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Kurz vor Schluß

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02.04.2002
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Kurz vor Schluß

Gerade hat es wieder geklopft. Ich zucke kurz zusammen, ein wenig erschrocken, obwohl ich mich langsam an diesen Zustand hätte gewöhnen müssen, könnte man meinen. Das Rauschen des Blutes in meinen Ohren beruhigt mich wieder, ein sanftes monotones Rauschen, das mir sagt ich bin noch Zuhause. Gern würde ich es schaffen, meine Augen zu öffnen. Nachsehen wer da meine Welt betreten will – oder mich auch nur ganz ungewollt daran erinnert, dass ich nicht allein bin. Aber selbst wenn ich all meine Kraft zusammen nehme, schaffe ich es nicht. Ich kann mich kaum bewegen, kaum drehen, geschweige denn einen Fuß vor den anderen setzen. Aber wer sollte es sein außer ihr?

Ich höre jetzt wieder ihre Stimme. Sicherlich redet sie wieder über mich. Darüber, was sie mit mir tun soll. So hab ich mir das Ende nicht vorgestellt. So völlig hilflos. Sie redet mit anderen über mich, ohne mich zu fragen. Irgendwie hatte ich wohl gehofft, ich hätte auch was dazu zu sagen. Aber es scheint, dass ich jetzt an einem Zeitpunkt angelangt bin, an dem ich nichts mehr selber entscheiden kann. Mich nicht bewegen. Nichts mehr sehen – nicht einmal mehr das beruhigende Rot, das zumindest zu Beginn noch das Dasein erhellt hat. Jetzt gibt es nur noch Dunkelheit. Und das Rauschen in meinen Ohren, das mir ein Gefühl der Orientierung gibt.

Ich erinnere mich an schöne Momente, die es auch jetzt noch manchmal gibt. Momente in denen sie mir trotz allem das Gefühl gibt, ich sei nicht allein. Momente, in denen sie mein Unwohlsein spürt, und mir beruhigend die Hand auf den Arm oder den Kopf legt. Sie gibt mir von ihrer Wärme, wie sie es vom ersten Moment an getan hat, spricht mit ihrer liebevollen Stimme zu mir und versucht mir den Zustand erträglicher zu machen. Und dennoch weiß ich, dass auch sie nicht mehr kann. Dass es ihr zu viel wird, trotz all ihrer Liebe. Und dass sie es nicht mehr lange ertragen kann.

Vom ersten Tag an waren wir eine Einheit. Ich habe sie so glücklich gemacht, wie nichts und niemand in ihrem Leben je zuvor. Das hat sie mir mindestens hundertmal am Tag gesagt. Ein ganzes Leben lang. Doch jetzt, wo wir uns dem Ende nähern, habe ich das Gefühl, dass gerade die Enge unserer Beziehung für sie unerträglich wird.

Das Klopfen hat wieder nachgelassen. Auch ihre Stimme hat sich entfernt. Ganz vorsichtig versuche ich einen Arm zu heben. Und stoße sofort wieder an meine Grenzen. Wenigstens einmal möchte ich es schaffen. Meine Nase juckt. Mein Fuß ist eingeklemmt. Die Unfähigkeit mich zu drehen, meinen Arm zu heben nimmt mir mehr noch als die Dunkelheit das Gefühl der Freiheit. Am Anfang war das nicht so. Da konnte ich wenigstens noch ein wenig sehen. Und vor allem konnte ich mich noch bewegen. Ich weiß, es wird nicht nur für mich immer unerträglicher, ich werde auch immer mehr zu Last für sie. Ich höre wie sie stöhnt. Immer wieder sagt, dass sie hofft, es sei bald vorbei. Das hoffe ich auch. Mittlerweile.

Hinzu kommen die Schmerzen. Ganz plötzliche Attacken, die mir die Luft nehmen. Es ist, als würde mein Leben ganz langsam aus mir herausgequetscht. Und selbst wenn diese Anfälle nachlassen, bleibt das Gefühl der Enge. Das einzig Gute ist, dass ich weiß, dass es bald ein Ende haben wird. Woher ich das weiß, frage ich mich. Vielleicht, weil die heftigen Schmerzattacken immer größer werden. Vielleicht, weil ich weiß, dass es einfach so sein muss.

Und ganz selten frage ich mich jetzt nur noch, was wohl danach kommt. Im Moment habe ich das Gefühl, es kann nur besser werden. In meinen Träumen stelle ich mir immer vor, dass ich von zärtlichen Armen empfangen werde. Arme die so zärtlich sind, wie ihre Stimme. Und dann kann es mir gar nicht schnell genug gehen.

 

ooch Kay...guck mal, da hab ich jetzt grad soone schöne Satire gelesen, und lach noch halb, und jetzt willst du mich hier gleich darauf zum heulen bringen!!
Was soll denn das?

sie ist gut, die kleine story...ja, das ist sie oder ist sie traurig-nett? Irgendwas in diesem Bereich jedenfalls.

also ich denke wenn ich sowas mal wieder mache, wie du grad, denn lass ich zum ausgleich ausnahmsweise mal den protagonisten überleben !!

grüsse, viele, liebe, Arche

 

Hey Archetyp - Danke für Deine Kritik! Ich wollte Dir wirklich nicht den Spaß verderben ... Versuch doch mal es anders zu lesen. Vielleicht stirbt der Protagonist dann auch gar nicht ...

