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Kontaktgespräch
Als ich das La Vida Llena betrat, ahnte ich noch nichts von der unglaublichen Geschichte, die mein Vater mir an dem Tag anvertrauen würde. Es war Sommer 1995, die Sonne brannte unbarmherzig vom wolkenlosen Himmel herab. Beinahe schien es, als hätte sie meinem alten Herrn die Sinne vernebelt.
In der gläsernen Eingangshalle mit den Palmen im Foyer frönten ein paar Männer dem Eiskaffee, eine attraktive Empfangsdame hispanischen Aussehens vertrieb sich die Zeit mit einem Kreuzworträtsel.
Hier hätte man durchaus seine Flitterwochen verbringen können, wäre da nicht ein leicht süßlicher Geruch in der Luft gewesen, ein Gemisch aus Desinfektionsmittel, Urin und Kantinenessen, das an ein Krankenhaus erinnerte.
Kunstdrucke schmückten die Korridore der im Osten von Albuquerque gelegenen Seniorenresidenz, die barrierefreien Apartments lagen reihenhausartig gestaffelt nebeneinander.
Drei Meilen entfernt ragten die Sandia Mountains empor.
Das Alterswohnheim war nicht übel, gab es doch mehrere offene Gemeinschaftsräume, eine Bibliothek und einen Frisör. Sogar ein Hallenbad mit Wellnessbereich und ein Tennisplatz standen zur Verfügung. Krankheit und Tod waren weniger gegenwärtig als in einem klassischen Pflegeheim. Trotzdem war ich nicht gerne hier, machten mich die Gebrechen im Alter doch jedes Mal betroffen.
Mein Vater bewohnte ein gemütliches helles Apartment im Südflügel, mit eigenem Bad und einem herrlichen Ausblick auf den Stadtpark. Zudem gab es eine gut ausgestattete Küche und Kabelfernsehen. Regelmäßig kam eine Pflegekraft.
Ich klopfte und trat durch die Tür. Vater saß am Esstisch. Die Klimaanlage lief auf vollen Touren und übertönte das Radio. Blickte man aus dem Fenster, sah man im Schatten der Ahornbäume halbnackte Studenten dösen. Auf der anderen Straßenseite lag die University of New Mexico.
»Hallo Dad!«
Vater drehte den Kopf, nahm die Brille ab und faltete das ABQ Journal zusammen, das er gerade gelesen hatte.
»Ron! Schön, dich zu sehen!«, brachte er mit krächzender Stimme hervor. Er räusperte sich.
Wir umarmten uns. »Wie geht’s dir?« Ich holte eine Tüte Salzcracker aus meiner Tasche und legte sie auf den Tisch.
»Nun ja, die Gelenke müssten mal wieder geölt werden, und meine Beine fühlen sich an wie Wackelpudding«, scherzte er. »Aber so ist das halt, wenn man alt ist. Möchtest du was trinken?«
Ich schüttelte den Kopf und stellte die Klimaanlage eine Stufe zurück. »Vielleicht nachher.«
»Und wie läuft es auf Arbeit?«
»Kann mich nicht beklagen. Der neue Auftrag ist lukrativ. Nächste Woche hab ich ein Meeting in Santa Fe. Aber nun zu dir. Du wolltest mich sprechen. Was gibt es denn so Wichtiges?«
Vater deutete auf den freien Stuhl ihm gegenüber. »Setz dich erst mal.«
Ich gehorchte und sah ihn an. Sein kurzes schlohweißes Haar stand zerzaust in alle Richtungen, zahlreiche Falten durchzogen sein leicht kantiges Gesicht. Mehr als vier Jahrzehnte hatte er als Offizier der United States Air Force gedient.
»Ich hab dich hergebeten, weil ich dir etwas sagen will, das mir schon seit Jahren unter die Nägel brennt.«
»Seit Jahren? Jetzt bin ich aber neugierig! Wieso hast du nicht eher darüber gesprochen?«
»Weil alles streng geheim ist. Aber egal. Inzwischen bin ich ein alter Tattergreis. Es spielt keine Rolle mehr, ob ich während der Talkshows am Nachmittag vor Langeweile umkomme, oder ob es das Pentagon ist, das mich in die Mangel nimmt.«
»Du sprichst in Rätseln. Erzähl doch einfach, was geschehen ist!«
»Nun, Präsident Truman verkündete 1947 die Truman-Doktrin und gaukelte vor, allen Völkern, deren Freiheit von militanten Minderheiten bedroht war, Beistand zu gewähren. Ich verdiente meine Brötchen in der Flugsicherung. Schon damals war ich die ersten Stufen der Karriere-Leiter hochgeklettert. Am achten Juli kam es dann zu einem Zwischenfall, der mein ganzes Leben umkrempeln sollte.«
Gespannt sah ich Vater an. »Was war denn an dem Tag?«
»Roswell«, antwortete er.
