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Serie Kulturelle Differenzen (3) - Kurt findet das Glück

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24.06.2015
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Kulturelle Differenzen (3) - Kurt findet das Glück

„Magst du vorbeikommen? Wir müssen reden!“, hatte Grit am Telefon gesagt. Da war Kurt ein Stein vom Herzen gefallen. So lange hatte er auf eine Antwort auf seinen Brief gewartet. „Die Post streikt“, hatte er sich immer wieder gesagt, „sicher ist der Brief noch nicht angekommen.“ Nun war er offensichtlich angekommen. Und Grit wollte mit ihm reden! „Ich bin in einer Sekunde bei dir!“ Beinahe schrie Kurt in den Telefonhörer. „Na, eine halbe Stunde wirst Du wohl brauchen - bei dem Verkehr und um die Zeit“, lachte Grit in den Telefonhörer. „Ach, ja!“, dachte Kurt, „diese verflixten Naturgesetze.“ Er zog seinen Finger schnell vom Klingelknopf, neben Grits Wohnungstür weg und verschwand nach Hause.

Genau 1800 Sekunden später stand er nervös und mit einem prächtigen Strauß aus Chrysanthemen, Rosen und Schleierkraut wieder an derselben Stelle. Diesmal klingelte er. Grit öffnete ihm die Tür und schaute ihn entsetzt an. „Grit …“, setzte Kurt an, aber sie fiel ihm ins Wort: „Es ist nur: Dein rechtes Bein steht in meinem Schuhschrank.“ Kurt sah auf sein Bein, dass in der Holzfront des Schuhschrankes verschwand. Er hatte den Schuhschrank nicht gesehen und ihn wie Luft behandelt. Hastig zog Kurt sein Bein zurück und wurde rot: „Oh, das ist mir aber unangenehm! Es ist nur: Ich bin so nervös!“ „Wer nicht?“, lachte Grit ihn an und wirkte schon viel weniger entsetzt – eigentlich eher entspannt. „Komm rein!“, forderte sie ihn auf, und Kurt ließ sich nicht zweimal bitten. Grit stellte die Blumen in eine Vase: „Wie wunderschön die sind Kurt! Du bist wirklich ein Künstler.“ Sie bot Kurt Kaffee an und selbstgebackene Plätzchen, die Kurt sehr lobte. Sie redeten eine Weile über das Wetter, dass Grits Balkonblumen in letzter Zeit ziemlich zugesetzt hatte.

Schließlich überwand Kurt sich und fragte frei heraus: „Ist es, weil ich ein verurteilter Krimineller bin? Oder weil ich aus einem anderen Universum stamme?“ Grit griff Kurts Hand: „Nein, das ist es nicht. Also Blumen zu pflücken, das ist nun wirklich kein Verbrechen – finde ich. Und dass du aus einem anderen Universum … also das hat mich schon überrascht … ja, und auch erschreckt … am Anfang … aber es erklärt auch einiges. Das war es aber auch nicht.“ Kurt nahm nun seine zweite Hand zur Hilfe, um Grits Hand, die bereits seine andere Hand hielt, noch fester zu ergreifen: „Was ist es dann Grit? Warum bist du weggelaufen?“ Grit lächelte – ihr Lächeln, in das Kurt sich schon auf den ersten Blick verliebt hatte: „Diese Sache, die Du an dem Abend gemacht hast … Telepathie, oder was das war … so etwas tun wir nicht.“

„Aber wenn man verliebt ist“, protestierte Kurt, „dann will man doch geistig und seelisch eins sein, mit dem Menschen, den man liebt!“ Grit lächelte ihn erneut an: „Und Blumen sollten auf der Wiese wachsen! Hier ist eben vieles anders, als da, wo du her kommst Kurt.“ „Verstehe!“, sagte Kurt, aber das war gelogen. Kurt dachte nach. „Und was tut man hier, wenn man einander liebt?“, fragte Kurt. „Man hat Sex“, erwiderte Grit. „Verstehe!“, log Kurt erneut und dachte wieder nach. „Was ist Sex?“, fragte er nach einer Weile. „Das ist schwer zu erklären …“, antwortete Grit mit glühenden Ohren, „aber ich würde wirklich gerne …“ Kurt beugte sich zu ihr hinüber und küsste sie. „Ja?“, fragte er. „Ich würde es dir wirklich gerne zeigen.“

