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Konferenz der Europäischen Tomatensorten

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22.11.2018
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Konferenz der Europäischen Tomatensorten

Vor zwei Wochen erlebte ich bei der Konferenz der europäischen Tomatensorten in Mailand ein erstaunliches Spektakel.

Ich war als normaler Messebesucher vor Ort, um mich darüber zu informieren, welche aktuellen Trends unsere Art momentan beschäftigen. Ich selbst bin ein Vertreter der Sorte »Harzer Kind«. Wir stammen aus dem schönen Quedlinburg im Harz. Die ersten unserer Sorte reckten dort kurz nach dem zweiten Weltkrieg ihre Blüten in die Luft.

Die Konferenz der europäischen Tomatensorten findet jährlich in verschiedenen Städten Europas statt. Ziel der Konferenz ist es, den Status der europäischen Sorten zu stärken, den Einfluss der außereuropäischen Sorten auf unsere Zukunft zu kontrollieren und schließlich Networking zu betreiben.

Da das Treffen für dieses Jahr in Mailand vereinbart worden war, war für die Konferenzleitung natürlich eine italienische Sorte vorgesehen.
Eine »Nonna Antonia«, imposante Erscheinung, sattes Rot, rund und sicherlich schwerer als ein Kilo. Sie stammt aus der Nähe von Turin. Diesen Heimvorteil ließ sie sich während der gesamten Konferenz anmerken. Sie schien immer zum Ausdruck bringen zu wollen, das hier ist meine Heimat Leute, wer hier nicht nach unseren Regeln tanzt, der bekommt es mit mir zu tun.
Für mich kein Problem, ich weiß mich in der Fremde zu benehmen.

Nach einer Vorauswahl, die die Kommissionen über die Dauer mehrerer Monaten schon getroffen hatte, saßen nun auf der Bühne fünf unterschiedliche Sorten aus fünf europäischen Ländern, die sich dem Publikum nun vorstellen sollten.

Am Ende der Veranstaltung sollte dann die europäische Tomatensorte des Jahres gekürt werden.

Den Anfang machte der Vertreter Frankreichs, ein »Coeur du Boeuf«. Kräftiger Typ, glänzendes Rot, französischer Akzent, sehr selbstbewusst. Seine Sorte sei schon seit mindestens zweihundert Jahren unverändert, immer unter sich geblieben, mit Sorgfalt und Gewissenhaftigkeit behandelt und gepflegt worden - kurzum ein echter Vertreter der tomates anciennes. Alter Adel.


Danach folgte »Grosse Plate du Portugal«, bedächtig sprechend, kurz angebunden, es war noch früh, man spürte seine typisch portugiesische Saudade in jedem Wort.

Der spanische Vertreter wirkte sofort wacher und aggressiver. Er sprach unglaublich schnell, zischte die s-Laute, das p wurde mal explosiv Richtung Zuhörer geschmettert, um kurz darauf tief aus der Kehle gegurgelt zu werden. Der Körper immer in Bewegung. Der Zuhörer neben mir bemerkte etwas pikiert, hier trete dieser Spanier auf, als sei er der König der Welt, dabei habe er zuhause gerade mal eine alte Plastikplane als Dach. Seine Nahrung sei Menschenabwasser, ausgelaugter Boden und Dopingmittel, womöglich rühre daher diese Arroganz.

Welch ein Gegensatz dann die Vertreterin der Niederlande! Eine kleine, federleichte Vertreterin unserer Art. Hohe und dünne Stimme, rot, rund, schüchtern.
Sie wirkte auf mich ein wenig hilflos, ja, ich möchte sagen, ein wenig ephemer. Möglicherweise wirkte sie so flüchtig, weil sie in ihrem ganzen Leben noch keinen Kontakt zu echter Erde hatte. Sie lebt in der Luft, trinkt sehr sehr wenig und bekommt ihre Nahrung ausschließlich per Infusion. Ein kleiner Snack zwischendurch – leider Fehlanzeige. Sie stellte sich als Vertreter der Sorte »Tommie« vor. Sie tat mir ein bisschen leid, hatte aber eine intensive Ausstrahlung.

