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- 12.02.2004
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Krumme Wege beim Streben nach der perfekten Mausefalle
Der Regen fiel in dicken Tropfen aus großer Höhe auf den schwarzen, vom gelben Licht der Straßenlaternen beschienenen Asphalt. Ich beschleunigte meine Schritte und trat endlich in den Vorraum von „Gunkel’s Bar“. Sofort hörte das Prasseln auf und eine mit Rauch und Küchendunst gesättigte Atmosphäre schlug mir entgegen, begierig mich zu schlucken.
Ich legte den tropfnassen Mantel ab und schüttelte den Hut aus, bevor ich ihn an einem Belüftungsgitter befestigte, damit er schneller trocknete. Wie hätte ich ahnen sollen, dass genau das, was ich um fast jeden Preis vermeiden wollte, hier auf mich wartete? In einer Bar auf einem Planeten mit scheußlichem Wetter, in der sonst nur Frachterpiloten und zwielichtige Elemente abstiegen.
Gunkel war ein dünnes rotbärtiges Individuum und trocknete immer Gläser ab, oder er träufelte bunte Flüssigkeiten in Gläser und warf seinen Gästen heimlich Blicke zu.
„Cripps, welch Glanz in meiner Hütte!“
Ich setzte mich wortlos an die Bar.
„Dasselbe wie beim letzten Mal?“
„Es muss eine Weile her sein.“
„Ein paar Jahre, würde ich meinen.“
Er nahm sich ein neues Glas, das er abtrocknen konnte, deutete mit seiner Nase zu einem Tisch in einer dunklen Ecke und sagte: „Die Dame wartet schon.“
Sie war Reporterin und hatte in der Justizposse der letzten Monate eine wichtige Rolle gespielt. Vor ihr lagen ein Block und ein Mini-Computer. Die klare Flüssigkeit in ihrem Glas war Mineralwasser.
„Hallo Sheila“
„Hallo Paul. Ist es nicht übertrieben, zu einem so gottverlassenen Ort zu reisen, nur für eine Unterredung unter vier Augen?”
„Bring mir mein Glas her, Gunkel!“
Ich brauchte etwas für meine Nerven. Die Leute glauben immer, Privatdetektive müssen Nerven wie Drahtseile haben. Das stimmt nicht! Wenn du abstumpfst, wirst du in der Branche nicht lange überleben.
Sie kam wie immer gleich zur Sache: „Wie wollen wir weiter vorgehen?“
Ich betrachtete ihr dezentes Kostüm, ihre großen Augen in einem runden Gesicht und fragte mich, wie es war, sie hart von hinten zu nageln. Vielleicht würde sich die Gelegenheit dazu noch ergeben.
„Bist du noch im Rennen, Sheila?“
„Ist das Rennen nicht vorbei? Wie du ja weißt, hat es mich viele Recherchen gekostet, bis ich festgestellt habe, dass auch ich nur eine Figur in seinem Spiel war. Du wirst es nicht glauben, Cripps: Auch Reporterinnen brauchen ab und zu Urlaub.“
„Den kannst du nehmen, wenn wir gewonnen haben. Am Ende wird das alles sicher eine gute Story abgeben.“
Ein Fortsetzungsroman: Privatdetektiv findet gerissenen Mörder – Scheinbar harmloser Wissenschaftler führt den Tod von 18 Menschen herbei und kann nicht verurteilt werden – Gerichtsdrama mit blamablem Ende für die Justiz.
Professor Feldmann war einer der wichtigsten Wissenschaftler seiner Generation, vielleicht das Genie unseres Zeitalters.
„Hör zu, Sheila! Wenn wir ihn nicht daran hindern, wird es weitere Opfer geben.“
„Die gibt es auch durch Krankheiten, Drogen, den Verkehr und Kriege und demnächst vielleicht durch einen Angriff der Außerirdischen. Wir können nicht verhindern, dass es Tod und Ungerechtigkeit gibt. Wir müssen irgendwann auch an uns selbst denken.“
Sie griff lässig nach ihrem Glas und führte es zu ihrem roten Mund.
„Warum bist du dann hier?“
„Weil du ein interessanter Typ bist, Cripps. Man findet keine guten Geschichten, wenn man zu Hause auf dem Sofa sitzen bleibt.“
Ich lachte. Unter dem Tisch tastete mein Fuß nach der Innenseite ihrer Schenkel.