Grit zeigte es Kurt … Kurt würde es später damit vergleichen, wie er zum ersten Mal ein Blumengeschäft betreten hatte. Die Fülle an Farben und Düften, die kunstvollen Arrangements. „Oh!“, sagte Kurt, als Grit danach in seinen Armen lag, „Jetzt verstehe ich, warum es schwer zu erklären ist. Ich hätte wohl nicht vermutet, dass es so schön ist, wenn du es mir erklärt hättest.“

Grit kuschelte sich an Kurt. „Hast du mir eigentlich wirklich alles von dir gezeigt – ich meine, als wir seelisch und geistig verbunden waren?“, fragte sie. „Nein“, gab Kurt zu, und erzählte ihr von seinen Problemen mit den Naturgesetzen. „So wie vorhin, mit meinem Schuhschrank …“, lachte Grit, „Und das war jetzt wirklich alles?“ „Da gibt es noch etwas“, beichtete Kurt, „Ich heiße eigentlich nicht Kurt.“ – „Wie heißt du denn?“, hakte Grit nach. „Franz … aber da wo ich herkomme, hat das eine ganz andere Bedeutung …“, erklärte Kurt und nach einer kurzen Pause: „… und wird auch anders ausgesprochen.“ „Verstehe!“, log nun Grit und dachte nach. Schließlich vermutete sie: „Aber geschrieben wird es genau wie bei uns!?“ Kurt sah sie verwundert an: „Nein, geschrieben wird es natürlich überhaupt ganz anders.“ Grit war verwirrt. „Meinst du, dass dein Name für mich nicht zu verstehen oder auszusprechen wäre, aber dass wenn man versuchen wollte, ihn in menschliche Sprache zu übersetzen, du eher Franz als Kurt heißen würdest?!“, rätselte sie schließlich. „Ähm“, antwortete Kurt und überlegte, „Ich glaube nicht, dass ich dir gerade folgen kann.“ „Ich auch nicht“, gab Grit zu, „Ich nenne dich einfach weiterhin Kurt und du mich Grit. Okay?“ – „Ist gut, Brigitte“, neckte Kurt. „Lass dass“, schimpfte Grit und boxte ihm zärtlich gegen den Arm.

Eine Weile lagen sie schweigend Arm in Arm. „Willst du mich heiraten?“, durchbrach Kurt schließlich die Stille. Grit lächelte: „Heiratsanträge macht man hier zwar auch anders, aber: Ja! Sehr gerne.“ Sie kuschelten sich noch dichter aneinander, so dicht, dass Kurt etwas Sorge hatte, schon wieder gegen ein Naturgesetz zu verstoßen. „Zwei Körper dürfen nicht zur selben Zeit, denselben Raum einnehmen“, meinte Kurt einmal irgendwo gelesen zu haben. Aber Grit schien es nicht zu stören und sonst war ja niemand da. „Schade nur“, seufzte Grit nach einer Weile, „dass wir keine Kinder zusammen haben können.“ – „Stimmt!“, seufzte auch Kurt und dachte nach. „Wieso nicht?“, fragte er schließlich. „Na, wir sind genetisch völlig inkompatibel. Ich meine: Du bist aus einem anderen Universum. Hast du überhaupt so etwas wie Gene Kurt?“ – „Ich weiß nicht“, gab Kurt zu, „darüber habe ich mir bisher nie Gedanken gemacht.“ – „Siehst du?!“, fasste Grit zusammen, „Es würden sämtlichen Naturgesetzen widersprechen, wenn wir zusammen ein Kind zeugen würden.“ Kurt schwieg und dachte nach – sehr lange. „Meinst du, man würde uns erwischen?“, fragte er schließlich. „Naja“, flüsterte Grit und küsste ihn, „es würde wohl niemand nachfragen.“ Also brach Kurt in den nächsten Jahren zweimal „sämtliche Naturgesetze“. Aber das würde dann auch wirklich das letzte Mal sein. Das nahm er sich jedenfalls ganz fest vor. Schließlich wollte er als Vater ein Vorbild für seine beiden Töchter Rose und Flora sein.

