Kugelmoment
Ich schreibe meine Adresse in das Buch. Und die Telefonnummer meiner Eltern. Um auf Nummer sicher zu gehen auch noch die Dienstnummer meines Vaters. Schreckliche Vorstellung das mir etwas passieren könnte und meine Eltern würden nichts davon erfahren. Sich nur nach 4 Wochen anfangen zu fragen warum ich nicht nach Hause gekommen bin. Brr... scheußlich...
Ich wende mich vom Schreibtisch ab und gehe nach draußen. Es ist warm und schwül, wie jede Nacht. Vor dem Bungalow liegen weiße Säcke auf dem Boden... Reis denke ich. Links von mir befinden sich zwei Lagerhallen und Dschungel, rechts der Pier... oder was die in Thailand so als Pier bezeichnen. Am Pier drei der vier Boote. Lang gezogen, aus Holz, mit Aufbauten die fast das ganze Deck einnehmen. Und damit sollen wir jetzt sechs Stunden durch den Golf von Thailand fahren? Naja... das kann was werden. Eigentlich bin ich todmüde... ich habe seit 20 Stunden nicht mehr geschlafen. Dazu kommt der Drive im Kopf von den Krathom Blättern die uns Toto heute Nachmittag gegeben hat. Vorhin hatte ich das Gefühl ich habe Fieber... richtig ätzend.
Daniel und Simon kommen mit Toto im Schlepptau aus dem Bungalow.
„Gehen wir gleich an Bord, oder?“
„Ich bin dafür... wir sind bestimmt nicht die einzigen die da mitfahren wollen.“
„Toto, can we go on board now? Or do we have to wait?”
“No,no” Totos braungebranntes Gesicht verzieht sich zu einer Maske der Überraschung; wie können wir nur so etwas offensichtliches fragen? Diese Grimasse kann er gut... hat er uns heute Nachmittag schon einige Male vorgeführt. „Of course we can got on board right now“
Also marschieren wir rüber zu Pier. Vorneweg Toto ins seinen blauen Fischerhosen und seinem Aloha Hemd, dahinter Daniel, Simon und ich. An der Laufplanke steht ein Thai mit einem Gesicht wie eine Nuss. Tiefbraun und zerfurcht. Eher desinteressiert mustert er uns kurz, kontrolliert unsere Bordkarten. Dann dürfen wir aufs Schiff. Als wir über die Laufplanke herüber sind stehen wir auf Reissäcken. Super denke ich... wie voll haben die denn gepackt? Hoffentlich nicht zu voll. Nicht das am ende echt etwas passiert. Vielleicht hätten wir doch noch 15 Stunden warten sollen. Dann hätten wir das Speed Boat nehmen können das täglich um 15 Uhr fährt. Aber wir hatten es ja eilig. Wollten weg aus Chumpong, bloß keine Nacht hier bleiben. Und hatten uns Tickets für das Lastenboot um Mitternacht gekauft, weil wir so nur 8 Stunden in Chumpong verbringen mussten. Und während wir im betonierten Aufenthaltsraum vom Infinity Travel Service gesessen, geraucht und orange Fanta getrunken haben während draußen der Monsun die schmutzige Straße in eine große dreckige Pfütze verwandelte, haben wir Toto kennen gelernt. Toto, den Weltenbummler aus Italien. Einer von denen die Stück für Stück ihr ganzes Hab und Gut verkaufen nur um länger bleiben zu können. Pechschwarze lockige Haare, braun gebrannt, eine Zigarette im Bambusblatt zwischen den Lippen. Als wäre er direkt dem Buch „The Beach“ entsprungen. Er war aus dem selben Grund hier wie wir... er wollte um Mitternacht mir dem Lastenboot nach Ko Tao. Nachdem er uns von seinen Krathom Blättern abgegeben hat, haben wir ihn zum Mittagessen eingeladen. Und als wir damit fertig waren meinte er wenn wir ein ruhiges Plätzchen auf Ko Tao suchen würden sollten wir mit ihm kommen... er wüsste da was. Wir drei haben natürlich ja gesagt... irgendwie klang das was er uns anbot cool. Besser als Dinge die man im Reiseführer für Rucksacktouris liest.
Toto klettert über die Reissäcke und die restliche Ladung und verschwand auf dem Schmalen Steg zwischen Bordwand und Aufbauten. Wir drei trappeln ihm hinterher. Am Heck des Bootes sind die Schlafplätze... ganz offensichtlich. Da liegt nämlich alles voll mit schlafenden Thais. Wir schauen uns an. Da sollen wir uns noch dazwischen quetschen?
„Da ist doch gar kein Platz mehr“ meint Daniel.
„Jepp“
„Und was sollen wir mit den Rucksäcken machen?“
Auch da hat er recht. Wir sehen uns als Traveller zwar näher an der Bevölkerung und der Kultur des Landes als der Pauschaltourist, aber die Vorstellung Körper an Körper mit Leuten zu schlafen die man noch nie gesehen hat, deren Sprache man nicht einmal kennt... und wir sind keine Thais. Wer weiß ob die Körper an Körper mit uns schlafen wollen? Und wie gesagt unsere Rucksäcke. Für die ist hier definitiv kein Platz. Und ich will meinen Rucksack hier nicht irgendwo abstellen. Wer weiß ob da morgen noch alles drin ist.
Toto hat sich anscheinend schon entschieden. Wie marschieren wieder zum Bug zurück, ducken uns durch die niedrige Tür und betreten den Laderaum. Beißender Dieselgeruch und dumpfe Wärme schlägt uns entgegen. Fast der gesamte Raum wird von einem etwa zehn mal vier Meter großen viereckigen Holzkasten eingenommen. Zwischen der Wand und dem Kasten ist kaum Platz sich durch den Laderaum zu bewegen, und selbst der ist mit Waren vollgepackt. Das gleiche gilt für den Platz auf dem Kasten. Ganz vorne liegen einige Matten, vermutlich auch als Schlafplätze gedacht, dahinter ist der Platz zwischen Kasten und Decke auch mit Fracht vollgestopft. Erst jetzt sehen wir das schon einer auf dem Kasten liegt und schläft.
„ Na cool“ Simon bricht als erster unser schweigen. „Wir werden morgen Kopfschmerzen wie noch was haben von dem Dieselmief“
„Also ich habe auch nicht viel Bock hier zu schlafen“
„Toto, do you know if there are some other places to sleep?“
“Maybe… wait, I’ll have a look”
Und weg ist er. Wir stehen da und schauen.
„Also wir sollten uns schon mal Schlafplätze ganz am Rand suchen,“ meine ich, „dann liegen wir wenn’s keine anderen Plätze gibt nicht mitten zwischen den Leuten sondern neben jemand den wir kennen“
„Schon“ Simon und Daniel stimmen mir zu.
Also steigen wir auf den Kasten. Was heißt steigen... zwischen Kastenoberfläche und Decke befindet sich vielleicht noch ein halber Meter Platz. Grade als ich unsere Rucksäcke in eine Ecke stapele kommt Toto zurück.
„Come on, we can sleep upside!“
Das lassen wir uns nicht zweimal sagen. Also wieder heraus aus der stickigen Enge des Laderaums. An den Aufbauten führt eine Leiter hoch, die klettern wir jetzt nach oben. Dann sind wir auf dem Dach des Schiffes. Wir sind erleichtert. Hier oben ist noch niemand außer uns, es gibt frische Luft... alles bestens. Als wir grade die erste Kippe rauchen wollen kommt noch jemand auf das Dach geklettert.
„Mein Gott, allaweil trifft man hier auf Deutsche. Grüß euch, Werner“
Ein weiterer Traveller ist zu uns gestoßen. Ein Riese, mit langen braunen Haaren, der rechte Arm ist fast völlig von einem Tribal bedeckt das sich vom Handgelenk bis hinauf zur Schulter zieht nd unter seinem ärmellosen Hemd verschwindet. Auf dem Rücken einen Rucksack und eine Gitarre. Werner aus Österreich. Vor zwei Tagen noch zusammen mit einem Engländer auf Trekkingtour in Nordthailand hat er sich zu einem Eilmarsch nach Ko Tao aufgemacht wo er eine Israelin treffen will die er im letzten Urlaub kennen gelernt hat. Ein Bandmusiker der ohne seine Reisegitarre nicht verreist.
„Sagt mal Jungs... wollen wir uns noch ein Bier holen?“ Daniel stört die andächtige Aufmerksamkeit mit der ich Werners Dschungelabenteuer lausche.
