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Kroatien
Kroatien.
Das Blut schwieg auf einmal in meinen Bahnen. Ein kalter Schauer lief mir den Buckel runter. Ein Gefühl, als stünden die Haare zu Berge. Ein Hauch von Wind, als käme er direkt von Eisbergen. Mein Herz glaubte sich bekrallt.
Ich wandte mich um, blickte vorbei an meinem Pfeiler im Smaragd, an dem ich lehnte und gerade eine andere Geschichte schrieb. Ein Engel mit dunklem, brünetten Haar, so fast ins Schwarz getaucht, schritt in wiegenden Stiefeln, die Jeans hinein versteckt, die Wendeltreppe herab. Vielleicht achtzehn, höchstens zwanzig Jahre alt. Mein Herz schlug einen Purzelbaum. Ich erstickte.
Ich rechnete kurz nach. Da war auf einmal Alles wieder da. Kroatien. Lange, lange vor dem Krieg. Das Meer. Der weite Strand. Die Sonne. Und dieser weite Irrsinn von einer unschuldig, paradiesischen Schuld von Gesicht.
Das Abbild stand auf der Stiege, sah mich an, die Augen auf einmal weit geöffnet, als wenn ... doch dann registrierte sie meine Jahre, blickte weg ... schwebte mich nicht mehr beachtend die Stiege herab. Ihre Freundinnen platschten dagegen fast hinterher.
Das Gesicht ... genau in ihrem Alter. Sie konnte ein wenig deutsch, ganz gut englisch. Wir fackelten nicht lange und gingen gleich Hand in Hand. Der Urlaub war gerettet, und das schon an seinem ersten Tag.
Hand in Hand, mehr war nicht. Na, ein wenig mehr schon, aber ... eh schon wissen. Bussi, Bussi, ... und so. Die Fingerspitzen suchten nach Haut. Auf der Decke rieb sich meine weiße, heiße Haut an noch viel heißerer Sommersonnenkroatienhaut.
Wir flogen auf meiner funkelnagelneuen Honda Bol D´or 900 zu den Stränden des Nichts. Unser langes Haar zerwehte den Wind. Damals trugen wir ja das Risiko des Geschwindigkeitsrausches noch selbst und so ganz ohne die Pflicht des Helms. Wie oft zerprallte da eine arme Mücke geil am Wangenweich.
Vier steile, fesche und so geile Jungs often heiß über das dunstiggraue Glitzerhitzeband von Asphalt ins grelle Sonnenlicht. Hinten drauf jeder eine Braut fürs Leben. Meine drei Freunde von Damals hatten jeder eine heiße Windsbraut aus Deutschland hinten drauf. Am dritten Tag schon lachten sie mich aus. Sie hatten alle schon gefickt. Ich hielt noch immer Händchen.
Mann, war das geil. Sie war ja noch Jungfrau. Egal. Wenn es denn sein hätte müssen, hätte ich mein ganzes Leben lang mit ihr Händchen gehalten.
Nach einer Woche lachten sie noch mehr. Die Tage flogen dahin, wie angesogen von einem Schwarzen Loch im Urzeitenmeer. Mir war nur noch schwindelig. Ich trieb auf der Stelle. Das Rau meiner Gashand gab Gas auf ihrer Perlmutthaut. Meine Gashand und auch die über der Kupplung, sie feierten Schalt- und Streichelfeste aus reinsten Zärtlichkeiten. Ich war krank. Ich stank ... vor Liebe.
Wir schmiegten aneinander stundenlang. Mein Schwanz stand stundenlang angepresst an ihrem Bauch, ihrem Oberschenkel, ihrem Beckenknochen. Manchmal presste ich ihn schamhaft gegen eine Brust. Mein Schwanz zerschnitt das Gebein ihrer so schamlos gschamigen Scham. Die Badehose war dauernd ein paar Nummern zu klein ... und vorne nass, ... vom So und vom So. Im Meer herum geturtelt und geplantscht haben wir ja auch. So und so. Der Kopf meiner Nudel schnupperte dauernd Frischluft, sah keck und doch versteckt verdeckt und so abgeschnürt über einen dauernd nassen Badehosenrand, aus welchem Grund auch immer.