Ich würde nun gerne schreiben, dass sie glücklich sein würden, bis ans Ende ihrer Tage – oder so. Wir alle wissen, dass es so nicht läuft, vor allem nicht wenn so große kulturelle Differenzen eine Rolle spielen, wie bei Grit und Kurt. Auch das würde irgendwie den Naturgesetzen widersprechen. Andererseits: Niemand hat das Kurt jemals erklärt. Und Unwissen schützt vor Glück so wenig, wie vor Strafe.

 

„Es ist nur: Dein rechtes Bein steht in meinem Schuhschrank.“

„Ich und Du wir waren ein Paar
Jeder ein seliger Singular

Waren so selig wie Wolke und Wind
Weil zwei Singulare kein Plural sind“,​

dichtete Mascha Kaléko – und ganz in dieser Nähe bereitest Du Deinen Erstling (jedenfalls seh ich die drei Teile als einen an) auf in den „Uni-Versen“ Grits und Kurts. Und Verliebtheit führt

lieber sebasTEAan,
gelegentlich zu Albernheit, was für mich eher ein Zeichen von Humor und Intelligenz als verbissener Ernsthaftigkeit ist, weiß ich doch aus eigener Erfahrung, wie schnell man aus Verlegenheit rumalbert, wenn der Blitz eingeschlagen hat …

Nun kehr ich wieder den Trivialitäter raus:

Flüchtigkeit

…, hatte Grit am Telefon gesagt […].
„Da gibt es noch etwas“, beichte[te] Kurt

Warum nicht statt
Genau 2700 Sekunden später …
schlicht eine ¾ Stunde später?

… an der selben Stelle …
und weiter unten
den selben Raum
immer zusammen der-/denselben, ähnlich hier, noch weiter unten „aneinander“
Sie kuschelten sich noch dichter an einander

zum ersten [M]al

Hier leitet die vergleichende Konjunktion als einen vollständigen Satz ein
„Oh!“, sagte Kurt[,] als Grit danach in seinen Armen lag, …
weshalb ein Komma zu setzen ist.

Wo will hier der Punkt hin? Sperr ihn vors auslaufende Gänsefüßchen

„Ich heiße eigentlich nicht Kurt“.

Besser O. K. oder Okay (am Satzanfang), statt
am besten aber in dieser Phase „okey-do-key!“, was am besten zu diesem verrückten Paar passt. M. E.

Hier entsteht der Eindruck, dass Gitte Kurt necke

„Ist gut[,] Brigitte“, neckte sie Kurt.
Sie „wurde“ von K. geneckt, anders, wenn Kurt vorne stünde „Kurt neckte sie: …“

Hier schlägt die Fälle-Falle zu:

„Lass dass“, schimpfte Grit und boxte ihn zärtlich gegen den Arm.
Obwohl ich es gutheiße, dass der Genitivmörder zunehmend vom Akkusativ bedroht wird:
„… und boxte ihm … gegen den Arm“

Der Schlusssatz wirkt wie eine Zusammenfassung des zuvor durchgegangenen in doppeltem Sinn:
Und Unwissen schütz[t] vor Glück so[…]wenig[…] wie vor Strafe.

Gern gelesen vom

Friedel,
der aber, vorausschauend dessen, was kommen wird, darauf hinweist, die Formatierung bzgl. der direkten Rede übersichtlicher zu gestalten. Dass das einer sagen muss, der an sich die Leserschaft mit einer ganzen Geschichte in einem Satz beglückt, entbehrt nicht der Ironie …

 

Noch einmal vielen Dank für die Mühe und die vielen Tipps.

Warum nicht statt
Genau 2700 Sekunden später …
schlicht eine ¾ Stunde später?

Eigentlich soll es eine halbe Stunde sein, aber Kopfrechnen war noch nie meine Stärke. Die Sekundenangabe, soll die überexakte Einhaltung der Zeitvorgabe unterstreichen.

Liebe Grüße

Sebastian

 

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