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Kristallgrün
Nicht einmal zwei Schritte weit stehst du von mir entfernt. Angespannt, ein wenig verschämt und nervös mit den Fingern spielend. Allein deine Nähe ist es, die mir, wie schon so lange, ein angenehm warmes Kribbeln im Bauch beschert. Ich sehe dich an und du auf deine Hände, als eine warme Sommerbrise durch dein rotes Haar fährt und eine dezente Wolke deines Parfüms in meine Richtung trägt. Du trägst es, seit ich dich kenne, ein Jahr schon.
Es ist kein besonderes, extravagantes oder gar seltenes Parfüm, doch nur an dir riecht es nach … nach Sonne; nach Urlaub; nach Glück, Freiheit und Wohlgefühl. So sehr, dass mir beinahe schwindelig wird, dass das Bauchkribbeln meinen ganzen Körper durchfährt und mir schlussendlich wohlig in den Kopf steigt.
Dein Blick reißt sich von deinen Händen los und du siehst mir direkt in die Augen. Deine Augen! Immer wieder fällt mir erneut auf, wie schön sie sind, glasklar und kristallgrün. Und mich sehen sie jetzt an. Funkelnd, zärtlich beinahe, gespannt und ein wenig erwartungsvoll. So lange schon habe ich auf diesen Blick gewartet, ein Jahr schon.
So oft trafen sich unsere Blicke, doch dieser eine, besondere Ausdruck, der war noch nie in deinen Augen. Zumindest nicht, wenn wir uns angesehen haben. Doch jetzt, jetzt ist er da, dieser Blick in deinen kristallgrünen Augen. Ein sanftes Lächeln von dir, und plötzlich bin ich es, der verschämt nach unten sieht. Direkt auf deine abgewetzten, hellbraunen Kunstlederschuhe, halbhoch mit weißen Schnürsenkeln. 29;95 Euro haben sie gekostet, das weiß ich, denn ich war dabei als du sie gekauft hast.
Ein halbes Jahr erst sind sie alt. Ich erinnere mich noch daran, wie es war, mit dir Shoppen zu gehen. Stundenlang durch die Innenstadt zu ziehen, vorbei an vielen Schaufenstern, in all die Kleidungs- und Schuhläden bis die Füße wehtaten. Doch ich habe jede Minute genossen und es war die Blasen an den Füßen allemal wert.
Die Erinnerung zaubert mir ein sanftes, flüchtiges Grinsen auf das Gesicht und ich sehe wieder hoch, begegne wieder deinem Blick, noch immer funkelnd, beinahe zärtlich und kristallgrün, doch die erwartungsvolle Spannung ist einer festen Entschlossenheit gewichen.
„Hey!“ flüsterst du, fast schüchtern, mit deiner etwas zu tiefen Stimme in die Abenddämmerung. Dieses Wort alleine reicht aus um meinen Puls zum rasen zu bringen. Trotzdem schaffe ich es noch, mir ein unsicheres Lächeln aufzuzwingen während du weiterredest. „Ich muss dir etwas sagen…“ und urplötzlich wird mit diesem Satz dein fester, kristallgrüner Blick unsicher, beinahe ängstlich. Ganz sacht ziehen sich deine perfekt gezupften Augenbrauen zusammen und ich sehe deutlich, dass die Schlagader an deinem Hals aufgeregt pocht. Beinahe in einem Takt mit meinem Puls. Beinahe so harmonisch, wie wir gemeinsam Musik machen, du am Saxophon und ich am Schlagzeug.
In meiner Nervosität, zwischen dem warmen Gefühl und der Unsicherheit, werde ich ein ungewisses Deja-vú-Gefühl nicht los. Und all dies vereinigt sich als dicker Kloß in meinem Hals, der mir das Atmen schwer macht und meine Stimme erstickt. Also schweige ich und lasse dich weiterreden, so stockend und zittrig, wie ich mich fühle:
„Ich glaube … ich … ich hab mich in dich verliebt …“ flüsterst du mir entgegen, während das Licht der untergehenden Sonne dein rotes Haar aufleuchten lässt. Jetzt ist es raus!