Gruß
kay

 

Sehr schöne Geschichte, meine liebe Kay!
Ich finde es toll, eine Geschichte über den Tod (ich les es eben so) zu schreiben, ohne am Schluss die Worte: "Und dann...spürte ich gar nichts mehr." zu gebrauchen.
Ein klitzkleines Ding noch: Wieso zuckt der Protagonist am Anfang zusammen, obwohl er nicht im Stande ist, einen Arm zu heben?
Da könnte ein kleines Zauberwort namens "innerlich" wahre Wunder bewirken!
Alle in allem eine tolle Geschichte!
Gruß, Jule

 

Hej Kay!

Sehr schön! Sehr anschaulich und gefühlvoll und ohne große Klischees. Die Geschichte ist in sich rund und regt zum Nachdenken an, ohne auf die Tränendrüse zu drücken. Wundervoll! Dein Text gefällt mir außerordentlich gut, bitte mehr davon!!!
Lieben Gruß,

chaosqueen :queen:

 

Hallo Ihr Lieben,

es freut mich ganz außerordentlich (rot werd), dass Euch meine Geschichte so gut gefällt. Danke für Eure lieben Worte!

NUR - hm, tja, wie soll ich das sagen. Es war durchaus so gemeint, dass man sie so verstehen kann, nur geschrieben ist die Geschichte eigentlich aus einer ganz anderen Perspektive - nämlich (und jetzt sag ich es doch!) aus der Perspektive des noch ungeborenen Kindes. Und ja, natürlich war es beabsichtigt, dass sich die Zeit vor der Geburt so anhört wie die Zeit vor dem Sterben ...

Ich findes es echt erstaunlich, dass diese Geschichet auch dann gefällt, wenn man die beabsichtigte Intention gar nicht mitliest. Da muss ich wohl noch ein bißchen dran arbeiten, damit das hier klarer wird - ohne natürlich direkt ZU klar zu werden ;)

Lieben Dank

Gruß
Kay

 

Hej Kay!

Ja, man kann es tatsächlich auch so lesen. Ist mir vorher nicht aufgefallen. Allerdings ist mir da ein echter FEhler aufgefallen: "Ganz plötzliche Attacken, die mir die Luft zum Atmen nehmen." Sorry, aber Babies im Mutterleib können nicht atmen, die haben Kiemen. ;) Na gut, aber Wasser in der Lunge.
Ansonsten gefällt mir die Geschichte auch in dieser Lesart sehr gut, keine Frage!
Lieben Gruß,

chaosqueen :queen:

 
Zuletzt bearbeitet:

Hey Chaosqueen,

danke fürs erneute Lesen!!

Mit der "Luft" zum Atmen meinte ich, die Form der Sauerstoffzufuhr, die es im Mutterleib gibt, und die durch die ersten Wehen -, weil Mutter da häufig vergißt mal tief zu atmen ;) - auch schon mal unterbrochen wird. Also gemeint ist wirklich das Luft holen oder Atmen mit und durch die Mutter, dass hier durch die Attacken unterbrochen wird und so dem Ungeborenen die Luft nimmt... Nur "Atmen" ist dann vielleicht unverständlich?

Will aber hier nicht unbedingt klugscheißen, denn wenn es sich so blöde liest und einen falschen Eindruck erweckt, macht das ja auch wenig Sinn. Ich überleg noch mal ... Ich lass vielleicht einfach das "Atmen" weg - meinst Du das hilft?


Thx & Gruß
Kay

 

Hallo Kay!
Ich weiß, warum alle denken, es sei der Tod gemeint. Da ist ein kleiner Satz:
...So hab ich mir das Ende nicht vorgestellt.

Deshalb! Bravo Jule, sehr gut, setzen!

 

Oh Kay, da dachte ich da könnte ich mal eben so rüberlesen, und dann entgeht mir das wichtigste, nämlich das Verstehen dieser Story, aaaaaahhhhh..
Man sollte nie zuviel an einem Tag lesen.

arche

 

Hallo Jule, hallo Archetyp,

auch Euch Danke fürs erneute Lesen ...

Ja, das mit dem Ende mag stimmen - aber es gibt halt mehr als eine "Ende" im Leben und nicht das ende des lebens an sich. Es steht ja auch extra nicht da "So habe ich mir mein Ende nicht vorgestellt." Es ist ja auch okay, das jeder zunächst denkt, es sei das Sterben gemeint - schön wäre allerdings, wenn man das andere auch herauslesen könnte. Ich deneke noch über ein anderes Ende nach(für die Geschichte :)) so, dass es vielleicht wenigstens zum Schluß ein deutliches Aha-Erlebnis gibt! Vorschläge werden gern entgegengenommen ;)

Lieben Gruß
Kay

 

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