Zum Abschluss stellte sich der Vertreter des Gastgeberlandes vor. Ein echter »San Marzano sul Sarno«, er referierte lange über die besonderen klimatischen Bedingungen, unter denen er optimal gedeihen könne, der hohe Salzgehalt der Luft, die für ihn im Golf von Neapel so unglaublich wohltuend sei, diese besonderer Erde, die der Vesuv zur Verfügung stelle. Der einzige noch verbliebene aktive Vulkan auf dem europäischen Festland, er sei so unendlich dankbar, hier leben zu dürfen. Die Sonne im Süden Italiens sei einzigartig und auch das Licht sei so unglaublich schön. Es war eine pathetische Hymne auf seine Herkunft.
Zum Ende seiner Ausführungen wurde er wohl etwas unkonzentriert, war sich womöglich zu sicher, dass er eine fabelhafte Werbung für sein Land abgeliefert hatte. Er bedankte sich bei den Zuhörern für die Aufmerksamkeit, wiederholte den Dank nochmal an die Veranstalter und endete mit einem lauten: »Feischang ganxie!«

Für einen kurzen Moment war es totenstill in der Halle, jeder hielt die Luft an.
Als Erster reagierte der Franzose.

»Er hat sich auf chinesisch bedankt! Auf chinesisch!«, brüllte er.

»Ich klage an! Ich klage an, diesen Tomatenbastard.
Ich klage an! Er hat sich eingeschlichen.
Ich klage an! Er hat uns alle getäuscht.
Ich klage an! Wollen wir so leben? Wollen wir uns alle täuschen lassen?
Seine Stimme bebte, ein Zittern erschütterte seine gesamten Körper, der Applaus wurde stärker.
Ich klage an! Wer nicht hier hergehört, darf hier nicht sein!
Ich klage an! Wer hier ist, muss unsere Werte leben.
Ich klage an! Wer uns täuscht, der muss weg!
Ich klage an! Wer nicht für uns ist, ist gegen uns!
Außerdem klage ich an, wir müssen unsere Grenzen stärken!
Ich klage an, kein Fremder darf unsere Grenzen passieren!
Ich klage an!«

Der Spanier nickte heftig mit dem Kopf. Der Franzose und der Spanier bauten sich bedrohlich vor dem Italiener auf, die Nonna beobachtete die Szene wie gelähmt. Der Marzano wollte fliehen und versuchte die beiden anderen von sich zu schieben. Da begann eine heftige Schlägerei auf dem Podium.
Sie beschimpften sich mit lauten Kraftausdrücken, während sie aufeinander einprügelten.
Es war nicht zu überhören, der Spanier bellte kein p mehr, zischte das s nicht mehr. Der Franzose hatte seinen provenzalischen Dialekt vollkommen vergessen.
Alle drei brüllten sich in chinesischer Sprache an.

Ich versuchte so schnell wie möglich aus der Halle zu verschwinden, um diesem unwürdigen Schauspiel zu entkommen.

Vor der Halle unterhielten sich zwei Parmaschinken auf rumänisch.

 
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Hola @feinix,

warum ‚europäischen’ einmal groß, einmal klein?

Konferenz der Europäischen Tomatensorten
Vor zwei Wochen erlebte ich bei der Konferenz der europäischen Tomatensorten ...

Jedenfalls malte ich mir aus, was das für ein amüsanter Text sein könnte. Doch was ich zu lesen bekam, unterschied sich in nichts von der Machart Deiner Gaul-Geschichte.

Du hattest zwar dotslash geschrieben, dass Du Dich um die Textarbeit kümmern wolltest, aber ich verspürte davon nichts / fei nix. So bleibt es bei einem animierenden Titel.

Schade um die gute Vorlage, aber wenn Dir zur portugiesischen Tomate nur Saudade einfällt, dann ist das tatsächlich fei nix.

Dann kommt die Anklage-Leier: zwölfmal

„Ich klage an!“
Das liest sich gar nicht gut.

Hier hättest Du einen schönen Schlagabtausch platzieren können, etwas Inspiriertes oder Inspirierendes, bei dem das Lesen Spaß macht – aber so ist’s nur langweilig.

Die Zeilenabstände hast Du schon korrigiert, jetzt fehlte nur noch eine raffinierte Würzung für die Tomaten. Mit denen und der Aussage Deiner Geschichte komme ich eh nicht klar, wenn sich beispielsweise eine altadelige Coeur de boeuf im Tumult als Chinesin outet ...?