Sie schüttete mir den Inhalt ihres Glases ins Gesicht.
Sie sah mir zu, wie ich mir mit der Serviette das Gesicht abtrocknete. Dann sagte sie: „Du hast noch immer nicht gesagt, was du vorhast.“
„Eine endgültige Lösung herbeiführen. Den Kerl erledigen.“
„Du glaubst doch nicht, dass ich dir dabei helfen werde?“
„Wenn ich Erfolg habe, wird es eine Menge Ärger geben: Der Mörder eines großen Wissenschaftlers und so weiter. Ich könnte ein paar freundliche Stimmen in den Medien brauchen und jemanden für ein paar Recherchen.“
„Ich bin nicht billig, Cripps.“
„Das ist mir klar.“
Am nächsten Morgen erwachte ich früh. Es dauerte etwas, bis ich wusste, wo ich war: In einem Motel auf Pollux, einem Planeten, dessen Terraforming gründlich danebengegangen war. Neben mir lag die Rezeptionistin: Drall, weich und in Träume versunken wie eine Katze, mit einer weißen Haut, die im Licht, das durchs Fenster hereinfiel, wie von Blütenstaub bedeckt schimmerte. Gestern nacht hatte ich sie unter dem Vorwand, es sei etwas mit der Dusche nicht in Ordnung, ins Zimmer gelockt. Es war einfach, sie abzufüllen, um sie anschließend in alle Löcher zu ficken.
Ich zog ihr die Decke weg und gab ihr einen Klaps auf den nackten Hintern.
„Aufstehen, Süße! Ich kann nicht nachdenken, wenn jemand bei mir ist.“
Sie schlug bestürzt die Augen auf.
„Zieh dir etwas über und geh raus!“
Sie beschimpfte mich fast eine Viertelstunde lang. Auch das ist eine gute Methode, um richtig wach zu werden!
Ich trat zum Fenster und schaute hinaus zu den Kolonnen von Raumschiffen, die über den Himmel zogen wie Ameisen. Trotz des dauernden Regens war Pollux ein wichtiger interstellarer Verkehrsknotenpunkt. Eine Welt, die Fluchtmöglichkeiten in alle Richtungen bot.
Ich betrachtete meinen nackten Körper im Spiegel: Die dicken Oberarme mit den Tätowierungen: Ein Drache, ein Geier, ein Totenschädel und ein Sinnspruch: dum spiro, spero. Den runden Bauch und die hässliche Narbe vom Nabel bis zur linken Brustwarze. Ich konnte von Glück sagen, dass ich noch lebte!
Unsere Narben zeigen uns, dass die Vergangenheit real war. Wir nehmen sie mit in eine Zukunft, die wir nicht vorwegnehmen können. Bis auf ihn. Er konnte es offenbar.
Und genau das war mein Problem. Ich schlug mir ein paarmal klatschend auf den Bauch, um meine Lebensgeister zu wecken und seufzte unwillkürlich.
Beim Rasieren dachte ich an Mausefallen. Die sind nichts weiter als Komponenten, verbunden durch Kausalität, aber die Mäuse, die dummen Biester, sehen nicht, wie sie zusammenwirken. Trotzdem ist es uns nicht gelungen, sie auszurotten. Interstellare Reisen, Genetik für alle, Lebensverlängerung, Supercomputer und multiple Orgasmen: Alles kein Problem! Aber ein paar Mäuse daran hindern, uns zu folgen? Keine Chance.
Ich stelle mir immer vor, dass Professor Feldmanns Arbeit darin besteht, komplizierte Mausefallen zu bauen: Man arrangiert Komponenten so, dass sie bestimmte Effekte auslösen: Allgemeinen Wohlstand, militärische Überlegenheit und so weiter. Kein Wunder, dass die Regierung, das Militär und die Geheimdienste ihn lieben!
Dummerweise beschäftigte er sich in seinen Mußestunden nicht mit Rosenzucht oder Philatelie, sondern er baute Fallen, um Menschen umzubringen: Ein bis zweimal im Jahr, in den vorlesungsfreien Zeiten, gönnte er es sich, den einen oder anderen Zeitgenossen ins Jenseits zu befördern: Blumentöpfe fielen aus oberen Stockwerken, Leute entwickelten tödliche Allergien, oder starben vor Schreck, Haustiere verwandelten sich in Bestien, Geräte gaben den Geist auf oder wurden zu Mordmaschinen und immer kam jemand dabei ums Leben.
