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Kurze Erzählung über Jobs im Niemandsland
KURZE ERZÄHLUNG ÜBER JOBS IM NIEMANDSLAND
Er hätte auf seinen Sohn hören sollen, der ihm geraten hatte, es doch lieber mit der erst kürzlich geschärften Axt zu versuchen. Aber für solche Überlegungen war es nun zu spät. Zack schwitzte vor Anstrengung. Schweißperlen gerieten auf ihrer Wanderschaft von der Stirn zum Kinn zu Rinnsalen, die zu allem Überdruß seine ohnehin nicht mehr ganz so guten Augen zum Brennen brachten. Das Buschmesser war einfach zu stumpf. Die zähen Muskeln und Sehnen des vor ihm auf einer Steinplatte angeketteten Mannes zu durchtrennen, geriet zu absoluter Schwerstarbeit. „Blöder Wichser!“ keuchte Zack, als er es endlich geschafft hatte, den linken Arm des brüllenden Mannes vom Körper zu schneiden. „Blöder Scheißwichser!“ Kurz sah er zu Jerome Fluffin, der auf einer Art erhöhtem Thron saß und, im Gegensatz zu den Menschen in den hinteren Reihen, einen hervorragenden Blick auf das gespenstische Szenario hatte. Zacks Lippen formten stumm „Ich kann nicht mehr!“, aber Fluffin wies ihn mit einer kurzen Kopfbewegung an, weiterzumachen. Stöhnend richtete sich Zack auf. Sein Rücken schmerzte. Seine Arme taten ihm weh. Kleine Sterne bildeten sich zu einer hübschen Formation direkt vor seinem Gesicht. „Was brüllst du Arschloch denn so?“ schrie er den Mann auf der Steinplatte an. Wütend stapfte er auf das gewaltige Feuer zu und zog einen dicken glimmenden Ast heraus. Die Menge um ihn herum feuerte ihn an. Normalerweise schmeichelte es Zack, aber heute empfand er das geifernde, nach Blut gierende Geschrei nur noch zum Kotzen. Er beschloß, seinen Job schnell hinter sich zu bringen. Aber mit dem Messer? „Scheiße!“ Er stand wieder an der Steinplatte. Aus dem Armstumpf des Mannes quoll Blut. Zack rammte den glimmenden Ast direkt in die Mitte des Stumpfes. Der Geruch von verbranntem Fleisch stieg Zack und den anderen in die Nase. Plötzlich zeigten die bisher gelangweilt im Dreck liegenden, durch einen seit Jahren geführten Zuchtprozess völlig verunstalteten Hunde so etwas wie Interesse. Mit gefletschten Zähnen, an der kurzen Leine gehalten, knurrten die Hunde Richtung Steinplatte, und ihre sonst so wässrig aussehenden Augen funkelten vor Gier und Gewissheit, bald ihre scharfen Zähne in Fleisch bohren zu können. Zack ging um die Steinplatte herum, um sich den anderen Arm vorzunehmen. Innerlich bereitete er sich darauf vor, sich wieder elend lang damit aufzuhalten, mit dem stumpfen Buschmesser wieder und wieder anzusetzen, bis er die weicheste Stelle gefunden hatte. Allein der Gedanke, den Knochen durchtrennen zu müssen, trieb ihm Zornesröte ins Gesicht und brachte ihn fast an den Rand eines Kollaps. Er hätte wirklich auf seinen Sohn hören sollen. „Halt bloß die Fresse, Wichser!“ sagte er mürrisch. Kurz streiften sich die Blicke von Zack und dem Mann. Der Ausdruck in den Augen des Mannes hatte etwas Flehendes an sich. Zack zuckte mit den Schultern, ging stöhnend in die Knie und murmelte: „Na, dann wollen wir mal, was?“ Er setzte das Messer an.
Zacks Sohn auf der Tribüne, einer von ungefähr hundertvierzehn Anwesenden, Hunde nicht mitgezählt, die sich das allwöchentliche Spektakel kichernd, schreiend und geifernd ansahen, erlebte die peinlichste Stunde seines noch recht jungen Daseins. Immer hatte er seinen Vater als Held gesehen. Hatte ihn stumm bewundert, wenn er scheinbar nur mit den Fingern schnippend das richtige Werkzeug auswählte, um die Sache schnell, kurzweilig und vor allem effizient über die Bühne zu bringen. Aber heute hatte sein Vater wohl den falschen Tag erwischt. Pete sah rüber zu Jeremy Hansom, dem zweiten Mann hinter seinem Vater, falls Zack einmal nicht mehr in der Lage sein würde, den Job als Vollstrecker richtig und vor allem zur allgemeinen Freude des mordlustigenden Volkes auszuführen. Hansom nickte Pete kurz zu. Pete nickte freundlich zurück. Hansoms Blick sagte alles: Dein Vater ist zu alt für diese Scheiße! Unten in der vom monströsen brennenden Holzhaufen erhellten Grube konnte man deutlich erkennen, wie Zack langsam verzweifelte. Pete schüttelte den Kopf, stand auf und schlich sich davon.
