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Kyrie eleison

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02.01.2002
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Kyrie eleison

"Du bist reingegangen, stimmt's?"

Ich nickte und wischte mir über das Gesicht. Die Tränen klebten an meinen Wangen. Wahrscheinlich sah ich völlig verheult aus. Aber es war mir egal. Ich hätte kotzen können, so schlecht fühlte ich mich.
Karin nahm mich in den Arm und drückte mich. Es tat gut, sie bei mir zu haben. Allein ihre Nähe wirkte beruhigend auf mich und ich hatte das Gefühl, dass jemand für mich da war und sich um mich kümmerte.
Vorsichtig strich sie mir ein paar Strähnen aus der Stirn, die sich aus meinem verstrubbelten Zopf gelöst hatten.

"Wenn du drüber reden willst ...", sagte sie leise und warf mir einen vielsagenden Blick zu. Ich zögerte, dann nickte ich. "Du musst nicht, wenn du nicht magst", fügte sie hinzu als sie sah, wie mir erneut Tränen in die Augen stiegen.

"Nein, ist schon gut", murmelte ich, während ich ein zerknülltes Taschentuch hervorkramte. "Ich will ja drüber reden. Ich glaub, ich muss es sogar."

"Ist gut, Süße", meinte Karin, erleichtert, wie mir schien, und küsste mich auf die Wange. Ich war gerührt von ihrer Anteilnahme, ich fühlte mich nicht mehr ganz so dreckig und benutzt wie vorhin.

"War sowieso eine Scheißidee, da hinzugehen", brachte ich undeutlich hervor als ich mir die Nase putzte. "Hätte wissen müssen, dass es zu früh ist."

"Nein, mach dir keine Vorwürfe", beeilte sich Karin zu sagen und drückte mich nochmal an sich. "Das war schon ganz richtig. Und es war unglaublich mutig von dir."

Ich schnaubte. "Was ist daran mutig? Ich habs gerademal geschafft ein paar verdammte Minuten zu bleiben, ich, ich ...-" Ich brach ab, weil ich das Schluchzen, das in meiner Kehle hochgestiegen war, nicht mehr zurückhalten konnte. Karin streichelte mir unentwegt den Rücken bis ich mich wieder soweit beruhigte, dass ich weitersprechen konnte.

"Ich hatte mir mehr erhofft", gab ich schließlich zu. Ich sah meiner Freundin direkt in die Augen. "Ich dachte, ich geh hin und ... und danach ..."

"... und danach ist es vorbei, oder?"

Ich nickte. Karin schüttelte den Kopf.

"Das geht nicht so schnell. Das weißt du selber. Dass du es soweit gewagt hast ist schon eine ganz großer Schritt, wirklich. Mensch, die letzten Jahre hättest du dich das bestimmt nicht getraut, oder?"

Ich verneinte. Natürlich hatte Karin Recht, ich wusste selber, dass es mit dem heutigen Tag niemals vorbei gewesen wäre. Trotzdem tat es weh zu realisieren, wie sehr mich alles wieder verletzt hatte. Ich verdrängte den Gedanken wie es jetzt wohl weitergehen würde, wann ich den nächsten Schritt wagen würde. Heute konnte ich darüber nicht mehr nachdenken. Heute nicht mehr.

"Es war nur, weil ich mich heute ganz gut fühlte", fing ich mit leiser Stimme an. "Dachte, heute könnte es klappen. War irgendwie ein guter Tag bis dahin und ich wusste, ich könnt's schaffen."

"Ich weiß, Süße, ich weiß", flüsterte Karin und rückte eng an mich heran. "Sag einfach was du willst, ich hör dir zu."

Ich schniefte, nickte, fuhr mit dem Taschentuch nochmal über meiner Nase und fuhr dann fort:

"Ich hab's schon vor ein paar Tagen beschlossen, ich wollte es einfach probieren. Als ich heute Morgen aufstand fühlte ich mich okay, ich dachte, so schlimm wirds schon nicht werden. Irgendwann muss ich es wagen, jetzt oder nie, wenn schon denn schon, und all so 'ne Scheiße. Weißt schon." Ich räusperte mich, mein Hals war wie ausgetrocknet. "Bin dann heute Nachmittag los als meine Mutter zur Arbeit weg war. Ich hab das Fahrrad genommen und bin erst etwas in der Gegend rumgefahren ... so zur Ablenkung. Irgendwann hab ich dann den Weg zur Kirche eingeschlagen." Einen Moment lang stockte ich in meiner Erzählung und musste mich sammeln. Karin hatte sich halb hinter mich gesetzt und die Arme um mich geschlungen. Es tat mir unendlich gut, sie so nah bei mir zu haben. Ohne sie wäre ich durchgedreht.