Der letzte Satz trifft die Problematik mMn besser:

Vor der Halle unterhielten sich zwei Parmaschinken auf rumänisch.
Hätten sich auch auf Flämisch, Deutsch oder Niederländisch unterhalten können, sonst müssten norditalienische Schweine sechs Pobacken haben – aber wie der Etikettenschwindel bei Tomaten funktioniert, ist mir ein Rätsel.

Doch Du wirst das Geheimnis lüften. Bin gespannt.
Viele Grüße!
José

 

Hallo @feinix !

Ist ja interessant, was Tomaten so verhandeln, wenn sie unter sich sind. Allerdings hätte ich mir das auch durchaus interessanter vorstellen können, um ehrlich zu sein.

Mehr noch: Wenn wir das mit dem Ehrlichsein schon angefangen haben: Ich verstehe die Geschichte nicht. Soll das eine Satire darauf sein, dass Tomatenmark mittlerweile oft auch China kommt? Weil unsere italienischen Nachbarn ihre Tomaten lieber nach Australien verschiffen, wo sie den lokalen Markt kaputt machen?

Ich verstehe es einfach nicht. Und die chauvinistischen Stereotypen, mit denen sich die scheinbar chinesischen Tomaten als Europäer tarnen, finde ich auch nicht besonders unterhaltsam. Aber vielleicht verpasse ich auch eine ganze Deutungsebene, ist auch möglich.

Eine Frage:

Seine Stimme bebte, ein Zittern erschütterte seine gesamten Körper, der Applaus wurde stärker.
Dieser Satz steckt da mitten in den J'accuses drinnen. Ich denke einmal, er gehört nicht zur wörtlichen Rede.

Liebe Grüße, Oliver

 

Hola jose,

na das ist ja dann mal eine vernichtende Kritik, ich danke.

tja, dann kann ich es nicht besser, wenn die Geschichte vom Gaul auch so war.
Ich dachte, die sei anders.
Die Tomaten aus Portugal sind nicht aufdringlich. Die schauen nur so, und sagen mit ihrem Blick alles. Da wollte ich kein grosses Gewese machen.
Aha, saudade nicht gereicht.
Und wenn man eine Geschichte noch erklären muss, dann war sie wohl nicht gut.
Ja logo, ist die altadelige keine altadelige, sondern alle sind chinesisch - das war ja der Witz.
Und die Schweinehälften aus Osteuropa sind eben billiger, als die aus Belgien oder aus den Niederlanden.
Ich habe bei Zola nachgezählt, er hat sein J'accuse vierzehnmal verwendet, tja was jetzt?
Das gilt als Merkmal von Literatur - hätt ich nur noch zweimal mehr gemacht oder?

Viele Grüße
feinix

Ja mei Oliver,

da gibt es keine Deutungsebene.
Sie verschiffen sie nicht nur nach Australien, sondern auch nach Afrika, und machen dort auch den Markt kaputt. Wir essen dafür chinesische Tomaten. Das war mein Anliegen, das wollte ich humorvoll zeigen. Hat wohl nicht geklappt.

Liebe Grüße
feinix

 
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Hola @feinix,

... na das ist ja dann mal eine vernichtende Kritik, ich danke.
Uuh, ganz so dicke sollte es nicht kommen. Meine Enttäuschung rührt eher daher, dass der vielversprechende Titel ein turbulentes Tomatenspektakel avisiert, dass dann doch sehr bieder abgehandelt wurde.

Erkennbar fleißig hast Du Informationen gesammelt, aber da war das Thema schon beschlossen. Ich hab auch gerade meine dritte Geschichte abgebrochen, weil beim Schreiben klar wurde, dass der Plot nicht tragen würde. Die Idee, über die Tomaten-Mauschelei eine Kurzgeschichte zu schreiben, ist originell, nur ist die Ausgestaltung schwierig.

Auch ich wüsste nicht so recht, wie ich das in Szene setzen könnte. Aber wenn die Sache einmal beschlossen ist, muss man das Beste draus machen – und hier hätte mich ein rasanter Text entschädigt: Ich hätte meinen Lesespaß gehabt, denn anderes erwarte ich bei diesem Titel nicht, und alles wäre in Butter. Doch durch das brave Erzählen wurde es schnell langweilig (... die französische T. hat einen französischen Akzent:hmm:).

