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Serie Kommissar Zufall - Neid ist tödlich

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08.09.2024
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Kommissar Zufall - Neid ist tödlich

Neid ist tödlich


Meine Frau Katharina hatte mir mal erzählt, dass sie vor dreiundzwanzig Jahren ihre Abitur-Abschlussfahrt mit ihrem Französisch-Leistungkurs in Paris verbracht hatte. In der gleichen Herberge wohnte ebenso eine französische Abschlussklasse aus Lyon.​

Dort hatte sie sich mit zwei Mädchen der französischen Gruppe angefreundet, unterhielt gar bis heute regen Briefkontakt mit ihnen.
Die beiden waren inzwischen Lehrerinnen an einer Schule in Lyon. Und ausgerechnet der Deutsch-Leistungskurs dieser Schule kam Ende Juni zur Abschlussfahrt nach Langbach-Baden in die hiesige Jugendherberge.
Das wusste Katharina, war entsprechend aufgeregt. Sie hatte beschlossen, die Gruppe dort in Empfang zu nehmen, bat mich, sie an diesem Dienstagvormittag zu begleiten. Da in dieser Woche im Revier nur Achim in Urlaub war, konnte ich mir das erlauben.

Auf den Bus mussten wir nicht lange warten. Die ersten Leute stiegen aus.​
„Fabienne!“, rief Katharina, als sie die Freundin erblickte, lief auf sie zu.
„Katharina!“
Die beiden umarmten und küssten sich.
Dann stieg die andere Frau aus dem Bus, kam auf uns zu. „Katharina!“
Meine Frau löste sich von Fabienne, eilte zur anderen und quiekte: „Marie! Oh, komm her, lass dich knuddeln.“
Auch diese beiden umarmten und küssten sich.
„Wär iist dänn där schöne Mann an deinär Sait, liebe Katharina?“, fragte Fabienne.
„Oh, das ...“ Sie lachte. „Hast du das gehört, Bernd? Schöner Mann! Ja, ihr Lieben, das ist mein Mann Bernd.“
Das französische Temperament ging offenbar mit beiden durch. Sie kamen zu mir, umarmten mich, gaben mir Küsse auf die Wangen, sagten unisono: „Aallo, Bernd.“
Ich schmunzelte. Sowohl Fabienne mit ihrer pechschwarzen Mähne als auch Marie mit ihrem rotblonden Pferdeschwanz waren durchaus attraktive Erscheinungen. Und beide waren höchstens einsfünfundsechzig groß. „So hübsche Lehrerinnen hätte ich mir damals auch gewünscht.“
„Oh, oh“, stöhnte Marie. „Die Jungs machen aus ihrär Bewunderrung keinen Eehl. Das kanns du mirr glauben. Abär wirr sind beide verairatät.“ Sie lachte.
„Und die jungen Damen sind eifersüchtig?“
„Nein. Nein, das lassen wirr gar nich tsu. Wirr lassen uns von den Jungs nicht oofieren oderr manipulieren. Im Unterricht sind sie aalle brav.“
„Also nur die durchaus nachvollziehbare Schwärmerei, aber keine Übergriffe. Dann ist ja alles gut“, sagte ich.
„Na, jetzt aaben wirr zehn Tage Freiezeit“, orakelte Marie. „Da probieren unsäre Achzehnjährigen vielleicht mall die Grenzen aus.“
„Ich hoffe doch sehr, dass sie diese nicht überschreiten werden“, meinte ich. „So. Ich werde euch jetzt verlassen, denn ich muss zur Arbeit. Katharina sagte mir schon, dass sie noch ein wenig bei euch bleiben mag.“
„Ich werde in den nächsten Tagen sicher häufiger hier sein, wenn ihr erlaubt.“
„Oh, das wärre uuns eine Freudä, liebe Katharina“, sagte Fabienne.
Während sich die drei Damen herzlich von mir verabschiedeten, bemerkte ich, dass ein weiterer Bus vorfuhr. Es waren etwa fünfundzwanzig junge Leute und zwei erwachsene Betreuer, wie es schien.

