibst ausschließlich Äußerlichkeiten und doch habe ich hier mehr einen bedrückenden Eindruck davon, wie traurig sie ist und wie leer. Es wird insgesamt so wenig über sie verraten. Das ist schade.
Saamya ist unwichtig, auch was die beiden in der Mittagspause essen. Ich finde sogar Alan unwichtig. Er kann nicht der einzige Grund sein, dass sie sich so fühlt. Und deswegen fällt es mir auch schwer, nachzuvollziehen, was sie am Ende tut. Ich hätte Selbstmord für wahrscheinlicher gehalten.
Ich habe es übrigens nicht so gelesen, dass sie die beiden erschiesst. Ich hatte den Eindruck, dass sie lediglich auf die beiden schiesst. Sie erscheint mir nicht in der Verfassung, eine Waffe ruhig zu halten und ich bezweifle, dass sie viel Erfahrung mit so einem Ding hat.
Und auch am Ende lässt du andere sprechen, hier die Polizistin, aber nicht Anja selbst.
Vielleicht probierst du es mal mit Anja als Ich-Erzählerin. Das hat bestimmt auch schon jemand gesagt. Nur Mut. Deine Sprache ist wunderbar und ich bin sicher, du hast die Story komplett mit allem im Kopf. Experimentier ein bisschen. Das macht Spaß. Und ich schaue gerne wieder vorbei und gebe meinen unqualifizierten Senf dazu. :)

Liebe Grüße
Zantje

 

Hallo Kanji,

deine Geschichte kommt sehr unterkühlt daher, sprachlich finde ich es ganz interessant. Das Finale allerdings ist dann doch ziemlich aus dem Nichts gegriffen. Wie du ja auch sehr treffend schreibst:

Eine junge Polizistin ist fassungslos: "Wieso hat sie das getan? Sie ist doch noch jung. Millionen von Frauen auf der Welt werden täglich verlassen." Sie findet keine Erklärung für dieses niedere Verbrechen, spürt nur Abscheu und Entsetzen.
Genau, ich bin auch etwas fassungslos;)! Frauen werden verlassen, auch wegen jüngeren, das ist kein Grund zur Waffe zu greifen und auch der Verlauf deiner Geschichte lässt (mich) in keinster Weise erahnen, dass es zu diesem drastischen Ende kommt. Du hättest das zuspitzen müssen, den Leser spüren lassen, dass es in Anja brodelt, für mich kommt sie eher distanziert und gleichgültig rüber.

Vielleicht liegt es auch einfach an der Kürze, dass die Charaktere doch recht blass bleiben, über Alan erfährt man eigentlich nichts...

Trotzdem ganz gerne gelesen,

Kerkyra

 

