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Kruzifix

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25.02.2004
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Kruzifix

Kruzifix


Da hängt es. Thronend und drohend über ihren Köpfen in jeder Schulstunde. Doch verdiente es diesen Platz auch? Hatte jenes heidnische Symbol wirklich das Recht, sie alle zu bevormunden? Anfangs war es ihnen noch gleich. Doch es konnte nicht für immer so bleiben.

Und so kam es, dass eine kleine Gruppe Schüler sich zusammenfand, um gemeinsam für etwas einzustehen. Es war nicht das Wagemutigste, was sie je in ihrem Leben getan hatten. Und es war sicher auch nicht das Bedeutenste. Ja, man konnte sagen, dass sie ihre Aufgabe lieber abgebrochen hätten, nicht nur aus Angst vor möglichen Konsequenzen, sondern auch aus Angst vor der Sache selbst. Doch sie wussten, dass es kein Zurück mehr gab. Sie wussten, dass ihre Zeit gekommen war. Denn heute würden sie den Direktor dazu auffordern, endlich die verdammten Kreuze abzuhängen.

Und er empfing sie auch freundlich, seine Schafe. Denn der andere Christus hätte es kaum anders getan. Und er bat sie, sich zu setzen, bot ihnen gar Kekse an, wie es die christliche Nächstenliebe gebot.
"Was kann ich denn für euch tun?" war seine hilfsbereite Eröffnungsfrage.
"Ja, wir möchten, dass endlich die Kreuze abgehängt werden." kam sogleich Josefs Eröffnungsantwort.
"Nur weil das eine andere Schule vormacht, müssen wir da noch lange nicht mitziehen. Warum wollt ihr das?" Auch Christus konnte mal barsch werden. Werner, der Unselige, ergriff das Wort:
"Ich denke, dass sich hier eine Religion über alle anderen stellt, da nur ihr Zeichen an den Wänden hängt. Ich denke, dass es in einem demokratischen Staat nicht sein darf, dass wir bevormundet werden von einer speziellen Religion, sei es das Christentum, das Judentum oder auch unser Atheismus."
"Fühlst du dich durch dieses Stück Holz bevormundet?" Christus hatte eine recht merkwürdige Haltung zu seinem Symbol. Doch Werner, der Unselige, ließ sich nicht vom rechten Wege abbringen:
"Es handelt sich weniger nur um ein Sück Holz, das würde mir natürlich nichts ausmachen, sondern vielmehr um ein Symbol. Ein Symbol für das moderne Christentum."
"Ja, natürlich, aber ist es nicht eher undemokratisch, wenn ihr den Willen der Mehrheit nicht respektiert? Der Mehrheit der Schüler ist es nämlich egal, ob das Kreuz da hängt." Christus fühlte sich auf der sicheren Seite. Seine Jünger fühlten sich auf der nicht völlig verblödeten Seite:
"Demokratie heißt nicht einfach: Die Mehrheit entscheidet! Eine Demokratie muss jedem Bürger die Möglichkeit geben, nach seinen Überzeugungen zu leben, sofern eher anderen nicht damit schadet. Die Mehrheit hat auch Hitler unterstützt. Sonst wäre er nicht so lange an der Macht geblieben." Werner verwendete gerne diesen Vergleich, denn er wusste, dass er nicht einfach so im Raum stehen bleiben würde. Doch dafür brauchte das Gegenüber, der Messias, überzeugende Einfälle. Denn war er auch reich an Keksen, so war er doch arm an guten Argumenten.
"Du wirst das doch nicht mit den Nazis vergleichen wollen Hahaha."
Christus triumphierte mit seiner vermeintlich überlegenen Sprachfähigkeit.
"Das Prinzip ist das selbe." Werner, der Unselige, ließ das nicht einfach auf sich sitzen. Doch sein Kommentar ging sang und klanglos unter wie einst Babylon und die Vernunft in diesem Land.
"Die Nazis haben auch versucht die Jugend für sich einzunehmen, ja, auch das haben sie versucht." Die Jünger konnten trotz größter Mühen keinen Zusammenhang zur aktuellen Diskussion in letzterem Satz ausmachen. Josef ergriff wieder das Wort:
"Das Bundesverfassungsgericht hat doch sogar entschieden, dass die Kreuze bei Beschwerden abgenommen werden sollen. Und das sind doch auch keine kompletten Vollidioten!"
"Natürlich nicht. Aber da brauche ich schon mehr." Werner, der Unselige, dachte an ein europäisches Gericht. Aber das war wohl nicht gemeint.
"Umfragen, sollen wir etwa Umfragen machen?" fragte er.
"Das wäre keine schlechte Idee." Christus hatte seine Fähigkeit zuzuhören anscheinend beim Kreuzgang eingebüßt. Die Jünger waren kurz vorm Verzweifeln. Nach einer kurzen Schweigeminute ergriff Christus wieder das Wort:
"Ich glaube ihr seid ein bischen intolerant. Ihr wollt doch wirklich nur Ärger machen."
"Wir sind nicht intolerant. Das Kruzifix ist ein Zeichen der Intoleranz. Wir wollen gar kein Zeichen, nicht unser Zeichen anstelle des alten." entgegnete Werner, der Unselige.
"Das Kruzifix ist ein Zeichen, das durch Kultur und Tradition entstanden ist." wußte Christus zu berichten.
"Wie das Hakenkreuz!" wußte Werner, der Unselige, kleinlaut zu entgegnen.
"Traditionen sind wichtig!" Christus hatte die Weisheit mit Löffeln gefressen.
"Traditionen hindern die Gesellschaft nur an der Weiterentwicklung!" Josef hatte eine extra große Portion.
Die Jünger mussten zur nächsten Stunde, da sie dort, wie sie erahnten, eine Stegreifaufgabe erwartete. Sie waren außerdem schon etwas sprachlos geworden aufgrund der unendlichen Weisheit Christus, ihrem Direktor.
"Ihr solltet noch einmal mehr darüber nachdenken. Ich glaube, das habt ihr nicht getan." Mit Rufen des Widerspruches und einem letzten Blick auf das riesige Kreuz an der Wand im Büro des Direktors verließen sie das letzte Abendmal und machten sich auf den Weg zu ihrer nächsten Prüfung. Sie hörten in ihrem Geist des Direktors Worte schallen, die er unausgesprochen gelassen hatte:
"Wenn Christus ein Schurke wäre, wäre er wohl ich! HAHAHAHAHAHA"