Die Woche plätscherte so dahin. Es passierte nichts Aufsehenerregendes im Revier. Katharina war bester Laune, hatte viel Zeit mit den französischen Freundinnen verbracht.​
Ich kam am Freitag gerade ins Revier, da rief Katharina an.
„Oh, Bernd, es ist etwas Schreckliches passiert.“
„Wo bist du? In der Jugendherberge?“
„Ja, sicher. Ihr müsst herkommen. Marie ist tot.“
„Oh, mein Gott. Gut, wir kommen sofort.“ Ich rief Britta in der Rechtsmedizin und Frank von der Spurensicherung an, schickte sie zum Einsatzort. Saskia bat ich, mich dorthin zu begleiten.

Als wir in die Herberge kamen, entdeckten wir Fabienne tränenüberströmt im Eingangsbereich sitzen. Katharina kam mir entgegen.​
„Katharina, was ist hier passiert?“
„Marie Gabot liegt tot in ihrem Zimmer. Fabienne hat sie entdeckt. Was genau passiert ist, weiß hier noch niemand.“ Katharina schluchzte, setzte sich zu Fabienne, nahm sie in den Arm.
Ich ging mit Saskia zum Fundort, den Katharina mir genannt hatte. Das Opfer lag am Fußende neben dem Bett, der Körper leicht verdreht mit dem Gesicht gen Boden, die Beine in der Hüfte angewinkelt. Das mintgrüne Nachthemd war hinten zerrissen. Dazu hatte sie eine klaffende Wunde am Hinterkopf.
Britta nannte mir Todeszeitpunkt und Todesursache. Zwischen vier und fünf in der Nacht wurde sie erschlagen und vergewaltigt, mutmaßte sie.
Bei einer dermaßen zierlichen Person bedurfte es da wohl keiner übertrieben großen Anstrengung, dachte ich.
„Mehr kann ich dir nach der Autopsie sagen.“
„Danke, Britta.“
„Bernd, wie gehen wir vor?“, fragte Saskia.
„Ich denke, wir sollten erstmal alle versammeln und ihnen die schreckliche Nachricht überbringen.“
„Alle, die hier derzeit wohnen?“
„Klar. Auch die andere Gruppe. Schaden kann es bestimmt nicht. Vielleicht hat ja jemand etwas beobachtet.“

