Kurze Rückkehr
Wie ist sie bloß hierher gekommen?
Alles ist so fremd, und überall sind Menschen die sie nicht kennt. Manche haben weiße Sachen an. Weiß ist eine Farbe. Und es gibt auch grün und rot. Sie kommen und reden so laut. Sie versteht sie nicht. So viele Wörter. Manche kommen ihr bekannt vor. Doch sie bekommt sie nicht zu fassen, weil man sie nicht nachdenken läßt. Der Mann mit den weißen Sachen faßt sie immer an. Er zerrt an ihr. Sie hat solche Angst. Was will er? Es tut auch weh. Und ständig redet er. Dann ist sie nackt. Ja, nackt ist sie - das ist nicht gut. Und er wischt mit etwas an ihr und es ist naß und kalt. Sie will das nicht.
„Ich will das nicht!"
Doch er versteht sie nicht. Er redet und zerrt weiter.
„Ich will nach Hause!"
Genau. Das ist es. Sie muß nach Hause!
„Aber sie sind doch zu Hause. Hier ist ihr Zuhause!"
„Nein, nein. Das muß ein Irrtum sein. Irgendwer muß sich vertan haben. Ich war noch niemals hier. Wie bin ich an diesen Ort gekommen? Jemand soll mich wieder nach Hause bringen!"
Sie muß weinen. Dann ist er plötzlich weg. Und sie sitzt und hat Sachen an.
Sie muß ganz fest nachdenken. Wo bin ich? Ich will heim! Sie muß ja einfach nur gehen. Ja, ich gehe jetzt heim. Erstmal schlafen. Sie ist müde. Sie erschrickt. Da faßt sie wieder jemand an. Eine Frau. Ja, das ist eine Frau. Sie redet. Warum müssen alle immer reden? Sie kann sie doch nicht verstehen. Die Frau redet anders. Nicht so laut sondern ... weich, ja so heißt das Wort. Sie faßt sie auch anders an. Manchmal ganz um sie herum. Es ist schön und warm. Doch sie hat Angst. Immer. Wer ist das? Ich kenne niemanden. Sie versteht manche Wörter der Frau, weil sie so leise und langsam spricht. Tochter hört sie.
„Ich bin deine Tochter, Mutter! Sabine! Erkennst Du mich denn nicht?"
Tochter. Mutter. Diese Worte kennt sie. Sabine. Das ist ein Name. Sie ist ihre Tochter und sie ist die Mutter. Das ist wohl etwas Besonderes. Aber sie hat diese Frau noch nie gesehen. Doch ihr wird so komisch wenn sie sie ansieht. Es ist so ein ähnliches Gefühl wie bei dem Anblick dieser alten Frau, die sie immer anstarrt, wenn sie in dieses Ding an der Wand schaut.
Die Frau faßt sie an. Hebt sie hoch und dann sitzt sie wieder und wird bewegt Hinaus aus dem Zimmer.
„Bringen sie mich jetzt nach Hause?"
„Ja, Mutter, wir fahren jetzt nach Hause."
Mutter - ist das ihr Name?
Ein langer Flur. Viele Türen. Ein Mann in weißen Sachen läuft neben ihr her. Sie wird bewegt. Immer nach vorne. Was bewegt sie? Sie muß aufstehen und laufen. Etwas drückt sie nieder. Sie schaut sich um. Eine Frau hinter ihr.
„Mutter, bitte, bleib doch sitzen. Wir beide gehen jetzt heim."
Heim. Das ist gut. Diese Frau bringt sie jetzt dahin wo sie herkommt und hingehört. Nach Hause. Die Frau bewegt sie, ohne das sie selber was tut. Vielleicht ist sie ein Engel. Ein Engel? Was ist das? Doch es ist gut. Ja es ist gut.
Der Mann, der neben ihr herläuft, macht eine Türe auf und etwas beißt in ihr Gesicht. Sie lacht und schaut nach oben. Da ist es unendlich und schwarz mit kleinen leuchtenden Tupfern. Überall ist es dunkel aber frei. Und weiß auf dem Boden. Weiß wie die Sachen von dem Mann, der immer noch nebenher läuft. Weiter wird sie bewegt auf ein.... rotes Ding zu. Sie kennt das.... Ein Auto. Es fällt ihr ein. Ein Auto und sie freut sich und wehrt sich nicht gegen die Griffe von dem weißen Mann und einer Frau die sie in das Auto setzen.
Dann ist die Frau vorne und der Mann draußen und es bewegt sich wieder, doch der Mann bleibt zurück und wedelt
mit der ...Hand.
Sie sitzt in einem kleinen Raum und wenn sie den Kopf zu irgendeiner Seite bewegt huscht immer etwas vorbei. Lichter, Schatten. Wo bin ich? Was passiert mit mir? Vorne sitzt eine Frau und sagt etwas.
„Mutter, beruhige dich doch. Wir fahren nach Hause. Wir sind gleich da. Hab keine Angst!"
Angst. Ja, die hat sie. Das kennt sie. Nach Hause. Das ist gut.
Dann huscht nichts mehr und die Frau ist fort. Hilfe! Ich muß hier raus. Etwas neben ihr wird geöffnet und sie wird angefaßt und heraus gezerrt. Eine Frau und ein Mann. Sie reden.
„Hallo Mutter. Schön das du da bist. Wir freuen uns alle so."
Das sagt der Mann und ist ganz um sie herum.
Sie sitzt wieder und wird bewegt und es beißt erneut so schön. Da ist ein Haus und die Türe ist weit offen. Sie wird durch die Türe bewegt, der Mann läuft nebenher. Es ist warm und duftet ganz vertraut. Ein kleiner Flur und ganz schnell durch eine offene Tür. Da sind drei Kinder und ein grüner Baum der leuchtet. Und darunter steht eine....Krippe. Die Kinder spielen ....Instrumente. Akkordeon, Gitarre und Blockflöte. Und sie spielen eine Melodie.... ja, die kennt sie. „Stille Nacht, Heilige Nacht" Das schönste Lied in diesen Tagen. Sie singt die geliebte Melodie und ein Vorhang wird von himmlischer Hand zur Seite geschoben......
„Das ist ja eine Überraschung! Da habt ihr Eurer Oma aber eine ganz große Freude gemacht! Sabine, Werner.. ich wußte ja gar nicht das die Kleinen so schön spielen können! Und so ein schöner Baum! Nur schade, daß der Lieblingesengel von Opa damals kaputtging. Aber er würde ihm trotzdem gefallen. So, jetzt gebt ihr mir aber alle einen dicken Kuß!" Und sie umfängt ihre Enkelkinder, die ihr jauchzend um den Hals fallen, herzt und küßt sie.
Dann hält sie ihren Schwiegersohn im Arm, dann ihre geliebte und einzige Tochter.
„Ja, aber Kind, warum weinst Du denn. Keine Tränen am Heiligen Abend. Es ist der Tag der Freude und der Liebe. Unser Herr Jesu ist geboren!"
Sie sitzt in einem schönen Raum. Mit netten Menschen. Ein Mann und eine Frau und drei Kinder. Es riecht gut und es ist warm. Sie fühlt sich wohl. Doch wie ist sie hierhin gekommen? Wer sind diese netten Leute? Es ist ein fremder Ort, aber sie hat keine Angst. Manchmal hört sie vertraute Melodien, die sie mitsummen kann. Und sie ist sich sicher, daß sie diese Menschen fragen kann, wo ihr Zuhause ist.