„Wie viel Zeit ist es denn noch bis zwölf?“
„Viertelstunde“
„OK, ich komme mit.“ Ich erhebe mich. „Simon, willst du auch ein Bier?“
„Klar“
„Werner?“
„Denk schon“
„Toto, you like some beer?“
“If you let me drink a littlebit from yours, its ok”
Werner und Simon drücken uns Geld in die Hand und Daniel und ich turnen vom Dach herunter und gehen zum dem Bungalow herüber in dem wir unsere Adressen ins Buch schreiben mussten... für den Fall das dem Schiff etwas zustößt. Aber diesen Gedanken schieb ich jetzt weit weg. Neben dem Bungalow ist ein kleiner Shop... von Klopapier bis Bier gibt’s hier alles wichtige... oder zumindest alles das was die Thais für wichtig halten. Und der Laden hat auch noch offen... der Besitzer weiß wohl wann hier die letzten Boote fahren. Mit fünf Bier und einer Rolle Klopapier kehren wir zurück an Bord. Das überzählige Bier ist für Toto. Klar das wir ihm eins ausgeben... schon heute Nachmittag hat er erwähnt das er ziemlich klamm ist. Das Klopapier kommt in meinen Rucksack... für denn Fall das einer von uns heute Nacht das Bordklo testen will.
Mitternacht. Am Mast, der an der Vorderseite der Aufbauten angebracht ist, beginnen die Positionslichter damit im Wechsel ihr Licht auf unsere Runde zu werfen. Unter uns geht der Bordfunk an... quäkt leise auf Thai in die Nacht. Irgendwo im Schiffsbauch erwacht der Diesel aus seinem Schlummer. Das Schiff dreht sich vom Pier weg, der Bug zeigt Richtung offenes Meer. Endlich geht’s los. Der hellerleuchtete Tha Yang Seaport zieht ans uns vorbei... oder wir an ihm... je nachdem wie man es nimmt. Überall werden Fischerboote zum Auslaufen fertig gemacht, mit ihren zehn bis zwanzig Auslegern mit Glühbirnen zum anlocken der Fische wirken sie als würden sie Lichterbäume tragen. Hier und da sieht man die Funken eines Schweißbrenners wie ein Sternschnuppenregen aufs Wasser fallen. Überall arbeitende Menschen, ihre Rufe klingen bis zu uns herüber, dieses seltsame klagende und doch melodiös klingende Thai.
Und dann haben wir den Hafen hinter uns gelassen. Nur noch die kreiselnden Positionslichter in blau und orange die unsere Gesichter beleuchten, das schaukeln des Schiffes, das klatschen der Wellen und das Gebrumm des Motors. Wir sitzen oben, rauchen und trinken unser Bier, unterhalten uns leise über Thailand, Reisen, wo man schon war und wo man noch hinmöchte, wo man gutes Dope bekommt und rauchen kann ohne das einen der Dealer an die Polizei verkauft und über Plätze die noch nicht völlig von Touristen überlaufen sind. Später packt Werner seine Gitarre aus und beginnt zu spielen. Gassenhauer... Knocking on Heavens Door und ähnliches. Anfangs versuchen wir mitzusingen, aber das lassen wir dann nach kurzer Zeit doch bleiben. Es sind schließlich noch andere Leute auf dem Schiff, und die wollen bestimmt nicht unser bierseliges Geröhre hören. Irgendwann lege ich mich zurück auf meinen Schlafsack und zünde mir noch eine Kippe an. Ich spüre das schaukeln des Bootes, die angenehm dösige Betäubung die der Alkohol hinterlässt, die schwül-warme Luft und höre Werners melodiösem Spiel zu. Und auf einmal merke ich dass ich so glücklich bin wie selten zuvor. Ich liege hier tausende von Kilometern von Zuhause entfernt auf dem Dach eines Frachtbootes dass mich mitten in der Nacht durch den Golf von Thailand trägt, mit Daniel und Simon und mit Toto dem Weltenbummler und Werner dem Musiker die ich beide erst seit heute kennen. Aber wir Fünf sind alle Traveller, und das verbindet uns, schafft Gemeinsamkeiten. Ich habe das Gefühl dass ich grade etwas ganze besonderes erleben darf, etwas dass mir keine drei Wochen Ibiza oder Amerika jemals geben könnte. Ich weiß das ich mir diesen Moment bewahren werde, wie eine leuchtende kleine Kugel die ich aus der Tasche ziehen und mich zurückerinnern kann wenn es um mich herum dunkel ist.
In sechs Stunden werden wir vor der Mole von Ko Tao sein und darauf warten an Land gehen zu können. Und während wir warten rauchen wir die erste Zigarette des Tages und sehen zu wie die Sonne hinter der Insel aufgeht, ein goldener Schimmer der sich über die Hügelkette in der Mitte der Insel tastet, über die dschungelbewachsenen Hänge herab, über die bunten Häuser am Ufer und zuletzt unsere Gesichter berührt.
[Beitrag editiert von: b2d am 01.03.2002 um 21:07]