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Krieg und Krieg
Gott, als es mal wieder so richtig langweilig im Paradies ist, fragt Adam und Eva: „Spürt ihr ihn nicht, den Krieg?“
Eva schaut bräsig von ihrem Smartphone auf, Adam zieht sich die Kopfhörer von den Ohren und schaut müde zu Eva. Sie kaut weiter auf ihrem Kaugummi, er zuckt mit den Schultern. Sie blicken sich nur vorsichtshalber kurz um, bevor Eva wieder auf ihr Smartphone glotzt und Adam sich die Kopfhörer auf die Ohren pfropft.
„Oh, dass ihr Menschen immer einen brennenden Dornbusch braucht“, knurrt Gott, und mit einem Plop! verschwinden Smartphone und Kopfhörer.
„Und dass ihr allen Ernstes die Abwesenheit von Krieg für Frieden haltet!“, brummt er genervt.
„Hab ich mich bei euch Menschen wirklich so geirrt? Den falschen Lehm verwendet, als ich euch formte nach meinem Ebenbild? Ich brauch echt Urlaub! Mal sehen, wie es in den anderen Universen so läuft“, sagt Gott und verschwindet mit einem Plop! in ein Paralleluniversum.
Amadeus und Elfriede leben in einer Neubausiedlung. Ihr Haus, das exakt so aussieht wie die Nachbarhäuser, ist ganz mit weißen Möbeln eingerichtet. Im Vorgarten sprießen kugelförmig gestutzte Buchsbäume aus einem akkurat gemähten Rasen. Ein leises, fast schon überhebliches Lächeln steht beiden im Gesicht, wenn sie ihren Nachbarn verkünden: „Wir sind seit dreißig Jahren verheiratet und streiten uns nie!“ [Ach du Scheiße, sagt sich Gott, bloß weg! Plop!]
Adolf und Eva gehen gern in der Dresdner Innenstadt spazieren. Sie freuen sich, dass seit einiger Zeit immer mehr Menschen mit ihnen spazieren gehen, es sind schon mehrere Zehntausend. Sie singen, schwenken Fahnen und rufen wie blöde „wir sind das Volk“. Die Frauenkirche zittert dabei unmerklich. [Plop!]
Arthur und Edda haben sich beim Yoga kennengelernt und sind überzeugt von dem Gedanken, dass eifriges Meditieren und positives Denken den Weltfrieden herbeiführen werden. Eines Tages verkündet Arthur, dass er von nun an sexuell enthaltsam Leben möchte, um seine spirituellen Energien zu erweitern. Edda, die gerade den Sonnengruß macht, verliert das Gleichgewicht. [Plop!]
Axel und Elke steigen bei der U-Bahnstation Volkstheater aus. Sie wollen zu einem Amnesty-Treffen und unterhalten sich angeregt über einen Paragraphen der Menschenrechts-Charta. Als sie in den Fahrstuhl wollen, müssen sie erst über einen am Boden liegenden Obdachlosen hinweg. [Plop!]
Aaron und Emma ernähren sich vegan und reisen gern. Als sie in Ghana unterwegs sind, werden sie in einem Dorf von einer Familie zum Abendessen eingeladen, was sie gerne annehmen. Bei Tisch müssen sie jedoch feststellen, dass man die einzige Kuh des Dorfes geschlachtet hat. [Plop!]
Anton und Elke sind beide sehr für die Integration von Ausländern. Zu ihrer Putzhilfe aus Chile pflegen sie ein Verhältnis, das übers Geschäftliche hinausgeht, und auch mit dem Türken aus dem Lebensmittelladen um die Ecke führen sie gern mal ein Pläuschchen. Als ihnen auf einem Elternabend ihrer Kinder eröffnet wird, dass von nun an Türkisch Pflichtfach in der Schule sein wird, sind sie jedoch die ersten, die ihrem Protest Luft machen. [Plop!]
Alfred und Esther stehen Arm in Arm am Strand und schauen sich den Sonnenuntergang an. „Das ist der schönste Urlaub meines Lebens“, schnieft Esther und wischt sich eine Träne aus dem Auge, Alfred kramt verstohlen ein Flens hervor, und beide sind so geblendet, dass sie das gekenterte Flüchtlingsboot übersehen. [Plop!]
Andreas und Erna gehen mit einem guten Gefühl und vollen Tragetaschen aus einem Bio-Supermarkt. Erna greift sogleich in eine dieser Taschen, zieht einen Apfel heraus und gibt ihn Andreas. Der beißt, nachdem er das Fähnchen mit der Aufschrift „Bio-Qualität aus Argentinien“ abgepult hat, herzhaft hinein. [Plop!]
Agnes und Eberhardt gehen zur Ehe-Beratung. Der Therapeut bittet sie, sich gemeinsam auf ein Sofa zu setzten. Den größten Platz zwischen ihnen nimmt dabei der Graben unüberwindbarer Konflikte ein. [Plooo..Moment mal, denkt sich Gott, das könnte doch eigentlich spaßig werden!]
„Also, dann legen Sie mal los. Was ist ihr Problem?“, fragt der Therapeut und flätzt sich dabei gelangweilt in seinen Therapeutensessel.
„Ach, wenn es doch nur ein Problem wäre, Herr Leid, aber es sind ja leider tausende!“, jammert Agnes und rollt verzweifelt mit den Augen.
