Kreise ohne Zentrum.
Du liegst masturbierend auf dem Rücken. Der Teppich unter dir hat sich mit Blut und Schweiß, Urin und Samenflüssigkeit vollgesogen, dein ganzer Körper ist mit Exkrementen bedeckt. Erbrochenes läuft dir aus dem Mund, unterbrochen von kurzen, keuchenden und gurgelnden Atemzügen. Deine Hand liegt auf dem fetten Bauch deiner Nachbarin und auch dein zum platzen gefüllter Magen wird ruckartig von der Hand deines Gegenüber gestreichelt. Du fühlst dich wohl und geborgen. Ab und zu bäumt sich dein Oberkörper ruckartig auf, dann stirbst du und beginnst das Spiel von Neuem. Die vielen Leben und Tode haben dich den Anfang deines Seins vergessen lassen. Doch dein Instinkt sagt dir, dass es etwas gibt, auf das hin du zuarbeitest, dass es ein allem Leben übergeordnetes Ziel zu erreichen gibt, welches all die ganze Marter und all das ganze Leid das du ertragen musst ausgleicht. Es ist sehr beunruhigend, das du nicht weißt, was dich nach dieser scheinbar nicht endenden Qual erwartet, aber denoch freust du dich darauf. "Das beunruhigende Gefühl ist Lampenfieber!"
Jäh wirst du aus deiner Orgie geweckt und gleitest auf dem Schleim der Millionen Gleichgesinnten in eine überdimensionale Badewanne, am Rande deiner Welt. Erschrocken stehst du auf und watschelst so schnell dich deine fetten Beine tragen können Geradeaus - und endest mit einem dumpfen Knall an der dreckigen Emaiile-Wand. Du taumelst ein paar Schritte zurück, rutschst auf deinem eigenen Schleim aus und landest mit einem hallenden 'Blopp' auf dem Rücken. Sekunden später wird dir mit unsagbarer Brutalität der Kiefer aufgerissen und die über Jahrmillionen produzierte Schleimmasse quetscht sich in deinen Körper. Ein eigenartiges Gefühl des zerreißens und wieder zusammenziehens begleitet dich, während deine Augen auf den in unglaublichem Tempo wachsenden Körper gerichtet sind. Nach einiger Zeit zersprengst du mit deiner Masse ein Proton, dann den ganzen Atomkern, wächst über die Hülle hinaus und findest dich nur wenige Minuten später in deinem unversehrten Körper wieder.
Die neue Welt, in der du dich jetzt befindest, gefällt dir. Die Bewohner nennen sich Menschen, sie leben in Häusern und schlafen in Betten. Nach einigen Jahren hast du sogar ihr komplexes System der Arbeitsteilung verstanden und kennst inzwischen die meisten Religionen, Wissenschaften und auch sonst fast alle Dinge, die man über die Menschen wissen sollte. Du könntest eigentlich ein sorgenfreies Leben führen, wäre da nicht die Sehnsucht nach der Wirklichkeit. Du siehst die Menschen, schließt dich ihnen an, gehst den selben Weg, den die Glücklichen gehen - und bist doch nicht glücklich. Du erzählst allen deinen Freunden von deinem Problem, aber nur ein Einziger schenkt dir Glauben. Du erzählst ihm deine ganze Geschichte, so, wie du sie erlebt hast und er hört begeistert zu. Inzwischen veranlassen die Ungläubigen alles Nötige, um dich von deinem Wahnsinn zu befreien. Letztendlich geben sie auf und sperren dich, weit weg von der Gesellschaft, in ein Gefängnis. Von dort aus bekommst du monatlich Briefe von Jesus Christus, deinem einzigen Freund, der dir in seinem Glauben treu geblieben ist. Er schreibt dir viel über seine Strategie, die Menschen an die Wahrheit langsam heranzuführen, ohne es unglaubwürdig klingen zu lassen. Du hälst natürlich nicht viel davon, weil alles viel zu stark von der Realität abweicht, aber es wurde dir verboten, Briefe zu verschicken, deshalb kannst du deine Einwände nicht vorbringen. Und dann bleiben die Briefe deines Freundes plötzlich aus. Und irgendwann stirbst auch du. Aber deine Adresse bleibt bestehen und existiert auch heute noch.