Guten Morgen liebe Wortkrieger,
Snowmaid
Vielen Dank, dass du die kleine Geschichte gelesen und kommentiert hast.
Leider muss ich dir im Nachhinein recht geben: viel zu wenig offensichtliche Löcher. Eine Mogelpackung. Wenn ich mich wirklich näher an die Protagonistin heran gewagt hätte, wäre der Missbrauch tatsächlich überflüssig (hab ihn trotzdem schon jetzt entfernt). Und du hast wieder recht: die Geschichte sollte sich entwickeln.
randundband
Herzlichen Dank für die Zeit, die du mir widmest und mich auf die Schwäche des Textes hinweist.
Natürlich muss man den Eindruck haben, die Geschichte scheint führungslos und ich bin wirklich selbst überrascht, wie kurz sie wirklich ist. All die Fragen, die du mir stellst sind verpackt, aber eben so, dass man sie nicht findet. Ich bin zu feige, dichter heranzugehen. Dies scheint aber unerlässlich zu sein (nicht zuletzt, weil es keine Mimik und Gestik zu sehen gibt.)
Es ist sehr schön, dass du mich auf einen Film mit Charlotte Gainsbourgh verweist - ich habe tatsächlich sehr oft französisches, filmisches Drama (allerdings mehr aus den 60ern und 70ern) beim Schreiben im Kopf gehabt, mit all den knappen Dialogen und starken Bildern. Ich habe auch keinen Anspruch an mich, neue Konflikte aufzuzeigen, viel zu dramatisch sind die ewig "bewährten" für die Frau zu jeder Zeit und ich kann mich nicht satt lesen an diesen Geschichten. Du hast völlig und total recht: ich muss näher ran und genau mit den Fingern in die Wunden gehen, Bilder und Löcher entwickeln.
Du hast mir sehr geholfen. Vielen Dank dafür.
Zantje
Schön, dass du gestolpert bist und mir dann diese wunderbaren Zeilen geschickt hast. Dein Senf war sehr delikat und bekömmlich und meiner Meinung nach äußerst qualifiziert.
Der Titel ist wirklich irreführend, aber komisch sollte er nicht wirken. Eher die Diskrepanz aufzeigen, wie banal das Thema zu sein scheint - auch wegen der Häufigkeit des Ereignisses - und dem, was es auslösen kann. Ein Selbstmord kam zu keiner Zeit in Frage ;); ich habe zwischenzeitlich mit dem Gedanken gespielt, Anja in ein Erdloch fallen zu lassen, wie es hin und wieder aus geologischen Ursachen vorkommt. Aber das wirkte sicher lächerlich.
Dass du während der Spiegelszene ihre Leere gefunden hast, macht mich glücklich, damit verstärkt sich auch der "Anfall" und sie wird tatsächlich ohnmächtig. Und noch glücklicher macht mich, dass du es auch so siehst, dass die beiden am Ende nicht tot sind (mit zwei Schüssen einer kleinen Pistole aus ihrer Handtasche, die wahrscheinlich sonst eh nur zur Abschreckung dienen soll) ist sie wirklich nicht in der Lage, gezielt zu treffen, um zu töten, sicher wollte sie das auch gar nicht.
Und erneut hast du recht, wenn du meinst, ich solle experimentieren (dafür bin ich schließlich hier). Ob ich mich derart dicht an Anja wage, um in der 1. Person zu schreiben, weiß ich noch nicht. Bin ganz froh über den Abstand.
Auf jeden Fall bist du, liebe Zantje, eine große Hilfe gewesen, nicht zuletzt, weil du mir Druck genommen hast. Ob du's glaubst, oder nicht. ;)
Kerkyra
Auch dir ein Dankeschön für's Lesen und Kommentieren.
Mittlerweile kann ich deinen Einwand sehr gut nachvollziehen. Ich sehe die Notwendigkeit, genauer aufzuzeigen, damit die Geschichte verständlich wirkt. Verrückt zu glauben, es ginge anders. :lol:

Ihr habt mir alle zusammen Lust gemacht, nicht die Augen zu verschließen und durchzurennen, sondern mich ihr langsam zu nähern und ihren Schmerz zu zeigen. Naja, sofern man Lust auf Schmerz haben kann.

Außerdem muss ich wohl doch noch erwähnen, dass ich euer Lob (auch das nicht fettgedruckte;)) sehr wohl wahrgenommen habe, mich tatsächlich die Kritik mehr berührt hat. :hmm: Auch nicht so schön.

Liebe, freundliche Grüße, Kanji

 

Der Titel ist fantastisch. Er klingt nach einer ungewöhnlichen, neuen Idee. Und nach dem ersten Absatz war ich hin und weg ... ich war mir sicher, dass dieses Bild Frauen in seinen Bann zieht, auf eine Stephen-King-mäßige, üble Art.

Aber dann geht sie Salat essen (was für ein Klischee) und bringt den Mann um. Ohne, dass ich viel von ihre fühle. Vermutlich ist sie verrückt ... aber ihren Wahnsinn spüre ich nicht. Auch nicht einen Kampf dagegen, einen Zweifel was Real ist und was nicht ...

Das hat viel Potential, aber du musst dich näher an sie ran trauen. Und dieses "noch keine 40", das macht mir den Erzähler schon ein wenig unsympathisch *zwinker*. Besser würde mir gefallen, wenn der Erzähler 40 nicht so als Ablaufdatum hinstellt und dafür mehr der Kontrast rauskommt: Anja ist nicht alt, fühlt sich aber so. Der Erzähler muss dann halt den "ist nicht alt" Part dieses Duetts übernehmen.