"Ich hatte gehofft dass niemand da war und Glück gehabt in der Hinsicht. War keiner da. Keine Fahrräder draußen außer meinem, alles ruhig, keine Kinder, niemand. Klar, drinnen hätte jemand sein können, aber die Hauptsache war, dass niemand draußen herumlief und mich beobachten würde, oder so. Dann hätte ich mich nie reingetraut, soviel steht fest." Ich zog die Nase hoch. "Ich hab das Rad abgeschlossen und bin zur Tür gegangen. Irgendwie ist mir ziemlich schwindelig geworden. Ich hab eine Weile davorgestanden und mich gefragt: Was machst du überhaupt hier? Ich hab mich so verrückt gefühlt, ich wollte nur noch weg. Und hatte gleichzeitig totale Angst davor umzudrehen und abzuhauen. Irgendwie war ich nämlich ... stolz auf mich ..." Ich schloss die Augen und atmete tief durch. Nicht schon wieder weinen, beschwor ich mich innerlich.

"Du hast auch allen Grund, stolz zu sein", hörte ich Karin neben mir. Ihr warmer Atem kitzelte mein Ohr. Ein angenehmes Kribbeln. Dankbar ergriff ich ihre Hand.

"Ja, ich weiß schon. Deswegen bin ich dann ja auch nicht zurück. Nicht direkt Ich stand bestimmt ein paar Minuten lang einfach nur so da und hab die Tür angestarrt. Ich bin echt froh, dass keiner vorbeikam, sonst wäre ich garantiert abgehauen. Es war auch so schon ... schwer genug.
Irgendwann hab ich mich dann gelöst und bin reingegangen. Einfach so." Unwillkürlich schloss ich meine Augen während ich sprach. "Die Tür hat geqietscht beim Öffnen. So wie damals. Im ersten Moment wollte ich wegrennen, aber das kam mir dann doch albern vor. Alle Türen quietschen hin und wieder, das kenn ich auch von anderswo her. Ich bin also nicht umgekehrt. Ich bin rein und ... und dann war erstmal alles dunkel."
Kurze Pause, durchatmen. Zurücklehnen.
"Ich blieb ein bisschen im Vorraum stehen und lauschte, ob ich irgendjemanden reden höre. Es war aber alles still. Zum Glück. Mir wurde erst jetzt klar, wie sehr ich mich vor einem Beobachter gefürchtet hatte." Eine Träne rann mir aus dem Augenwinkel und Karin griff nach dem Taschentuch um sie abzuswischen, aber ich wehrte ihre Hand sanft ab. Keine Störung jetzt, keine Unterbrechung. Sonst brachte ich es nie zuende. Ich spürte den salzigen Tropfen auf meinen Lippen. Mechanisch leckte ich ihn ab. Meine Augen starrten ins Leere und meine Stimme klang erschreckend hohl, als ich fortfuhr.

"Ich hatte echt Dusel, dass keiner da war, sonst sind doch meistens immer ein paar alte Frauen in der Kirche, oder? Auch wenn keine Messe ist. Ich hab jedenfalls das Weihwasserbecken gesehen und überlegt ob ich etwas davon nehmen soll." Ich gab einen verächtlichen Laut von mir. "Wie lächerlich. Gar nichts hab ich davon genommen. Stattdessen ... stattdessen bin ich geradewegs hin zu den Bänken."
Weiterreden, nicht aufhören.
"Vielleicht hätte ich mich erst umsehen sollen, an alles gewöhnen, alles mit mehr Muße angehen - aber ich wusste, wenn ich zu lange da herumstehe, schaff ichs nicht weiter. Also bin ich einfach hinmarschiert."
Weiter.
"Einfach - hinmarschiert. Direkt zur Bank. Ich hab mich nochmal umgeguckt ob außer mir niemand da ist und dann ... wollte ich mich hinsetzen."
Nicht weinen, alles wird gut. Du schaffst das.
Ich biss so mir stark auf die Lippen, dass sie schmerzten. "Dann ging alles furchtbar schnell. Ich, ich hab auf einmal so ein Rauschen gehört. Ganz laut und ich weiß nicht woher. Es, es hat sich alles gedreht. Überall roch in den Weihrauch. Mein Kopf tat weh, mir wurde schwindelig - ich hab Bilder gesehen." Ich schluchzte trocken auf. "Überall waren diese verdammten Bilder. Ich hab mich gesehen - mich. Ich ... - scheiße."

