Was ist neu

Krankenhäuser

Mitglied
Beitritt
02.02.2002
Beiträge
30

Krankenhäuser

Krankenhäuser
Oder: Die unangenehmste Art und Weise, bekloppt zu werden.

Krankenhäuser unterscheiden sich nur minimal von Irrenhäusern. Naja, halt um genau eine Silbe. Auch in der Funktion sind sich beide sehr nahe: Erst wirst du krank, kommst ins Krankenhaus. Bleibst du dort länger als eine Woche, beginnt sich die Geisteskraft zu verflüchtigen. Resultat: Wechsel des Domizils in eine Gummizelle.

Der alte Mann im Bett neben mir schnieft und grunzt. Ich frage mich, ob es unanständig wäre ihn zu bitten, so zu schnarchen, wie alle anderen Menschen es auch tun. Ich werde mal drauf zu sprechen kommen, wenn er wach ist.
Noch ist es vier Uhr morgens. Bei der Geräuschkulisse und den fiesen Schmerzen in Bein und Rücken ist ans Einschlafen nicht zu denken. Das liegt vielleicht auch daran, dass ich mich weigere, zur Nacht ein Zäpfchen zu nehmen. Nada. Niemals. Artikel eins Grundgesetz: Der Arsch des Patienten ist unantastbar.
Allein die Operation war schon entwürdigend genug. Wer die vorschriftsmäßige Kleiderordnung für Patienten bei einer OP kennt, weiß, was ich meine. Kanüle an den Arm - „Oh, das war leider nicht die Vene!“- pieks - „Na, komm schon...“ -pieks! - „Na also!“, und rein mit den Drogen:
„Jetzt wird ihnen gleich etwas schwindelig...“ (jaaa, ich schweeebe, hiiiilfe!) „...und jetzt kommt die Narkose.“ (gliep!).
Hätte man nicht eine Spritze gegen Schmerzen hinterherpumpen können?
Das ist jetzt die sechste Nacht, in der ich vor Schmerz nicht schlafen kann. Gepaart mit dem Entzug von vernünftiger Nahrung und dem permanenten Gequengele der Schwestern und Ärzte, dass ich mich schonen soll und nicht laufen darf, erhärtet sich mein Verdacht, dass ich in naher Zukunft wohl auch wahnsinnig werde.
Meinen senilen, 76-jährigen Zimmergenossen hat es schon derbe erwischt. Laufend brabbelt er Werbeslogans vor sich hin, glotzt die ganze Zeit Fernsehn (selbst wenn’s nur das Testbild ist), schreit alle paar Minuten eine Schwester zusammen. Wenn er gerade nicht brabbelt und sabbert, unterbricht er die Stille im Zimmer gerne durch Reib- und Blaslaute wie „Pfchrrrrrr!“ oder „Pfrrrrrrrzzz!“, deren genauere Bedeutung ich nicht benennen kann. Bei dem Nerventerror ist weder gesittetes Essen noch effektives Lernen möglich, und das zwei Wochen vor meinen Abiturklausuren. Ich hätte mich freiwillig auf Krücken bis zur Kantine geschleppt, um in Ruhe essen zu können, aber das wurde von meinen Peinigern abgelehnt.
Ich ertappe mich bei dem Gedanken, die Wände hochzugehen. Ein wenig Randale zu machen, wegen dem Schmerz, wegen der Langeweile, aus Frustration. Erste Zeichen von Demenz? Ich horche.
Nein, keine Stimmen, die durch das Dunkel an mein Ohr dringen und sich als Geister meiner Ahnen ausgeben. Trotzdem beschleicht mich die Ahnung, dass mein Geisteszustand zu kippen droht. Panik ergreift mich, und meine innere Stimme befiehlt mir: ,Raus! Solange du noch kannst!´ Verdammt, ja! Dafür ist es jetzt auch höchste Zeit! In Eile greife ich mir mein Zeug, pfeffere die OP-Klamotten in einen Mülleimer und tarne mich in normalen Klamotten und unter einem Baseball-Cap.
Als ich zum Laufen anhebe und mich auf die Krücken aufstütze, muss ich einen Schmerzensschrei unterdrücken. Am monotonen Grunzen und Schniefen hinter mir erkenne ich, dass der Alte noch nicht aufgewacht ist. Gut, das. Ich schultere meinen Rucksack so ungelenk wie eben möglich. Doch meine Hauptsorge gilt der Nachtschwester, ein fettes Weibsstück, welches mich zur Not unterm Arm ins Zimmer zurückschleifen wird. Da hilft nur eins: Ich muss sie aus dem Weg schaffen. Auf dem Zimmer kann ich sie nicht ausschalten, wenn es zum Handgemenge kommt, wird der Alte wach.
Ich pirsche mich also raus auf den Flur. Kein einfaches Unterfangen, wenn man zwei klappernde Gehstützen verwendet. Scheiße, also im Liegen. Die Ausrüstung wird nach Guerrillia-Art auf dem Rücken verschnallt, und ich robbe Meter um Meter durch den Flur. Kurz vorm Schwesternzimmer stoppe ich. Durch ein Fenster kann man hineinspähen. Die fette Elke sitzt gerade am PC und schnüffelt in den Daten der Patienten. Na warte, du Schnitzel. Ich richte mich leise auf mein gesundes Bein auf, ziehe eine der Krücken und klopfe zweimal gegen die Tür.