Der Inhalt Deiner Geschichte hat etwas Konfuses, nicht zu Ende Gedachtes aus meiner Sicht.
Weil ich mich beruflich mit Lebensmitteln beschäftige, finde ich die chinesische Tomaten-Attacke auch bedenklich. In Deinem Text aber gewinne ich den Eindruck, die chinesischen Tomaten haben bereits das Äußere ihrer Vorbilder übernommen und nur durch einen Versprecher fliegt der Schwindel auf. Der Kern der Geschichte jedoch sind nicht Plagiate wie nachgebaute Sti(h)l-Sägen, in unserem Fall europäische Tomatensorten, sondern Tomatenprodukte (bei denen das Aussehen der Tomaten egal ist).

Nimm meine direkte Art nicht krumm, ich möchte niemandem die gute Laune verderben – und Dir schon deshalb nicht, weil Du schreiben kannst. Das muss auch einmal gesagt werden!

Was mir noch aufgefallen ist: die Ähnlichkeit von ‚feinix’ und ‚Phönix’:cool:.

Beste Grüße!
José

PS:

über die Dauer mehrerer Monaten
Ich habe bei Zola nachgezählt, er hat sein J'accuse vierzehnmal verwendet, tja was jetzt?
Ich hab’s nur erwähnt, dass Du nicht die selben Fehler wie er machst.
Das gilt als Merkmal von Literatur - ...
Nee.
... hätt ich nur noch zweimal mehr gemacht oder?
Das hätte zu keinerlei Verbesserung geführt:teach::pah: .

 

Hola @josefelipe

deine Kritik ist voll in Ordnung!
Darum mag ich das hier ja so gerne.
Es stimmt schon, ich hätte da mehr draus machen sollen. Insgeheim war ich mir sicher, dass ich hier wieder eine Klatsche bekomme, weil ich den Text zu früh als fertig gesehen habe.
Das war faul und ignorant. Ich bin dir echt dankbar.
Ich hatte selber so das dunkle Gefühl in mir, dass da noch mehr gehen muss, dann wars aber schon auch ein bisschen lustig und eine Kurzgeschichte wars auch schon und die Arbeit hat auch gewartet und blablabla, ja ich rede mich erfolglos raus....

Zum Plagiatsthema, ja klar, da habe ich übertrieben, das war gewollt. Schon klar, dass nur Tomatenprodukte bei uns ankommen. Das war der Gag für mich, dass die Sorten eben auch nachgebaut werden, wie die fehlerhafte Lacknase am Rasenmäher.

Das mit dem fei nix an deiner Kritik hat mir besonders gut gefallen!

Nimm meine direkte Art nicht krumm, ich möchte niemandem die gute Laune verderben – und Dir schon deshalb nicht, weil Du schreiben kannst. Das muss auch einmal gesagt werden!
Nein, ich nehm dir nichts krumm, ich bin froh über deine offenen Worte. Dankeschön!

Tja, dann schau ich mal, ob aus feinix irgendwann Phönix wird ;)


Viele Grüße
feinix

 

Hallo feinix,

der Titel ist Spitze - jedesmal, wenn ich die Übersicht gesehen und den Titel gelesen habe, dachte ich, dass ich die KG dazu unbedingt mal lesen muss.
Mein Eindruck:
Mach das Ding satirischer - verlasse die typischen Klischee-Bilder, die man von den einzelnen Ländern hat, gib uns andere, die uns aufhorchen lassen.
Spanien besteht nicht nur aus Blechdächern und die Holländer können manchmal ganz schön poltern.
Nimm dein Setting und setz' einen Haufen verrückter Tomaten rein - es gibt ja nicht nur die runden, es gibt die Roma-Tomaten, die Cherry, Cocktail ... gelbe ... mach da einen Jahrmarkt draus.
Deine Idee gibt soviel her.

Liebe Grüße
bernadette

 

Hallo feinix,
ja - genau so. Es fehlt die Gentomate. Mit springenden Genen. Solche, die Tomaten zwingen, in Augen zu hüpfen. Dort zerplatzen lassen, so dass Ketschup aus den Augen hinaus- oder sogar herausläuft.
Beste Grüsse
Fugu

 

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