"Ganz ruhig ...", hörte ich Karins Stimme wie aus weiter Ferne. Ich meinte ihre Hand auf meinem Haar zu spüren, aber ich war mir nicht sicher - ich sah nur noch die Bilder vor mir.

"Ich hab mich gesehen, mich, mich, in diesem gottverdammten weißen Kommunionskleid. Ich weiß noch genau wie scheißstolz ich darauf war es tragen zu dürfen und hab mich gefühlt wie ... - wie ... - wie eine Prinzessin." Ich konnte die Tränen nicht mehr zurückhalten. "Ich sollte Messdienerin werden und er sagte, er würde mir zeigen was für Gewänder man trägt. Ich dachte, vielleicht gibt es da noch andere Sachen außer denen, die die Kinder immer in der Messe getragen haben, vielleicht bekomme ich ein schöneres Kleid, so eines wie ich gerade trug. Ich bin mit ihm in die Sakristei und ... - scheiße, er hat mir jede Menge von diesen Klamotten gezeigt, alles mögliche. Und dann sollte ich sie anziehen."
Pause. Einmal tief durchatmen. Gleich hast du es geschafft.
"Ich sollte sie anziehen damit er sieht, ob ich genauso hübsch darin aussehe wie in meinem weißen Kommunionskleid. Mir gefielen die Kleider nicht, rote Umhänge, alles etwas schmutzig - aber er sagte, ich sähe aus wie ... wie ein Engel und mir würden sie ganz bestimmt stehen." Ein Würgen stieg in mir hoch. "Und ich solle mich nicht schämen vor ihm auszuziehen, das sei ganz normal und dafür würde er mir auch etwas Schönes zeigen."
Oh Gott.
"Ich wusste, dass Mama und Papa ja auch oft dabei waren wenn ich mich umzog, und der Pastor ist ein besonders netter Mann, hatte Mama immer gesagt. Einmal war er bei uns zum Abendessen zuhause, da hab ich ihm mein Zimmer gezeigt ... er war sehr lieb zu mir, schenkte mir ab und zu etwas. Den anderen Kindern auch, aber mich ... - mich schien er noch mehr zu mögen als sie. Also hab ich mir nichts dabei gedacht. Ich ... hab mich ausgezogen. Vor ihm."
Ich muss kotzen.
"Und dann kam er an und ... er sagte er hilft mir, weil das Kleid so kompliziert zum ausziehen sei. Er hat's mir über den Kopf gezogen und ... hat mich die ganze Zeit dabei angesehen." Ich konnte nicht mehr, alles drehte sich. "Er hat mich angesehen, er hat gesagt wie wunderschön ich aussähe, wie ein Engel, ja wirklich. Ich meinte, dass meine Mama mich manchmal Engel nannte und er lachte. Ja, da habe meine Mama Recht, meinte er. Und dann sagte er, Engel seien etwas ganze Besonderes und jetzt wolle er mir auch mal etwas zeigen, weil er mich so gerne habe."
Oh Gott, scheiße, oh mein Gott.
"Er ... scheiße, verdammt, er hat dann sein ... - ich weiß nicht wie es heißt, sein Ornat abgelegt und hatte darunter so ein Hemd und das fing er dann auch an aufzuknöpfen ..." Ich sah nichts mehr, ich war blind vor Tränen, alles tat furchtbar weh. "Als er dann seine Hose auszog sagte er, ich solle ihm dabei helfen. Er habe mir ja auch geholfen bei meinem Kleid und ich sei sein kleiner Engel und dürfe alles bei ihm machen ..."

"Lass gut sein, du brauchst nicht weiterzureden."

Karins Stimme klang heiser und ich sah undeutlich durch meinen Tränenschleier wie sie sich die Augen abwischte. Ich weinte jetzt hemmunsglos, mein Körper wurde wie von Krämpfen geschüttelt, ich ließ mich in ihre Arme fallen.

"Er durfte mich nicht Engel nennen, das durfte nur meine Mama", stieß ich heulend hervor. "Er hatte kein verdammtes Recht dazu, mir das anzutun. Ich hasse ihn, ich hasse sie alle, er hat .. er hat mir wehgetan und das durfte er nicht ..."