Zehn Minuten später waren alle im großen Speisesaal der Herberge versammelt.​
„Vielen Dank, dass Sie alle hier sind“, begann ich, machte dann eine Pause.
Mit mir lauschte neben Saskia auch Katharina, da sie als einzige fließend Französisch sprach, dem Getuschel der Versammlung.
„Es ist kein schöner Tag, denn wie Sie sicher längst wissen, ist Ihre Lehrerin Frau Marie Gabot heute Morgen tot in ihrem Zimmer aufgefunden worden.“
„Was ist denn da passiert?“, fragte eine Schülerin.
Ihr französischer Akzent war nicht zu überhören, doch ihr Deutsch war einwandfrei.
„Das wissen wir noch nicht. Das wird die Rechtsmedizin herausfinden. Wer hat Marie Gabot in den letzten zwölf Stunden zuletzt gesehen?“
Leises Gemurmel, doch keine Wortmeldung.
„Kann uns jemand von Ihnen sagen, was die letzten Tage vorgefallen sein könnte, dass dieses Unglück passieren musste?“, hakte ich nach.
„Was soll denn vorgefallen sein?“, fragte einer der Betreuer der zweiten Gruppe. „Ich wüsste nicht ...“
„Darf ich fragen, wer Sie sind und weshalb Sie mit Ihrer Gruppe hier sind?“
„Oh, aber sicher. Mein Name ist Volker Lohmark“, er wies auf seinen Kollegen, „das ist Guido Starnbald. Wir sind mit einer Abschlussklasse unserer Realschule hier, um hier Wandern zu gehen.“
„Wie alt sind die jungen Leute, die Sie betreuen?“
„Zwischen sechzehn und achtzehn.“
„Sie sind jetzt drei Tage hier zusammen in diesem Haus. Da entstehen gewiss ganz andere Situationen, als es in der Schule üblich wäre. Sie wissen schon, was ich meine.“
„Ich bitte Sie, Herr Kommissar!“, rief Herr Starnbald. „Das sind Jugendliche.“
„Eben.“
„Das, was in der Schule nicht geduldet wird, das werden wir hier ebenso bestrafen“, antwortete er streng.
„Als da wären?“
„Na, Gewalttätigkeiten, Alkohol, Ungehorsam, Mobbing.“ Er grübelte, ob es noch etwas gäbe.
Ich half ihm auf die Sprünge. „Sexuelle Übergriffe.“ Als ich das aussprach, bemerkte ich, dass eines der französischen Mädchen erschrocken zusammenzuckte, sich unsicher umsah.
„Ich muss doch sehr bitten!“, klagte Starnbald.
Es wurde laut im Saal. Ich hatte offenbar einen empfindlichen Nerv getroffen. Wir vernahmen in dem Getuschel durchaus passende Aussprüche. Auch Katharina schaute mich erschrocken an. Sie schien ebenfalls etwas in dieser Richtung vernommen zu haben.
Als es wieder ruhig geworden war, sagte ich: „Der aufgekommenen Unruhe entnehme ich, dass es durchaus derartige Animositäten gegeben hat. Wer uns weitere Hinweise geben möchte, kann dies jetzt oder in einem persönlichen Gespräch gerne tun. Wir sitzen in der Teeküche. Allein.“
„Was hat das nun mit dem Tod der geschätzten Kollegin zu tun?“, fragte Herr Lohmark. „Glauben Sie etwa, da hätte es … Nein, Herr Kommissar! Nein!“
„Auf dem Begrrüßungsabänd aast du unsere Marie abärr gaanz schön, wie sagt man in Deutschland, angebaggerrt“, sagte einer der französischen Jungs. „Da warren sichär einigä eiferrsüüchtig.“
Das klang sehr aufschlussreich. Gewiss, Marie Gabot war eine außerordentlich hübsche Frau. Das weckte bei dem ein oder anderen sicherlich Begehrlichkeiten. Aber sollte da tatsächlich etwas vorgefallen sein, dann wirft das kein so gutes Licht auf sie. Ich wollte es daher nicht glauben. Dennoch gab mir die Äußerung des jungen Mannes zu denken. Das werden wir in Einzelgesprächen klären, dachte ich.

Fabienne bestätigte uns, dass es am Mittwoch einen gemeinsamen Abend der beiden Gruppen gegeben hatte.​
Weitere Erkenntnisse brachte die Versammlung nicht. Ich schnappte mir den jungen Mann, der da etwas von Eifersucht angedeutet hatte, ging mit ihm in die Teeküche. Saskia schickte ich zu dem Mädchen, das ich beobachtet hatte.

„Wie ernst muss ich diese Äußerungen nehmen, junger Mann?“, fragte ich ihn.​
„Sagen Sie rruhig Jaques, Err Kommissarr. Ja, also, derr Err Lohmarrk aat die Marrie schon ein bisschen angemacht. Ich aabe die beiden auch zum Schluss nooch auf däm Gang gesähen. Da standen sie vorr seinem Zimmärr. Die Lährärr aaben ja Einzelzimmärr.“
„Und?“
„Na ja, err aat sie nicht gähen lassen, aat sie in sein Zimmärr gedrängt. Ich denke, err wollte märr.“
„Das ist ein schwerer Vorwurf.“
„Därr Dirrk kann es bestätigen. Err aat es auch gesähen.“
„Wer ist dieser Dirk?“
„Einärr von därr andären Gruppä. Wirr sind Freundä.“
„Okay, wir werden Herrn Lohmark dazu befragen. Hat er euch bei dieser Beobachtung gesehen?“
„No! Wirr sind ja nicht blöd.“
„Dann schick mal den Dirk zu mir, ja?“
„Mache ich.“

