Kontrast
Kontrast
Weiß
Die Sonne strahlt auf die silbrig glänzenden Fassaden der Skyline von Nirgendwo, reflektierende Lichtblitze durchschießen die Dunkelheit in den tiefen Canyons der Downtown, erhitzen den plattgewalzten Teer der Straßen und entflammen den kühlen Morgen. Menschen beginnen sich zu bewegen, gehen, springen, fahren, fliegen in den neuen Tag. Schöne Menschen in schönen Autos, schöne Anzüge, schöne Krawatten, schöne Lackschuhe. Glattpolierte, schwarze Lackschuhe, in denen sich die Szenen des Tages verzerrt wiederspiegeln.
Ein Schritt und noch ein Schritt. Und mit jedem Schritt und mit jedem Blick verändert sich die Welt um uns herum.
Gischtgrau
Der Feuerball steigt höher auf, erhitzt die Atmosphäre und erhellt bisher ungeahnte Bereiche. Schatten der eigenen Gesichter fallen auf die Haut der Menschen. Sie stolpern über Unebenheiten auf dem gepflasterten Weg ihrer Gesellschaft. Das war nur ein Versehen. Kommt nicht wieder vor. Die Kreuzungen sind überfüllt. Wehe dem, der nach Ordnung sucht. Rechts frisst sich das Licht in verchromte Stahlrösser, links zerfallen bröckelnde Wände zu ewigem Staub. Ein Zeitungsjunge setzt seine getönte Brille kopfschüttelnd ab. Was ist hier los?
Betongrau
Die schweigenden Riesen entlang der Straße wanken wie faulende, abgestorbene Bäume im schneidenden Wind. Staub und Rauchschwaden füllen das Tal zwischen ihnen, einzelne Strahlen durchdringen die stickige Schicht, reißen die Anzüge auf, beißen Spliss in die Fasern und stechen in das Fleisch der Menschen. Die Feuchtigkeit der Haut verdampft und mischt sich in das träge Luftgemisch. Krusten bilden sich in den Gesichtern der Menschen. Narben, die keiner je zuvor gesehen hat, entwachsen ihnen. Der Teer unter den Autos wird weich und klebrig, spritzt wenn eines der Fahrzeuge scharfe Kurven fährt. Bespritzt die gewaschenen Hände der Menschen, bespritzt die Kulisse von Reichtum und Wohlstand.
Anthrazit
Blasen bilden sich auf dem Boden, an den Wänden, an Tischen, Stühlen, Laternen, Bushaltestellen, Prinzipien, überall. Eine dünne Folienschicht löst sich von der Erde, mit jedem Tritt, mit jeder Berührung eines Körpers. Unter den Schuhsohlen öffnen sich dunkle, hässliche Schlaglöcher, die wie Ameisenlöwen in unersichtlichen Tiefen auf das nächste Opfer warten. Die Folie rollt sich langsam auf, die geschminkte Haut der Realität. Der unertragbare, penetrante Gestank des Plastiks löst die gelähmten Nerven und den gefesselten Verstand.
Schwarz
Eine trockene Hülle fällt von den Körpern, hässliche, verschrumpelte Masken. Düstere Gestalten in den dichten Schwaden. Stahlrösser werden zu Komplexen und verfliegen, Politiker werden zu Büttenrednern, Architekturen zu Pappschildern, Reklame zu Gold zu Nickel. Die grelle, schmerzende Wahrheit brennt alle Masken, alle Ausreden, alles Falsche nieder. Nichts bleibt übrig. Dann wird es für kurze Zeit still.
Ein paar Lackschichtreste liegen noch in der tiefen Staubschicht, wo sie keiner sieht. Der Statist eines Scheinlebens steht auf der Straße, erstarrt, erschrocken, zerrissen.
Und dann kneift er die entblendeten Augen wieder zusammen und setzt hastig seine brüchige Brille wieder auf.