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Kornkreis

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04.08.2003
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Kornkreis

Abby Elroy hatte schon immer an diesem Ort gelebt. Sie kannte nur diese riesige Ebene, die sich von Horizont zu Horizont erstreckte, überspannt von einem milchig blauen Himmel, der sich über die Welt stülpte wie ein Fliegennetz über den Käseteller.
So weit das Auge reichte, wogten die Weizenfelder im Wind, in einem durch das Auge vorgegebenen Kreis, der so weit war, dass die Augen schmerzten, wollte man versuchen, mit Blicken wirklich bis zum Rand des Kreises vorzudringen, hinaus, wo die flirrende Hitze über den Feldern die Luft vibrieren ließ.

Und im Zentrum dieses Kreises hockten böse und drohend wie Spinnen die roten Türme der Getreidesilos mit ihren langen schwarzen Kranarmen. Um einen plattgewalzten Platz, auf dem im Sommer Windhosen tanzten, reihten sich flache grüne Schuppen, in denen wie riesige Käfer die Erntemaschinen auf ihren Einsatz warteten.
Das Farmhaus mit seiner grauen Putzfassade stand auf einer sonderbaren, künstlich wirkenden Erhebung, die die Grundmauern des Hauses auf die Höhe der Dächer ringsum hob. Dort stand das Haus im Zentrum des Gehöfts und rund herum bis zum Horizont wogte das Korn.

In der warmen Jahreszeit saß Abby auf der roh gezimmerten Bank neben der Tür des Farmhauses. Sie hatte die Augen halb geschlossen und hob ihr schmales Gesicht der Sonne entgegen. Sie saß da und wartete.
Gleich hinter dem plattgewalzten Platz, auf dem die Erntemaschinen auffuhren, begannen die Felder. Die Ähren wiegten sich in einem selbstvergessenen Tanz, den Abby vergeblich zu ergründen und zu erlernen suchte.
„Zapple nicht herum,“ schalt die Mutter, wenn Abby versuchte, sich wie die Ähren auf den Feldern in einem gleichmäßigen sanften Rhythmus zu schaukeln. Aber die Mutter war meist im Haus und Abby wiegte sich zusammen mit den Ähren sachte hin und her.

Im Herbst sah Abby sehnsüchtig den Krähen zu, die über den Feldern kreisten und die letzten Körner zwischen den abgeernteten Halmen suchten und im Winter blickte Abby vom Fenster ihres Zimmers im ersten Stock aus auf die weiße Schneedecke, unter der sich die Felder verbargen. An manchen Tage waren über Nacht schwarze Zeichen erschienen, die wie eingebrannt zu Abby herüberleuchteten. Nächtelang saß sie am Fenster, eingewickelt in eine dicke Decke und wartete. Wartete darauf, dass diejenigen, die die Zeichen gemacht hatten, wieder kommen würden. Wartete auf die Lichter, die über den mondlichtübergossenen weißen Feldern tanzten. Niemand außer Abby schien die Zeichen und die Lichter zu bemerken. Und wenn die anderen sie bemerkten, so schienen sie sie jedenfalls nicht zu beachten.


So vergingen die Jahre. Als Nick zur Erntearbeit auf die Farm kam, war Abby 21 Jahre alt, eine hochgewachsene junge Frau, feingliedrig, und durchscheinend wie der Himmel über den Weizenfeldern. In ihren Augen spiegelte sich die Weite des Himmels, aber dahinter lag eine tiefe Leere. Nick war ein großer schlaksiger Kerl, dem man weder die Kraft ansah, mit der er die schweren Säcke mit Saatgut auf seine Schultern wuchtete noch die Feinfühligkeit, mit der er die riesigen Erntemaschinen auf den Zentimeter genau steuerte.

„Um Abby musst du dich nicht kümmern,“ sagte Mrs. Elroy und die Bewegung, wie sie mit ihrer Hand vor dem Gesicht etwas nicht vorhandenes wegwischte, sagte ihm deutlich, dass Abby nicht ganz richtig im Kopf war.
Er schaute zu Abby hinüber, die auf der Bank neben der Tür saß und ihren Oberkörper in kleinen Kreisen wiegte.
„Ich sag ihr nur Guten Tag,“ sagt er und setzte sich neben Abby auf die Bank.
„Du bist zum arbeiten hier, denk dran. Abby kommt alleine klar,“ sagte Mrs. Elroy und verschwand im Haus.
„Guten Tag, ich bin Nick,“ sagte Nick und streckte Abby die Hand hin.
„Guten Tag, ich heiße Abby.“
Die Augen, die sie ihm zuwandte, spiegelten die Weite des Himmels. Er sah kleine Schäfchenwolken darin schweben, aber sie sahen durch ihn hindurch.
„Was tust du hier?“ fragte Nick und zog seine Hand zurück.
„Tanzen.“
„Tanzen?“ Nick dachte, er hätte sich verhört.
„Tanzen wie das Korn.“
Abby hatte die Augen wieder starr auf das Feld gerichtet. Nick schien es, als saugten diese Augen die Weite in sich ein.
„Ich muss jetzt arbeiten. Wenn du magst, komme ich am Abend wieder. Dann kannst du mir davon erzählen.“
„Ich bin immer hier,“ sagte Abby.
„Dann bis heute Abend,“ sagte Nick und rannte über den plattgewalzten Platz hinüber zu den Silos.

