Kurzfilm
Fade from black.
Kleines Schlafzimmer. Innen.
Sie fühlt sich ziemlich glitschig an. Irgendwie bringe ich es trotzdem fertig, über die schweißigen Ausdünstungen, die fettigen Haare und die Akne auf ihrem Rücken hinwegzusehen. Von hinten, klar, von vorne wäre ja gar nicht gegangen. Höchstens wegen der Brüste - aber das Gesicht, nein, da hat man schon noch eine Schamgrenze. Was mir zu schaffen macht, ist diese penetrante Mischung aus Knoblauch und kaltem Zigarettenrauch, die aus ihrem Mund und ihren Haaren durch meine Nase gekrochen ist und es sich gerade in meinen Hirnwindungen bequem macht. Glücklicherweise hatte ich es auch geschickt vermieden, sie länger als drei Sekunden zu küssen. Doch was heißt hier glücklicherweise, vielleicht wäre es gar nicht erst so weit gekommen, hätte ich mich auf dieses Experiment eingelassen. Nun muss ich diesen ganzen feuchten Glitsch halt über mich ergehen lassen. Aufhören geht gar nicht. Wie steht man denn da, wenn man ihn ganz plötzlich rauszieht und sagt
- Das war’s erst mal. Lass uns Video gucken.
Gut, ich werde sie wohl nie wieder sehen, das heißt, man weiß ja nie, aber man hat selbst dann noch dieses verkorkste Ehrgefühl, will doch noch irgendwie in den Spiegel schauen, am Tag danach. Wenn einem alles wieder bewusst wird. Dann muss ich mich wahrscheinlich auch übergeben. Im Moment geht auch das nicht. Einfach auf den Rücken kotzen, nein, das wäre ja echt die Krönung.
Eigentlich wollte ich nur Christian in Köln besuchen und sollte jetzt bei ihm auf einer bequemen Schlafcouch liegen und torkelnde Schafe zählen. Doch bevor es so weit kam, sprach mich dieser Glitsch an. Ich glaube sie heißt Sonja, nein, Sonya mit Y ist ihr Name, und sie umtanzte mich recht eindeutig in irgendeinem Laden, den Christian ausgesucht hatte, weil da allen weiblichen Anwesenden „billig zu haben“ auf die Stirn gestempelt ist.
Überblendung: Diskothek. Innen.
Partykracher aus drei Jahrzehnten, billiger Alkohol und schwüle Feuchtigkeit in der Luft. Am Anfang störte mich noch dieser halbe Zentimeter Schminkquark in ihrem Gesicht und es wurde auch durch das Bier, das gibt es von neun bis zwölf umsonst, damit Männlein und Weiblein nicht noch billiger (sonst wäre es ja umsonst) sondern vielmehr noch toleranter werden, nicht besser. Das hätte mich schon stutzig machen sollen. Da mir aber mit dem stetigen Fortschreiten des Abends langsam aber verflucht sicher die Alternativen ausgingen und ich deshalb einigermaßen unruhig wurde, begann ich, mich auf ihre zugegebenermaßen recht großen Brüste zu konzentrieren. Ich weiß nicht, ob sie es nicht merkte, ob es ihr egal war oder ob sie es so wollte, jedenfalls unternahm sie nichts dagegen und ich stand da wie ein hypnotisierter Volltrottel, starrte auf ihre Dinger und redete mir wenig erfolgreich ein, die Frau meines Lebens getroffen zu haben. Oder zumindest deren Brüste.
Irgendwann lief plötzlich „Soul Man“ von den Blues Brothers, ich wurde euphorisch, meine Wahrnehmung spielte mir einen bösen Streich und transferierte die positive Stimmung kurzerhand auf meine Begleiterin, aber was soll’s, ich küsste sie, totaler Ekel, also nur sehr kurz, schreckte zurück, erneuter Versuch, diesmal der Hals, runter bis zu den Brüsten, immer im Takt. Das Gute an diesen Läden ist ja, dass man auffällt, wenn man sich nach zwölf Uhr, also nach Vollaufphase, nicht zu den Brüsten irgendeiner Sonya mit Y runterarbeitet. Denn dann hätte man sich den Eintritt genauso gut sparen können und stattdessen lieber einen anregenden Abend im Kino verbracht. Mit echter Liebe, echten Typen in einer schlechteren, besseren, auf jeden Fall aber anderen Welt.
Irgendwann ist Christian dann gegangen, er versuchte wohl noch, mich vor einem schrecklichen Fehler zu bewahren, flüsterte mir
- Aufwachen, Neo!
ins Ohr.
