Kontraste
Nackte Füße auf verbrannter Erde. Sie steht vor einem Zelt, das aus großen Decken zusammengesteckt wurde. Ein zierlicher Kopf mit kurzen und trotzdem verfilzten Haaren, der mit ängstlichem Blick die Welt um sich herum beobachtet. Fliegen umschwirren hungrig die kleinen, offenen Wunden und lassen sich auch von einem resignierenden Handwedeln nicht davon jagen. Die Mutter hat das Blut geduldig abgetupft, die Wunden gereinigt, so gut es ging. Ein viel zu großer, verdreckter roter Pullover von Escada bedeckt den ausgemergelten Körper des Kindes, Teil einer Hilfslieferung. Dünne Arme recken sich dem Mann entgegen, von dem die Eltern sagen, er sei zum Helfen gekommen. Er hat feste Stiefel an, sein Haar ist ordentlich gekämmt. Er riecht gut. Aber er hat kein Spielzeug mitgebracht. Er hält eine Maschinenpistole in der Hand und lächelt.
Tausende Kilometer entfernt.
Es duftet nach Plätzchen. Die Eltern legen viel Wert auf eine anheimelnde Atmosphäre, die Kinder sollen Geborgenheit spüren. Kichernd, einander in die Seite knuffend, kommen sie die Treppe hinunter. Laura hat das neue Kleid von Versace an, lila, mit dem hohen Kragen, der die Goldkette besonders gut zur Geltung kommen lässt. Bianca hingegen hasst Kleider, egal welcher Marke. Sie liebt Jeans, vorzugsweise Levis, auch wen so manche ihrer Freundinnen die Nase darüber rümpft. Ihr langer, dunkelblauer Pullover ist von Benetton. Sie findet die Werbung so gut. Stolz schauen die Eltern auf ihre beiden „Schätzchen“. Der Kaffeetisch ist gedeckt. Auf zwei Tellern liegt je ein kleines, aufwändig schön verpacktes Päckchen. Zwei goldene Armbänder. „Nur mal so“ hat der Vater fast schon entschuldigend gesagt, er liebt seine Kinder.