Wenige Minuten später kam dieser zu mir, fing direkt an zu quatschen: „Hey, der Lohmark hat die Marie garantiert gebumst.“​
„Halt, halt. Mal ganz langsam, junger Mann. Das werden Sie wohl kaum beobachtet haben. Also sollten Sie es auch nicht behaupten.“
„Klar haben wir das mitgekriegt“, posaunte er weiter. „Wir haben an der Tür gelauscht. Die Geräusche waren eindeutig.“
„Ich kann mir jetzt nicht vorstellen, dass sie in einer Jugendherberge … Nein, sie werden es vielmehr vermieden haben, Geräusche zu machen.“
„Wir haben ein Glas an die Tür gehalten und hineingehorcht. Die haben gevögelt. Hundertpro.“
„Nehmen wir an, es war so. Was schließt ihr zwei jetzt daraus?“
„Na, Sie haben bei der Versammlung nichts gesagt. Aber wenn Sie hier die Leute befragen, vermute ich, dass die schöne Frau umgebracht wurde. Stimmt's?“
Ich schaute ihn an, grinste. Ich werde noch weitere Zeugen suchen müssen, dachte ich.

Saskia hatte mit dem Mädchen gesprochen, das auf meine Andeutung möglicher sexueller Übergriffe so erschrocken reagiert hatte. Die Kollegin hatte einen weiteren Raum gefunden, in dem sie allein mit der jungen Dame war.​
„Und was hat sie dir erzählt?“
„Der Herr Lohmark ist wohl kein Kind von Traurigkeit. Die junge Dame mit dem schönen Namen Arielle ist volljährig, also hat er sie ein bisschen beschwatzt.“
„Sag jetzt nicht, er hat mit ihr ...“
„Geschlechtsverkehr wohl nicht. Aber ein paar Dinge sind da schon gelaufen. Und sie hat den Herrn auch mit unserer Toten turteln gesehen.“
„Okay, die zwei Jungs schwören Stein und Bein, dass da deutlich mehr passiert ist. Ich hoffe, Britta kann das noch nachweisen, wenn dem so sein sollte.“
„Fragen wir ihn doch einfach.“
„Er wird es abstreiten“, meinte ich. „Aber auf die Art der Reaktion bin ich schon gespannt. Immerhin haben wir drei Zeugen.“
„Ich habe deine Frau mit der anderen Lehrerin gesehen. Ist das in Ordnung?“
„Ja, sicher. Die drei sind alte Freundinnen. Ich hatte Katharina gebeten, sich um Fabienne zu kümmern, sie zu fragen, was für ein Mensch diese Marie war.“
„Jetzt die Lehrer?“
„Lohmark und Starnbald, ja, die nehmen wir uns jetzt vor.“