Alles nur eine Illusion, ihre Brüste gaukelten mir eine Frau vor, die sie nicht war, ich wusste das auch, aber es war mir egal, nein, ich war zu gleichgültig, nein, zu geil.
Es ist eine infame Lüge, wenn irgendwer behauptet, mit zunehmendem Alkoholspiegel trinke man sich das andere Geschlecht schön, vielmehr ist es doch so, dass man sich selbst geil trinkt. Natürlich nicht äußerlich, denn mit roten Augen, schweißiger Haut und beißenden Eigenausdünstungen ist man nicht gerade anziehender, nein, man trinkt sich innerlich geil. Man weiß, dass die Person, die einem da gegenübersteht, immer noch die gleiche Humorlosigkeit der Natur ist, die sie noch vor zwei Stunden war, aber man will sie trotzdem gerne begatten (oder sich begatten lassen), es fällt leichter, die Suche endlich auf-, dem Trieb nachzugeben.
Ohne hier jedoch nach einer billigen Ausrede suchen zu wollen, beschlossen wir also, unsere Suche nach dem Glück an einem intimeren Ort als der Bar dieses kleinen Großraumclubs fortzusetzen, nachdem ich angefangen hatte, mit meinen Händen unbeholfen an ihrem, wie ich später herausfinden sollte, Push-Up-BH, rumzufummeln. Wir gingen also zu ihr. Ich kaufte mir sicherheitshalber noch ein Bier, um nicht unterwegs plötzlich so nüchtern zu werden, dass ich ihr schreiend ins Gesicht blicke und weglaufe.
Straße. Außen.
Gut, dass sie ziemlich nah bei wohnt, das reduzierte die Gefahr und den peinlichen Weg, denn der Weg zum Balzort ist immer peinlich, besonders wenn man aus einer lärmenden Umgebung kommt, sich eigentlich abstoßend findet und nur zu geil ist, es zuzugeben. Sonya mit Y macht eine Ausbildung in irgendeinem Hotel und wird dort als billige Aushilfskellnerin missbraucht, was ich natürlich
- total Scheiße
finde. Auf dem Weg in die Wohnung spiele ich noch einmal den an ihrem Leben interessierten, sie durchschaut mich, es ist uns beiden egal.
Kleine Wohnung. Innen.
Kaum ist die Tür zu, fangen wir an, uns keuchend aneinander zu reiben, das muss wohl so sein, aber es ist ein schlechtes Zeichen, wenn man in solchen Momenten seinen Körper verlässt und eine Außenperspektive einnimmt. Ein nüchterner, objektiver Blick von schräg oben und schon wirkt alles so lächerlich, wie wir da an der Tür hängen, langsam zu Boden gleiten und mehr grunzen als stöhnen. Vergeblich versuche ich, wieder in meinen eigenen Körper zurückzukehren, verfehle das Ziel und lande in ihrem, was mir noch viel deutlicher diesen ganzen peinlichen Grunzknutsch vor Augen führt.
Überblendung: Kleines Schlafzimmer. Innen.
Und jetzt dieser Glitsch. Die schmatzenden Geräusche, die sonnenbankgetoastete Haut. Ich versuche krampfhaft, an etwas anderes zu denken, keine Idee, selbst als ich versuche, nicht an ein rosa Nilpferd zu denken, denke ich nicht an ein rosa Nilpferd. Dabei kniet es hier gerade rücklings vor mir. Also schnell kommen. Gar nicht so einfach. Erhasche noch ein paar Blicke auf die Brüste meiner Traumfrau, das heißt, wenn sie bei meiner Traumfrau auch ohne Wonderbra so aussehen, sehne mich kurz nach einem guten Gespräch und komme. Sie wohl nicht und es tut mir aufrichtig leid. Peinlich. Besonders wenn man, wie ich, an ein Prinzip glaubt: Alles gehört zusammen im Leben, trifft sich irgendwann, vereint sich zu einem Ganzen, dümpelt mal vor sich hin, ist mal aufbrausend und stürmisch, doch egal was auch passiert: Alles gehört dazu. Jeder Teil wie ein Tropfen, keiner könnte fehlen, keiner entrinnen, letztlich auch vorprogrammiert, Schicksal, große Hoffnung, das Meerprinzip. Was nun sehr pathetisch nach einem lahm verpackten Lebensmotto klingt, ist genau das, doch man lasse mich erklären: „Meerprinzip“ ist eigentlich irgendein Badewannenfachverkäuferchinesisch und es stand tatsächlich auf der Badewanne meiner ersten richtigen Freundin. Wir hatten gerade guten Sex in dieser Luxuswanne (wer es einmal ausprobiert hat, weiß, es sollte auch eine Übergrößewanne sein) als mir der Schriftzug auffiel:
Baden wie im Meer. Mit dem Dulux-Meerprinzip.