Ich schöpfte vor einem halben Jahr Verdacht, als ich Abenteuerurlaub auf dem Mars machte und mir auffiel, wie bereitwillig die lokale Polizei eine Reihe von Unfällen mit tödlichem Ausgang ignorierte.
Bergsteigen, über Hängebrücken balancieren und Workshops, bei denen man über glühende Kohlen läuft, sind auf die Dauer recht eintönig, also habe ich mir die Unfälle genauer angesehen. Den Professor aus Cambridge mit dem Kahlschädel und dem gepflegten Haarkranz, der immer ein weißes Hemd und eine Fliege trug und in Ausdruck und Gestik an eine auf den Hinterbeinen gehende Eidechse erinnerte, verdächtigte ich sofort, denn er war bei jedem einzelnen Fall wie zufällig in der Nähe und beantwortete allzu bereitwillig meine Fragen. Heute weiß ich, dass er mich schneller durchschaute als ich ihn.
Im „Hagakure“ heißt es: Wenn du dich entschlossen hast, einen Menschen zu töten, ist es am besten, augenblicklich anzugreifen. Ich drängte meine Freunde bei der marsianischen Polizei, Feldmann wegen dringenden Tatverdachts zu verhaften, lockte Journalisten an, gab Interviews, fälschte Beweise, schrieb an Politiker, besuchte die Angehörigen sämtlicher Opfer, die ich fand. So brachte ich Feldmann vor Gericht. So schuf ich einen Zusammenschluss von Angehörigen. Wir engagierten einen ehrgeizigen Anwalt, der den juristischen Angriff koordinierte. In der Horde der Journalisten, die im Namen der Öffentlichkeit eine Aufklärung der Fälle forderte und selbst Nachforschungen anstellte, entdeckte ich Sheila: Sehr ehrgeizig, sehr effizient, ohne hinderliche Loyalitäten, mit außerordentlich schönen Titten.
Haben Sie je versucht, einen Aal in seinem eigenen Element festzuhalten? Falls Sie je auf den Gedanken kommen sollten: Lassen Sie es bleiben!
Als Kernfrage des Prozesses kristallisierte sich nach einigen Wochen heraus, ob Handlungen, die sonst normal und alltäglich sind, wenn sie so unwahrscheinlich oft zum Tod anderer Menschen führen, dass die Häufung der "Unfälle" auf Vorsatz hindeutet, nicht nur Morde im Sinne des Strafgesetzbuchs sind, sondern auch als solche geahndet werden können: Jemand klatscht unter einem Gerüst in die Hände. Ein Bauarbeiter erschrickt und bemerkt nicht, dass ein Kollege ihm ein Werkzeug zuwirft. Es trifft ihn, er fällt vom Gerüst und stirbt. Ist der In-die-Hände-Klatscher ein Mörder? Und das war noch einer der Anlässe, die sich am ehesten gegen Feldmann verwenden ließen!
Spätestens an diesem Punkt war mir klar, dass es keine Verurteilung wegen Mordes geben konnte. Also versuchten wir es mit einer hieb- und stichfesten Anklage wegen Fahrlässigkeit mit Todesfolge in wenigstens einem gut dokumentierten Fall. Für mich war es eher ein Ablenkungsmanöver als eine echte Hoffnung. Ich reiste an diesen entlegenen Ort, um Plan B vorzubereiten: Da das Rechtssystem Feldmann nicht unschädlich machte, musste jemand anderer es tun. Ich wollte ein paar Monate untertauchen, eines Tages unter falschem Namen zur Erde fliegen und dem Professor in einer seiner Lehrveranstaltungen das Licht ausblasen. Ich wusste damals selbst nicht, warum mich Feldmanns Morde so maßlos ärgerten, aber es war kein schlechtes Ende für einen Universitätslehrer, wie ich fand...