Nach ein paar Tagen verbrachte Nick seine ganze Freizeit auf der Bank neben Abby.
„Warum tanzt du nicht wirklich?“ fragte er eines Tages.
„Ich tanze,“ sagte Abby.
„Ich meine es ernst,“ drängte er. „Warum stehst du nicht auf und lässt dich wirklich vom Wind wiegen, so wie das Korn es tut?“
Abbys in die Weite gerichteter Blick streifte ihn. Langsam stand sie auf.
„Kein Wind,“ sagte sie und schüttelte traurig den Kopf.
„Dann gehen wir zum Feld, dort ist Wind,“ sagte Nick und nahm sie an der Hand. Gehorsam folgte sie ihm über den plattgewalzten Platz. Ein breiter, von tiefen Furchen durchzogener Weg führte in die Felder.
Ein stetiger Wind trieb kleine Staubfahnen auf dem Weg vor ihnen her und spielte in Abbys roten Haaren.
„Hier war ich noch nie. Mutter hat gesagt, ich soll beim Haus bleiben.“ Ängstlich klammerte Abby sich an Nicks Hand.
„Du braust keine Angst zu haben, ich passe auf dich auf.“
Die ockerfarbenen Ähren rechts und links des Weges wogten sanft in der lauen Brise.
„Ist es hier nicht viel schöner?“ fragte Nick.
Abby nickte und wiegte sich wie die Halme im Wind.
„Wind tanzt mit mir,“ lachte sie, löste ihre Hand von Nick, warf die Arme gen Himmel und schwankte immer schneller hin und her.
Nick erschrak über die Heftigkeit ihrer Bewegungen. Mit beiden Armen fing er sie ein und hielt sie fest. Wie erstarrt blieb sie mit hoch erhobenen Armen in seiner Umarmung stehen. In ihren Augen zuckten kleine Lichtblitze, aber sie sahen durch ihn hindurch.
Als Nick sie losließ, sanken ihre Arme herab wie bei einer aufblasbaren Puppe, aus der man die Luft lässt.
„Wir müssen zurück, deine Mutter wird sich Sorgen machen,“ sagte Nick, nahm Abby bei der Hand und sie folgte ihm zurück zum Haus.
Mrs. Elroy kam ihnen über den Platz entgegengelaufen.
„Wo warst du? Du sollst doch beim Haus bleiben,“ rief sie Abby schon von weitem entgegen. Die schmale Hand in Nicks großer zuckte.
„Es ist meine Schuld, Ma’am, wir sind ein Stück den Weg ins Feld gegangen.“
Mrs. Elroy sah Nick durchdringend an. Ihre Augen waren dunkel, von der Farbe feuchter Erde und ihr Blick stak in Nick wie eine Lanze.
„Wenn du dabei bist, ist wohl nichts dagegen einzuwenden,“ knurrte sie. „Aber sag mir künftig Bescheid.“ Sie wischte die Hände an einer imaginären Schürze ab, drehte sich um und ging mit energischen Schritten ins Haus zurück.
Abby setzte sich auf die schäbige Bank neben der Tür. Ihr Blick schien den Horizont zu suchen. Nick blieb vor ihr stehen, aber Abbys Blick veränderte sich nicht.
„Als wäre ich aus Glas,“ dachte Nick. Er wusste nicht, warum, aber er hätte alles gegeben für nur einen Blick aus diesen tiefen stillen himmelblauen Augen, der ihm gegolten hätte, nicht der Weite und dem Korn.
„Wir gehen bald wieder ins Feld,“ versprach er.
Abby nickte. „Ich bin immer hier.“