Das hat mir imponiert und weil ich der Ansicht bin, jeder Mensch müsse ein Motto haben, was dem ganzen zumindest die Illusion eines Sinns (oder die Suche danach) gibt, strickte ich meins um das Meerprinzip.
Also: Schnell Nummern tauschen, war ein schöner Abend, müssen wir (hoffentlich nie) wiederholen, ich ruf dich an und weg.
Straße. Außen.
Ich finde den Weg zu Christians Wohnung, der wohnt nah an einer S-Bahn-Haltestelle und die fahren in Köln am Wochenende ja die ganze Nacht durch. Das ist sehr praktisch und kann einen immer wieder hochziehen, weil da nur abgewrackte Partygänger mitfahren, die teilweise den gleichen Mist und darüber hinaus erlebt haben.
Blau gestrichene Wohnung. Innen.
Am nächsten Morgen gebe ich dem Alkohol die Schuld an allem und belüge mich dabei. Christian und ich wissen beide was wir nun brauchen, es ist die Sonntags Matinee im Rex-Kino, denn da werden für wenig Geld gute Filme am Sonntag Morgen gezeigt. Warum macht das nicht jedes Kino?
Christian ist so vernünftig, weil er mein bester Freund ist. Umgekehrt natürlich. Es ist eine von diesen Freundschaften, die man wie eine Beziehung beschreiben kann, die man nie findet.
Kino.
Zur Auswahl stehen Stuart Little, Matrix, Der Exorzist in der neuen Version und eXistenZ. Stuart Little scheidet schon mal von vornherein aus, ist so ein Zugeständnis an die vielen Familien, die den Sonntagsausflug im Lichtspielhaus starten, Matrix ist schlichtweg unschlagbar, wäre aber das 26. Mal (dabei sind aber schon die Originalfassungen mitgezählt, sie nehmen den größten Teil ein). Der Exorzist ist ebenfalls ein Hammer, auch wenn die neue Version nicht viel Neues zu bieten hat, wenngleich die Spinnenszene, also die, in der die besessene Regan mit verdrehtem Kopf Blut spuckend die Treppe runterläuft, natürlich ganz groß ist, aber die gab es schon mal als Zusatzmaterial auf einer DVD. Besonderes Argument für einen erneuten Kinobesuch ist jedoch der Ton, denn der kommt nur wirklich laut und im Kino gut. Bleibt noch eXistenZ, eine schön abstruse Story um virtuelle Welten und ekelhafte Spielkonsolen (aka: Pods), die man sich ins Rückenmark stöpselt. Sehr guter Film, erst zweimal gesehen, also rein da.
Das schöne an einem sonntäglichen Kinobesuch ist diese ganz besondere, ruhige und gediegene Atmosphäre. Alle die es nötig hatten, also auch ich, haben sich an den letzten beiden Abenden ausgetobt, ein paar fleißige Straßenarbeiter fegen die Reste einer anstrengenden Nacht zusammen und ich fühle mich ausgeglichen, was selten der Fall ist. Das liegt an meiner anstrengenden Eigenart, alles kategorisieren, einordnen, sinnerfüllen zu müssen, doch wenn mein Leben vom Meerprinzip geleitet wird, ist das Kino die Insel, Festland, unmotivierte Zuflucht für zwei Stunden oder mehr mit einem ganz eigenen, anderen Sinn. Das beruhigt mich. Es ist die einzige Möglichkeit zu fliehen, abzuschalten, für die Dauer des Besuches die bedeutungsgeschwängerte Realität hinter mir zu lassen.
Und weil der Eintritt so billig ist, kaufen wir uns sogar noch Popcorn, einen Eimer voll.
Rheinufer. Außen.
Nach dem Film, Hammer, klar, auch wenn wir ein paar logische Brüche entdeckt haben, an denen man sich aber nicht weiter stören muss, gehen wir zum Rhein, spazieren. Habe ich früher immer gehasst, spazieren gehen, denn in dem Kleinstkaff in der Nähe von Paderborn gab es wahrlich nicht viel zu sehen und alles war aufregender als spazieren zu gehen. Zudem mit den Eltern. Wenn man aber erst einmal entdeckt hat, dass das vermeintlich so aufregende auch nur ein Mythos ist, findet man wieder gefallen daran. Besonders am Rhein, besonders Sonntags nachmittags, besonders nach so einer Nacht. Wir sagen beide nichts, lassen nur wirken. Die frische Luft, fast so gut wie eine Brise Meeresluft, bläst mir den Restalkohol aus dem Körper. Möwengekreische.
