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Krafft hört Daliah Lavi. Der Versuch einer Zumutung.

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02.11.2001
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Krafft hört Daliah Lavi. Der Versuch einer Zumutung.

Wände, die mit Klinkersteinen gebaut sind, mit kalkhaltigem Mörtel in den Fugen und beidseitig verputzt, dämpfen den Schall, wenn kein Metall darin verlegt ist. Heizungsleitungen und Wassersteigstränge zum Beispiel bestehen aus Metall. Zwar nur in Teilstücken, doch dafür reicht das hier schon. Metall trägt den Schall in schwindelerregende Höhen. Wenn keine Dämmung verlegt wurde. Wie hier. In diesem Fall bis in die Dachgeschosswohnung eines Altbaues.
Dort lebt Krafft.
Krafft nennt sein Leben ein notwendig gewordenes Übel, wenn ihn jemand danach fragt.
Ich hasse laute Musik, schrie Krafft ohne Vorwarnung einmal dem Nachbar in dessen verblüfftes Gesicht. Drei Worte in einem Sprühregen von Speichel. Schreien Sie nicht, antwortete der Nachbar. Ich durchschaue Sie. Sie wollen ablenken, Krafft.

Krafft hatte was mit der jungen Frau des Hausmeisters. Das wiederum wissen nur die junge Frau und Krafft. Dass das so sei, glaubten wiederum nur die Beiden zu wissen. Wobei die stille Post in diesem Haus dazu beitrug, dass Krafft’s schüchtern gewordenes Grüßen im Stiegenhaus mittlerweile ignoriert wird. So wie auch Krafft als Mensch gerade eben geduldet, ansonsten mit großer Hingabe totgeschwiegen wird. Die junge Frau beantragte irgendwann dann doch die Scheidung und als Krafft nach einer seiner ausgiebigen Zechtouren das Haustor aufsperrte, wartete dahinter der Hausbesorger, zerrte ihn am Mantelstoff ins Dunkel des Stiegenhauses und verprügelte ihn mit konsequenter Härte.
Ich bin mit dem Gesicht auf der Dachtreppe aufgeschlagen, erzählte Krafft dem behandelnden Arzt. Es wird länger dauern, Ihre Nase ist gebrochen, sagte der Arzt und glaubte Krafft kein Wort. Jetzt ist der Hausmeister weggezogen.
Sonnabends klopft Krafft, wie auch früher an den Vormittagen, an die Tür der jungen Frau, hält eine Schachtel Pralinen an seine Brust gedrückt und fühlt sich unbeobachtet, wenn er durch die spaltbreit geöffnete Tür schlüpft.
An Sonnabenden ist es mit dem Schall besonders schlimm. An den Sonnabenden pocht der verheilende Riss im Nasenbein doppelt so schmerzhaft. An den Sonnabenden finden mit steter Regelmäßigkeit die Feten in der Wohnung des Nachbars statt. Der Nachbar spielt dann bodenständige Schlagermusik auf seiner Stereoanlage. So sagt der Nachbar dazu. Bis die Wände wackeln, sagt er.
Da begann Krafft zu überlegen. Mit seinem Mut war es noch nicht weit. Aber es war schon vorhersehbar.

Auch die Wände der jungen Frau wackeln, wenn Krafft da ist. Es wollen ja beide. Es muss weh tun. Einmal weist die Frau Krafft an, wie es zu machen wäre, dann wieder Krafft die Frau. So wissen beide immer, was zu tun ist. Es ist ein Geben und Nehmen. Ein Geben von Schmerzen und ein Nehmen von Qualen. Es ist wie das Amen, das am Ende des Gebets steht. Die mit Urin gefüllten Gläser danach sind verdient und verlängern den noch vibrierenden Genuss nach den erlebten Pissspielen.

Dieser Sonnabend ist schon am Beginn ganz anders. Krafft darf heute der sein, der um Erlösung winselt. Zwar bringen ihre Tritte mit den Stöckelschuhen gegen Krafft’s Gesicht das erst knapp verheilte Nasenbein zum Knirschen. Zwar ist Krafft der Tränenschwall nicht unangenehm und der Schmerz, der das Gesicht faltet, und dass sie mit den Händen sein Blut auf ihren nackten Brüsten verschmiert, ihn zum Ablecken desselben auf denselben auffordert. Aber dies alles lässt in ihm zwei weitere schnelle Orgasmen erblühen. Alles wirbelt in Krafft an solchen Abenden und er kann wieder glauben. Ihr stinkender Slip klatscht gegen seine löchrigen Zahnreihen. Jaahh. Zwar rast Krafft’s Glück endgültig, als sie ihm den Dildo zwischen die Arschbacken treibt, aber da spürt er anderes, das auch rast und ihn augenblicklich in tiefe Verzweiflung ob des Betrugs an der guten Sache, die hier stattfindet, stürzt.
Ich hasse laute Musik, schreit Kraft und die Vorsehung beginnt ihren Weg zur Nachbarstür. Das ganze Haus scheint zu schwanken. Die Party ist ein wüstes Stakkato zerhackter Töne. Bässe treiben dort etwaigen Höhepunkten entgegen.

Krafft’s Mut steigert sich zum Inferno. Er ist sich seiner Nacktheit nicht bewusst. Ringt nach Atem. Er ist der Verratene, der Herabgestoßene. Gerade, als es schön war. Sehr schön war. Du Schwein, schreit Krafft und trommelt mit den Fäusten wie besessen gegen die Türe der Nachbarwohnung.
Dann herrscht Stille dahinter.
Dann steht Krafft ungläubig davor, schon im offenen Türrahmen.
Kommen Sie, Krafft.
Die Schnittwunden auf der Bauchdecke des Nachbars sind frisch, nur auf der Oberfläche zugefügt, merkt Krafft.
Endlich fertig gespielt da unten? Kommen Sie herein, Krafft. Wir haben auf Sie gewartet.
Wollen Sie zu erzählen beginnen, oder sind Sie womöglich an unseren Varianten interessiert? Mut, Krafft, nur Mut. Das mit der Schlampe ist gar nichts, verglichen mit dem, was wir für Sie tun können.
Mögen Sie Daliah Lavi, Krafft?

Dann kam die Musik über Krafft und sein Hass darauf verflog und er begann seinen Nachbar zu lieben, so sehr, wie er nur sich selbst jemals zu lieben vermocht hatte.
Man nennt es Liebe. Man nennt es glücklich sein.
Willst du mit mir gehen, Licht und Schatten verstehen, dich mit Windrosen drehen?

Durch Krafft’s Brustwarzen haben sie Stahlnägel getrieben. Die Zunge einer schwarzen Dogge leckt rau seinen Hodensack. Das Glück ist über die gesamte Breite des schwankenden Bettes gespannt.
Die weißen Rosen aus Athen, Krafft? Und den Hund von der Leine?
Jetzt die Rosen, Krafft. Ja? Bereit?

 

Lieber, guter Aqualung!

Die Geschichte ist bizzarr, abartig, ekelerregend, manchmal in der Schaurigkeit fast schon wieder belustigend, traut man sich fast nicht, sie ernst zu nehmen.

Und ...
trotzdem wirkt sie irgendwie total ehrlich. Weil die Musik ihn in einen Liebenden verwandelt? Weil du alles ausgesprichst ohne Rückhalt, ohne jeden Schonungsversuch? Ich weiß es nicht.

Der Versuch einer Zumutung -
mutest du es uns zu, dir selbst oder dem Krafft?

Mir gefällt sie trotz des Kuriositätenkabnietts und der sehr deutlichen Sprache, ob ihrer Ehrlichkeit.

Lieben Gruß an dich - Eva

 

lieber Aqua... ich kann dazu nix sagen, es ist schwer. meine Gedanken sind denen von Eva sehr ähnlich... mir is schlecht.

 

Hallo schnee.eule, hallo Maus Maus,

ich wollte es noch extremer probieren. Die Geschichte entstand, nachdem ich eine Doku über das Geschäft mit Hardcore- Pornos gesehen habe. Daraus entstand die Idee, ein Haus voll mit solch abartigen Bewohnern zu erfinden, deren Spiele hinter verschlossenen Türen.
Wenn es Ekel ist, der beim Lesen zu spüren war, so ist es doch eine Art von Reaktion auf einen Alltag hinter verschlossenen Türen.
Das wollte ich mit dieser "Zumutung" erreichen.
Die Kraffts wohnen gleich nebenan.

Liebe Grüße an euch - Aqua

 

Hi Aqua,
Uäh... Ekel, Ekel.
Mutig von Dir, derartige Abartigkeiten zu Papier zu bringen. Wie ging´s Dir beim Schreiben? Bist Du abgetaucht in die Welt der Andersartigkeit?
Aber wie Du schon schreibst, derartige Praktiken gibts nebenan.
Das hast Du super hingekriegt!
Grüße Heidi

 

Ach Aqua ...

Egal was du beim Schreiben anpackst – es gelingt dir einfach, anders kann man es nicht sagen. Die Geschichte hier besticht durch ihre kraftvolle und temporeiche Sprache und gibt dem Leser wohl dosierte Einblicke in die Welt der extremen sexuellen Spielarten. Krafft genießt – gut, dass du rechtzeitig einen gnädigen Vorhang über die Geschehnisse fallen lässt, bevor die Angelegenheit für den Leser unerträglich wird.

Absolut stark,

lg
liz

PS: Aqua Richtung Verlage schiebt ...

 

Hallo Heidi, hi Liz,

danke, dass auch ihr euch diesem zugegebenermaßen skurillen, aber deshalb nicht weniger aktuellen Thema dieser Geschichte angenommen habt.
Beim Schreiben habe ich bemerkt, dass man gar nicht danach veranlagt sein muss, um trotzdem so etwas wie perverse Ideen aus der Taufe zu heben.
Es sollte eine fast ans Äußerste gehende Gesellschaftskritik werden. Nach euren Urteilen bemessen, scheint es gelungen zu sein. Es erregt Ekel, aber es lässt viel Platz zum Denken. Wenn es dadurch haften bleibt, ist viel erreicht.
Danke für das kursiv Geschriebene, Lizzy...

Liebe Grüße an euch - Aqua

 

Also, nein ...

Tut mir leid, das glaub ich nicht, dass die "Kraffts" gleich nebenan wohnen. Und auch nicht, dass das so Gang und Gebe ist.

Naja, die Geschichte ist gut erzählt, mit einer gewissen Professionalität. Aber insgesamt ist bei mir nach dem Lesen ein Widerwillen dagegen entstanden. Nicht nur weil sie natürlich ekelig ist, sondern auch weil für mich irgendwie so ein Fingerzeig Richtung "Schaut wie pervers die Menschen sind" drinsteckt. Da kann man dann den Kopf schütteln und sich distanzieren. Auch ok irgendwie, aber nicht mein Geschmack.

Dennoch, sprachlich ist sie natürlich professionell.

lg
klara

 

Danke klara, für deine nachdenklich machende Kritik.
Natürlich hast du recht. Die Kraffts wohnen nicht unmittelbar gleich nebenan.
Doch wenn diese Sorte von Menschen nur einen Promillesatz der Menschheit darstellen, wieviel Auswirkung hat das auf den großen Rest?
Wenn wir hier weiter überlegen, sind wir in noch tieferem Terrain. Kinderschändung etc.
Was kann einer von den Kraffts anstellen, ein Einziger dieser beschriebenen Hausbewohner?
Nimm dir an irgendeinem Tag eine beliebige Zeitung zur Hand. Du wirst solche Dinge darin beschrieben finden. Manches Mal steigert gerade so ein Artikel den Umsatz des Blattes. Die Perversion durch das Quälen anderer kennt keine Grenzen.

Darüber soll die Geschichte zu denken geben, klara.

Liebe Grüße - Aqua

 
Zuletzt bearbeitet:

Vorweg: Es ist nicht so, dass ich keine Zeitung lese und nicht mitbekommen würde, was so alles an - hmm - menschlichen Abgründen passiert. Zum Zeitunglesen musst du mich nicht auffordern ..

Du berührst sehr heikle und unangenehme Themen.

Also positiv finde ich, dass du alles so widerlich schilderst, dass Voyerismus gar nicht aufkommen kann. In einschlägigen Zeitungen wird ja oft ziemlich fragwürdig an das Thema herangegangen. Besonders widerlich sind Berichte über Kindesmissbrauch mit entsprechenden Photos. Nein, ich will gar nicht weiter reden.

Welche Auswirkungen die "Kraffts" auf den großen Rest haben? Ich weiss es nicht. Sehr komplizierte Frage, zumal ich glaube, dass in vielen Menschen ein kleiner Krafft steckt, der unter normalen Umständen nicht real zum Ausbruch kommt.

Ok. Schwierige, komplizierte Themen über die nicht so einfach zu sprechen ist und schon gar nicht will ich hier ein oberflächliches einseitiges Kommentar abgeben, wie ich die Thematik sehe. Eine halbwegs sinnvolle Antwort darauf würde aus meiner Sicht ein paar Seiten füllen.