 

Hej velvet,

:lol: "... Aber dann geht sie Salat essen." Du hast völlig Recht. Das ist schockierend!
Ich sollte wohl eine Horrorgeschichte herausarbeiten.
Leider hast du auch voll in die Wunde gestochen: ich gehe nicht nahe genug ran! Das scheint wirklich mit ein ausschlaggebender Punkt/Schwäche zu sein, auch bei der anderen Geschichte ist mir das "passiert".

Ich bearbeite diese Geschichte im Augenblick und merke, wie schwer es mir fällt, ihre Persönlichkeit herauszustellen. Eigentlich möchte ich nicht, dass sie verrückt ist. Mir schwebt sie vor als unsagbar verletzt, verletzbar und unfähig, sich zu stellen, auch sich selbst, vorwärts zu schauen.

Vielleicht übernehme ich mich an diesem Punkt und lasse sie doch Amok laufen :lol:

Danke, dass du sie gelesen und kommentiert hast. Das motiviert mich.

Lieber Gruß, Kanji

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Kanji,

Hier mische ich mich mal ein und möchte ein Problem beleuchten, das meine Texte mit deinem Namen und auch Isegrims letzten Text verbindet. Die Kritik lautet: Ich gehe nicht genug an meine Protas heran, sie bleiben blass und deshalb berühren sie den Leser nicht. Als Heilmittel wird häufig vorgeschlagen: Ich- Erzählung. Ich weiß nicht, warum diese Erzählperspektive grundsätzlich als authentischer gilt. Kinder und Jugendliche schreiben fast immer in der Ich-Form. Das ist auch nachvollziehbar, da sie in der Regel nicht unterscheiden zwischen sich als Autor und dem Ich als Protagonist. Die Kränkung ist deshalb um so größer, wenn die Story kritisiert wird. Wie kann man denn auch einem Ich Authentizität absprechen!

Aber kann es nicht sein, dass die Ich-Perspektive eher zu Egozentrik, womöglich zu Narzissmus (des Autors) verleitet? Oder ist es eine Flucht vor der aus meiner Sicht ungleich schwierigeren Aufgabe, aus der Distanz des Autors zu seinen Protagonisten glaubwürdige Personen und deren Handeln zu gestalten?
Darüber würde ich in diesem Forum gerne mehr erfahren.

Vielleicht liege ich ja mit meinem Vorbehalt gegenüber der Ich-Erzählung ganz falsch. Sie hat schon ihre Funktion, aber als Allheilmittel betrachte ich sie nicht. Ich warte auf Widerspruch!

Gruß wieselmaus

 

Hej wieselmaus,

darin liegt wohl das Geheimnis. Ein Allheilmittel ist es sicher nicht, aber vermutlich ist es leichter, Emotionen zu transportieren, wenn man aus der Ich-Perspektive erzählt. Und da diese Perspektive subjektiv ist, kann man auch mehr "verzeihen".
Ich bewahre deswegen wohl auch zuviel Distanz und werde weniger glaubwürdig.
Erzählt man die Geschichte von außen, muss man eben genauer ran, hinsehen und beschreiben. Das ist vermutlich die Kür.
Ich würde das gerne lernen, denn ich vermute mal es ist, wie das meiste im Leben, keine Zauberei, sondern eine Technik.
Hier habe ich es auch zumindest schon mal verstanden, woran es hauptsächlich hapert, was ja dann auch zumindest den Weg weist.
Und du hast völlig recht, wenn du die Kritik an meinen Texten mit deinen und Isegrimms vergleichst. Eine ähnliche Problematik für den Leser, der ich die allermeiste Zeit ja bin. Die Protagonisten sind weniger greifbar. Das stört tatsächlich, wenn man sich in die Geschichte hineinbegeben möchte.
Versuche doch mal zum Spaß für dich, deine letzte Geschichte aus der 1. Person zu erzählen und spüre selber nach. (Mir hat meine nicht besser gefallen)
Man kann aus der beobachtenden Perspektive mehr herausholen, finde ich. Man muss es dann aber wohl auch tun, fürchte ich. Und da rede ich natürlich hauptsächlich von mir selbst !
Dennoch werde ich lesen und analysieren und versuchen, meine eigenen Geschichten runder werden zu lassen.

