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Krieg im Supermarkt
Krieg Im Supermarkt
Gestern bat mich meine Frau in den Supermarkt zu gehen und ein Pfund Brot sowie eine Tüte Milch zu holen.
Da der Supermarkt gleich um die Ecke liegt, erreichte ich ihn binnen kürzester Zeit. Es war fünf Uhr am späten Nachmittag, als ich den großen Laden betrat. Ich grüßte die Kassiererin mit einem freundlichen Kopfnicken und begab mich ohne Umschweife zu dem Brotregal. Ein junger Mann, den ich noch niemals vorher in unserem Supermarkt gesehen hatte, stand breitbeinig und scheinbar unschlüssig vor meinem Brotregal. Nicht, dass mich das weiter gestört hätte. Nein, nein, es war vielmehr die Art und Weise, in der er vor dem Regal stand. Seine Körperhaltung hatte etwas Gewalttätiges und Provozierendes an sich. Wie hypnotisiert stand er vor den Brottüten. Ab und zu streckte er seine rechte Hand aus, holte ein Brot aus dem Regal, nur um es gleich wieder zurückzulegen. Da ich von Natur aus ein geduldiger Mensch war, wartete ich höflich zehn Sekunden.
„Sie brauchen die Brotscheiben nicht zu zählen junger Mann, es genügt wenn sie das Gewicht, das auf der Tüte aufgedruckt ist, prüfen.“ Das saß. Er zuckte wie unter einem Peitschenhieb zusammen. Dann knurrte er irgend etwas, das sich wie „Scheren sie sich um ihre eigenen Sachen“ anhörte, und vertiefte sich erneut in die Brotlektüre. So war das also. Er suchte Streit.
Na, den sollte er haben. Das wäre ja noch schöner gewesen. Zuerst in mein Territorium eindringen und dann noch beleidigend werden ?
So etwas konnte und durfte ich in meinem Supermarkt nicht dulden. Endlich hatte er gefunden was er suchte. Er nahm die letzen dreißig Tüten Brot, sowie alle einhundert Brötchen und verfrachtete sie in seinen Einkaufswagen. Ungläubig starrte ich auf das jetzt leere Regalfach. Er hatte mir nicht einmal einen Brotkrümel übriggelassen.
Ich versuchte ruhig zu bleiben, aber ohne Erfolg. Panik erfaßte mich. Was, wenn er den gleichen hinterhältigen Trick mit der Milch versuchte? Ich drehte mich auf dem Absatz um und sprintete zum Kühlfach. Meine Befürchtung hatte sich bewahrheitet. Jetzt packte der Kerl die Milchtüten in seinen Einkaufswagen. Ich hätte mir in den Hintern beißen können vor Wut. Das war's, das schlug dem Faß den sooft zitierten Boden aus. Dieser miese Typ hatte mir den Krieg erklärt. Somit mußte er auch die Konsquenzen tragen. Ich rannte zum Eingang zurück und holte mir einen Einkaufswagen. Dann lief ich im Laufschritt zur Getränkeabteilung. Während der Feind noch immer mit den wehrlosen Milchprodukten beschäftigt war, leerte ich rasch das komplette Getränkeregal. Dann wandte ich mich der Schokolade und den Waffeln zu. Ich mußte schnell handeln, wenn ich den Kerl besiegen wollte. Ich nahm mir nicht die Mühe, die Produkte einzeln in den Wagen zu legen. Nein, ich benutzte eine eigens für diesen Notfall von mir erfundene Taktik. Ich stellte den Einkaufswagen direkt unter das betreffende Regal und schob die Ware mit ausgestrecktem Arm in den Wagen. Auf diese Art und Weise hinterließ ich nichts dem Feind. Apropos Feind. Ich schielte zu meinem Todfeind hinüber. Er hatte jetzt zwei volle Einkaufswagen neben sich stehen. Aha, er begann jetzt also schwere Geschütze aufzufahren. Was der kann, kann ich schon lange. Ich entriß einer älteren Dame ihren noch leeren Einkaufswagen. „Der Wagen ist konfisziert, holen sie sich einen anderen!“, schrie ich sie an. Ich sah, wie sie erschreckt zusammenzuckte.
Doch ich konnte keine Rücksicht auf sie nehmen. Hier ging es um mehr als nur um eine alte Dame. Hier ging es um den ganzen Supermarkt, ach was sage ich da, hier ging es um die ganze Nachbarschaft. Denn so wie ich diesen rücksichtslosen Kerl einschätzte, würde er nach der gewalttätigen Übernahme des Supermarktes nicht Halt machen, sondern versuchen sich an unserer Nachbarschaft zu vergreifen. Ich mußte ihm hier und heute die Grenzen aufzeigen. Die Zeit war knapp. Es war kurz vor Ladenschluß. Im Eiltempo und ohne anzuhalten, beförderte ich hunderte von Dosen, Päckchen, Rollen, Tüten, Würstchen, und was mir sonst noch alles in die Hände kam, in den beschlagnahmten Einkaufswagen. Plötzlich sah ich wie der Feind seine beiden Einkaufswagen seelenruhig in Richtung Kasse schob. Dieser plötzlichen Truppenbewegung mußte ich zuvorkommen. Ich hievte den letzten
50 Kg-Kartoffelsack in den Wagen und sprintete was das Zeug hielt mit meinen vier Einkaufswagen auf die Kasse zu. Geschafft. Ich war noch vor ihm an der Kasse. Das Blatt hatte sich verdientermaßen zu meinen Gunsten gewendet. Doch hoppla, was war das?
Mein militärisch geschulter Blick fiel auf die Waren neben dem Band. Mit einem überraschenden Angriff konnte ich noch fünfzig Videokasetten, einhundert Batterien, zwanzig Rasiermesser sowie zweihundert Zigarettenschachteln sicherstellen.
Ich hörte wie der Feind hinter mir resignierend die Luft durch die Nase einsog. Ich hatte gewonnen. Der Krieg war vorbei. Mit seinen zwei mickrigen Einkaufswagen hatte er gegen mich keine Chance gehabt. Überglücklich stellte ich einen Scheck über
5255 Euro und siebzig Cent aus. Der Schaden war verhältnißmäßig klein im Vergleich zu der Gefahr, die dem Supermarkt und der gesamten Nachbarschaft gedroht hatte. Ich fühlte mich als Held, als Retter. Mit stolzer Brust und schadenfreudigem Lächeln steckte ich das Scheckheft wieder ein, als sich die Kassiererin an mich wandte: „Herr Meyer, darf ich ihnen unseren neuen Mitarbeiter vorstellen. Das ist der Herr Schulze.“ Der Feind nickte mir ungeniert zu und streckte mir sogar unverfroren seine Hand entgegen. Seine Unverschämtheit kannte keine Grenzen. Er sprach mich sogar an:
„Wie sie sehen mußten wir leider die ganzen Teigwaren und Milchprodukte heute aussortieren, da das Gesundheitsamt .......“ Den Rest des Satzes hörte ich schon nicht mehr.
Ich wachte erst wieder im Krankenhaus auf. Meine Frau Erna saß besorgt neben meinem Bett.
Wie aus großer Entfernung hörte ich sie fragen: „Liebling, wo sind das Brot und die Milch?“
Goren Albahari