In dem Moment, da sie den Kopf durch die Tür steckt, trifft die Krücke sie auch schon brontal an der Stirn. Sie klappt zusammen, noch bevor sie das erste Wort gesagt hat. Umständlich wuchte ich den Körper wieder ins Schwesternzimmer. Da ich nicht sicher bin, wie lange ihr KO anhält, grabbele ich im Medizinschrank nach Narkotika, die mir etwas mehr Zeit für die Flucht schaffen sollen. Ahhh, gelber Schleim aus Injektionsspritzen. Das hat mich vor der Operation auch umgehauen. Bei ihrem Gewicht gleich mal zwei. Ich wage es nicht, etwas von ihrem fetten Leib zu entblößen, also ramme ich die Nadeln durch das Hemd in ihre Seite. Das wird schon wirken. Besser noch zwei für unterwegs mitnehmen, man weiß ja nie, was noch wartet.
Nun ist der Korridor gesichert, und ich kann mich auf den Weg ins Erdgeschoß machen. Der Aufzug ist beleuchtet und wird zudem noch für Notfälle verwendet, aber für die Treppe werde ich viel länger benötigen. Ich muss mich entscheiden...
Erst als ich unten bin, bereue ich es bitter, die Treppe gewählt zu haben. Bein und Rücken schmerzen wie verrückt, und ich bin total außer Atem, als auf dem Gang außen Schritte ertönen. Eine Bahre wird hereingekarrt Ich kauere mich in eine Ecke unterhalb der Treppe und warte ab...
„...immer noch kritisch, aber er hat gerade einen Großteil wieder ausgekotzt.“
„Gut, wir verabreichen Dryllisophin und hoffen, dass er das Bewusstsein wiedererlangt.“
„Er hat mindestens 3, 4 Promille...“
Das Rettungsteam verschwindet im Fahrstuhl. Also eine Alkoholleiche. Der Glückliche, der wird morgen ohne Diskussion einfach entlassen. Ich luge durch den Türspalt auf den Flur. Die Luft ist rein, ich stake auf den Gehhilfen Richtung Ausgang. Und vergesse dabei prompt den verdammten Pförtner, der mich noch nicht bemerkt hat, weil er in ein schmutziges Porno-Heftchen vertieft ist. Also Kommando zurück aus der Eingangshalle.
„Scheiße!“, fluche ich, vermutlich etwas zu laut. Aus einem an diesem Korridor gelegenen Raum ertönen Schritte. Ich verschwinde, halb hüpfend, halb humpelnd, durch eine Tür. In der Dunkelheit des Zimmers knalle ich erstmal mit dem Kopf gegen eine tiefhängende Apparatur. Scheiße, Röntgen. Das hat mir gerade noch gefehlt. Ich suche ein Fenster - Fehlanzeige. Da wird die Klinke zu meinem Versteck herabgedrückt, und ich bin gefangen. Das Licht geht an, und ein langhaariger, zotteliger Pfleger mit Nickelbrille glotzt mich an.
„Hä? Was machst´n du hier?“
Scheiße, ein geistesschwacher Zivi. Ich versuche es auf die verwirrte Tour.
„..Eh...was? Wer? ... es ist so hell - das Licht - DAS LICHT!... hehe!“
Der Trottel kommt näher. Bingo.
„Pass ´ma auf, ich...“
ZACK! Der saß. Mittlerweile bin ich denen echt dankbar für diese Krücken. Der bekommt auch noch eine KO-Spritze. Besser is das.
Ich lösche das Licht und spicke in den Korridor. Alles wieder ruhig. Ich versuche es gegenüber - eine Wäschekammer. Hunderte von OP-Hemden hängen sorgsam sortiert auf einer Kette von Kleiderbügeln, zig Fächer mit lächerlich weiten Ballonhosen, sogar Duschhauben. Als ich mich durch einen Berg unsortierter Klamotten (ich wage nicht, den davon ausgehenden Gestank zu benennen) prügele, sehe ich es: Ein Fenster, der Weg in die Freiheit. Leider ist die Fensterbank mindestens einen Meter hoch, für einen Invaliden keine leichte Aufgabe. Erst das gebrochene Bein hinüberschwingen - oder doch nicht? Ich wage es - eine Krücke nach innen, eine nach außen gestemmt - und purzele rücklings in den Krankenhausvorgarten. Endlich frei. Mit dem sicheren Gefühl, dem Wahnsinn entronnen zu sein, rappele ich mich auf, trotz der Schmerzen in Rücken und Bein. Doch irgendwie verlässt mich die Kraft - ich kann mich nicht mehr auf die Krücken stemmen. Erstmals seit Tagen werde ich sehr müde, und ich falle vorwärts ins Gras. Mein schwindendes Bewusstsein nimmt gerade noch wahr, dass etwas aus meiner Tasche in meinen Oberschenkel durchgestochen ist...