Ich wünsche dir, dass du nicht länger gekränkt bist und es als eine Herausforderung siehst, denn leicht ist auch langweilig. ;)

Herzliche Grüße, Kanji

 

Guten Abend,

ich habe versucht, alles, was ich euren Ratschlägen entnehmen konnte und mir machbar war, umzusetzen. Beim abermaligem Lesen eurer Kommentare war ich erneut total dankbar und überrascht, wie präzise ihr eure Hilfe anbietet und mit mir eintaucht.
Ich hoffe, ich kann die Protagonistin näher bringen, das was sie umtreibt verdeutlichen, damit es schlüssiger und lesbarer wird.
Dazu habe ich einen Rat von Zantje berücksichtigt, der mir am schwersten fiel: eine Ich-Erzählerin entwickelt. Das war umso anstrengender, als dass ich sie nicht so gerne mag.
Habt vielen Dank bis hierher.

Herzliche Grüße und einen schönen Abend, Kanji

 

Hallo Kanji,

Respekt! Dein Ziel, die Prota zwar als verstörte, aber nicht verrückte Frau darzustellen, ist dir jetzt geglückt. Es ist schon so, dass die Ich-Perspektive es erleichtert, die seelischen Zustände intensiver zu erfassen. Ich denke, bei einem Text, in dem es weniger um Handlung, sondern eher um Befindlichkeit,
quasi um ein Psychogramm geht, ist das eine gute Technik. Trotzdem würde ich sie nur sparsam einsetzen. Du kennst ja meine Meinung dazu.

Ein oder zwei Kommafehler gibt es noch und die höfliche Anrede ist nicht durchgängig richtig.

"Möchten Sie, dass Sie jemand abholt?"
"Hoffentlich lernt Ihre Schwester ..."

Deine Arbeit hat sich auf jeden Fall gelohnt.

Liebe Grüße von wieselmaus

 

Puh, wieselmaus, du ahnst, wie ich mich fühle.

Und ich gebe dir Recht, hier passt die Perspektive besser, aber ich bevorzuge sie nach wie vor auch nicht.
Danke, dass du diese Version gelesen, korrigiert und beurteilt hast.

Ich wünsche dir einen schönen Abend und gehe gleich noch einmal zu deiner neuen Geschichte hinüber, weil mir noch etwas aufgefallen ist.

Herzliche Grüße Kanji

 

Hey Kanji,

ich habe deine Geschichte sehr gern gelesen. Mit gefällt der weiße Fleck, der für so vieles herhalten muss. Weiße Flecken stehen ja auch für verdrängte Erinnerungen, und deshalb haut sie der Fleck auch im doppelten Sinne um. Das finde ich sehr schön gemacht.

"Möchten Sie, dass Sie jemand abholt?", fragt eine ältere Frau mit weißen Haaren und tätschelt dabei meine freie Hand.

Dieses Handgetätschle wird ja zur Dauergeste im weiteren Verlauf. Ist das Absicht? Ich fands irgendwann sehr monoton.

"Anja, das ist alles so lange her. Kannst du nicht endlich einen Schlussstrich ziehen", fragt er und seine Stimme klingt ungeduldig. Er greift nach meiner Hand, doch ich entziehe sie ihm, kann es nicht ertragen, dass er mich berührt.

Sie kann überhaupt keine Berührungen ertragen, egal von wem.

War das eigentlich schon immer so? Konnte ich jemals seine Nähe aushalten? Ich kann mich nicht an ihn erinnern. Er kommt gar nicht vor in den schwachen Bildern meiner Kindheit.

Sehr schön!

"Wann ist Schluss?", erwidere ich stattdessen und sehe an ihm vorbei an die Wand.
"Die Internate hast du doch aber selbst zu verantworten", flüstert er und ich möchte genauso wenig wie er immer und immer wieder darüber reden.