Eine Stunde vor dem zweiten Treffen mit Sheila öffnete ich das große Fenster meines Zimmers. Draußen war ein quadratischer Innenhof und etwa zwanzig Meter schräg unter mir sah ich durch den Regen zwei Gestalten. Auf einem der Hoteltische, die überall dieselben sind, lagen ein zweischüssiges Präzisionsgewehr und ein Fernglas mit integriertem Nachtsichtgerät und Richtmikrofonen. Beide Geräte hatte ich bei der Einreise als Angelausrüstung und Mediaplayer getarnt und mich selbst als harmlosen Individualtouristen (oder wie immer das heißt). Ein Kugelschreiber, der auf Knopfdruck ein Projektil abfeuern konnte und ein Computer mit Spezialprogrammen, um Passwörter zu knacken, Alarmanlagen zu deaktivieren und so weiter, machten meine Ausrüstung komplett.
Mein künstliches Auge erfasste die beiden Gestalten, zoomte etwas näher und testete das Mikrofon. Es war ein Paar um die Sechzig, sie alternativ angehaucht und er ein langweiliger, gut genährter, graugesichtiger Bürger. Sie waren mit einem Hündchen draußen, einem sehr dicken Mops. Ich beobachtete sie eine Weile. Je länger ich ihnen zusah, desto mehr ekelten sie mich an: Sie widmeten ihre Aufmerksamkeit ausschließlich dem kleinen Hund, nannten sich „Mammi“ und „Pappi“ und verwöhnten das mit seiner langen Zunge nach Liebe hechelnde Vieh mit Zärtlichkeiten und Leckereien. Sie waren wohl auf der Durchreise in diesem Sektor, in dem auf manchen Welten die Kinder verhungerten.
Ich spielte mit dem Gewehr, wog es in der Hand, steckte zwei Patronen hinein, schloss es an das Fernglas an.
Nur künstliches Licht und Regentropfen fielen auf das Fell des kleinen Hundes, der ein idiotisches Kunststück machte, um Mammi und Pappi zu unterhalten.
Ich drückte ab. Guter Schuss! Das Hündchen stand still, riss die Augen auf.
Die Kugel hatte seinen Körper auf ihrer Flugbahn durchquert und sich wohl in den aufgequollenen Rasen gebohrt.
Mammi und Pappi brauchten eine Weile, bis sie merkten, dass etwas nicht stimmte. Ich beobachtete das folgende Schauspiel mit abgeschaltetem Ton: Die Frau näherte sich dem Körper langsam wie eine Mutter einem kranken Kind, dann schneller, beugte sich hinunter, bäumte sich auf, schrie. Der Mann kam gelaufen. Sie hielt den toten Körper in den Armen. Sie schluchzte. Der Mann wusste nicht, was er tun sollte. Ich hörte ihre Klagen auch ohne Ton. Aber der Regen schluckte viel.
Ich lehnte mich zurück und grinste. Meine Finger öffneten die Verpackung einer dicken Zigarre, einer „Thalatta“ vom Planeten Ulmer drei, die aus nikotinhaltigen Algen gemacht wird. Meine Nasenflügel sogen den erfreulichen Duft ein.
Damit hatten diese Sodomisten sicher nicht gerechnet! Manchmal juckt es mich einfach, etwas abzuknallen.
Zum Rauchen ging ich hinunter zur Vordertür, lehnte mich an die Mauer und toastete die Zigarre mit der Flamme eines Streichholzes, bevor ich sie in den Mund steckte und blauen Rauch in die Nacht hinaus blies.
Beim Rauchen jagte eine Flut von Gedanken durch meinen Kopf und ich fühlte mich bedrückt. Nachher drehte ich mich um, öffnete die Hose und pieselte gegen die Mauer. Einige Passanten unter Regenschirmen kamen vorbei, wie meistens bei solchen Gelegenheiten. Ich grüßte sie, indem ich kurz an die Hutkrempe fasste.
In Gunkel’s Bar lungerte die übliche Klientel herum: Frachterpiloten in Trainingsanzügen, manche mit Arbeitshandschuhen oder Teilen von Strahlenschutzausrüstungen. Der Rest der Kundschaft waren Nutten, deren Kleidung ihre Paarungsbereitschaft signalisierte. Der Zustand war nach den Maßstäben des Gender-Mainstreaming nicht gerade ideal. Man muss aber sagen, dass die Nutten es hier besser hatten als in eigenen Studios. Hier konnten sie sich die Kunden aussuchen. Man stelle sich vor, wie das sein muss: Du siehst dich in der Bar um und fragst dich, wer wohl Lust hätte, dich zu ficken.