"Ich weiß, Kleines, ich weiß ...", raunte Karin. Unablässig strich sie mir über Kopf und Rücken, wiegte mich hin und her wie ein kleines Kind, das ich in diesem Moment wieder war. Ich weinte und weinte und wusste nicht, ob ich jemals wieder aufhören würde.

 

Hi Imperator,
danke für Deine Kritk und schön, dass Du die Geschichte okay fandest. :)
Im Moment begeb ich mich storymäßig wieder auf ein ernstes Gebiet, und dann ist man natürlich ziemlich unsicher wie das ankommt.
Die Formulierung hab ich ausgebessert, danke. Das kam dadurch zustande, dass ich zwei verschiedene Gedanken im Kopf hatte - "Ich hab mich umgedreht" oder "Ich bin umgekehrt". ;-)

Ja, ein sehr heikles Thema, ich weiß - freut mich sehr, dass Dir die Umsetzung gefiel.

Gruß, Ginny

 

Liebe Ginny,
erstmal ein großes Lob für die durchaus gelungene Geschichte. Deine Art zu schreiben ist auch in diesem, sehr ernsten, Themengebiet ziemlich gut.
Mir gefallen besonders die kursiv geschriebenen Passagen.
Ich könnte mir zwar vorstellen, dass noch ein wenigmehr aus den Gedanken des Mädchens interessant wäre, aber schlecht hast du dies mit der Erzählung des Mädchens nicht gelöst.

nach dem Taschentuch um sie abzuswischen, a
abzuwischen
Ich hatte echt Dusel dass keiner da war
Der Satz kommt in der ernsten Situation etwas merkwürdig, zu locker irgendwie

Der letzte Satz könnte kürzer sein. Ist nur meine Meinung, aber der Schluss erscheint mir nicht prägnant genug, obwohl sich das bestimmt jetzt komisch anhört.

Sonst eine richtig gute Geschichte.
Gruß
Roman

 

Hi Prodi,
danke für Deine liebe Kritik. :) Hat mich sehr gefreut, dass die Geschichte so wie beabsichtigt bei Dir ankam und Dir gefiel. Es ist wirklich schwer über so ein Thema zu schreiben, zumindest mir geht es so und ich hab da auch nicht so die Erfahrung drin. :-(

Ja, über die Gedanken hätte man sicherlich noch mehr schreiben können. Ich gebe zu, mir fällt es im Augenblick wahnsinnig schwer etwas anderes als Dialoge zu schreiben. Ich hab die Geschichte in den letzten Tagen bereits als außenstehender Erzähler begonnen und kam nicht weiter, ich brauche die Dialoge leider sehr und sie kennzeichnen fast alle meine Stories. :-/

Thx fürs aufstöbern der Fehlerchen, den "Dusel" hab ich auch nur mit mäßiger Bgeisterung gesehen, das werd ich umformulieren. Das Ende, hmja, mal gucken. :D

Gruß, Ginny

 

Hallo Ginny-Rose
Ich bin angefangen zu lesen und war gleich eingefangen von der realistischen, nachvollziehbaren Art wie du die Erzählung und die Situation beschreibst. Ich finde die Gedankengänge sind völlig ausreichend, man kann sich gut reinversetzen was sie denkt. Zu viel Beschreibung hätte vielleicht sogar gestört...
Die Verletzlichkeit und die Hilflosigkeit von dem Kind finde ich ebenfalls sehr gut rübergebracht.
Ich finde die Umsetzung dieses Themas ist dir wirklich gut gelungen.

Liebe Grüße, Andrea.

 

Hi drea,
danke für Deine liebe Kritik. :)
Ich hatte ein bisschen die Befürchtung dass es zu klischeehaft geworden ist, vor allem wegen "Engel" und so. :(
Bin froh, wenn es stattdessen glaubhaft rüberkommt.

Gruß, Ginny

 

Hallo Ginny,

ich fand deine Geschichte auch beeindruckend, vor allem deshalb, weil du es geschafft hast, sehr spannend zum Ende hinzuführen. Ich hab die ganze Zeit gerätselt, was denn da – bei dem Titel – nun nachkommt. Nur, dass es nichts Angenehmes/Schönes sein würde, war von Anfang an klar.