Du atmest auf, die Anspannung fällt sichtlich von dir ab. Jetzt bin ich wohl am Zug.
Dein kristallgrüner Blick ist fordernd und unsicher zugleich. Meine Knie fühlen sich an wie Butter und mein Herz schlägt bis zum Hals, da, wo der dicke Kloß sitzt.
Und obwohl mein Herz am liebsten aussetzen will, war ich nie glücklicher als in diesem kurzen Moment. So sehr, dass ich mich eines verschämt gekrächzten Glucksens nicht erwehren kann: „Ähh-hä …“
Worte suchend senke ich den Blick und in diesem Moment wird das ungewisse Deja-vú-Gefühl zu einer Erinnerung.
Wie wir, verschämt wie Teenager, voreinander stehen, nicht einmal zwei Schritte voneinander entfernt.
Wie ich dich ansehe mit kristallblauen Augen, unsicher, verschämt und doch fest entschlossen!
Wie ich, stockend und zittrig, meinen Satz aufsage: „Hey! Ich muss dir etwas sagen…“
Das Wort „Freundschaft“ blinkt brennend in meinen Gedanken, dann tauchen Erinnerungen an einen gutaussehenden, adretten jungen Mann in einem Ford Mondeo auf.
Der Kloß aus Nervosität und Wärme verflüchtigt sich und rutscht als verletzter Stolz in den Brustkorb. Ich begegne wieder deinem kristallgrünen, unsicher fordernden Blick und bringe nur ein Flüstern raus.
„Ich weiß nicht, ob ich dir das glauben kann …“
Einen winzigen Augenblick nur weicht jeder Ausdruck aus deinem Gesicht. Ich beiße die Zähne zusammen und starre dir angestrengt in die Augen, bemüht, deinem ungläubigen Blick standzuhalten. Dann rutscht der verletzte Stolz wieder hoch in meinen Hals, um dort als traurige Wut zu verharren.
Dein ungläubiger Blick wird traurig, verletzt und nass. Mein Hals will zerspringen und ich presse die Kiefer fester aufeinander. Es ist raus.
Ich kann es nicht zurücknehmen, selbst wenn ich wollte.
Dein kristallgrüner Blick gewinnt seine Sicherheit zurück, doch er bleibt verletzt und traurig. Einen Moment lang wartest du, ob ich noch etwas sage, vielleicht das Gesagte zurücknehme oder zumindest etwas Erklärendes hinzufüge. Doch ich kann nichts mehr sagen, der Kloß aus trauriger Wut erstickt meine Stimme und meine zusammengepressten Kiefer kriege ich nicht mehr auseinander, selbst wenn ich wollte.
Dein Blick senkt sich und streift meine Hose, die du mir letzten Monat ausgesucht hast, 49;99 Euro.
„Ich verstehe …“ murmelst du leise. Dann treffen sich unsere Blicke, deiner verletzt und kristallgrün, meiner eiskalt und kristallblau.
Du drehst dich um und gehst, zu anmutig um Trauer und verletzten Stolz preiszugeben, in deinen abgewetzten, hellbraunen Schuhen, deiner hellblauen Jeans und dem grünen Shirt.
Ein Windhauch weht dein Haar auf und den flüchtigen Duft deines Parfüms zu mir herüber. Und mit ihm ein ganzes Jahr voller Erinnerungen.
In meinem Hals und meinem Brustkorb ist kein Hauch mehr von Wut, Nervosität, Scham, Unsicherheit, nicht mal mehr Trauer. Nur noch ein Gefühl …
Ich sehe dir nach, bis du aus meinem Blickfeld verschwunden bist, dann bleibe ich noch lange stehen und versuche, dieses Gefühl in Worte, in Gedanken zu fassen. Es gelingt mir nicht ganz, und ich frage mich warum das so ist. Aber vielleicht habe ich mir auch die falschen Fragen gestellt. Hastig ziehe ich mein Handy aus der Tasche, atme tief ein und schreibe eine Nachricht: „Hey! Ich muss dir etwas sagen, seit einem Jahr schon …“