Sie waren seitdem viele Male losgezogen, Abby immer fest an Nicks Hand geklammert. So sehr Nick sich auch um ihre Aufmerksamkeit bemühte, blieb ihr Blick doch unverändert in die Weite gerichtet, als erwarte sie ein Ereignis dicht über dem Horizont, das sie auf keine Fall versäumen wollte.
Einige Wochen waren vergangen, seit Nick und Abby zum ersten Mal den Weg ins Feld genommen hatten, als Nick nachts von einem energischen Klopfen an seiner Türe geweckt wurde.
„Wach auf, los!“ rief Mrs. Elory und riss die Tür zu Nicks Zimmer auf. „Sie ist weg, einfach weggelaufen!“
Nick richtete sich verschlafen auf.
„Abby?“ fragte er.
„Wer denn sonst. Du hast ihr das mit dem Herumlaufen ja in den Kopf gesetzt.“
„Keine Sorge, Ma’am, ich weiß, wo sie hingegangen ist, ich finde sie.“ Nick schlüpfte in Hemd, Hose und Schuhe. „Ich finde sie, bestimmt,“ wiederholte er, griff nach seiner Taschenlampe und rannte aus dem Haus, den Weg in die Felder hinein.
Er musste nicht lange gehen, da sah er Abby. Sie stand mitten auf dem Weg, die Hände ausgestreckt über die Felder.
„Abby, was machst du hier draußen?“ frage Nick und stellte sich neben sie.
„Lichter,“ flüsterte Abby, „Lichter haben gerufen. Jetzt sind sie weg. Du hast sie vertrieben.“
Mit beiden Händen fasste Nick Abbys Schultern, drehte sie zu sich und schüttelte sie.
„Hier sind keine Lichter, niemand, der dich gerufen hat. Hier ist nur Korn, nichts als Korn, Abby.“
Abby lächelte. Und plötzlich kam ihr Blick vom Horizont zurück, langsam, als wehre er sich gegen eine Kraft, die ihn zu halten versuchte, und ihr Blick tauchte in seine Augen. Nick wurde schwindlig vor Freude.
„Abby,“ hauchte er. Er schlang seine Arme um sie und zog sie eng an sich. Eine unbekannte Zärtlichkeit erfüllte ihn und ein Glücksgefühl, das er nicht zu deuten wusste. Abby sah ihn an!
„Sie kommen bestimmt wieder,“ sagte Abby und ihre Stimme war anders, weicher, nicht so weit weg. „Wir warten hier auf sie.“
„Und wenn sie nicht kommen?“ fragte Nick.
Abby lächelte und deutete ins Feld. Mit beiden Armen bog Nick die Ähren auseinander und sie gingen vom Weg ins Feld hinein. Die Taschenlampe hatte er an den Gürtel gehängt und das Korn, an dem sie sich vorbeidrängten, erwachte für Augenblicke im fahlen Schein, wiegte die Ähren und schlief hinter ihnen in der Dunkelheit wieder ein.
Nick hatte nur ein paar Schritte gehen wollen, aber Abby zeigte immer weiter ins Feld hinein. Endlich blieb sie stehen und drückte mit dem Fuß einige Ähren beiseite. Sie breitete das Tuch, das sie über der Schulter getragen hatte, auf die geknickten Ähren und setzte sich darauf.
„Hier warten wir,“ sagte sie.
Auch Nick trat einige Ähren nieder, breitete sein Hemd darauf und setzte sich neben Abby. Die Taschenlampe steckte er in ein kleines Loch im Boden, so dass der Strahl über Abby und ihn hinweg in die Nacht zeigte. Jetzt hatte das Kornfeld nichts mehr von Weite und endlosem Horizont, jetzt war es eine Mauer aus Ähren, ein Versteck vor der Welt und allem, was sich regt zwischen Himmel und Erde.
Nick legte einen Arm um Abby und als sie sich nicht wehrte, zog er sie an sich. Im matten Licht der Taschenlampe konnte er ihre Augen sehen, die klar und ruhig auf ihm ruhten. Er hatte Abbys Augen vom Horizont zurückgeholt. In dem Glücksgefühl, das ihn überschwemmte, zog er Abby fest an sich, sein Mund berührte ihre Stirn und ihre Wangen, er suchte ihre Lippen und war erstaunt, sie weich und willig zu finden. Sanft drängte er sie zurück, bis sie auf dem Lager aus Ähren lag.
Ob ihr Blick jetzt in der Nacht versank, fragte er sich und beobachtete Abbys Augen, aber die waren auf ihn gerichtet und schienen sein Innerstes einzusaugen.
Seine Hände gingen auf Wanderschaft über ihren Körper und der Nachtwind flüsterte die Liebesworte, die ihm nicht einfielen. Abby lag ganz still und ihr ganzer Körper schien zu hören und zu sehen in der Dunkelheit des Ährenfeldes.