Zum Nachdenken regt sie jedenfalls an, deine Geschichte ...

lg
klara

 

Hallo Aqua,
du weißt dass die Worte passen und keiner Änderung bedürfen. Das Thema ist heikel und du bist mutig genug es aufzuschreiben und vor allem zu Veröffentlichen.
Wie die Worte zu Selbstläufern werden konnten wir ja alle bei "Chuck" erkennen.
Und das die Welt auch eine dunkle Seite hat ist kein Geheimnis.
Aber eines, sind die "weißen Rosen aus Athen" nicht von Nana, es ist nebensächlich....
Hut ab vor deinem Mut
**Merlinwolf**********

 

Hallo klara,

wenn wir nachdenken, was so nebenbei hinter verschlossenen Türen passiert, dann ist das der erste und wichtigste Schritt. Das Thema zu diskutieren bedarf tatsächlich viel mehr Zeit, es würde - wie du sagst - Seiten füllen.

Hi Merlinwolf,

ja, Nana M.
Aber es ist dieselbe Form von Musik, daher für Krafft derselbe schöne Schmerz dabei. Ich habe über die Veröffentlichung dieser Geschichte länger nachgedacht und für das Danach Schlimmes befürchtet. Aber auch die Leser haben mit ihren Stellungnahmen dazu Mut bewiesen. Der klassische Fall, dass eine Geschichte vom Gelesenwerden lebt.

Liebe Grüße an euch beide - Aqua

 
Zuletzt bearbeitet:

hi aqua,
der inhalt deiner geschichte ist nicht jugendfrei!
eine geschichte ist gut, wenn die emotionen sich rühren. widerlich und abartig, dass sind die gefühle, die ich empfunden habe. auch wenn ich aufgrund des inhalts deine geschichte nicht mag, ist sie trotzdem gut, weil sie die entsprechenden empfindungen in mir ausgelöst haben. die empfindungen kommen nicht aus dem inhalt heraus, sondern aus der art und weise, wie du diesen inhalt verpackt hast.
die dröge sprache passt hervorragend.
der krafft wohnt nicht nur nebenan, er wohnt direkt in jedem von uns. perversion ist das produkt aus der kreuzung zwischen menschlichem trieb und menschlicher intelligenz. was uns abschreckt ist, dass deine geschichte uns mit etwas konfrontiert, was wir vor uns selbst nicht zugeben wollen. dabei muss das geheimnis nicht gleich so extrem ausfallen, wie in deiner geschichte beschrieben.
fazit: gute geschichte für eine besonders ausgewählte leserschaft!
bye
barde

dass Krafft’s schüchtern gewordenes Grüßen im Stiegenhaus mittlerweile ignoriert wird.

ist der apostroph eine neue rechtschreibregel?

Krafft’s Mut steigert sich zum Inferno.

"mut" nicht wut ?

 

Danke, Barde.

Wie schon gesagt, auch Ekel ist eine Reaktion.
Zugegeben, das Thema ist heikel. Deshalb aber nicht weniger erwähnenswert.
ich meinte ,Mut'.

Liebe Grüße - Aqua

 

Hei Aq, ein gefundenes Fressen diese Story, für jeden Psychoanalytiker!!

Grenzen verlassen, neue Dimension gefunden.
Klar, die Story ist bizarr, surrealistisch fast der Umgang der Personen mit Kraft. Aber, was soll es? Die Handlung ist Realität. Ja, abnorme sexualle Praktiken sind Realität, und ich denke über die Realität kann man jederzeit schreiben, ausserdem enthält die Story keine Aufforderung und keine Verurteilung, ... nüchtern dokumentiert sozusagen.

Sicherlich auch allles eine Frage des Geschmacks. Beeindruckend zum Teil.

Na sag mal Aq, war es so:

"Soa, jetzt schreib ich das mal..., mal gucken was da jetzt kommt?"

Liebe Grüsse Stefan

Gut gemacht Aq.

 

Ja, Arche, genauso war's.
Ich hab' mich hingesetzt und dann ging's von ganz alleine. Du hast schon recht, wenn du von Grenzen verlassen schreibst. Das Konzipieren dieses Textes war eine neue Erfahrung, vor allem das Warten auf Kritik danach.

Liebe Grüße, Bruder - Aqua

 

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