Auf jeden Fall nicht mehr an den Glitsch denken müssen. Das ist erleichternd, den Kopf frei, sich fühlen wie einem Heimatfilm, ohne zu wissen, dass man nur Zelluloid ist. Beruhigend, aber nicht lange genug.
Kino.
Als uns die Unruhe packt, gehen wir aus Ermangelung einer Alternative noch mal ins Kino, diesmal die sechs Uhr Vorstellung, wieder ins Rex, Die Fabelhafte Welt der Amélie, ein Riesenfilm, aber das war ja von vornherein klar, Jeunet kann wohl gar keinen richtig schlechten Film machen. Gut, Alien 4 blieb unter seinen Möglichkeiten, aber da hat er sich auch an Hollywood verkauft. Amélie ist ja wieder ein französischer Film und jetzt schon ein Klassiker.
Blau gestrichene Wohnung. Innen.
Bei Christian, der eine komplett selbst zusammengezimmerte Wohnung hat, weil er, ganz im Gegensatz zu mir, ein begnadetes Handwerkstalent ist, beschließe ich, heute mal zur Abwechslung nur in irgendeinen Pub zu gehen. Ich bin jetzt schon seit Freitag bei Christian und werde wohl noch bis Dienstag bleiben, ich habe Urlaub, also die Zeit und also gehe ich heute auch weg. Alles andere ist undenkbar, außer Kino natürlich, aber fern sehen mit den ganzen Werbeunterbrechungen, das macht mich immer nervös. Eigentlich würde es zu einem entspannten Sonntag auch passen, sich abends mit ein paar Gläschen Sekt-O in die Badewanne zu legen, aber weil Christian halt nur ein handwerkliches Talent und kein Genie ist, hat er keine und ich gehe in diesen Irish-Pub in der Altstadt. Christian ist zu müde, muss morgen arbeiten und hat insgesamt keine Lust, gibt mir seinen Schlüssel und wünscht mir einen schönen Abend.
Kleiner Irish-Pub. Innen.
Pubs sind ja, wenn sie gut sind, immer zugeraucht, stickig und düster und gerade deshalb perfekte Zufluchtsorte für einsame Seelen. Irgendwo in der Ecke stehen zwei Dart-Automaten und ein dauerbesetzter Kicker und es dudelt gepflegter Irish-Folk aus den Boxen.
Ich habe gerade einen Milchkaffee bestellt, lehne mich zurück und denke darüber nach, dass alles, was jemals als Sinn des Lebens bezeichnet wurde doch nichts weiter ist als ein kleiner dreckiger Tümpel, in dem man ein paar gute und ein paar schlechte Szenen umherwabern. Ich denke ganz kurz daran, mein Prinzip in Tümpelprinzip umzutaufen, verwerfe diesen Plan aus naheliegenden Gründen aber schnell. Lange halte ich es hier nicht aus. Bringt mich das weiter? Bereichert es mich, mein Leben, mein Meer der Dinge? Was mache ich hier?
Ich stehe auf, will gehen, als sie mir plötzlich auffällt: Unwiderstehlich kurze Haare wie Carrie-Anne Moss in Matrix, jedoch nicht in Lackklamotten eingewurstet, sondern eher wie Sandra Bullock in Während Du schliefst, dabei gleichzeitig eine unnahbare Aura wie Sharon Stone in Basic Instinct (Eis im Getränk? Nein. Gut.)
Sie sitzt an der Theke, lacht, spielt mit einer Freundin und zwei Typen (ist ihr Freund dabei?) Karten. Bezaubernd, umwerfend, fantastisch, grandios. Die Perle, nach der ich gesucht habe.
Ansprechen? Nein, geht nicht, undenkbar. Erst mal Blickkontakt. Das ist unverfänglich.
Sie sieht mich nicht, ist ganz auf ihr Kartenspiel konzentriert, was sie ja nur noch sympathischer macht. Ah, doch, jetzt, sie hat mich gesehen und – kommt tatsächlich in meine Richtung!
Gegenlichtaufnahme (close up: die wippenden, langen, blonden, leicht gelockten Haare).