„ Es beginnt alleine schon damit, dass mein Mann mir nie zuhört...“ „Hä? Was? Aber ich…“ grunzt Eberhardt verdattert, „und dass er mich nie ausreden lässt!“ kreischt Agnes, die dabei puterrot anläuft, während sich Eberhard in seinem Hemdkragen verkriecht.
„Und das Schlimmste ist“, keucht Ages, die ihre Erregung mit Mühe niederkämpft, „dass Eberhardt immer so schweigsam ist! Nie sagt er mal was Nettes. Ich weiß gar nicht“ (und dabei fängt Ages an zu schluchzen) „ was ich ihm eigentlich bedeute!“.
„Soso“, murmelt Herr Leid, der Therapeut, der so tut, als würde er sich wichtige Notizen machen. Dann schiebt er Agnes einen Taschentuchspender zu, blickt zu Eberhardt hinüber, überschlägt seine Beine und sagt: „Eberhardt. Ich glaube, dies ist ein guter Moment, ihrer Frau zu sagen, was Sie eigentlich an ihr gern haben.“
Eberhardts Augen weiten sich, er bekommt einen Schweißausbruch, sieht hilfesuchend aus dem Fenster, dann zum Therapeuten und hebt, nach einem nervösen Gluckser, stotternd an: „Na-na-naja, also, ähm, i-i-ich finde, meine Frau, äh, also d-du, Agnes, ich finde, du siehst einfach t-toll aus!“ „Hmm!“, sagt Herr Leid, der begonnen hat, große und kleine Kreise in sein Notizheft zu malen. Agnes verschränkt die Arme und wendet sich pikiert von ihrem Mann ab.
„Hat Sie das überzeugt, Agnes?“, fragt Herr Leid, ohne den Blick von seinem Notizheft zu wenden. Agnes starrt an die Wand.
„Ich glaube, Eberhardt, Ihre Frau wünscht sich, dass Sie ihr etwas über ihre inneren Werte sagen, über ihren Charakter. Was ist denn, wenn ihre Frau einmal älter wird? Graue Haare und Falten bekommt? Orangenhaut?..“ Agnes wendet ihren Blick von der Wand ab und blickt jetzt entsetzt zu Herrn Leid, der unbeirrt fortfährt. „..Schlechte Zähne? Sauren Achselgeruch? Hängende Brü-“ „ALSO JETZT REICHT`S ABER!“ faucht Agnes mit Schaum vor dem Mund. „V-Verzeihung!“ sagt der Therapeut kleinlaut und wendet sich wieder seinen Kreisen zu.
„Ähm, also, ich finde, Agnes“, wispert Eberhardt und tippt dabei seiner Frau auf die Schulter, „ich finde, du kannst ganz wunderbar deine Meinung zum Ausdruck bringen!“ Eberhardts versöhnlich gemeintes Grinsen wirkt kläglich, Agnes schaut dampfend stur geradeaus und Herr Leid kritzelt leise vor sich hin. Das Ticken der Wanduhr pocht ohrenbetäubend in das peinliche Vakuum hinein.
Gott, der bisher nur zwischen den Zeilen versteckt das Geschehen betrachtet hat, nutzt den Augenblick, um in die Herzen von Agnes und Eberhardt zu sehen. Er muss feststellen, dass dort Chaos herrscht. Angst, Eifersucht und Hass buhlen dabei am lautesten um die Vorherrschaft. Gott seufzt. „Ok, alter Junge, aber nur noch ein allerletztes Mal“, sagt er sich, und mit einem Plop! verschwinden der Lärm und das Chaos und all die bösen Geister. Zurück bleibt nichts als lichte Stille.
Eberhardt und Agnes richten sich ruckartig auf, als wären sie von etwas gestochen worden. Langsam wenden sie sich einander zu. Ein kindliches Lächeln umspielt die Gesichter der beiden. Herr Leid sieht irritiert von seinem Notizheft auf. Stift und Kinnlade fallen ihm herunter, als er Agnes und Eberhardt wild umschlungen in einem einzigen heißen Kuss vereinigt sieht. [Plop!]
Gott, als er erfrischt von seiner Reise zurück ins Paradies kehrt, trifft die Ernüchterung wie ein Blitzschlag. Das Paradies liegt in Schutt und Asche. Verängstigte Tiere rennen panisch durch die Gegend, Bäume brennen, der Boden ist umgepflügt. Adam und Eva haben sich je hinter einem Fels verschanzt und bewerfen sich mit Obst, Steinen und unflätigen Kraftausdrücken.
„Du blöde [piep], du kannst mich mal am [piep] lecken, ich weiß genau, dass du mir meinen MP3-Player geklaut hast. Du kriegst so was von auf die [piep], wenn ich den finde!“brüllt Adam und wirft eine vergammelte Ananas zu Eva.
„Selber [piep]!“, brüllt Eva und schmeißt eine Tomate zurück, „nix hab ich! Du hast mir mein Smartphone geklaut, weil Du [piep] mal wieder deinen Kram verschlampt hast. Du warst schon immer scharf auf mein Handy, du ver- [piep] -ener- [piep] -matz!“
Gott seufzt. „Nein, diesmal nicht“, sagt er sich, „das müssen die schon selbst hinkriegen!“ Und einfach so …[Plop!] … ist er weg.