[Beitrag editiert von: BigXtra am 12.04.2002 um 13:37]

 

Hi,
gefällt mir ziemlich gut, diese kranke Ausbruchsaktion. Hauptsächlich wegen dem schön eingesetzten Sarkasmus - sowas habe ich in Geschichten immer gerne. Jeder, der schon mal im Krankenhaus war, kennt sicherlich dieses Gefühl, wenn einem die Decke auf den Kopf fällt und man irgendwas tun muss, am besten einfach raus.
Desweiteren die schicksalhafte Ironie, erst den weiten, schmerzhaften Weg bis nach draussen gemacht zu haben und dann die vergessene Spritze ins Bein gejagt zu bekommen, das gehört irgendwie ebenfalls zu dieser kranken Aktion. Zudem passt das, was jetzt mit ihm passieren wird, gut zum Vorwort - Sicherheitsverwahrung... :D

Einzig würde ich an einigen Stellen noch mehr Absätze einfügen.
Und manchmal fragt man sich, wie er das alles durchhält - mit dem gebrochenen Bein. Die dicke Schwester wegzuschleppen, die Treppen runter, etc. Aber ist halt ne kranke Story, deswegen stört es mich nicht weiter. Auf jeden Fall witzig gelungen.

Gruß, baddax

 

Danke erstmal für Lob und Kritik.
Ich hab noch Absätze eingefügt, wo es mir vertretbar erschien, aber große Zeit-/ Gedankensprünge, die noch zu kennzeichnen sind, gibts eh nicht. Rein der Lesbarkeit halber, halt.

Ich hätte gerne die Story so enden lassen, das der Held tatsächlich in der Klapse aufwacht, aber das gab´s schon mal an anderer Stelle. Hätte aber auch hier irgendwie gepasst.

Und zum Durchhaltevermögen des Helden: Der Wunsch nach Freiheit ist halt durch nichts zu brechen - auch nicht durch ein gebrochenes Bein.

Gruß, BBQ!

[Beitrag editiert von: BigXtra am 12.04.2002 um 13:53]

 

So, nun meine Kritik.
Den ersten Teil der Geschichte verfolgt folgte ich mit zunehmender Begeisterung, da mir ja bekannt war, dass eben dieser fast vollständig authentisch war.
Auch im weiteren Verlauf ist die Geschichte ganz amüsant, allerdings fand ich bei den passagen in denen die "dicke Elke" auftaucht die Beschimpfung von Fettleibigkeit im wahrsten Sinne überlastig, auch wenn der Hass des Protagonist auf eben diese schon verständlich ist.
Ein weiteres Problem hatte ich in der Passage mit dem nickelbrilletragenden Zivi. Hier hätte ich mir ein wenig mehr Fantasie gewünscht. Den kann man doch auch ander ausschalten, oder? ;)

Ach ja, für das Ende hast du dir was gutes ausgedacht, aber vielleicht solltest du irgendwie andeuten, dass der Protagonist an dieser Stelle auf jeden Fall bald gefunden wird. Ist nur ein Vorschlag.
Ansonsten :thumbsup:

Gruß, Frederik

[Beitrag editiert von: Frederik am 12.04.2002 um 14:52]

 

@Frederik:
Wegen Elke: Wenn der Charakter immmer 'moralisch korrekt' denkt, dann wird er vielleicht langweilig, bzw. es ist nun mal seine Sicht der Dinge.

Gruß, baddax

 

Eben.
Das ist quasi der punctum saliens, dass man unter künstelerischer Freiheit versteht, auch noch mal gepflegt beleidigend sein zu dürfen (ist aber in etwa 182 anderen Kurzgeschichten hier wohl auch der Fall).
Trotzdem, danke für´s feedback (Meißner-Schaltung schon gelernt?)

Hehe, grinst BBQ. :D

 

Jaja, gegen Beleidigungen hab ich nichts, im Gegenteil :D . Allerdings hätte ich als Leser auch gerne noch ein paar andere gelesen. Das nur dazu.

Gruß, Frederik

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom