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- Anmerkungen zum Text
Nach den ersten beiden Kommentaren einige Änderungen 19.2.23
Weitere Änderungen am 23.2.23
Und 6.8.24
Johnny
Unsere Lage ist aussichtslos und wir dürfen nicht weg. Die lassen uns nicht.
Weil die Straße wichtig ist, sagt Bojko.
Ist ein paar Minuten her, da sah es noch besser aus. Unsere Stellung war so gut wie unbesiegbar, uneinnehmbar, an der konnten die Schweine sich die Zähne ausbeißen. Seit der Hippie bei uns war. Johnny.
Kam nach dem Angriff vor drei Tagen.
Bevor sie kamen, hatte uns das Schweinepack richtig zugebrettert, scheiß Splittergranaten, und am Ende wurde es knapp.
Es sah nicht so aus, als hätten wir gewonnen. Überall lagen unsere Toten verstreut herum – also eigentlich nicht sie, sondern jeder von ihnen lag verstreut herum.
Kovalenko neben mir lebte noch, obwohl ihm so einiges fehlte. Er schaute mich an, als ob ich ihm sagen sollte, wohin seine Beine verschwunden sind. Auch ein Arm war weg, mitsamt Schulter. Das ist wahrscheinlich das, was ein Journalist einen verlorenen Kampf nennt – selbst wenn man so aussieht wie Kovalenko, als hätte der einen Boxkampf nur knapp nach Punkten verloren; und für die, die zu Hause sind, stimmt das, vermute ich, die sehen das so. Kovalenko fing an – nein, nicht zu schreien – er schluchzte und das war übel. Er schluchzte und blutete, bis er hinüber war.
Danach, in all dem Rauch und dem Geschrei, keine paar Minuten nach der ganzen Knallerei, tauchte Johnny auf, aus dem Nichts, keine Ahnung woher. In so etwas wie Bettlaken gewickelt, Bart und lange Haare, kommt er auf mich zu; ich war zu überrascht, um ihn abzuschießen; er bleibt stehen, hebt die Hand zum Gruß und sagt: „So. Hier bin ich.“
Ich sage: „Was?“
Er: „Hier bin ich.“ Und dann: „Du hast um Hilfe gebeten.“
„Was habe ich?“, frage ich.
Von der Seite haben ihn zwei im Visier, ich gebe ein Zeichen, sie sollen warten, kann keiner von den Schweinen sein, sieht ja ganz anders aus, keine Uniform, kein Helm, nichts.
„Du“, sagt er. „Du hast gebetet, und jetzt bin ich hier. – Vorhin. Hast es mehrmals gesagt: Gott steh’ uns bei, oh mein Gott steh’ uns bei. Stimmt?“
„Ja“, sage ich. „Schon. Und?“
„Mein Vater schickt mich. Ich bin die Hilfe.“
„Und was?“, sage ich. „Mit was bist du die Hilfe?“
„Ich kann schießen“, sagt er. Weil ich nicht gleich antworte, verdreht er die Augen. „Bring mich zum Kommandanten“, sagt er. „Brauch eins von euren Outfits, schau mich an, alles retro. Und einen Helm wie ihr und was, womit ich schießen kann; bei uns über'm Kamin hängt noch ein Wurfspieß.“
Der Chef betrachtet ihn eine Minute lang.
„Ich weiß nicht, ehrlich“, sagt er.
„Immer dieses Gezweifel. Was soll ich machen?“, sagt Johnny. „Einen Toten wieder aufstehen lassen?“
„Ja, das ist es“, sagt Bojko und lacht.
Ich hab’ keinen Schimmer, was in ihm vorgeht, falls es in ihm noch einen Ort gibt, an dem was vorgehen kann.
„Keine gute Idee“, sagt Johnny. „Ohne dass man die vorher flickt, hätten die wenig Spaß damit.“ Er zwinkert.
Hört sich vermutlich so an, als hätte mir jemand den Schädel aufgesägt, mein Hirn rausgenommen und gegen gekochten Blumenkohl ausgetauscht. Aber so war es. Dann folgte ein höllisches Wunder. Die Schweine ließen ja nicht lang auf sich warten. Sie wussten, dass nicht viele von uns übrig waren. Doch Johnny, der hatte die Wahrheit gesagt – er konnte schießen, und wie! Er traf ohne zu zielen, er traf sogar ohne hinzuschauen, er ballerte einfach herum und traf; er sprang aus dem Graben, rückte vor und war unverwundbar, wirklich, mitten im Feuer, die Geschosse trafen ihn, alles egal, er stolzierte weiter wie ein verdammter Hahn auf dem Hühnerhof und machte sie platt wo auch immer sie waren.
Nach jedem Gemetzel ließ Bojko die Arme, Beine, Köpfe und Innereien einsammeln und erwartete von uns, das zu sortieren. Die Idee, alles zusammenzunähen und wieder lebendig zu machen, die hatte sich in ihm festgesetzt wie ein Bandwurm im Darmtrakt. Da müssen die Sachen vollständig beieinander sein, wie bei einem Scheiß-Puzzle.
Jeder, der mal dabei war, der weiß, dass zusätzlicher Irrsinn nicht ins Gewicht fällt; es geht drum, so zu tun, als ob alles in bester Ordnung wäre, und wenn da was winzig klein Irres dazu kommt, dann ist das, als würde einer in den Ozean eine Träne tropfen lassen oder einfach reinrotzen, jedenfalls was in der Art, dass es nichts ändert.
Jetzt sind wir erledigt. Stellt euch das vor, was normalerweise aus einem Kuhhintern tröpfelt: Genau so ist die Situation. Verflucht, da kommt er zu uns, blutbespritzt, und sagt: „Vergebt mir, meine Brüder, doch ich muss euch verlassen.“
„Was? Warum?“, rufen wir. „Es läuft doch!“
„Gewiss“, sagt er. „Aber ihr seid nicht die Einzigen, wisst ihr, und vorhin, da haben die anderen gebetet. Um Beistand. Wurde erhört, hab’s eben erfahren. Heißt, bin jetzt erst mal im anderen Team.“ Er lacht. „Aber dauert ne Weile, ich muss mich erst umziehen. Nix überstürzen. Da könnt ihr noch über alles nachdenken. Die Wahl habt ihr.“
Es ist sein Ernst. Später gibt er seine Sachen ab. Zieht seine alten Fetzen an und verschwunden ist er.
„Wir müssen jetzt weg“, habe ich Bojko gesagt.
„Na sicher“, hat er geantwortet. „Gute Idee. Gar kein Problem. Ich ruf’ am besten gleich beim Oberkommando an und sag’ denen, wir müssen die Stellung räumen, weil uns demnächst der Sohn Gottes angreifen und über den Haufen schießen wird. Vielleicht schaffen wir's noch zum Abendessen nach Hause.“
Katharina kommt mir in den Sinn und dass sie vielleicht genau jetzt ihre Paprikakartoffeln macht.
Irgendwo habe ich mal gehört, dass man immer die Wahl hat.
Und dass es am Ende darauf ankommt, was wir getan haben werden. Und zwar jeder von uns. Da könnte schon was dran sein, denke ich, überprüfe noch einmal das Magazin der Knarre und warte ab, was jetzt geschieht.
+bgu