»Roswell?« Ich runzelte die Stirn. »Da war doch diese Ufo-Sache, nicht wahr?«
Ein Nicken.
»Du warst in Fort Worth stationiert und hast mir viele Jahre später erklärt, es gab überhaupt keine fliegenden Untertassen. Ich glaube, du hast von Wetterballons gesprochen.«
»Genauer gesagt von einer Kombination mehrerer Ballons«, verbesserte er mich. »Dem Projekt Mogul. Aber im Prinzip hast du Recht. Wir hatten offiziell das Ziel, mögliche sowjetische Atomtests akustisch zu entdecken. Doch es war alles eine Lüge!«
Vater sah mich an und gab mir Zeit, über das eben Gehörte nachzudenken. Als ich merkte, dass er auf eine Reaktion von mir wartete, fragte ich: »Wie meinst du das? Was willst du damit sagen?«
Anstatt zu antworten, griff er nach dem Glas mit der zuckrigen Kräuterlimonade und trank mehrere Schlucke.
»Ron«, seufzte er. »Wie kann ich dir nur annähernd begreiflich machen, dass es doch kleine grüne Männchen gibt, ohne dass du deinen alten Herrn für vollkommen plemplem hältst?«
Überrascht zog ich die Augenbrauen hoch. Zögerte.
»Dad«, erwiderte ich warmherzig. »Ich halte dich nicht für verrückt. Aber es erscheint mir kaum vorstellbar, dass wir nicht alleine sind. Vielleicht hast du das alles doch nur geträumt. Bist du dir denn ganz sicher?« Schon als Kind hatte ich eine skeptische Ader.
Vater lächelte. »Mein Sohn, es gibt mehr Sterne im Universum als Sandkörner an allen Stränden dieser Erde. Eine Galaxie wie unsere Milchstraße enthält zirka einhundert Milliarden Sterne. Geht man von der gleichen Anzahl an Galaxien aus, so kommen wir auf unvorstellbare zehn Trilliarden Sterne! Erscheint es da nicht töricht, anzunehmen, wir wären die einzige halbwegs intelligente Spezies im All? Vielmehr ist es unglaublich, dass wir so lange kaum etwas von ihnen mitbekommen haben.«
»Gab es denn schon Landungen vor Roswell?«
Vater lachte. »Ron«, sagte er, »sie haben uns im Laufen der Jahre immer wieder besucht! Sogar schon vor zweitausend Jahren in Jerusalem!«
Er machte eine Pause, sah mich verschwörerisch an.
»Hast du als Baptist dich denn niemals gefragt, wie Maria schwanger sein konnte, obwohl sie noch nie Sex hatte?«
»Eigentlich nicht«, brachte ich hervor.
»Die Aliens implantierten ihr das Neugeborene. Sie können nämlich ihre Gestalt ändern und nahmen als Mensch mit uns Kontakt auf, um uns mit ihrem hässlichen Äußeren nicht zu verschrecken.«
»Das ist nicht dein Ernst!«
»Denke an die drei Weisen aus dem Morgenland. So weise waren die gar nicht. Sie sahen nicht den Aufgang eines Sterns. Sondern ein unbekanntes helles Flugobjekt.«
»Du willst doch nicht etwa behaupten, Jesus wäre ein Alien gewesen?!«, schlussfolgerte ich entgeistert. Die Vorstellung war so abstrus, dass ich fast aufgelacht hätte.
»Überleg doch mal! Immer wieder brachte er dem jüdischen Volk das Gesundheitswesen seines Sterns nahe. Wie sonst konnte er Blinde, Lahme und Aussätzige heilen, wenn nicht durch moderne Medizin, die jeden Chefarzt vor Neid erblassen lässt? Die Bibel verzerrt hier manches, wenn sie von Wundern spricht.«
»Woher willst du das wissen?«
»Schau ins Internet! Da gibt es massenhaft Seiten, die meine Geschichte bestätigen!«
»Du glaubst doch nicht allen Ernstes, was da steht?!«
»Natürlich nicht alles! Aber ich war nach der Landung dabei, als wir 1947 in Nevada mit ihnen kommunizierten. Area 51. Sie haben uns teilhaben lassen an ihren VHS-Aufzeichnungen. Allerdings war die Menschheit damals noch nicht bereit für extraterrestrisches Leben. Das Volk war sehr religiös. Es musste zum Mordkomplott und zur Kreuzung kommen.«
Einen Moment lang dachte ich darüber nach, so abwegig mir die Geschichte auch erschien.
