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kugelschreiberbaumkugel

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15.02.2002
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kugelschreiberbaumkugel

Ich hatte es doch gewusst. Man muss nur lange genug und fest genug dran glauben, wissen Sie, an die Liebe. Die einzig Wahre. Sie lauert und wartet und plötzlich taucht sie auf, überfällt einen und lässt dich nicht mehr los… Dann im Leben, wenn man es am wenigstens erwartet. So wie ich. Jahrelang hatte ich gehofft, gewartet und hinter jedem Individuum des anderen Geschlechts einen möglichen Kandidaten gesehen, ihn geprüft, aussortiert und weiter auf den Prinzen gehofft.
Aber er ist nicht gekommen. Jahrelang.
Die Wahrheit ist, das mit der Liebe ist wie mit der Tintenpatrone. Diejenige, die weiß schreibt und dann schwarz wird. So was finden Sie nicht so leicht, fragen Sie mich auch nicht wie das funktioniert, ich habe keine Ahnung von Chemie, Physik oder Magie. Diese Patrone also, so banal der Vergleich mit der wahren Liebe auch klingen mag, beides ist jedenfalls selten. Ich weiß nicht woher er sie hatte, aber er hat sie mir geschenkt, zum ersten Schultag. Und ich habe sie bewundert und das kostbare daran natürlich sofort erkannt. Meine erste große Liebe: schüchtern, verträumt und auch 7 Jahre alt – damals. Und ich weiß nicht wie das passieren konnte, ich habe beide aus den Augen verloren.
Sie haben sich aus meinen Augen verloren, aber nicht aus meinem Leben, die Tintenpatrone und die Liebe. Beide haben mich begleitet, erstere, die ich vergessen, aber doch bei mir hatte, und zweitere, auf die ich nicht aufgehört hatte zu hoffen. Und damit sind wir schon bei gestern Abend. Bei den letzten Weihnachtsvorbereitungen, als ich Wohnung geputzt (was allerdings kein allzu großer Aufwand ist, denn ich lebe allein und bin von Haus aus ordentlich), Geschenke verpackt ( die obligatorischen Päckchen an die lieben Verwandten) und meinen Weihnachtsbaum geschmückt habe. Und als ich gerade dabei bin, Christbaumkugeln, Lametta und Engelchen aufzuhängen, stelle ich fest, dass der Baum schief steht. Ich habe schon immer eine praktische Ader gehabt und scheue mich auch ohne Mann im Haus nicht, eine solche Herausforderung anzunehmen. Man sollte ihn mit einer Kordel zwischen Wand und Baum geradebinden, denke ich mir und mache mich daran, eine solche zu drehe. Sie wissen schon, eine doppelte Schnur nehmen, einen Stift in der Schlaufe drehen und drehen und drehen bis daraus eine Kordel geworden ist ( aus der Schnur nicht aus dem Stift). Ich nehm also den nächstbesten Stift, den ich zur Hand habe, den Füller, den ich seit meiner ersten Klasse besitze und der mich durch zahlreiche langweilige Schulstunden und stressige Schulaufgaben begleitet hat und drehe und drehe und drehe… bis ich bemerke, das an der Wand gegenüber plötzlich schwarze Spritzer zu sehen sind. Schwarze, die zuvor weiß waren. Der Füller spritze jene Tinte aus, die seit Jahren in der Patrone im hinteren Griff des Stiftes versteckt war und die mir, Sie werden sich erinnern, ebenso kostbar wie verbunden mit meiner ersten Liebe ( der verträumte Schüchterne) war. Abgesehen davon, dass ich den Baum doch schließlich umstellen musste, zum einen, um die schwarzen Spritzer an der Wand zu verdecken, zum anderen, weil der Boden dort gerader war und meiner Kordel deswegen nicht mehr benötigte, abgesehen also davon, dass ich ihn quer durchs Zimmer hieven musste und mir bei einer derartigen körperlichen Anstrengung warm wurde, wurde es mir wiederum warm ums Herz bei der Erinnerung an die ersten, unvergleichlichen und einzigartigen Gefühle, die ich für jenen 7-jährigen empfand, und die ich bis zu jenem Tag bei anderen gesucht und nie dergleichen gefunden hatte.
Im Nachhinein ist mir klar, dass sich ab diesem Zeitpunkt, als die schwarzen Spritzer an der Wand auftauchten, sich in meinem Leben natürlich etwas ändern musste, mit dem Wiederfinden der Patrone sich auch jene einzigartigen Gefühle in mir wecken lassen mussten, die mir neue Hoffnung auf meinen Prinzen gegeben haben.
Davon natürlich nichts ahnend bin ich zu sehr mit dem Gedanken an die Spritzer meiner Wohnzimmerwand vertieft, als ich am nächsten Morgen zur letzten Schicht vor den Feiertagen durch das Schneegestöber Richtung Supermarkt wandere ( ich bin Fachverkaüferin in der Fleischabteilung), so vertieft an die merkwürdigen Zufälle denkend, dass ich geradewegs mit dem nächstbesten Passanten zusammenstoße. Einem Passanten, der seinerseits verträumt nach den Flocken geschaut und ebenso überrascht wie verlegen gelächelt und sich entschuldigt hatte.
Die Dinge kommen erstens anders, und zweitens als man denkt. Und wenn ich es nicht selbst erlebt hätte, so würde ich Ihnen eine derartige Zufallsgeschichte, die von der Tintenpatrone zu jenem einzigartigen Lächeln meines Prinzen führt, der, das sei hier mal angemerkt, überzeugter Vegetarier ist, selbst nicht glauben.

 

Tja, soviel zum Thema Zufälle, welche keine zu sein scheinen. Erlebnisse dieser Art teilst du übrigens mit vielen Menschen und sie alle sind gleichermaßen darüber erstaunt, so unvermittelt aus vertrauten Gegebenheiten herausgerissen zu werden. All diese Erlebnisse haben eines gemeinsam: sie sind nicht rational erklärbar und sind ein Produkt unseres Unbewussten.

Wenn es dich interessiert: Der Psychoanalytiker C.G. Jung beschäftigte sich in den Fünfzigern als erstes mit wissenschaftlicher Seriösität mit diesem Thema und prägte dabei den später in umfangreicher Sekundärliteratur immer wieder aufgegriffenen Begriff der "Synchronizität". Dabei handelt es sich um den Tatbestand zweier nicht kausal aber dafür sinngemäß zusammenhängende, objektiv/subjektive Ereignisse, sowie ihren hypothetischen Background. Jungs Schriften selbst sind allerdings aufgrund ihrer fachspezifischen Terminologie für Laien wenig verständlich. Mehr empfehlenswert ist dafür darauf basierende populärwissenschaftliche Sekundärliteratur.

Auf alle Fälle: you're not alone! :)

 

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