Gunkel hatte ein Glas in der Hand, putzte es, nickte mir zu. Ich rief: „Wo bleibt mein Whiskey, du rotbärtiger Schandfleck für jede aufrecht gehende Spezies?!“
Er lachte gezwungen. Er hatte kaum Sinn für Humor, aber wenistens verstand er etwas von gutem uisce beatha und hatte wie es schien immer einen Paddy vorrätig.
Fünf Minuten vor der vereinbarten Zeit: Ich ließ die Schlagzeilen meines Lieblingsmagazins über das Display meines Taschencomputers wandern. Noch immer war die alles beherrschende Nachricht der Kontakt unserer Föderation zu einer außerirdischen Spezies. Es gab noch nicht einmal einen Namen für DIE, aber aus den Artikeln ging hervor, dass der Umgang mit DENEN weit weniger lustig war, als der mit den Außerirdischen in den meisten Science-Fiction-Romanen und –Filmen:
Irgendwann trafen Kundschafter auf fremde Raumschiffe, die sehr groß waren. Es vergingen Tage mit Experimenten mit Funk- und Lichtsignalen und geflogenen Figuren. Es muss ein erhabener Anblick gewesen sein, ein kosmisches Ballett mit einer eigenen Ästhetik. Als man sich halbwegs verständigen konnte, kam die erste unmissverständliche Botschaft von DENEN: „Es ist Ihnen verboten, in den vor Ihnen liegenden Sektor einzudringen.“
„Gründe?“ fragten unsere Forscher etwas lapidar.
„Unser Territorium,“ antworteten DIE.
Als IHRE Forschungsschiffe kamen, erhielten sie die Botschaft: „Es ist Ihnen verboten, in den vor Ihnen liegenden Sektor einzudringen.“
Die gute alte Tit-for-Tat-Strategie...
Endlich kam sie! Mein Blick folgte ihr vom Eingang weg, haftete an ihr, als sie sich durch die Sitzenden zwängte. Es war deutlich, dass sie das Lokal nicht mochte. Sie trug ein elegantes braunes Kostüm unter einem gelben Regenmantel und eine nach Geschäften aussehende Tasche. Ich atmete ein, als sie drei Schritt entfernt war, um ihren Geruch in mich aufzunehmen wie ein Weinkenner ein Bouquet.
„Hallo Paul,“ sagte sie, „Entschuldige die Verspätung.“
„Kein Problem, Sheila. Wie steht es mit deinen Planungen für eine Kampagne, die ich mir leisten kann?“
„Man muss schon sehr fanatisch sein, um die Tat, die so eine Kampagne notwendig machen würde, als gegeben vorauszusetzen.“
Ich rückte meinen Teller Grillensoufflée beiseite. Meine Kiefer mahlten und zermalmten Insektenleiber. Den Bissen spülte ich mit einem Schluck Wein hinunter.
Dann sagte ich: „Es ist keine große Sache, einen Menschen umzubringen.“
„Doch, Cripps, es ist eine große Sache! Er ist ein Mensch und er hätte noch viele Jahre vor sich.“
„Nach unserem letzten Treffen dachte ich, wir sind uns einig.“
Sie blickte verlegen zur Seite. War sie doch nicht so abgebrüht, oder spielte sie mir etwas vor?
„Warst du es nicht, die gesagt hat, dass wir nicht verhindern können, dass es Tod und Ungerechtigkeit gibt?“
„Das können wir nicht, ja. Aber niemand zwingt dich, diesen Menschen zu töten!“
„Er ist ein Massenmörder und ich bin der einzige, der ihn stoppen kann.“
Jetzt setzte sie sich kerzengerade hin, sah mich böse an und erklärte: „Ich habe den Prozess genau verfolgt und obwohl viele Indizien für deine Version sprechen, gibt es keine Beweise, deshalb...“
Und jetzt kam das dicke Ende!
„...habe ich mich entschlossen, eine dritte Person an unserem Gespräch zu beteiligen.“
Während dieser und der folgenden Szene beschallte Gunkel das Lokal mit Bebop, einer spielerischen Form von Jazz. Die Akustik war sehr gut. Es war beinahe, als spielten Charlie Parker und Dizzy Gillespie jetzt in diesem Raum und wir hatten die Ehre, zuzuhören.