Ein Staubkorn kitzelte Nick in der Nase und er musste niesen. Erschrocken setzte er sich auf.
„Verdammt, ich bin eingeschlafen,“ rief er und hielt voll Entsetzen die Luft an. Er lag im Zentrum eines riesigen Kreises, in dem die Ähren fein säuberlich umgelegt waren, alle in eine Richtung, alle dem Rund des Kreises folgend. Über dem Rand des Kreises stieg die Sonne glutrot in den morgendlichen Himmel empor.
Neben ihm stand Abby, die Arme hoch erhoben. Ihre Haare standen von ihrem Kopf ab wie Nadeln aus einem Nadelkissen. Sie wiegte sich hin und her und Nick hatte den Eindruck, als sei auch sie nur eine Ähre, die im Wind schaukelte.
Er sprang auf. Abbys nackter Körper war von einem feinen silbrigen Staub bedeckt, der sich klebrig anfühlte, den er aber leicht von der Haut streifen konnte.
„Abby, was ist hier geschehen?“ schrie er und schüttelte sie.
Abby hörte ihn nicht. Ihr Blick, den Nick auf sich gezogen zu haben glaubte, war in die Weite gerichtet, in eine Ferne jenseits des Horizonts und Nick wusste, dass er ihn von dort nicht würde zurückholen können.
Dieser verfluchte Kreis. Es war, als hätte die Leidenschaft dieser Nacht in einem Wirbel das Korn rund um sie niedergewalzt. Es war die Energie aus Abbys Augen gewesen, diese Blicke, die sich wie wässrige Feuerzungen in seine Augen gebohrt hatten.
„Abby, wir müssen uns anziehen,“ sagte er und schlüpfte in seine Sachen. Sie reagierte nicht. Er streifte ihr die Bluse über den Kopf, den Rock hinterher, er steckte ihre Füße in die Schuhe. Sie ließ alles ohne jede Regung mit sich geschehen. Nick war zum Weinen zumute.
Als er sie an der Hand nahm, folgte sie ihm gehorsam wie ein Kind zurück auf den Weg, zurück zum Haus.
In der Tür des Farmhauses stand Mrs. Elory. Als sie Abby und Nick auf dem Weg auf das Haus zugehen sah, lief sie ihnen entgegen.
„Abby hat Lichter gesehen, Ma’am,“ sagte Nick.
„Lichter gibt’s hier draußen viele,“ sagte Mrs. Elroy, „nur, außer Abby kümmert sich keiner drum.“
Sie warf Abby einen kurzen Blick zu, dann führte sie sie zu der schäbigen Bank neben der Tür und Abby setzte sich. Mrs. Elroy kam zu Nick zurück.
„Tut mir leid, mein Junge. Es musste irgendwann so kommen,“ sagte sie und legte ihm den Arm um die Schulter. Nick schluckte, um die Tränen zu unterdrücken. „Sie ist glücklich, glaub mir,“ sagte Mrs. Elroy und gab ihm einen Schubs. „Geh frühstücken.“

Nick brauchte kein Frühstück. Stattdessen ging er zu einem der grünen Schuppen und öffnete das Tor. Drinnen stand der Mähdrescher wie ein riesiger Käfer, der auf Futter wartete. Nick schwang sich auf den Sitz, startete den Motor und fuhr das Ungetüm auf den plattgewalzten Platz vor dem Farmhaus.
Abby saß auf der Bank neben der Tür. Neben ihr stand Mrs. Elroy, die Hand auf Abbys Schulter gelegt und sah ihm nach, wie er die Flügel des eisernen Insekts ausbreitete und mit Donnern und Knirschen ins Feld fuhr. Vor ihm fraß das Monstrum die Ähren vom Boden und ließ hinter ihm nur kahle Stoppeln.
Nick wusste den Weg, den er fahren musste und schnurgerade zog er eine Schneise in das Korn bis hin zu dem großen Kreis am Boden liegender Halme inmitten aufrechter Ähren.
Und er fuhr darüber hinweg, wie er gerne über seinen Schmerz hinweg gefahren wäre. Das eiserne Insekt fraß die Halme vom Boden und hinterließ nur kurze Stoppeln auf dem Feld und den tiefen Schmerz in Nicks Brust.

 

Teilweise schöne Stimmung

die du da eingefangen hast. Fühlt sich melancholisch an.
Andererseits ist mir das Ganze zu dick aufgetragen, viele viele Adjektive und Vergleiche. Liest sich teilweise wie für Frauen (sorry Frauen) geschrieben.

Seine Hände gingen auf Wanderschaft über ihren Körper und der Nachtwind flüsterte die Liebesworte, die ihm nicht einfielen.

Das ist nicht so meins, aber warum nicht.

 

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