Wir gingen zuerst zu Volker Lohmark in sein Zimmer.​
„Herr Lohmark, was ist an den Anschuldigungen dran, Sie hätten Frau Gabot ein wenig bedrängt?“, fragte ich.
„Ach, Herr Kommissar. Wir haben uns gut unterhalten, mehr nicht.“
„Da haben wir inzwischen andere Aussagen aufgenommen. Es soll durchaus zu Intimitäten gekommen sein.“
„Wer sagt das? Das ist unerhört! Ich bin verheiratet.“
„Frau Gabot ebenfalls. Aber das muss ja kein Hinderungsgrund sein.“
„Hören Sie doch auf! Wer hat Ihnen diesen Floh ins Ohr gesetzt?“
„Was im Laufe der Ermittlungen an uns herangetragen wird, bleibt unter Verschluss.“
„Was ist denn überhaupt passiert? Sie reden so geheimnisvoll, als wenn Marie umgebracht worden sei.“
„Der Verdacht liegt sehr nahe.“
„Sie sagen jetzt allen Ernstes, dass es Mord war? Ich bin fassungslos.“
Ich nickte. „Also, Herr Lohmark. Die Wahrheit, bitte.“
Er druckste herum, schnaufte, räusperte sich. Dann blickte er mir ins Gesicht, sagte: „Okay, ich hatte mich an diesem gemeinsamen Abend am Mittwoch ganz spontan in diese süße Person verliebt. Ich gestehe es. Aber ich habe sie nicht umgebracht.“
„Wie weit ist diese Verliebtheit gegangen? Wie weit wurde sie erwidert?“
Wieder wand er sich, schluckte nervös.
„Herr Lohmark, Sie haben Frau Gabot in Ihr Zimmer gedrängt. Richtig?“
„Sie hat nicht 'nein' gesagt. Verdammt, ja!“
„Nicht 'nein' zu sagen heißt noch lange nicht 'ja', Herr Lohmark!“, klagte Saskia ihn an. „Haben Sie sich genommen, was Sie begehrten?“
„Ich bitte Sie! Was denken Sie von mir?“
„Herr Lohmark! Frau Gabot wurde vermutlich ermordet!“, hielt Saskia ihm vor. „Da kann ich mir eine Menge vorstellen. Nun reden Sie endlich.“
Er verdrückte ein paar Tränen, schluchzte. „Ich … Ich habe sie nicht umgebracht. Ja, wir haben miteinander geschlafen, aber ...“ Er schaute uns flehend an. „Bitte sagen Sie das niemandem. Bitte.“
„Ich fürchte, es gibt Zeugen“, meinte ich.
„Lassen Sie mich raten. Dieser Jaques! Ja? Der kam an dem Abend ständig zu uns an den Tisch, um sie etwas zu fragen. Auf Französisch natürlich. Und garantiert bloß, um uns zu stören.“
„Wir haben mehrere Zeugen. Sie haben zu viele Geräusche gemacht.“ Ich schmunzelte.
„Bitte glauben Sie mir. Ich habe Marie ganz bestimmt nicht umgebracht.“
„Wir werden weitere Befragungen durchführen. Dann wird sich das schon aufklären“, meinte ich.

Wir begaben uns ins Nachbarzimmer zu Guido Starnbald. Er wirkte ein wenig nervös, war mein Eindruck.​
„Wonach suchen Sie eigentlich, Herr Kommissar?“
„Herr Starnbald, das ist nicht so einfach. Wie war Ihr Verhältnis zu Frau Gabot?“
„Oh, eine tolle Frau, aber sie war ...“, er zuckte nervös mit den Mundwinkeln, „ein bisschen labil, glaube ich.“
„Wie kommen Sie darauf?“
„Na, es geht das Gerücht um, sie wäre mit Volker, mit Herrn Lohmark ins Bett gegangen. Allerdings nicht nur mit ihm ...“ Er senkte den Blick.
„Mit Ihnen ebenfalls?“, hakte Saskia nach.
Zögerlich antwortete er: „Nein.“
Aber er hätte gerne, dachte ich. Also fragte ich: „Mit wem denn sonst?“
„Jungs prahlen gerne mit solchen Erlebnissen, wissen Sie. Die französischen Jungs waren garantiert eifersüchtig. Mensch, Herr Kommissar, Sie wissen doch, wie das mit Gerüchten ist, dem Gerede. Ob sie auch mit Schülern etwas hatte, mag ich nicht glauben, aber ...“
„Die Gerüchteküche. Was meinten Sie eben damit, Frau Gabot sei labil? In welcher Weise?“
„Na, sie hat Familie. Sicher plagte sie, wenn“, wieder zuckten seine Mundwinkel, „denn an den Gerüchten etwas dran wäre, das schlechte Gewissen.“
„Ja, und dann?“, bohrte ich weiter. Worauf wollte er hinaus?
„Möglicherweise …“, er verzog seine Mundwinkel, hob die Augenbrauen, „Selbstmord?“
Okay, dachte ich. Er wusste nicht, dass sie erschlagen wurde. Es sei denn, er war es selbst und wollte jetzt ablenken. „Eine solche Kurzschlusshandlung hätten Sie ihr zugetraut? Herr Starnbald, wie lange kannten Sie Frau Gabot?“
„Na, seit Dienstag. Aber ich habe doch Augen im Kopf. Fragen Sie den Kollegen, ob er mit ihr ...“
„Das werden wir tun. Vielen Dank, Herr Starnbald.“
Dass das schon geschehen war, wusste er wohl nicht. Wir verließen den Raum.