Mir hat deine Herangehensweise an das Thema sehr gut gefallen, das Ganze kam mir recht authentisch vor, auch wenn ich das wohl – gottseidank – nicht wirklich beurteilen kann. Du hast den Dialog für mich lebensecht gestaltet und die kursiven Gedanken prima zur Unterstützung eingesetzt, damit man sich eine noch genauere Vorstellung vom „Innenleben“ deiner Protagonistin machen kann. Und sprachlich hast du das Ganze absolut sauber und sehr ansprechend hinbekommen. Kompliment!

Ein paar Kommafehler sind wohl noch drin:

im Vorraum stehen und lauschte , ob ich irgendjemanden reden höre.
Ich hatte echt Dusel , dass keiner da war
aber ich wusste, wenn ich zu lange da herumstehe , schaff ich’s nicht weiter.
ein paar Minuten lang einfach nur so da und hab die Tür angestarrt Ich bin echt froh
Punkt nach „angestarrt“ fehlt
stattdessen bin ich geradewechs hin zu den Bänken

Viele Grüße

Christian

 

Hach ... :shy: Danke criss, das ist eine der schönsten Kritiken, die ich bisher bekommen hab. :kuss: *Ohrabbeiß* :D
Ich kann es - GottseiDank - auch nicht wirklich beurteilen wie ein Mensch sich fühlt in dieser Lage, deshalb war ich ja etwas verunsichert, über so ein Thema zu schreiben und hab gehofft einen angemessenen Ton zu treffen. Freut mich sehr, dass die Geschichte bei Dir ankam, gerade weil sie auch zu meinen bisher eher wenigen wirklich ernsthaften Stories gehört (von denen ich in Zukunft gerne mehr schreiben würde).
Die Kommafehler sind ausgebessert, danke fürs Aufmerksammachen.

Lieben Gruß - Ginny

 

Liebe Ginny!

Ich bin sehr zwiegespalten, was Deine Geschichte betrifft.
Einerseits ist sie stilistisch so gut wie perfekt geschrieben und man merkt auch, daß Du Dich sehr bemüht hast, die Gefühle der Protagonistin authentisch darzustellen, das ist Dir auch hoch anzurechnen.

Aber wenn die Protagonistin gerade wirklich so emotionsgeladen ist, während sie das erzählt, hält sie sich nicht so lange auf mit dem Erzählen des Hinfahrens, Fahrradabsperren, Hineingehen, usw. - Dann würde sie meiner Meinung nach ziemlich schnell zum Punkt kommen. Hier müßtest Du es dann schaffen, klar zu machen, daß sie der Freundin ausführlich erzählt, was genau passiert ist, ohne in der Geschichte zu viel davon zu erzählen. Sie will ja ihren Schmerz los werden und Mitgefühl dafür bekommen. Die Tatsache, daß er Engel zu ihr sagt, kann ihr wohl hinterher schmerzhaft bewußt werden, aber der eigentliche Schmerz war das nicht. Hätte er Engel gesagt und ihr nichts getan, hätte er vermutlich auch weiterhin Engel sagen können... Verstehst Du mich?
Daß sie ihr das Grauen berichtet, muß unbedingt sein, wenn auch nicht als direkte Rede. Jeder so tief verletzte Mensch hat in der Aufarbeitung (nicht direkt nach dem Geschehen, das ist aber da auch nicht der Fall) das Bedürfnis, genau das, was geschehen ist, zu erzählen und das ist auch das einzige, was hilft. Da hört sie nicht genau da auf zu reden, weil die Freundin sowas wie laß gut sein sagt...
Absätzeweise das Rundum zu schildern mag zwar die Spannung steigern, aber ich finde, grad bei solchen Themen sollte es nicht darum gehen, das Thema als Pointe möglichst lang hinauszuschieben, sonst ist es für mein Empfinden eine literarische Schreibübung, aber dafür gibt es schönere Themen.
Nun denke ich aber doch, daß es Dir um das Aufzeigen geht, daher hoffe ich, daß Du meine Kritik nicht zu negativ auffasst...;)

Ein paar Anmerkungen hab ich noch:

"dass jemand für mich da war und sich und mich kümmerte."
- sich um mich

"soweit gewagt hast ist schon eine ganz großer Schritt"
- ein (ohne e)

"mit dem Taschentuch nochmal über meiner Nase"
- meine (ohne e)

"Ohne sie wäre ich durchgedreht."
- hätte ich durchgedreht, - heißt es zumindest bei uns...