Den Sprung habe ich nicht kapiert. Da konnte ich ihr nicht folgen.

Sehr schön, wie sie von allen Menschen abgeschoben wird. Vom Vater, seiner neuen Frau, von Alan. Auch von der Mutter wurde sie verlassen, wenn auch anders. Aber Kinder sehen sich ja gern in der Schuld für ... obwohl sie schon dem Vater die Schuld gibt, weil er die Mutter in ihrer Depression (die hatte sie ja, muss sie, sonst gäbe es nicht wirklich einen Grund für den Selbstmord) nur bestärkt hat, indem er ihre Bilder nicht "mochte".

Sie geht, ohne zu wissen wohin. Sie fürchtet sich nicht. Nicht zu stolpern, nicht zu fallen. Sie geht schnell.

Ich mochte das: Sie geht schnell. Sagt viel. Schöner Pinselstrich.

Wir schweigen. "Deine Unnahbarkeit, deine Verschwiegenheit ... Ich komme nicht an dich heran." Er imitiert einen Verzweifelten.
"Du möchtest die Absolution? Ich erteile sie dir. So etwas passiert. Belassen wir es dabei." Ich sehe auf die Tischdecke. Die gestickten Kreise darauf ziehe ich mit dem Finger nach. Es beruhigt mich, etwas zu tun.

Auch sehr schön!

"Anja", versucht er es erneut, " ich hätte sehr gerne mit dir gelebt".

Punkt mit in die Rede, nicht dahinter

Das Restaurant ist gefüllt mit Sanitätern und Polizisten, als man mich bedrängt. Die Waffe halte ich immer noch fest in der Hand. Sie nehmen sie an sich. Ich kann mich nicht bewegen, stehe wie unter einem Glas.
Eine junge Polizistin ist aufgelöst. Ich höre ihre Stimme gedämpft: "Wieso hat sie das getan? Ich kenne sie. Beide. Er ist der neue Freund meiner Schwester."
Sie weint. Ein Kollege stützt sie, redet auf sie ein.
"Hoffentlich lernt Ihre Schwester über die Löcher zu springen, die sich vor ihr noch öffnen werden."
Ich bin aber nicht sicher, ob sie mich verstanden hat.

Hat sie jetzt ihn oder sich umgebracht? Beides ist möglich, so wie es da steht.

So weit meine Leseeindrücke. Schönes, kleines Psychogramm. Weiß nicht, ob ich da am Ende eine so heftige Reaktion brauch, aber wahrscheinlich hast Du auf genau dieses Ende zugeschrieben, insofern ist es für Dich auch folgerichtig. Mir hätte ein Zusammenbruch gereicht. Ich spüre ihre Depression nicht genug, um einen Selbstmord zu rechtfertigen oder nicht genügend Wut, um einen Mord zu erklären. Und eine Kurzschlusshandlung will ich jetzt mal ausschließen. Auch wenn drei Verluste nahstehender Personen schon heftig für einen Tag sind, auch wenn sie bereits früher stattfanden, sich aber in so kurzer Zeit ins Bewusstsein drängen.

Herzlich Willkommen, übrigens. Wenn auch sehr spät von mir ;).

Beste Grüße, Fliege

 
Zuletzt bearbeitet:

Hej Fliege,

du bringst mich dazu, mich noch einmal mit meiner Geschichte auseinanderzusetzen. Danke schon mal dafür. :)

Viel viel schöner ist es aber, dass du dich eingelassen hast und ihr nahe gekommen bist, obwohl ich so sparsam vorgegangen bin. Das freut mich sehr und erleichtert mich.

"Wann ist denn Schluss?", erwidere ich und sehe an ihm vorbei an die Wand. Er ignoriert es. Wie er wohl vieles im Leben ignoriert und fährt stattdessen fort, sich aus der Verantwortung zu ziehen.
"Die Internate hast du doch aber selbst zu verantworten", flüstert er und ich möchte genauso wenig wie er immer und immer wieder darüber reden.

