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Kopfschuss
Mit dem Ellenbogen öffnet er vorsichtig die Tür und streift sich behutsam die Handschuhe von den Händen. Sorgfältig achtet er darauf, daß nichts von dem Blut daran seine Kleidung verschmutzt, als er sich die Hände under dem Wasserhahn wäscht.
Der Anblick der toten Frau geht ihm nicht mehr aus dem Kopf, als er kurz darauf den Flur hinunter geht. Ihr Bild ist mit jedem Schritt den er geht, wieder und wieder, in seinem Kopf, wie das Geräusch seines Auftretens wird es von den Wänden und dem Linoleum auf ihn zurück geworfen.
Er kann sie nicht mehr ertragen, seine eigenen Schritte, so wie er sich selbst nicht mehr erträgt. Deswegen schleicht er, geht langsam und tritt nicht feste auf, aus Angst seine eigenen Schritte zu hören. Aber es geht schon besser, jeder Tote bringt mehr Routine mit sich, wird weniger bedeutsam und verschindet in der Masse. Gerade die Routine erschreckt ihn aber an sich selbst.
So wollte er nie werden, das hat er sich irgendwann geschworen. Das aber ist lange her und diese Erkenntnis schmerzt ihn. Wenn er doch schon da wäre! Obwohl er alles geplant hat und nichts fehlschlagen kann, dernkt er immer und immer wieder darüber nach. Er will sicher gehen, daß alles exakt so abläuft wie er es sich überlegt hat, denn das hat es bisher immer getan. Sonst wäre er heute nicht da wo er ist, auch wenn er es gerade nicht sein will.
Der Flur ist geschafft, eine unendlich lange Abfahrt liegt vor ihm, als er in den Aufzug steigt. Mühsam schleppt sich der Aufzug tiefer, Stockwerk um Stockwerk geht es hinab. Als der Aufzug anhält und die Tür sich öffnet wird ihm bewußt, daß die zugestiegenen Menschen ihn durchschauen könnten. Das macht ihm Angst un der beginnt zu schwitzen, und er hat Ansgt daß sie auch das merken. Seine Angst steigert sich ins Unermeßliche; er fühlt daß er nunmehr gläsern ist und sie sein Innerstes sehen können. Sie müssen es ihm ansehen! Wie wenig muß man von den Menschen wissen um ihn zu durchschauen? Er dachte immer er wüßte, viel von sich und den Menschen. Aber hat ihn das weitergebracht? Ja und Nein. Selbstverständlich ist das in seinem Beruf unerläßlich, aber das ist nicht alles. Es ist viel mehr als das. Was hat er von den Menshen wirklich erfahren? Hat er nicht vielleicht über die Perfektion, die er sich in seinem Beruf abverlangt vergessen, daß Menschen eben nicht nur Objekte sind? Oder macht gerade diese Distanz ihn schuldig? Es fühlt sich für ihn an, als sei er eben deswegen schuldig, weil er diese Distanz immer gewahrt hat. Er hat niemals mehr zugelsassen, ddeswegen ist er gut, in seinem Beruf.
Der Aufzug hält an und alle Fahrgäste steigen aus. Er aber muß weiter hinab. Seinen Weg kann er nur alleine gehen, das hat er gelernt. Er muß es tun, denn er hat mehr Schuld auf sich geladen als er tragen kann. Gemerkt hat er das erst, als es bereits zu spät war, also hat er weiter gemacht, was sollte er auch sonst machen? Er ist alleine und das Rütteln des Aufzugs und das monotone Surren der Elektrik beruhigen ihn. Alleine muß er sein, niemand hat Verdacht geschöpft. Es läuft alles nach Plan.
Die Aufzugtür öffnet sich erneut und es ist dunkel um ihn herum. Nur die Notbeleuchtung gibt zögerlich genug Licht um den Blick den Gang hinunter zu ermöglichen. Auch hier ist niemand, das freut ihn, denn sein Plan funktioniert. Es ist die letzte Möglichkeit etwas wieder gut zu machen, das weiß er und er will sie nutzen. Danach kann er beruhigt gehen, alle Selbstvorwürfe kann er dann getrost vergessen. Den Gang hinunter und die siebte Tür links, hoffentlich kein Hausmeister der in den Heiz- und Lüftungskellern seiner Arbeit nachgeht. Aber er hat Glück, der Raum ist leer.
Andächtig wählt er die Nummer der Notaufnahme und nennt seinen Namen. Die Leiche sei frisch und die Organe sollen sofort entnommen werden, denn die Person sei registrierter Spender, sagt er. Die kühle Luft halte die Organe länger funktionsfähig, sagt er auch. Man fragt ihn nach den Umständen des Todes, aber er kann noch nicht antworten. Er legt auf.
Ein Schuss fällt.
Minuten später geht die Tür auf und zwei Ärzte und ein Pfleger betreten den Heizungskeller. Die kalte Luft der Lüftungsschächte und der Anblick des Chirurgen in OP-Kleidung, der direkt neben der Tür sitzt lässt sie frösteln. Er ist tot, Kopfschuss.