„Verdammte Scheiße!“ fluchte Zack. Er hatte den Arm erst zur Hälfte abgetrennt und bekam kaum noch Luft. Der Mann auf der Steinplatte brüllte wie am Spieß. „Halts Maul, verdammt!“ Zack packte den Mann an den Haaren und einige Sekunden später riß er mit einem archaischen Schrei dessen Zunge heraus. Er konnte sich gut vorstellen, wie das Blut sich nun im Rachenraum füllen, die Luft- und Speiseröhre hinunterlaufen und der Mann an seinem eigenen Blut ersticken würde. Aber das konnte er nicht zulassen. Leider. Die Show war noch nicht vorbei. Also zwang Zack den Mann, das Blut auszuspucken und legte einen kleinen Holzscheit unter dessen Kopf. „So, und jetzt halt die Fresse, Arschloch!“ Die Zunge warf er hoch in die Menge. Hunde und Menschen stürzten sich auf den zuckenden rosafarbenen Muskel. Aus den Augenwinkeln heraus stellte Zack fest, daß der schwarzweiß gepunktete Köter von Jane Simmons das Rennen gemacht hatte. Jerome Fluffin, oben in seinem aus Holz und Eisen gebauten Thron grinste. „Scheiße!“ fluchte Zack. Er sah sich das Buschmesser an. Nie im Leben schaffst du damit die Beine. Nie im Leben. „Mist!“ Verdammt, erst mußte der Arm noch abgetrennt werden. Stöhnend machte sich Zack wieder an die Arbeit.
Pete stand ausgepumpt vor der mit zahlreichen Utensilien, einem einzigen Zweck dienend, versehenen Wand. „Wo ist die Axt? Wo ist die Scheißaxt?“ Vorschlaghammer, abgesägte Schrotflinte, Brecheisen, Säge, Brenneisen, Maschinengewehr, ein Buch von Rainer Innreiter, Handschellen, Spaten, Baseballschläger, Kreissäge, Pistolen, Schwerter, Gummiknüppel... Wo war die verdammte Axt? „Ah...“ Da war sie ja. „Hättest auf mich hören sollen, Dad!“ sagte Pete und schnappte sich die Axt. Vielleicht war es noch nicht zu spät, seinen Vater vor einer katastrophalen Blamage zu bewahren.
Okay, das wars wohl. Zack gab auf. Er hatte eindeutig auf das falsche Gerät gesetzt. Oben auf der Tribüne konnte er die ersten Buhrufe hören. Tja, Scheißtag erwischt. Der Mann vor ihm auf der Steinplatte war krepiert. Erstickt am eigenen Blut, und möglicherweise hatte der ganze Streß ihm auch noch den Rest gegeben. Kein Wunder. Leute aus der Großstadt verstanden unter ‚Gemütliche Wochenenden in einer Kleinstadt im Süden unseres schönen Staates‘ durchaus etwas anderes, als sich auf einer Steinplatte wiederzufinden, und vor einer johlenden Menge langsam gefoltert in den Tod geschickt zu werden. „Scheiße!“ Zack schloß die Augen und stellte sich vor, wie dieser abartig nach Pisse stinkende Jeremy Hansom sich zu Fluffin schlich und auf ihn einredete. „Arschkriecher!“ Er holte tief Luft und stand auf. Für einen kurzen Moment herrschte völlige Stille. Selbst die Hunde hatten die für sie typische Furzerei anscheinend vergessen. Zack wußte, was ihm nun bevorstand. Und er mußte zugeben, daß er Angst hatte, allein mit Jerome Fluffin in dessen mondänem Landhaus zu sein, sich unangenehme Fragen über das Warum stellen lassen zu müssen und dabei die Möglichkeit in Betracht ziehen mußte, von einem zum nächsten Moment mit einer schnellen Handbewegung getötet zu werden. „Ach, alles Scheiße!“ Und dann sah er seinen Sohn Pete.
„Dad!“ schrie Pete und warf die Axt in die Grube. Er betete, nicht zu spät gekommen zu sein. „Da, nimm sie schon!“ Die anhaltende Stille, der eine und andere Furz eines Hundes, der verzweifelte Blick seines Vaters verrieten ihm, daß es nicht geklappt hatte. „Dad...“
Das Ende vom berühmt berüchtigten Lied war die Absetzung von Zack, dem Henker. Sein Sohn Pete versuchte zwar, seine Stelle anzutreten, aber Fluffin entschied sich für Jeremy Hansom. Letzten Endes vielleicht eine kluge Entscheidung, denn von da an gerieten die allwöchentlichen Grubenabende wieder zu dem, was sie einst waren: Ein geiles Fest für ein hinterwäldlerisches kleines Völkchen abseits einer vernünftigen Zivilisation. Und mal ehrlich, die Aktivitäten im Hinterland der einzig verbliebenen Macht auf Erden interessieren einen nicht wirklich. Vielleicht Zack, der stirnrunzelnd zu Hause vor dem Fernseher saß und darüber nachdachte, warum er dieses gottverdammte völlig unnütze Buschmesser genommen hatte, anstatt die Axt, so wie es ihm Pete geraten hatte. „Ach Scheiße!“ Verkorkste Welt...
ENDE
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02.12.2002