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Krafft hört Daliah Lavi. Der Versuch einer Zumutung.
Wände, die mit Klinkersteinen gebaut sind, mit kalkhaltigem Mörtel in den Fugen und beidseitig verputzt, dämpfen den Schall, wenn kein Metall darin verlegt ist. Heizungsleitungen und Wassersteigstränge zum Beispiel bestehen aus Metall. Zwar nur in Teilstücken, doch dafür reicht das hier schon. Metall trägt den Schall in schwindelerregende Höhen. Wenn keine Dämmung verlegt wurde. Wie hier. In diesem Fall bis in die Dachgeschosswohnung eines Altbaues.
Dort lebt Krafft.
Krafft nennt sein Leben ein notwendig gewordenes Übel, wenn ihn jemand danach fragt.
Ich hasse laute Musik, schrie Krafft ohne Vorwarnung einmal dem Nachbar in dessen verblüfftes Gesicht. Drei Worte in einem Sprühregen von Speichel. Schreien Sie nicht, antwortete der Nachbar. Ich durchschaue Sie. Sie wollen ablenken, Krafft.
Krafft hatte was mit der jungen Frau des Hausmeisters. Das wiederum wissen nur die junge Frau und Krafft. Dass das so sei, glaubten wiederum nur die Beiden zu wissen. Wobei die stille Post in diesem Haus dazu beitrug, dass Krafft’s schüchtern gewordenes Grüßen im Stiegenhaus mittlerweile ignoriert wird. So wie auch Krafft als Mensch gerade eben geduldet, ansonsten mit großer Hingabe totgeschwiegen wird. Die junge Frau beantragte irgendwann dann doch die Scheidung und als Krafft nach einer seiner ausgiebigen Zechtouren das Haustor aufsperrte, wartete dahinter der Hausbesorger, zerrte ihn am Mantelstoff ins Dunkel des Stiegenhauses und verprügelte ihn mit konsequenter Härte.
Ich bin mit dem Gesicht auf der Dachtreppe aufgeschlagen, erzählte Krafft dem behandelnden Arzt. Es wird länger dauern, Ihre Nase ist gebrochen, sagte der Arzt und glaubte Krafft kein Wort. Jetzt ist der Hausmeister weggezogen.
Sonnabends klopft Krafft, wie auch früher an den Vormittagen, an die Tür der jungen Frau, hält eine Schachtel Pralinen an seine Brust gedrückt und fühlt sich unbeobachtet, wenn er durch die spaltbreit geöffnete Tür schlüpft.
An Sonnabenden ist es mit dem Schall besonders schlimm. An den Sonnabenden pocht der verheilende Riss im Nasenbein doppelt so schmerzhaft. An den Sonnabenden finden mit steter Regelmäßigkeit die Feten in der Wohnung des Nachbars statt. Der Nachbar spielt dann bodenständige Schlagermusik auf seiner Stereoanlage. So sagt der Nachbar dazu. Bis die Wände wackeln, sagt er.
Da begann Krafft zu überlegen. Mit seinem Mut war es noch nicht weit. Aber es war schon vorhersehbar.
Auch die Wände der jungen Frau wackeln, wenn Krafft da ist. Es wollen ja beide. Es muss weh tun. Einmal weist die Frau Krafft an, wie es zu machen wäre, dann wieder Krafft die Frau. So wissen beide immer, was zu tun ist. Es ist ein Geben und Nehmen. Ein Geben von Schmerzen und ein Nehmen von Qualen. Es ist wie das Amen, das am Ende des Gebets steht. Die mit Urin gefüllten Gläser danach sind verdient und verlängern den noch vibrierenden Genuss nach den erlebten Pissspielen.
Dieser Sonnabend ist schon am Beginn ganz anders. Krafft darf heute der sein, der um Erlösung winselt. Zwar bringen ihre Tritte mit den Stöckelschuhen gegen Krafft’s Gesicht das erst knapp verheilte Nasenbein zum Knirschen. Zwar ist Krafft der Tränenschwall nicht unangenehm und der Schmerz, der das Gesicht faltet, und dass sie mit den Händen sein Blut auf ihren nackten Brüsten verschmiert, ihn zum Ablecken desselben auf denselben auffordert. Aber dies alles lässt in ihm zwei weitere schnelle Orgasmen erblühen. Alles wirbelt in Krafft an solchen Abenden und er kann wieder glauben. Ihr stinkender Slip klatscht gegen seine löchrigen Zahnreihen. Jaahh. Zwar rast Krafft’s Glück endgültig, als sie ihm den Dildo zwischen die Arschbacken treibt, aber da spürt er anderes, das auch rast und ihn augenblicklich in tiefe Verzweiflung ob des Betrugs an der guten Sache, die hier stattfindet, stürzt.
Ich hasse laute Musik, schreit Kraft und die Vorsehung beginnt ihren Weg zur Nachbarstür. Das ganze Haus scheint zu schwanken. Die Party ist ein wüstes Stakkato zerhackter Töne. Bässe treiben dort etwaigen Höhepunkten entgegen.
Krafft’s Mut steigert sich zum Inferno. Er ist sich seiner Nacktheit nicht bewusst. Ringt nach Atem. Er ist der Verratene, der Herabgestoßene. Gerade, als es schön war. Sehr schön war. Du Schwein, schreit Krafft und trommelt mit den Fäusten wie besessen gegen die Türe der Nachbarwohnung.
Dann herrscht Stille dahinter.
Dann steht Krafft ungläubig davor, schon im offenen Türrahmen.
Kommen Sie, Krafft.
Die Schnittwunden auf der Bauchdecke des Nachbars sind frisch, nur auf der Oberfläche zugefügt, merkt Krafft.
Endlich fertig gespielt da unten? Kommen Sie herein, Krafft. Wir haben auf Sie gewartet.
Wollen Sie zu erzählen beginnen, oder sind Sie womöglich an unseren Varianten interessiert? Mut, Krafft, nur Mut. Das mit der Schlampe ist gar nichts, verglichen mit dem, was wir für Sie tun können.
Mögen Sie Daliah Lavi, Krafft?
Dann kam die Musik über Krafft und sein Hass darauf verflog und er begann seinen Nachbar zu lieben, so sehr, wie er nur sich selbst jemals zu lieben vermocht hatte.
Man nennt es Liebe. Man nennt es glücklich sein.
Willst du mit mir gehen, Licht und Schatten verstehen, dich mit Windrosen drehen?
Durch Krafft’s Brustwarzen haben sie Stahlnägel getrieben. Die Zunge einer schwarzen Dogge leckt rau seinen Hodensack. Das Glück ist über die gesamte Breite des schwankenden Bettes gespannt.
Die weißen Rosen aus Athen, Krafft? Und den Hund von der Leine?
Jetzt die Rosen, Krafft. Ja? Bereit?