An dieser Stelle habe ich jetzt versucht, einen "Steg" zu bauen (eine Brücke ist es eher nicht geworden ;))

Auch das Ende habe ich leicht verändert.

Das Restaurant ist gefüllt mit Sanitätern und Polizisten, als man mich bedrängt. Die Waffe halte ich immer noch fest in der Hand. Wie es scheint, habe ich auf ihn geschossen. Jemand versorgt seinen Arm. Er beachtet mich nicht. Ich bin Luft, kann mich nicht bewegen, stehe wie unter einem Glas.

Sie ist eine verlorene Seele und zu keinerlei Gefühlen mehr fähig, deshalb ist wohl auch so schwierig mit ihr zu empfinden. Noch nicht einmal mehr wütend ist sie. Lediglich Angst und Ohnmacht bemächtigen sich ihrer. Sehr schade :shy:

Dass sie am Ende die Waffe, wenn auch unvermittelt und unambitioniert, benutzt, die sie stets mit sich herum trägt, um sich gegenständliche Sicherheit zu vermitteln, ist ein Segen für sie, denn nun kann sie Hilfe bekommen. Sie hat einen Bruch damit in ihren Leidensweg gebracht.

Da muss ich noch mal nachbessern.

Habe allerherzlichsten Dank für deine Zeit und den netten, hilfreichen Kommentar sowie dein Willkommen.

Freundlicher Gruß, Kanji

Moin maria.meerhaba

Grüßt man so in Wien? ;)

Ich hatte schon diffuse Angst als ich deinen Namen gelesen habe, denn ich verfolge deine Kommentare und war froh, bisher von dir ignoriert worden zu sein. :lol. Deshalb habe ich bisher noch keinen Text von dir kommentiert. Clever, oder?

Du bist schon im Recht, wenn du eine Textwiederholung als "unschön" bezeichnest, doch hier wollte ich, dass sie einen vorhergehenden, einfachen Gedanken artikuliert.

Auch die Dialoge sind wohl so aufgesetzt, weil man mit einer Frau wie ihr eben nicht reden kann. Sie schwimmt unter Glas. Man kann sie nicht greifen. Sie verfügt über keinerlei Gefühle. Alles ist passiv. Angst und Ohnmacht sind die einzigen Gefühle, gegen die sie nicht ankommt. Und natürlich ist sie derbe unsympathisch dadurch. Das liegt nicht an dir :lol:

Du liegst sicher richtig damit, dass ich alles genauer und ausführlicher hätte beschreiben können, um als Leser mehr Zeit zu haben, einzutauchen. Aber ich wollte es versuchen. (Wieder mal:hmm:)

Ich danke dir für alles, was du herauslesen konntest. Darüber freue ich mich riesig. Ein Strohhalm.

Das Ende habe ich jetzt geändert (s.o.) und vielleicht erübrigen sich jetzt sie Fragen nach dem "Warum". Deine Idee, sich den "Löchern", die größer werden, hinzugeben, wie du vorschlägst, wäre sicher eine prima Alternative. (Daumen hoch :))

Danke, dass du so nett mit mir umgegangen bist und mich in einem Stück zurücklässt. Aber vielmehr bin ich dir dankbar, dass du mich bemerkt hast und mir deine Sichtweise mitgeteilt hast.

Lieber Gruß, Kanji

 

Hey Kanji,

nur eben schnell, weil ich gleich losmuss.

Auch das Ende habe ich leicht verändert.

Ja, viel besser. Und weißte, jetzt wo es nicht mehr wie Mord daherkommt :thumbsup:, fiel mir so ein, wenn er öfter versuchen würde nach ihrer Hand zu greifen, also so zwei drei Mal im Verlaufe des Gesprächs, ich würd ihm in die Hand schießen. Dann ist es noch viel runder und sagt so viel mehr. Schlaf mal drüber ;).

Und was die maria betrifft, Hunde die bellen, beißen nicht. Aber ich kenne das noch aus meinen Anfängen hier. Da gab es auch so eine, inzwischen liebe ich sie!

LG, Fliege

 

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