Begleitet von Parkers Altsaxophon drängte sich Feldmann (ja, er war es wirklich!) zu unserem Tisch. In dem eckigen Reptiliengesicht standen Freude und vertrautes Erkennen, wie bei einem Touristen, der an einem fremden Ort zurück zu seiner Reisegruppe stößt. Ohne das geringste Zögern setzte er sich zu uns und sagte: „Schön, dass Sie beide schon da sind. Das Lokal hier war leicht zu finden. Es scheint ein Treffpunkt für Frachterkapitäne und ein Zentrum für Prostitution und Waffenhandel zu sein, wie?“
Ich war so verblüfft, dass ich kein Wort herausbrachte. Das verräterische Weib an meinem Tisch sagte mit sichtlichem Vergnügen: „Guten Abend, Professor Feldmann! Schön, dass Sie sich freimachen konnten.“
„Aber gerne, meine Liebe! Wir drei haben uns so lange miteinander beschäftigt. Es ist wirklich höchste Zeit, dass wir mal ein Gläschen zusammen trinken.“
Ich musste lachen. Dann sagte ich giftig: „Leider ist es mir nicht gelungen, Sie ins Gefängnis zu bringen, Feldmann. Und der schwache Charakter einer gewissen Person hat es sehr fraglich gemacht, dass sich diese Angelegenheit in meinem Sinne entwickelt.“
„Das hast du schön gesagt, Paul,“ sagte Sheila und tat so, als fiele ihr plötzlich ein, dass sie einen Termin hatte: „Mein schwacher Charakter! Ich habe dem Herausgeber eines Frachterpiloten-Magazins versprochen, die Rastplätze hier zu beschreiben. Du weißt ja, Paul, dass ich so schlecht nein sagen kann. Dabei fühle ich mich nicht besonders, heute. Der ewige Regen macht mich fertig. Ich sollte mir etwas zum Lutschen holen, für den Hals.“
„Wie wärs mit meinem Schwanz?“
Sie lachten beide, wie über einen harmlosen kleinen Scherz und zu den Klängen von „A Night in Tunisia“, der Nummer mit dem berühmten Break im ersten Take, bewegte sich Sheila aus unserem Blickfeld.
„Sie sind ein lustiger Bursche, Cripps. Denken Sie nicht, ich hätte das nicht bemerkt, obwohl Sie mir in letzter Zeit einige Ungelegenheiten bereitet haben!“
Da saßen wir also, zwei Männer, die einander den Tod wünschten und führten eine freundliche Unterhaltung. Aus der Näche betrachtet, sah Feldmanns Gesicht weniger glatt aus. Ich fühlte mich wie ein Nagetier beim Small-Talk mit einer Schlange.
„Was werden Sie als nächstes tun, Feldmann, jetzt wo Sie ein freier Mann sind?“
„Ich denke, ein guter Anfang wird sein, ein Bier und ein Himbergelee zu bestellen.“
Er winkte eine Kellnerin heran.
Ich sagte: „Sie wissen sicher längst, dass ich beschlossen habe, Sie zu töten. Sie sind eine Gefahr für die Allgemeinheit und um ehrlich zu sein bereitet es mir Alpträume, wenn ich mir vorstelle, dass einer wie Sie Verhandlungen mit DENEN führt.“
Die kaugummikauende Kellnerin, ein dumm aussehendes Weib mit großen Titten, erschrak.
Feldmann sagte: „Ihre Offenheit ist erfrischend, Cripps. Aber Sie unterschätzen mich. Über Ihre Absicht, mich aus dem Verkehr zu ziehen, war ich schon im Bilde, als Sie anfingen, mir auf dem Mars hinterherzuschnüffeln“
„Dafür muss man kein Genie sein.“
Sein maliziöses Lächeln war entwaffnend. Er bewegte sich vor und nahm meine Hand wie die eines guten Freundes und sagte: „Nein, das muss man nicht. Wissen Sie, Cripps, ich will Ihnen etwas erzählen, weil wir gerade so nett beisammen sitzen: Alle komplexen Vorgänge haben einen einfachen Kern. Man muss kein Genie sein, um zu verstehen, es ist eher eine Frage der Zeit und der Quantitäten. Das Genie aber drückt sich in der Fähigkeit aus, zu erkennen, wo noch kein Wissen ist.“
Ich schluckte erst mal und Feldmann bestellte bei der Kellnerin, die immer noch blöde an unserem Tisch stand.
