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Kulturelle Differenzen
Nun war es ihm doch wieder passiert: Kurt stand mitten in einem Café und alle starrten ihn an – nicht einfach vorwurfsvoll, vielmehr entsetzt. Sie starrten ihn an, als wäre er ein Geist. Er war in Gedanken versunken einfach durch die Wand hineinspaziert. Kurt stammelte eine Entschuldigung und flüchtete – durch die Tür.
Kurt war kein Geist. Eigentlich war Kurt ein ganz normaler Typ, wie Du und ich. Er war niemand der auffallen wollte, und meistens passierte das auch nicht. Seine Probleme waren weniger mystischer oder postmortaler als vielmehr kultureller Art. Kurt war nicht von hier – in keinerlei Hinsicht. Er hieß auch eigentlich nicht Kurt, aber das war nun wirklich nicht so wichtig. Bedeutender war, dass er aus einem anderen Universum stammte. Nun lebte er schon fast zwölf Jahre in diesem Universum, in dieser Galaxie und eben hier auf der Erde, in Europa, in Deutschland, in Hanau. Eigentlich hatte er sich gut angepasst. Nur gab es ein paar lokalen Sitten, die ihm einfach noch nicht so in Fleisch und Blut übergegangen waren wie den Einheimischen.
Dazu gehörte auch diese Sache mit den Aggregatzuständen - eines dieser sogenannten „Naturgesetze“, die in der hiesigen Kultur eine ganz große Sache waren. Es gab viele anerkannte Gründe, andere Lebewesen – sogar der eigenen Art – zu ermorden. Gegen auch nur eines dieser unzähligen, komplizierten „Naturgesetze“ zu verstoßen, war hier jedoch nicht einfach nur verpönt oder verboten – es war ganz einfach undenkbar. Niemand störte sich daran, wenn man sich als anerkannter Festkörper durch die als gasförmig betrachtete Luft bewegte. Bei flüssigem Wasser war es schon komplizierter. Man durfte sich hindurch bewegen, allerdings nur auf eine sehr komplizierte Art und Weise, die man extra erlernen musste. Vor allem aber durfte man keine Flüssigkeiten einatmen. So ein Verhalten galt als so verwerflich, dass von einem erwartet wurde, auf der Stelle - zumindest vorübergehend – zu sterben. Völlig undenkbar aber war es, durch Festkörper hindurchzugehen. Wer das wagte, von dem erwartete man nicht nur, einfach zu sterben – man erwartete von ihm, bereits tot zu sein.
Schon direkt bei seiner Ankunft hatte er für Aufruhr gesorgt, als er mitten in einem Tisch erschienen war, der sich im Aufenthaltsraum der geschlossenen Abteilung einer psychiatrischen Klinik befand. Diese musste sogar vorübergehend geschlossen werden, weil alle Patienten aufgrund dieses Ereignisses entlassen wurden. Es hieß, sie seien alle geheilt. Das Problem war wohl eher, dass die Ärzte und Pfleger nicht mehr erklären konnten, inwiefern die Patienten gestörter seien als sie selbst. Von all dem hatte Kurt jedoch nichts mehr mitbekommen, weil er selbst vor Scham längst im Boden versunken war, was die Situation jedoch keineswegs entschärft hatte.
Zum Glück waren die Zeugen seiner Verfehlungen bisher noch jedes Mal so schockiert gewesen, dass sie einander umgehend versicherten, das Gesehene sei nie passiert. Tatsächlich verfolgt wurde er nie. Dafür liebte Kurt dieses Universum. Daheim war er auch in Konflikt mit dem Gesetz geraten und war nicht so glimpflich davongekommen. Das Problem war seine Leidenschaft für Blumen gewesen. Einmal hatte er eine so wunderschöne entdeckt, dass er nicht hatte widerstehen können und sie pflückte, um sie mit nach Hause zu nehmen. Natürlich war er erwischt worden, und man hatte ihn zu einer fünffachen Todesstrafe verurteilt. Nach dem Vollzug der dritten hatte er fliehen können. In Bezug auf Blumen war man hier viel liberaler. Darum war für Kurt klar, dass er hier bleiben würde. Dafür nahm er auch diese nervigen „Naturgesetze“ in Kauf.
Hier hatte er alles was er brauchte: ein Haus mit Garten und seinen Traumberuf: Kurt war Florist.
Weitere Titel in der Reihe:
Kurt ist verliebt
Kurt findet das Glück