Zum Glück war es unser Strand. Die anderen badeten nackt, ein paar hundert Meter weit entfernt. Wir wollten ganz alleine sein. Sie wollte es nicht, nackt baden. Sie hatte wohl Angst. Und mir war Alles so egal. Haut, Haut. Mein ganzes Ich schrie nach ihrer Haut. Sonst war Alles so egal.
Gegen Ende der zweiten Woche hatten sie aufgehört zu lachen, hatten wohl kapiert, dass da mehr war, als bloß Liebe. Und es lief ihnen nicht mehr so gut. Die deutschen Hasen waren schon daheim. Die, die nachher kamen, auch schon. Und ich war noch immer übers Händchen halten, übers Küssen und Streicheln nicht hinaus. Wir verträumten die Zeit. So schön. So wunderschön. Wir träumten uns ins Morgen. Wir flogen Geschichten vom Nichts ins Nichts.
Sie war vom Land, vom tiefen Land Kroatien. Selbst eine österreichische Unschuld vom Land war damals nicht so unschuldig. Selbst Fern sehen kannte sie nur vom Gasthaus im Ort und von den Urlauben bei ihrer Schwester, die in P. lebte, verheiratet war, zwei Kinder hatte und eine Touristenbar des Nachts bekellnerte.
Mylena war der engelhafte Gruß aus einem apfellosen Paradies. Keine Sünde weit und breit und doch die reinste Sünde. Wir entparadiesten uns im Herzerlschmerz. Haut trank Haut, Haut stank nach Haut und sonst war nichts. Die zweite Woche erbrach sich wie ein Vollrausch in die Zeit und war vorbei.
Dann: noch vier Tage. Dann: nur noch drei. Verdammt! Dann nur noch zwei. Dann kam die letzte Nacht. Sie weinte. Ich heulte mit. Ich hatte meine Freunde seit Tagen schon nicht mehr gesehen. Wir schliefen immer am Strand. Ihre Schwester scherte sich zum Glück um Nichts. Ich lernte schon kroatisch. Ihr Deutsch war schon fast perfekt. Ha. Ich bin halt ein guter Deutschlehrer. Ich begänsehautete sie, ließ meine Wangenhaut in einem Meer der Goosepumps auf ihrer Brust ertrinken, und hauchte ihr Inspirationsexplosionen von Gedichtsekunden auf die Haut. Diese Gedichte hat dann nie wieder ein Dichter nieder geschrieben. Schade drum, waren so ziemlich das Beste, das mir je entfloss.
Diese Gedichte blieben einfach auf den damals noch so friedlich dahin schlummernden Steinen Kroatiens liegen. Verdammt, was haben sie diesen meinen Steinen bloß angetan?
Wir lagen die letzte Nacht allein am Strand, wie schon die letzten Nächte davor. Petting kannte sie nun schon, Petting bis ins allerletzte Klitzekleindetail. Ihr Blut floss schaumig weiß. Und wir schliefen nun auch schon nackt. Sie rieb sich auch schon im Schlafsack an meinem armen, harten Schwanz. Zwei Nächte zuvor hat sie mir den ersten geblasen. Gar nicht so schlecht für das erste Mal. Das hatte Zukunft. Inzwischen hielt sie die Gurke schon fast wie eine Nutte aus dem Red Light Distrikt in Amsterdam. Ich hoffe zumindest, die halten ihn dort so, sonst ist dort jeder Euro umsonst. Ich habe ja, ehrlich gesagt, keine Ahnung davon. Ha, ich sage da nur: Kroatien.
Und dann saß sie wieder auf mir. Sie rieb sich und rieb sich, schnurrte und gurrte, brummte mit mir gemeinsam wie ein aufgescheuchter, wild gewordener Hornissenstock. Wir schwammen beide, wie immer, für Nichts. Und dann: diese Augen. Ich tat auf einmal nichts mehr. Ich schwieg. Ich schwieg und verlor mich in diesem schwarzen Meer eines Blicks. Mein ganzer Körper war nur noch tiefstes Schweigen. Ich zitterte. Ich hatte Angst. Nein, tu es nicht. Was wird dann?