Er fuhr fort: „Mein erster Schritt auf dem Weg zu einem brauchbaren Strategen war meine Bewunderung für einen Schachspieler des 20. Jahrhunderts namens Bobby Fischer, der 1972 bei der aufregendsten Weltmeisterschaft aller Zeiten Boris Spasski besiegte. Der Name sagt Ihnen sicher nichts, aber ich denke, auch Sie wissen, dass der Verlauf einer Partie Schach von den Zügen zweier Spieler abhängt. Wie ein Schachspiel verläuft, hängt von den Zügen zweier Spieler ab. Bei Fischer war es manchmal so, als wirkte nur ein Wille, nämlich seiner, der sich durch ein kunstvolles Geflecht von Zügen den Weg zu genau dem Ergebnis bahnte, das er anstrebte.
Dieses Genie bewunderte ich. Wie so oft, war auch bei mir die Mimesis die Vorbereitung der Poiesis. Ich habe mich vor langer Zeit entschieden, mein ganzes Dasein der Kunst zu widmen, Dinge, Kräfte und Menschen so zu behandeln, dass ich ihr Verhalten, ihre innerste kausale Natur, auf eine Weise zum Teil meiner Pläne machen kann, dass sie zu Erfüllern meines Willens werden, obwohl sie das nicht merken. Wenn also unserer Spezies am Ende aus der Beziehung zu DENEN mehr Vorteile als Nachteile erwachsen werden, ist das nicht zuletzt das Verdienst der Kunst von Robert James Fischer.
Ich sage Kunst, weil das ganze Universum das Ergebnis künstlerischer Schöpfungsakte ist. Auch wenn Sie in der Ihnen eigenen Sturheit das nicht zur Kenntnis nehmen.“
Ich entgegnete: „Es geht hier nicht um Ihre Verdienste als Wissenschaftler. Ich kann es nur nicht leiden, wenn einer seine Mitmenschen jagt, als wären es Hasen.“
„Oder kleine Hunde,“ ätzte er und fügte hinzu: „Jetzt geben Sie doch zu, dass wir uns ähnlich sind! Similis similibus solvuntur, wie es so schön heißt.“
Ich ächzte. Zu meinem Bedauern wurde mein Essen kalt.
Ich sagte: „Es gibt einen Unterschied zwischen uns, Feldmann: Ich stehe auf der Seite des Rechts und Sie sind ein Mörder.“
„Ist das wirklich so? Mir scheint eher, ich bin ein freier Mann und ein berühmter Wissenschaftler mit gewissen Privilegien. Sie hingegen, Cripps, sind ein mittelmäßiger Privatdetektiv, dessen Ruf nach dem Scheitern des Prozesses, den Sie auf die Beine gestellt haben, zumindest fragwürdig ist.“
Sein Eidechsengesicht nahm einen bösartigen Ausdruck an. Er beugte sich vor und raunte mir zu: „Und genau deshalb bin ich auf diese abgelegene Regenwelt gereist: Um Ihnen das ein für alle Mal klarzumachen! Sie haben vielleicht geplant, nach Cambridge zu reisen und mich zu töten. Nun, ich wollte Ihnen diese Mühe abnehmen. Hier bin ich! Näher werden Sie mir nicht kommen. Wenn Sie mich wirklich töten wollen: Nur zu!“
Da übernahm meine Wut auf den Kerl die Kontrolle und meine Fingerspitzen machten sich bereit, schnell zu handeln. Die Chance war da! Ein schneller Griff in die Brusttasche und der Schussstift schnellte heraus.
Ein Lichtblitz fegte ihn mir aus der Hand! Ich konnte nichts mehr sehen. Die rechte Seite meines Gesichts brannte.
Ein Scharfschütze von einer Spezialabteilung des Geheimdiensts hatte uns die ganze Zeit von einem der Nachbartische beobachtet und er war gut! Feldmann hatte ihn gebeten, ihn zu retten, wenn es nötig war. Das Phasergewehr, das er verwendete, benutzten sonst nur die Elitetruppen der föderalen Armee.
Im Lokal brach Panik aus. Die Polizisten, die mich verhafteten, kamen schnell. Das erste was ich sah, als meine Augen sich von dem Lichtblitz erholten, war Feldmann, der sich zurücklehnte, wie jemand, der eine wichtige Aufgabe erledigt hat.
