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Kurz vor Schluß
Gerade hat es wieder geklopft. Ich zucke kurz zusammen, ein wenig erschrocken, obwohl ich mich langsam an diesen Zustand hätte gewöhnen müssen, könnte man meinen. Das Rauschen des Blutes in meinen Ohren beruhigt mich wieder, ein sanftes monotones Rauschen, das mir sagt ich bin noch Zuhause. Gern würde ich es schaffen, meine Augen zu öffnen. Nachsehen wer da meine Welt betreten will – oder mich auch nur ganz ungewollt daran erinnert, dass ich nicht allein bin. Aber selbst wenn ich all meine Kraft zusammen nehme, schaffe ich es nicht. Ich kann mich kaum bewegen, kaum drehen, geschweige denn einen Fuß vor den anderen setzen. Aber wer sollte es sein außer ihr?
Ich höre jetzt wieder ihre Stimme. Sicherlich redet sie wieder über mich. Darüber, was sie mit mir tun soll. So hab ich mir das Ende nicht vorgestellt. So völlig hilflos. Sie redet mit anderen über mich, ohne mich zu fragen. Irgendwie hatte ich wohl gehofft, ich hätte auch was dazu zu sagen. Aber es scheint, dass ich jetzt an einem Zeitpunkt angelangt bin, an dem ich nichts mehr selber entscheiden kann. Mich nicht bewegen. Nichts mehr sehen – nicht einmal mehr das beruhigende Rot, das zumindest zu Beginn noch das Dasein erhellt hat. Jetzt gibt es nur noch Dunkelheit. Und das Rauschen in meinen Ohren, das mir ein Gefühl der Orientierung gibt.
Ich erinnere mich an schöne Momente, die es auch jetzt noch manchmal gibt. Momente in denen sie mir trotz allem das Gefühl gibt, ich sei nicht allein. Momente, in denen sie mein Unwohlsein spürt, und mir beruhigend die Hand auf den Arm oder den Kopf legt. Sie gibt mir von ihrer Wärme, wie sie es vom ersten Moment an getan hat, spricht mit ihrer liebevollen Stimme zu mir und versucht mir den Zustand erträglicher zu machen. Und dennoch weiß ich, dass auch sie nicht mehr kann. Dass es ihr zu viel wird, trotz all ihrer Liebe. Und dass sie es nicht mehr lange ertragen kann.
Vom ersten Tag an waren wir eine Einheit. Ich habe sie so glücklich gemacht, wie nichts und niemand in ihrem Leben je zuvor. Das hat sie mir mindestens hundertmal am Tag gesagt. Ein ganzes Leben lang. Doch jetzt, wo wir uns dem Ende nähern, habe ich das Gefühl, dass gerade die Enge unserer Beziehung für sie unerträglich wird.
Das Klopfen hat wieder nachgelassen. Auch ihre Stimme hat sich entfernt. Ganz vorsichtig versuche ich einen Arm zu heben. Und stoße sofort wieder an meine Grenzen. Wenigstens einmal möchte ich es schaffen. Meine Nase juckt. Mein Fuß ist eingeklemmt. Die Unfähigkeit mich zu drehen, meinen Arm zu heben nimmt mir mehr noch als die Dunkelheit das Gefühl der Freiheit. Am Anfang war das nicht so. Da konnte ich wenigstens noch ein wenig sehen. Und vor allem konnte ich mich noch bewegen. Ich weiß, es wird nicht nur für mich immer unerträglicher, ich werde auch immer mehr zu Last für sie. Ich höre wie sie stöhnt. Immer wieder sagt, dass sie hofft, es sei bald vorbei. Das hoffe ich auch. Mittlerweile.
Hinzu kommen die Schmerzen. Ganz plötzliche Attacken, die mir die Luft nehmen. Es ist, als würde mein Leben ganz langsam aus mir herausgequetscht. Und selbst wenn diese Anfälle nachlassen, bleibt das Gefühl der Enge. Das einzig Gute ist, dass ich weiß, dass es bald ein Ende haben wird. Woher ich das weiß, frage ich mich. Vielleicht, weil die heftigen Schmerzattacken immer größer werden. Vielleicht, weil ich weiß, dass es einfach so sein muss.
Und ganz selten frage ich mich jetzt nur noch, was wohl danach kommt. Im Moment habe ich das Gefühl, es kann nur besser werden. In meinen Träumen stelle ich mir immer vor, dass ich von zärtlichen Armen empfangen werde. Arme die so zärtlich sind, wie ihre Stimme. Und dann kann es mir gar nicht schnell genug gehen.