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Konferenz der Europäischen Tomatensorten
Vor zwei Wochen erlebte ich bei der Konferenz der europäischen Tomatensorten in Mailand ein erstaunliches Spektakel.
Ich war als normaler Messebesucher vor Ort, um mich darüber zu informieren, welche aktuellen Trends unsere Art momentan beschäftigen. Ich selbst bin ein Vertreter der Sorte »Harzer Kind«. Wir stammen aus dem schönen Quedlinburg im Harz. Die ersten unserer Sorte reckten dort kurz nach dem zweiten Weltkrieg ihre Blüten in die Luft.
Die Konferenz der europäischen Tomatensorten findet jährlich in verschiedenen Städten Europas statt. Ziel der Konferenz ist es, den Status der europäischen Sorten zu stärken, den Einfluss der außereuropäischen Sorten auf unsere Zukunft zu kontrollieren und schließlich Networking zu betreiben.
Da das Treffen für dieses Jahr in Mailand vereinbart worden war, war für die Konferenzleitung natürlich eine italienische Sorte vorgesehen.
Eine »Nonna Antonia«, imposante Erscheinung, sattes Rot, rund und sicherlich schwerer als ein Kilo. Sie stammt aus der Nähe von Turin. Diesen Heimvorteil ließ sie sich während der gesamten Konferenz anmerken. Sie schien immer zum Ausdruck bringen zu wollen, das hier ist meine Heimat Leute, wer hier nicht nach unseren Regeln tanzt, der bekommt es mit mir zu tun.
Für mich kein Problem, ich weiß mich in der Fremde zu benehmen.
Nach einer Vorauswahl, die die Kommissionen über die Dauer mehrerer Monaten schon getroffen hatte, saßen nun auf der Bühne fünf unterschiedliche Sorten aus fünf europäischen Ländern, die sich dem Publikum nun vorstellen sollten.
Am Ende der Veranstaltung sollte dann die europäische Tomatensorte des Jahres gekürt werden.
Den Anfang machte der Vertreter Frankreichs, ein »Coeur du Boeuf«. Kräftiger Typ, glänzendes Rot, französischer Akzent, sehr selbstbewusst. Seine Sorte sei schon seit mindestens zweihundert Jahren unverändert, immer unter sich geblieben, mit Sorgfalt und Gewissenhaftigkeit behandelt und gepflegt worden - kurzum ein echter Vertreter der tomates anciennes. Alter Adel.
Danach folgte »Grosse Plate du Portugal«, bedächtig sprechend, kurz angebunden, es war noch früh, man spürte seine typisch portugiesische Saudade in jedem Wort.
Der spanische Vertreter wirkte sofort wacher und aggressiver. Er sprach unglaublich schnell, zischte die s-Laute, das p wurde mal explosiv Richtung Zuhörer geschmettert, um kurz darauf tief aus der Kehle gegurgelt zu werden. Der Körper immer in Bewegung. Der Zuhörer neben mir bemerkte etwas pikiert, hier trete dieser Spanier auf, als sei er der König der Welt, dabei habe er zuhause gerade mal eine alte Plastikplane als Dach. Seine Nahrung sei Menschenabwasser, ausgelaugter Boden und Dopingmittel, womöglich rühre daher diese Arroganz.
Welch ein Gegensatz dann die Vertreterin der Niederlande! Eine kleine, federleichte Vertreterin unserer Art. Hohe und dünne Stimme, rot, rund, schüchtern.
Sie wirkte auf mich ein wenig hilflos, ja, ich möchte sagen, ein wenig ephemer. Möglicherweise wirkte sie so flüchtig, weil sie in ihrem ganzen Leben noch keinen Kontakt zu echter Erde hatte. Sie lebt in der Luft, trinkt sehr sehr wenig und bekommt ihre Nahrung ausschließlich per Infusion. Ein kleiner Snack zwischendurch – leider Fehlanzeige. Sie stellte sich als Vertreter der Sorte »Tommie« vor. Sie tat mir ein bisschen leid, hatte aber eine intensive Ausstrahlung.
Zum Abschluss stellte sich der Vertreter des Gastgeberlandes vor. Ein echter »San Marzano sul Sarno«, er referierte lange über die besonderen klimatischen Bedingungen, unter denen er optimal gedeihen könne, der hohe Salzgehalt der Luft, die für ihn im Golf von Neapel so unglaublich wohltuend sei, diese besonderer Erde, die der Vesuv zur Verfügung stelle. Der einzige noch verbliebene aktive Vulkan auf dem europäischen Festland, er sei so unendlich dankbar, hier leben zu dürfen. Die Sonne im Süden Italiens sei einzigartig und auch das Licht sei so unglaublich schön. Es war eine pathetische Hymne auf seine Herkunft.
Zum Ende seiner Ausführungen wurde er wohl etwas unkonzentriert, war sich womöglich zu sicher, dass er eine fabelhafte Werbung für sein Land abgeliefert hatte. Er bedankte sich bei den Zuhörern für die Aufmerksamkeit, wiederholte den Dank nochmal an die Veranstalter und endete mit einem lauten: »Feischang ganxie!«
Für einen kurzen Moment war es totenstill in der Halle, jeder hielt die Luft an.
Als Erster reagierte der Franzose.
»Er hat sich auf chinesisch bedankt! Auf chinesisch!«, brüllte er.
»Ich klage an! Ich klage an, diesen Tomatenbastard.
Ich klage an! Er hat sich eingeschlichen.
Ich klage an! Er hat uns alle getäuscht.
Ich klage an! Wollen wir so leben? Wollen wir uns alle täuschen lassen?
Seine Stimme bebte, ein Zittern erschütterte seine gesamten Körper, der Applaus wurde stärker.
Ich klage an! Wer nicht hier hergehört, darf hier nicht sein!
Ich klage an! Wer hier ist, muss unsere Werte leben.
Ich klage an! Wer uns täuscht, der muss weg!
Ich klage an! Wer nicht für uns ist, ist gegen uns!
Außerdem klage ich an, wir müssen unsere Grenzen stärken!
Ich klage an, kein Fremder darf unsere Grenzen passieren!
Ich klage an!«
Der Spanier nickte heftig mit dem Kopf. Der Franzose und der Spanier bauten sich bedrohlich vor dem Italiener auf, die Nonna beobachtete die Szene wie gelähmt. Der Marzano wollte fliehen und versuchte die beiden anderen von sich zu schieben. Da begann eine heftige Schlägerei auf dem Podium.
Sie beschimpften sich mit lauten Kraftausdrücken, während sie aufeinander einprügelten.
Es war nicht zu überhören, der Spanier bellte kein p mehr, zischte das s nicht mehr. Der Franzose hatte seinen provenzalischen Dialekt vollkommen vergessen.
Alle drei brüllten sich in chinesischer Sprache an.
Ich versuchte so schnell wie möglich aus der Halle zu verschwinden, um diesem unwürdigen Schauspiel zu entkommen.
Vor der Halle unterhielten sich zwei Parmaschinken auf rumänisch.