 

Hallo Andi,

was mir Deine Geschichte sagt: Alles was Bedeutung aus der Geschichte in unsere Zeit gebracht hat, darf sich nicht deshalb vor der Kritik ausnehmen, weil irgendjemand oder irendwelche für sich beanspruchen, das Rechte und Richtige zu sagen.

Was wäre aber unser Leben, wenn wir uns nicht orientieren könnten an Traditionen, selbst wenn diese immer wieder hinterfragt und erschüttert werden. Der Mensch lebt nicht aus sich selbst, er lebt, weil es viele andere gibt, die sich ebenfalls fragen, ob andere das Recht haben, vorgelebt zu haben, und um nichts anderes damit erreicht zu haben, nachgelebt zu werden. Aber wo bleibt dann der Einzelne, wenn er dies abstreift. Vielleicht wird er neue "nachlebenswerte" Gestalt.

Gut gelungen Dein Text, wenn er verstanden werden kann als Ausdruck eines Fragenden, einen Zweifelnden !

Grüße Mullinero

 

Schon ziemlich treffend interpretiert.
Natürlich kann sich der einzelne orientieren, woran er will. Wenn unser Direktor meint, dass das heute von der Kirche repräsentierte Christentum etwas ist, woran er sich orientieren möchte, so kann er das tun. Unser momentaner Religionslehrer meint dagegen, das heutige Christentum sei zu 90% heidnisch. Ich bin kein Traditionsfeind, aber wenn sich jemand dazu entschließt, mit einer speziellen Tradition nicht leben zu wollen, warum ihn dazu zwingen? Das ist eben die pluralistische Gesellschaft. Juden gehen auch nicht in eine christliche Kirche, obwohl das hier Tradition ist. Und ich gehe in gar keine Kirche, weil ich an keine höhere Macht, abgesehen von der Natur, glaube. Außerdem gefällt mir zum Beispiel Halloween besser als Fasching. Na und? Wem schadet das außer mir selbst? Die große Gesellschaft sollte also nur durch für alle akzeptable Regeln zusammengehalten werden. Oberstes Gebot: Der Einzelne kann tun, was er will, solange er andere nicht in ihrer Freiheit beeinträchtigt.

Die zentrale Aussage der Geschichte ist also: Nur weil etwas durch Kultur und Tradition entstanden ist, muss es noch lange nicht gut sein.

 

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