"Angst davor umzudrehen"
- davor, umzudrehen

"Taschentuch um sie abzuswischen"
- abzuwischen

"wie scheißstolz ich darauf war es tragen zu dürfen"
- war, es

"oft dabei waren wenn ich mich umzog"
- waren, wenn

Alles liebe,
Susi

 

Hi Ginny!

Häferl spricht da etwas an, auf das ich bei Deiner Geschichte auch schon eingehen wollte. Aber sie war etwas schneller...

Und zwar folgendes: Einwandfrei geschrieben, keine Frage, unterhaltend ist die Geschichte meiner Meinung nach ebenfalls (und das fanden die anderen ja auch schon).

Aber strukturell gesehen finde ich die Geschichte einfach (noch) unbefriedigend. Denn: Du unterbrichst an genau zwei Stellen der Erzählung den Handlungsablauf, lässt den Leser dort allein mit seinen bereits gelesenen Fragmenten und entziehst damit gleichzeitig gerade diesen vorangehenden Schilderungen der Ich-Erzählerin letztlich ihre Daseinsberechtigung.

Besagte Textstellen sind folgende: Als die Ich-Erzählerin in ihrer Schilderung plötzlich "Bilder" sieht. Und, wie Häferl schon meinte, diese später abrupt zu Erzählen aufhört, "nur" (okay: in Anführungszeichen!) weil sie zu heulen anfängt und Karin meint, sie brauche nicht mehr weiter zu erzählen.

Was ist mit der vorangehenden Schilderung von ihr, in der "Ich" doch noch eigentlich vor dem Altar stehen müsste? Was hat sie dort noch gemacht? Dieser Handlungsstrang wird von Dir nicht weiter geführt bzw. beendet. Ich hätte zB. erwartet, dass sie aus Rache irgendwelches Inventar in der Kirche demoliert oder so... oder was weiß ich?

Naja, und die zweite Unter- oder besser: Abbrechung ist eben die am Schluss. Klar kann sich der Leser auch viel selber vorstellen! Und man muss nicht jedes Detail beschreiben. Aber hier kann sich der Leser eben auch vorstellen, dass dieser Pastor seine Hose auch gleich wieder angezogen hat oder sowas. Vielleicht wurde er plötzlich unterbrochen? Wer weiß...? Jeder denkt sich das, was er gerne hätte.
Im Übrigen schließe ich mich der Ansicht Häferls an.


Noch ein Tipp: Bei so dialoglastigen Texten würde ich keine Ich-Erzähler/in einführen. Erzähle in diesem Fall besser alles aus der Dritten-Person-Perspektive.

Ich hatte ein bisschen die Befürchtung, dass es zu klischeehaft geworden ist, vor allem wegen "Engel" und so. :(
Überhaupt nicht! Solange Du Begriffe wie "Engel" so verwendest wie hier, geht das wirklich in Ordnung! :)

...und irgendwo hab ich noch einen Tippfehler entdeckt, der nicht in Häferls Aufzählung dabei ist, aber jetzt find ich ihn einfach nicht mehr. :(


lieben Gruß
Philo-Ratte

 

Hi Susi und Philo-Ratte,
vielen Dank für Eure ausführlichen Kritiken. :)
Ich kann den Kritkpunkt gut verstehen. Natürlich hab ich mich bemüht alles authentisch zu gestalten, hab dieses Mächen vor mir gesehen und ihre Worte quasi in menem Kopf gehört während des Schreibens. Aber den Einwand dass es zu "spannend" aufgebaut ist und es wahrsheinlicher wäre wenn sie schneller und direkter zum Punkt käme kann ich gut verstehen. Als Autor habe ich nicht so die Distanz zum Text, aber objektiv betrachtet würde ich es wohl auch so sehen. Ich habe sozusagen Kunstgriffe angwendet um es für den Leser spannender und fesselnder zu gestalten, aber es ist nicht ganz realistisch.
In meiner Vorstellung ist es deshalb so ausführlich geworden weil ich mir dachte, dass das Mädchen die Erzählung eher hinauszögern will und sich deshalb mit Kleinigkeiten aufhält. Allerdings ist es auch logisch dass sie das nicht tun würde sondern alles aus ihr heraussprudeln würde.
Es ist verflixt schwierig sich da reinzuversetzen. :(
@Philo-Ratte ... Ich guck mal ob ich da snoch ergänzen kann, die beiden erwähnten Stellen um dem Leser da noch mehr Informationen zu geben. Ursprünglich hatte ich auch vor noch etwas mehr zu schreiben, wie sie denn nun aus der Kirche hinauskam und was der Pfarrer alles mit ihr gemacht hat, zumindest eine weitere Andeutung - weiß gar nicht genau warum ich das dann weggelassen habe.