Erst auf dem Weg ins Krankenhaus begannen die Schmerzen.
Die Justiz in unserer Gesellschaft lässt nicht nur die gefährlichsten Verbrecher auf freiem Fuß. Eine weitere ihrer Eigenarten besteht darin, dass sie immer wieder unschuldige Menschen ins Gefängnis bringt, manchmal sogar in die Todeszelle. Ebendorthin wo ich jetzt war.
Ob es wohl Zufall war, oder eine weitere Folge von Feldmanns Plänen, dass auf Pollux der Versuch, einen Menschen umzubringen, gleich beurteilt wurde wie ein erfolgreicher Mord? Die Richterin war eine beinharte Hinterwäldlerin mit festen Prinzipien, die die halbherzigen Versuche meines Verteidigers, ein anderes Urteil als die Todesstrafe zu erwirken, nicht einmal zur Kenntnis nahm.
Zeitpunkt der Vollstreckung: In einer halben Stunde. Vorgangsweise: Der Delinquent (also ich) wird in einer Druckkammer in die Luft gesprengt. Eintritt des Todes: Sofort.
Wenigstens das hatte etwas Tröstliches.
Ich lag auf der Pritsche in der Todeszelle und untersuchte meinen Armstumpf. Die Ärzte waren bei der Amputation meiner verbrannten Hand nicht gerade zartfühlend gewesen. Es ist ein komisches Gefühl für einen, der sein Leben lang zwei gesunde Hände hatte, nur mehr eine zu besitzen. Und es tat höllisch weh.
Ein Wärter in einer altmodischen Uniform trat schließlich ein und fragte: „Fertig, Cripps?“
Er hatte gewisse Schwierigkeiten, mir Handschellen anzulegen.
Der scharfsinnige Leser mag einwenden, dass es mir gelungen sein muss, der Vollstreckung der Todesstrafe zu entgehen, aus Gründen der Logik, der Kausalität und so weiter. Schließlich könnte ich die Geschichte sonst nicht erzählen...
Ich ging vorbei an anderen Todeszellen durch lange Gänge zur Druckkammer, die mit einem großen Sichtfenster versehen war und ungefähr aussah wie ein Backrohr. Etwa fünfzig ernst dreinblickende Menschen waren gekommen, um zuzuschauen.
Als alles bereit war, kam eine Nachricht vom Justizministerium: Der Kläger hatte seine Anklage zurückgezogen.
Es kam mir noch skurriler vor als alles andere und ich habe es nicht gleich geglaubt. Dennoch ist es so, dass auf Pollux sogar Urteile für Kapitalverbrechen gegenstandslos werden, wenn der Geschädigte seine Klage zurückzieht.
Der Gefängnisdirektor trat vor die Zuschauer und verlas mit immer größer werdender Ergriffenheit einen Brief von Feldmann, in dem dieser mitteilte, dass er nicht wünschte, der Grund für den Tod eines anderen Menschen zu sein, auch wenn dieser mit seinen Anschuldigungen fast seine berufliche Existenz beendet hatte und so weiter.
Einige Wochen später geschah etwas Seltsames: Eine mir unbekannte Gesellschaft überwies einen großen Betrag auf mein Konto und ein Unbekannter sagte in einem beiläufigen Gespräch, dass es Feldmann sicher nicht Recht war, wenn ich weiterhin den Beruf des Privatdetektivs ausübte. Ich verstand und schloss mein Büro sofort.
Neue Zahlungen kamen. Genug, um mir von einem Spezialisten eine neue Hand anfertigen zu lassen und die Transplantation zu bezahlen.
Es war vielleicht Feldmanns seltsamer Sinn für Humor, der ihn dazu brachte, seinem Feind nicht nur die Freiheit zu schenken, sondern ihn sogar finanziell zu unterstützen. Wollte er, dass ich wieder auf die Füße kam und mich erst dann vernichten? Ich entschied, dass es das beste war, das Geld zu nehmen und mich erst einmal zu erholen.
Sie fragen, ob ich es bedaure, dass ich Feldmann nicht daran hindern kann, weitere Menschen umzubringen? Es kommt hin und wieder vor. Aber ein Mann muss erkennen, wo seine Grenzen sind.