»Nur einmal angenommen, es wäre so gewesen. Wie war es möglich, dass Jesus auferstand?«
»Ach, er war überhaupt nicht tot! Lass dich nicht von Äußerlichkeiten täuschen! Ihre Anatomie ist mit der unseren nicht annähernd vergleichbar. Drei Tage verharrte er in seiner Grabstätte, dann holte das Raumschiff ihn ab. Heißt es im Credo nicht, er fuhr ›auf in den Himmel‹?«
»Hm«, machte ich.
»Enttäuscht von der Menschheit, die seine Worte und Taten vollkommen missverstanden hatte, ließen sich die Außerirdischen lange Zeit nicht mehr blicken. Die nächste überlieferte Sichtung fand erst im Jahr 1235 in Japan statt, als in der Nacht des vierundzwanzigsten Septembers merkwürdige Lichter am Himmel erschienen, die bis zum frühen Morgen in Kreisen hin und her schwangen.«
Vater öffnete die Tüte mit dem Salzgebäck und nahm einen Cracker in den Mund.
»Und das alles wurde nie bekannt, obwohl es die Wahrheit sein soll?« Skeptisch runzelte ich die Stirn. Ich kam mir vor wie Scully, die Fox Mulders Verschwörungstheorien in Zweifel stellt.
»Natürlich wurde darüber geschwiegen. Der Papst wäre sonst arbeitslos! Es gibt zwei Milliarden Christen, die an die Auferstehung glauben. Hättest du derjenige sein wollen, der ihnen mitteilt, dass Gottes Sohn in Wahrheit ein haarloses grünes Männchen mit Tentakeln und Glupschaugen ist, das Mundgeruch hat und Schleim spuckt?« Er machte eine Verschnaufpause. »Nein. Nicht einmal der Präsident wusste Bescheid. General Ramey hätte sich lieber die Zunge abgebissen, als Truman auch nur ein Sterbenswörtchen zu verraten.«
Einen Moment lang schwiegen wir. Ich wusste noch immer nicht recht, was ich dazu sagen sollte.
»Hast du denn Beweise?«
»Ach, das Militär hat massenhaft Beweise! Das Pentagon könnte ein ganzes Museum eröffnen, wenn es nur wollte!«
An diesem Nachmittag redete ich lange mit Vater, suchte nach einer Schwachstelle seiner Behauptungen, um darzulegen, er musste sich täuschen. Aber auf jede Frage hatte er eine passende Antwort. Nichts konnte ihn überzeugen, womöglich doch einem gehörigen Irrtum zu unterliegen. Als ich mich verabschiedete, war längst eine laue Nacht über Albuquerque hereingebrochen.
Ich konnte die Geschichte nicht glauben. Mehrmals ertappte ich mich an den darauf folgenden Tagen bei dem Gedanken an sie, aber die Theorie war einfach zu abwegig, um wahr sein zu können. Schon bald hatte ich wieder andere Dinge im Kopf. Bis ich drei Wochen später Besuch bekam.
Ich wollte in der Küche gerade die Pancakes mit Blaubeeren retten, die mir in der Pfanne angebrannt waren, als es klingelte. Überrascht, da ich an dem Abend keinen Besuch erwartete, legte ich die Pfanne in die Spüle und öffnete die Haustür. Auf der Veranda stand ein alter Mann in schwarzem Anzug. Mit seinem Chevrolet parkte er in meiner Einfahrt.
»Mr. Hamnett? Bitte entschuldigen Sie die Störung. Mein Name ist Valassis. William Valassis.«
»Kennen wir uns?«, fragte ich. »Worum geht es denn?«
»Es geht um Ihren Vater. Wir waren viele Jahre lang Kameraden bei der Luftwaffe«, gab er vor.
»Was ist denn mit ihm?«
»Nun ... Können wir uns drinnen unterhalten?«
Nach einem Zögern nickte ich schließlich. Valassis war es gelungen, meine Neugierde zu erwecken. Ich führte ihn ins Wohnzimmer.
»Setzen Sie sich doch. Wollen Sie was trinken?« Weiter kam ich nicht. Als ich den Kopf in Richtung Sofa drehte, grinste mich ein haarloses grünes Wesen mit Tentakeln an.