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Kopien
Es war nun 1 Jahr her, dass Kevin bei dem Unfall ums Leben kam. Ein langes Jahr.
Mir und meiner Familie war dieser eine, schreckliche Tag nie aus der Erinnerung gewichen. Wie auch?
Es war ein ganz gewöhnlicher Abend mit dem üblichen Fernsehprogramm.
Bis dieser Anruf kam. Das Bild meiner Mutter, wie sie zusammengesackt auf dem Fußboden saß, das Telefon fest mit ihrer Hand umklammernd hatte sich so tief in mich hinein gefressen, dass ich es nicht mehr abschütteln konnte. Wie gerne hätte ich doch. Doch ich erinnerte mich an alles. Ich erinnerte mich an das Gefühl, das schrecklichste Gefühl in meinem Leben. Es war als würde meine Kehle zugeschnürt werden. Nach Luft schnappend, versuchte ich zu denken. Klar zu denken. Aber meine Gedanken wie auch meine Sicht waren vernebelt. Da war nichts mehr. Keine Vergangenheit, keine Zukunft. Für diesen Augenblick gab es nur die schreckliche Gegenwart. Nie endend.
Die ersten Tage nach Kevins Tod waren die schlimmsten. Unser Leben war nur noch eine Schleife der gleichen, melancholischen Abläufe. Tag für Tag. Wie ein Film auf Dauerschleife. Phasen des Nichts-Fühlens, Nichts-Sagens, Nichts-Denkens, unterbrochen von der Trauer die uns immer wieder einholte.
30 Leute hatten sich bei uns gemeldet und ihre Trauer überbracht. 30 Leute haben wir abgewiesen.
Ich denke meine Mutter hat es am schwersten getroffen. Falls sich die Trauer um Kevin überhaupt hätte messen lassen können.
Damit ich nichts mitbekam weinte sie draußen, in einer versteckten Ecke...
Ich bekam es mit. Jeden Tag. Und immer wenn ich ein Stück weiter war, es mir ein Stück besser ging brach der mentale Boden, den ich mir mühsam aufgebaut hatte, erneut wieder unter mir zusammen. Irgendwann war alles, was ich noch tat , auf den Tag, an dem alles vorbei sein würde zu warten.
Man sagt ja Zeit heilt alle Wunden. Aber wie viel Zeit braucht man? 1 Jahr? 10 Jahre? Oder ist ein ganzes Leben nicht genug? Ich sollte bald erfahren, dass die Wunde die Kevin hinterlassen hatte, bei meinen Eltern noch lange nicht verheilt war.
Das erste Mal hatte ich von ihrer Idee nicht durch sie selbst, sondern durch eine Broschüre erfahren.
„Reproduktionsmedizinisches Zentrum Düsseldorf“. Zuerst dachte ich es wäre wieder nur dieser Wissenshunger meiner Mutter gewesen, die sich immer über alles Mögliche informierte. Doch dann schoss mir ein anderer Gedanke durch den Kopf. Reproduktion. Klonen.
Ich ließ mir dieses Wort durch den Kopf gehen. Was hatten meine Eltern mit Klonen zu tun?
Nicht lange und der Gedanke formte sich in meinem Kopf, breitete sich aus wie ein schwarze Rauchwolke. Klonen. Nein. Natürlich. Meine Eltern wollten meinen Bruder klonen.
Es erschien mir so unrealistisch, so unwirklich, aber wahnsinnig beängstigend und… krank. Sind meine Eltern vor Trauer so verrückt geworden? Kevin ist tot! Und ich weiß er kommt nicht zurück. Wollen sie wirklich eine Kopie von ihm anfertigen?
In diesem Moment kamen sie ins Zimmer und sahen mich mit aufgerissenen Augen und der Broschüre in der Hand. Als sie sagten: „Max, versteh doch“. Da war mir klar, dass ich Recht hatte. Was ich fürchte, wollen sie Wirklichkeit werden lassen. Sie wollten, dass mein Bruder noch einmal lebt. Aber das durfte nicht sein. Ich liebe mein Bruder, ja! Den, mit dem ich aufgewachsen bin, mit dem ich mein Zimmer und all mein Spielzeug geteilt hatte und der mir das Fahrradfahren beigebracht hat. Den Bruder, dessen Lachen ich immer noch genau kenne und dessen Art ich, auch wenn ich sie oft verflucht habe immer noch am meisten auf dieser Welt vermisse. Ich habe mir so oft, so sehr gewünscht er sei wieder da, alles sei wieder so wie früher. Dass dieser Unfall nie passiert wäre und ich einfach ab dem einen Tag weiterlebe, mit ihm. Dass er wieder da wäre. Aber doch kein Klon! Ein Klon könnte all das nie ersetzen. Niemals könnte er Kevin ersetzen.
Es gab genug Berichte in letzer Zeit, über die Wesen, die bei missglückten Klon Versuche entstanden sind. Was letztendlich mit ihnen geschieht weiß niemand. Bis auf ihr kranken Schöpfer.
Ich war mir sicher ich würde nicht zulassen, dass meine Eltern mit Kevins Genen experimentieren und am Ende ein weiteres kopiertes Monster aus einem geliebten Menschen erschaffen.
Nicht aus meinem Kevin.