„Sag mal, was war das denn jetzt?“ Saskia wirkte wütend. „Der ist doch eifersüchtig auf den Kollegen, der offenbar mehr Glück bei ihr hatte. Und seine Idee mit dem Selbstmord ist doch absurd. Sorry, der spinnt sich was zusammen.“​
„So ganz klar will mir das auch nicht werden. Es sei denn, er will wirklich von sich ablenken.“
„Du meinst, er hat sich aus Eifersucht an sie rangemacht, wurde abgewiesen und hat sie dann erschlagen?“
„Das ist derzeit noch reine Theorie.“
„Aber sag mal, ist dir das auch aufgefallen? Ich glaube, wenn ich nicht sehen würde, wer spricht, ich könnte sie kaum auseinanderhalten. Findest du nicht auch?“
„Jetzt, wo du es sagst. Stimmt, die Stimmlage der beiden Herren ist sehr, sehr ähnlich.“
Wir fuhren zu Britta Kränz in die Rechtsmedizin.

„Hallo, Britta. Kannst du uns schon etwas sagen?“, fragte ich.​
„Oh, oh, das ist ziemlich gruselig, muss ich gestehen.“
„Gruselig? Was hast du entdeckt?“
„Also, zunächst einmal: Sie wurde mit einer Faust ins Gesicht geschlagen, ist vermutlich gestürzt und hat sich dabei die schwere Kopfverletzung zugezogen, an der sie verblutet ist. Was mich aber noch sehr viel mehr geschockt hat, war die Tatsache, dass sie in dieser Nacht mit vermutlich drei, eventuell sogar vier Männern Geschlechtsverkehr hatte.“
„Vier?“, rief Saskia entsetzt.
„Soviel zu den Gerüchten, die uns Starnbald aufgetischt hat“, meinte ich. „Offenbar sind es keine Gerüchte.“
„Aber wer kommt da dann in Frage?“
„Tja, Saskia. Auf jeden Fall nicht nur der Lohmark.“
„Ich bräuchte DNA-Tests“, forderte Britta. „Wenn ihr eine Idee hättet, die den Täterkreis eingrenzen würde, käme das meiner Arbeit sehr entgegen.“
„Mir fallen da spontan drei weitere Kandidaten ein“, sagte ich.
„Ich habe Spuren vom Täter im Gesicht gefunden. Er war auf jeden Fall einer der vier. Welcher, werde ich noch genau analysieren.“
„Na, wahrscheinlich der letzte. Gut, Britta. Danke. Wir werden sehen, was wir bekommen können. Komm, Saskia. Fühlen wir denen noch mal auf den Zahn.“