Sie schwebt in Zeitlupe in meine Richtung, greift jetzt ohne hinzusehen mit einem gekonnten Blick unter die Schürze und zieht einen kleinen Block heraus:
- Ja?
Bezaubernd. Ich fühle mich ein bisschen wie in einem Film-Noir, setze meinen Humphrey-Bogart Gesichtsausdruck auf und werde mir urplötzlich bewusst, die Indizien sprechen eine klare Sprache, dass sie die Bedienung ist. Das wäre Humphrey nie passiert. Eine Errötung baut sich wie eine Welle in meinem Hals auf und überströmt jetzt meinen Kopf. Tomate.
- Äh. Entschuldigen Sie.
- Ja?
- Ich glaube, in meinem Milchkaffee war, also da war eine Fliege.
- War?
- Ja, ich habe sie bereits getrunken, leider zu spät gemerkt, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass das eine Fliege gewesen ist (Gerettet).
- (Irritiert) Aber als ich Ihnen den Kaffee gebracht habe, also da war keine Fliege drin. Hätte ich doch gesehen.
- Gut, aber es kann doch auch sein, dass das arme Ding bereits untergegangen war, also so etwa im Mittelteil der Tasse vor sich hin trieb.
- (Sie lacht) Nein, das glaube ich eher nicht. Aber wenn sie wollen, bringe ich Ihnen trotzdem einen neuen Kaffee. Garantiert ohne Fliege.
- Ja, das wäre nett.
Sie lacht, schüttelt leicht ihren zauberhaften Kopf, geht dann aber tatsächlich zur Theke und besorgt mir einen neuen Milchkaffee. Während sie ihn auf meinem Tisch abstellt, versuche ich mich möglichst unnahbar hinter einer Zeitung zu verstecken.
Jetzt sei einmal mutig. Tu es.
Aber wie? Einen Drink spendieren ist wohl kaum angemessen.
Mittlerweile sitzt sie wieder an der Theke, spielt Karten und erst jetzt fällt mir auf, dass außer mir nur drei traurige Gestalten diesen Pub bevölkern. Und die spielen mit ihr Poker oder so was. Sie kann schlecht bluffen und verliert ständig. Ich will warten bis die Gewinner gehen.
Als mein Milchkaffee schließlich eiskalt, die Getränkekarte auswendig gelernt und die Mitstreiter endlich weg sind, soll mein verwegener Plan Wirklichkeit werden. Ich versuche noch einmal, mich mit aller mir zur Verfügung stehenden Kraft der Imagination in Humphrey zu versetzen, stehe auf (du stehst auf? Mist, jetzt musst du irgendwohin gehen), blicke mich um (ah, die Toilette, geh einfach da hin), gehe in ihre Richtung (alles zu spät), bringe es heraus:
- Äh.
- Ja?
- Der Kaffee, da war, also in dem neuen, da war keine Fliege drin.
- (Lächelnd Das will ich doch auch hoffen. Willst du zahlen?
- Ja. Ich meine, nein. Doch. Also eigentlich wollte ich dich auch fragen, ob du nicht – ich meine, du hast doch jetzt auch Schluss hier, oder?
Rheinufer. Außen.
Wir haben geredet, die ganze Zeit, nachdem sie mir angeboten hat, sie doch nach Hause zu bringen. Sonst läge ich jetzt wahrscheinlich allein bei Christian auf der Schlafcouch. So gehen wir am Rhein spazieren, es ist Nacht, wir kennen uns seit gerade mal vier Stunden und ich fühle mich gut. Besser als gestern, obwohl (oder weil?) ich weiß, dass ich nicht in ihre Wohnung will und darf. Sie heißt Laura, einfach Laura, und kennt sich unheimlich schlecht mit Filmen aus, soviel habe ich schon herausgefunden. Aber das ist es nicht, das muss sie nicht. Es ist vielmehr – wie sie blickt, redet und riecht. Und ich habe das Gefühl, sie könnte dem ganzen eine Art Sinn verleihen. Als ich ihr von meinem Meerprinzip erzähle – das kennt sonst nur Christian und der versteht das, klar, lebt es aber nicht – scheint sie zu begreifen:
- Das ist ja wie mit deiner Fliege, weißt du, die hat bestimmt auch was in deinem Kaffee gesucht. Ich meine, die gehörte ja auch dazu.
- Ah ja, die Fliege. Stimmt, aber eigentlich -
Ein Blick, lächelnd, verstehend. Sie wusste, dass da keine Fliege war.
Wir verabreden uns für Morgen im Kino.
Fade to black.