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Kulturelle Differenzen (2) – Kurt ist verliebt
Kurt hatte Grit bei der Arbeit kennengelernt. Sie war Kundin in dem Blumengeschäft, in dem Kurt arbeitete. Grit liebte Blumen und Kurt liebte Grit.
Er hatte sich sofort in Grit verliebt: In ihr Lächeln, ihren Duft, der ihn an einen Strauß aus Rosen, Freesien und Euphorbien erinnerte. Kurt hatte sich schon in andere Frauen verliebt, aber noch nie hatte er so viel für eine Frau empfunden wie für Grit und noch nie in diesem Universum.
Grit hieß eigentlich Brigitte, aber sie wollte nun einmal, dass man sie Grit nannte. Kurt selbst, hieß eigentlich ganz anders. Wer also war Kurt, dass er diesen Wunsch nicht respektiert hätte.
Kurt hatte Grit Blumen geschenkt, er hatte sie in ein Café eingeladen und ins Kino. Kurt hatte für Grit gekocht. Sie hatten sich nächtelang unterhalten, vor allem über Blumen. Kurt hatte Grit geküsst. Schließlich hatte Kurt Grit sogar seinen Garten gezeigt.
Kurt war sich sicher: Heute Abend würde er sie endgültig für sich gewinnen. Heute würde es geschehen. Nun saßen sie auf seinem Sofa, vor dem Fernseher. Auf Geo lief „Geheimnisse im Garten“. Es war der perfekte Moment. „Grit“, begann Kurt, „ich weiß, wir kennen uns noch nicht lange. Aber, du weißt: Ich liebe di…“ Grit legt ihm einen Finger auf den Mund. „Pst! Sag nichts! Ich will es doch auch“, hauchte sie und begann sich auszuziehen.
Das irritierte Kurt etwas, weil er nicht recht wusste, wozu das dienen sollte. Wahrscheinlich war sie nervös. Die Leute taten alle möglichen merkwürdigen Dinge, wenn sie nervös waren. Auch Kurt war nervös, längst waren alle Kissen auf dem Sofa der Größe nach geordnet.
Grit zog sich eben aus, wenn sie nervös war. Wieso auch nicht? Warm genug war es ja. Dennoch fragte er vorsichtshalber noch einmal nach: „Bist du sicher Grit, dass du soweit bist?“ – „Ich bin ganz sicher“, lachte sie ihm entgegen.
„Na dann“, dachte Kurt. Er schaute Grit tief in die Augen und öffnete seine Seele und seinen Geist: Er verband sich telepathisch mit ihr, wurde eins mit ihr. Er zeigte ihr alles: Seine verborgensten Gedanken, seine tiefsten Gefühle. Gut, er zeigte ihr nicht alles – seinen Probleme mit den „Naturgesetzen“ verschwieg er. Er hatte so ein Gefühl, dass es dafür vielleicht noch zu früh war. Außerdem war er immer der Meinung gewesen …
Grit schrie auf, schnappte ihre Sachen und lief hysterisch kreischend und weinend aus dem Haus.
Kurt blieb verwirrt zurück. Was hatte er falsch gemacht? Lag es daran, dass er aus einem anderen Universum kam? Die Menschen reisten nicht gerne. Nach allem, was er wusste, hatte sich noch nie ein Mensch weiter von seinem Heimatplaneten entfernt als bis zu dessen Satelliten, dem Mond.
Das hatte wieder etwas mit diesen „Naturgesetzen“ zu tun. Mit der Anziehungskraft, der Gravitation: Kleinere Körper durften sich nicht ohne triftigen Grund von einem größeren entfernen. Der Erden war natürlich viel größer als ein Mensch – andersrum wäre es einfach unpraktisch gewesen.
Ein triftiger Grund, sich von der Erde zu entfernen, war zum Beispiel das „Naturgesetz“, dass man sich nicht durch Festkörper hindurch bewegen dürfe. Deshalb konnte man sich zum Beispiel in einem Wolkenkratzer viele Meter von der Erdoberfläche entfernen.
Bewegte man sich jedoch aus Versehen über den Rand des Daches eines solchen Wolkenkratzers hinaus in die Luft, entfiel dieser Grund und man musste schnellstens zum Erdboden zurückkehren. Das war Kurt zum Glück nur einmal passiert.
Wieso man sich in Flugzeugen oder Hubschraubern von der Erdoberfläche entfernen durfte, hatte Kurt noch nicht verstanden. Vermutlich gab es da irgendein juristisches Schlupfloch – das gab es doch eigentlich immer.
Gravitation, Anziehungskraft – vielleicht war das der Grund für Grits unerklärliche Flucht. Sie war kleiner und zarter als er. Dennoch hatte er sich eindeutig zu ihr hingezogen gefühlt. Und das hatte er ihr nun offenbart. War das falsch gewesen?
Eines hatte er heute jedenfalls gelernt: In diesem Universum war alles* kompliziert – *sogar die Liebe.
Das Einzige, das in diesem Universum nicht kompliziert war, waren Blumen … und Insekten: Bienen und Hummeln, die er so gern dabei beobachtete, wie sie von Blüte zu Blüte flogen, ohne danach zu fragen, ob ihre Flügel überhaupt groß genug wären, sie zu tragen.
Blumen und Bienen, das war einfach, das verstand er. Immerhin! Deswegen war er hier! Aber wenn er ehrlich war – inzwischen auch wegen Grit.
Ach! Das würde sich schon wieder einrenken. Er musste ihr nur alles erklären … und sich entschuldigen. Jetzt musste er nur noch herausfinden, wofür. Und das würde er.
Gleich morgen früh würde er losgehen und sich Bücher kaufen – über Beziehungen und über Gravitation. Und gleich heute Abend würde er endlich den Reiseführer lesen, den er sich gleich bei seiner Ankunft hier gekauft hatte. Er war nie dazu gekommen ihn zu lesen, weil es in der Buchhandlung, wo er ihn gekauft hatte, gleich im nächsten Regal etwa 100 Bücher über Blumen und Gärten gegeben hatte.
Wo war dieser Reiseführer nur? „Hanau Offizieller Stadtführer“, nein, das war es nicht, woran er gedacht hatte! Ach, ja, hier: „Stephen Hawking. Eine kurze Geschichte der Zeit“, das war es! „Warum ist das Universum so, wie es ist?“, las er zufrieden im Klappentext. Hier würde er einige Antworten finden.
Und dann würde er Grit einen Brief schreiben und ihr alles erklären – oder vielleicht lieber ganz altmodisch und romantisch: eine WhatsApp. Ja, alles würde sich aufklären! Und dann …