Am Abend erbaten wir erneut eine Versammlung aller Bewohner der Herberge.​
„Ist irgendwem noch etwas eingefallen, was uns weiterhelfen könnte?“, fragte ich. „Wir haben inzwischen die gesicherte Erkenntnis, dass Frau Gabot – vermutlich im Affekt – erschlagen wurde. Sie ist gestürzt, hat sich eine schwere Kopfverletzung zugezogen, an der sie, da der Täter keine Hilfe geleistet hat, verblutet ist. Das ist die brutale Wahrheit. Da wir derzeit ausschließen, dass eine fremde Person im Haus war, befindet sich der Täter unter Ihnen. Das ist eine weitere brutale Wahrheit. Wer uns etwas sagen möchte, kann dies gerne im persönlichen Gespräch tun. Wir sind im kleinen Aufenthaltsraum. Vielen Dank.“
Sofort zog ich mich mit Saskia in den genannten Raum zurück. Im Fortgehen bemerkten wir die aufkommende Unruhe.

„Erwartest du, dass jemand zu uns kommt?“​
„Sicher, Saskia. Es wird vielleicht ein Weilchen dauern, aber ich bin sicher, irgendwer wird kommen. Vielleicht nicht der Täter, der Mörder, aber ...“
Da klopfte es. Wir schauten uns erstaunt an.
„Herein!“, rief Saskia.
Jaques und Dirk traten ein.
„Ach, sieh an“, meinte ich. „Was wollt ihr beichten?“
„Wirr aaben sie nicht errschlaggen, Chef“, sagte Jaques.
„Wir haben den Lohmark mit ihr gesehen. Die blonde Matte ist ja nicht zu übersehen. Wir wissen nicht, wie lange sie bei ihm war, aber als sie zurück in ihr Zimmer ging, sind wir ihr gefolgt, haben sie darauf angesprochen“, erzählte Dirk.
'Blonde Matte', ja, richtig, dachte ich, Lohmark hatte fast schulterlange, blonde Haare. „Und?“
„Sie hat gefleht, dass wir niemandem etwas verraten. Okay, dachten wir, wir versprechen ihr, die Klappe zu halten. Aber dafür kriegen wir auch was.“
„Ihr habt eine Gegenleistung erpresst!“, schimpfte Saskia.
„Es warr nicht rrichtig“, gab Jaques zu. „Aberr sie aat nicht langä dagäggen geräddet. Echt. Sie aat gesagt: 'Dieses eine Mall, dabei bleibt es. Das muss genüggen.' Also sind wirr in irr Zimmärr und aaben ...“
„Die Rechtsmedizin hat das festgestellt, Jungs“, unterbrach ich ihn. „Gebt ihr uns eine DNA-Probe?“
„Klar. Wir haben nichts zu verbergen“, sagte Dirk. „Wir sind nach einer Stunde oder so wieder raus und direkt in unsere Zimmer. Gesehen hat uns niemand. Ganz sicher.“
„Was wollen Sie aaben? Speichelprrobbä?“
„Ja, Jaques.“ Ich holte zwei Taschentücher und zwei Tüten aus meiner Jacke, übergab diese an die beiden.
„Gäht klarr, Chef.“
Sie stellten sich in eine Zimmerecke, benetzten die Taschentücher mit Speichel, packten die Tücher in die Tüten und kamen zurück zu uns an den Tisch, legten die Proben darauf ab.
„Danke, Jungs. Habt ihr eine Idee, wer nach euch noch zu Frau Gabot gegangen sein könnte?“
„Hat der sie auch ge..?“, deutete Dirk an.
Ich nickte.
„Oh, disses Schwein!“, rief Jaques. „Sie aat es nicht gewollt, da aat err zugeschlaggen“, spekulierte er. „Iist es so?“
„Kann schon sein. Aber wer könnte es gewesen sein?“
„Finden Sie disses Schwein. Wirr aaben Marrie geliebt. Sie warr so ein eerrzlichärr Mensch“, schwärmte Jaques.
Dirk legte den Arm um dessen Schulter. „Hey, Kumpel. Ich habe echt ein schlechtes Gewissen, dass wir sie … Na, du weißt schon. Es war falsch, auch wenn es geil war.“
„Jungs, denkt gründlich nach. Wer könnte das getan haben? Wenn ihr eine Idee habt, eine, die plausibel ist, keine Beschuldigung wegen Hass, bitte, dann sagt es uns. Wir werden weiter warten, ob sonst noch jemand zu uns kommen mag.“
„Alles klar, wir sind schon weg“, sagte Dirk.