Ich liebe dich! Da, sie sagt es wieder: Ich liebe dich! Noch mal und noch mal. Schneller und schneller und so ganz anders als in den Tagen zuvor: Ich liebe dich! Und dabei wetzt sie ganz wild. Und dann greift sie mit ihrer Hand einfach runter an den Schwanz, setzt ihn sich an und sagt: Nimm mich! Nimm mich! Ich verglitsche. Wieder: Nimm mich! Sie wetzt herum. Noch mal: Nimm mich! Sie ist auf einmal irre aggressiv. Nimm mich! Nimm mich! Sie schreit.
O Gott, o Gott, nein ... ja, o Gott ... nein ... ja: Nimm mich! Und ich hau ihn einfach rein. Ich glaube, es hat ihr nicht einmal weh getan. Sie moved einfach weg, wie meine 900er Bol D`or, wenn ich sie voll aufziehe. Ich spritze, ... sofort, ... wie der Kolben im Vier-Zylinder-Motor, ich verbrenne, verbrenne. Unten versprühen die Funken, das Hirn zerfunkt sich sowieso. Und verdammt, dann haben wir diese letzte Nacht dumm und dämlich gefickt.
Als ich dann auf meine Maschine stieg, flossen Tränen. Schal war der Geschmack in meinem Mund. Das Salz der Tränen schmierte zwischen meinen Zähnen. Mein Herz ahnte Böses. Meine Zunge vertrocknete. Spucke hatte ich erst wieder, als wir über die Grenze nach Österreich rein fuhren.
Ich habe ihr dann geschrieben. Jeden Tag einen, zwei Briefe. Es kam nichts zurück. Ich habe dann ihrer Schwester geschrieben. Mylena darf dir nicht schreiben. Alle Briefe, bis auf den ersten, wurden abgefangen.
Ich bin dann nach gut einem Monat nach Kroatien gefahren. Sie ließen mich nicht an sie ran. Als ich ihnen dann zu lästig wurde, haben sie mich einfach fürchterlich verdroschen. Ich brauchte drei Tage nach Hause, fiel ein paar Mal von der Maschine. In Villach habe ich dann in einem Hotel eine Nacht lang geschlafen. Eine Rippe war angeknackst. Auf einem Auge habe ich nichts mehr gesehen. Die aufgeschlagene Lippe füllte sich mit Eiter.
Dabei habe ich nicht mal zurück geschlagen. Ich stand da, wie ein angeklotzter Sack. Dabei hatte ich damals schon den ersten Dan. Wäre nicht Mylena gewesen, und diese Arschlöcher der Onkel und zwei Brüder, ich hätte sie wohl weg getan. Na ja, ich habe mich deswegen nie geschämt. Schicksal. Manchmal kann dieses Leben die reinste Scheiße sein.
Und heute kommt dieses Gesicht, diese ganze Gestalt von Damals, von vor zwanzig, ne, neunzehn Jahren, die Stiege vom Smaragd herunter und reißt mir diese schon seit Langem zugenähte Wunde wieder auf. Verdammt! Wozu soll das nur wieder gut sein?
Ist die Kleine etwa meine Tochter? Sie steht eine Weile mit ihren Freundinnen dicht neben mir. Sie fragen mich, was ich da schreibe. Eine Geschichte, nichts Besonderes, was weiß ich!? Mann, was rede ich da für einen Scheiß?! Sie sprechen alle ein ausländisches Deutsch. Ich frage: Woher seid Ihr? Kroatien.
Shit. Scheiße. Ich mache mich dann auf den Heimweg, ohne noch viel zu sagen, einfach nur tschüss, und fuhr mit dem Taxi nach Hause, in nackte, nackteste Einsamkeiten zerfallend. Zu Hause angekommen hatte ich mich wieder einigermaßen derfangen. Ich kroch dann still und leise zu Danae unter die Tuchent und habe sie dann ganz, ganz lange und ganz, ganz fest, ganz fest fest gehalten.
Verdammt! Und mein Dichterschwanz, der, der sich niemals irrt, der weiß, das war vorhin meine Tochter. Und ich feiger Arsch bin einfach davon gelaufen. Werde ich sie jemals wieder sehen?
© Copyright by Lothar Krist (8.2.2003)