Also, danke fürs Lesen und die hilfreichen Bemerkungen. Die Fehler werd ich noch korrigieren.

Gruß, Ginny

 

Hallo Ginny,
Du entwickelst glaubwürdige, gut charakterisierte Figuren. Das ist ein großer Pluspunkt.Trotzalledem ist mir persönlich die Geschichte noch ein wenig zu dialoglastig. Nicht, dass die Dialoge schlecht wären, keinesfalls - aber ein paar visuelle Beschreibungen hätten mir das Lesen noch eindrücklicher gemacht. Z.B. erwähnst Du am Anfang den aufgelösten Zopf. Es braucht nur ein gut sitzendes Detail wie dieses zu sein, und die Geschichte wird - noch - lebendiger.

Petra

 

Hi Petra,
danke fürs Lesen und die Kritik. :)
Tja, die Dialoglastigkeit hängt all meinen Geschichten an. Ich versteh schon was Du meinst; wenn ich schreibe sehe ich alles wie einen Film vor mir und schreibe quasi das auf was ich in meinem Kopf höre und das sind die Stimmen der Figuren. Die Beschreibungen gehen bei mir manchmal unter weil ich sie einfach sehe und es darüber "vergesse" sie dem Leser deutlich zu machen.
Klingt komisch, aber ist so. :( Deswegen wirkt manches bei mir wohl eher drehbuchartig.
Ich seh mal zu, dass ich diese visuellen Details besser einbaue. :-)

 

Toll. Das erste Mal, dass eine Geschichte von mir empfohlen wird ... :shy:
Bin froh dass die Geschichte nicht danebenging, schließlich hab ich mich nicht nie an so ein Thema herangewagt.
Vielen Dank fürs Lesen und die Empfehlung! :)

 
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Hallo Ginny-Rose

Ich fand den Link zu Deiner Geschichte in den Erzählungen. Der Titel fiel mir auf, weil ich im Schulchor bin und wir ein Requiem singen müssen, in dem ein Stück genau diesen Titel hat, "Kyrie eleison".

Die Geschichte fand ich sehr eindrücklich. Ich habe bereits einiges über dieses recht heikle Thema gelesen und muss sagen, dass Du etwas geschafft hast, was viele nicht schaffen.

Ob das Mädchen jetzt alles ausführlich erzählen würde oder nicht, das ist schwierig zu sagen. Ich denke, beides könnte gut sein.

Liebe Grüsse von
DyingOrDead

 

Hallo Ginny-Rose

Ich war gefesselt von deiner ach so traurigen Geschichte. Vielleicht weil man sich solch eine Handlung auch tatsächlich vorstellen kann.
Zuerst den Text verfolgend im Hinterkopf, was ist ihr geschehen, wer war es u.s.w. Die Idee, als könnte der doch so liebe, der besonders nette Pastor an ein Schäfchen seiner Gemeinde Hand anlegen, darauf würde niemand so schnell kommen.
Keinesfalls hast du deinen Prot. und Karin zu überzogen beschrieben. Die Variante eine Freundin als Hilfe und psychische Stütze zu wählen und dadurch eine glaubwürdige Atmosphäre zu bilden, erscheint mir grandiös.

Hab sie gern gelesen, eine wirklich gute Geschichte.
Einen schönen Abend wünscht dir

Morpheus

 

Hallo Ihr Zwei,

is ja nett, dass Ihr die alte Geschichte rausgekramt habt. Das erinnert mich daran, dass ich sie dringend überarbeiten muss ... sie stammt noch aus einer Zeit, wo ich die Sätze mit Adjektiven nur so zugeklatscht habe - hab vor ein paar Tagen spontan allein aus den ersten Absätzen fast ein halbes Dutzend entfernt. <seufz>
Schön, dass sie Euch dennoch gefallen hat. :-)

Ginny

 

Hehe, ich hab eine Schwäche für Adjektive... quetsche - leider - oft bis zu sieben Adjektive in zwei Sätze... und muss dann wieder rumstreichen *g*... Bei Deiner Geschichte fiel mir das gar net auf ;) Lg, DoD

 

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