„Glaubst du ihnen?“, fragte Saskia mich.​
„Es muss ja noch einer da sein, der sich an ihr vergangen hat.“
„Das ist, wie Britta richtig sagte, echt gruselig. Wenn ich mir vorstelle, dass er sie erst erschlagen hat und dann … Bah! So ein mieses Schwein!“
Da klopfte es erneut.
Saskia ging zur Tür, öffnete sie. „Arielle?“
„Aallo.“
„Komm herein. Du möchtest uns etwas erzählen?“
Die junge Frau schaute sich unsicher um. „Iier öört wirklich niemand miht?“
„Nein, ganz sicher nicht.“
„Der Err Lohmark war eeute Nachmittag bei mihr. Err at sich für sein Verraalten entschuldigt.“
„Das ist lobenswert. Trotzdem hat er sich schändlich verhalten“, klagte Saskia.
„Es iist ja niichts passiert. Aber der Err Starnbald at miich danach aangesprochen. Err atte uns beobachtett.“
„Das ist ja spannend“, meinte ich. „Was hat er denn gewollt?“
„Iich weiß niicht. Er at miich so kommisch aangeguckt.“
„Du magst ihn nicht“, vermutete Saskia.
„Nein. Err at gesehen, dass iich iiereer gekommen bihn.“
„Sollte er dich gleich fragen, was du hier wolltest, dann sag ihm ruhig, dass wir einen Verdächtigen haben, der Frau Gabot umgebracht hat. Machst du das für uns?“
„Iist err denn verdäächtig?“
„Wir überprüfen noch ein paar Fakten.“
„Der Täter at Spuren iinterlassen.“ Sie grinste. „Soll iich Spuren von ihm aufnemmen?“
Saskia erschrak. „Wie bitte?“
„Ich denke, du weißt durchaus, dass wir dich nicht darum bitten dürfen, Arielle“, sagte ich.
Saskia schaute mich an. „Das tun wir auf gar keinen Fall!“
„Nein, das tun wir nicht. Wir werden nochmal mit ihm reden“, sagte ich.
„Gut. Dann gäe ich wieder.“ Sie öffnete vorsichtig die Tür. „Err wartett auf miich“, flüsterte sie, ging hinaus.

„Fühlt sie sich jetzt animiert, etwas zu tun, was nicht rechtens ist?“
„Nein, Saskia. Trotzdem wette ich, dass sie gleich erneut zu uns kommt.“
„Und wenn er handgreiflich wird?“
„Ich rufe Katharina an. Sie ist bei Fabienne.“ Ich holte mein Telefon hervor, wählte die Nummer.
Sie meldete sich. „Was gibt es?“
„Kannst du mal hinaus auf den Gang horchen. Arielle war gerade bei uns. Könnte sein, dass sie den Starnbald zu einem Fehlgriff animiert.“
„Was? Okay. Ist er euer Verdächtiger?“
„Er ist einer von Vieren. Drei haben wir schon überprüft. Wie sicher das ist, wissen wir jedoch noch nicht.“
„Okay, ich habe die Tür einen Spalt auf. Ich höre Stimmen. Ja, das ist der Starnbald, glaube ich. Er fragt Arielle gerade, was sie bei euch wollte.“
„Genau das habe ich erwartet. Hör bitte ganz genau hin.“
„Mache ich. Ich gucke durch den Spalt auf den Flur. Ich sehe die beiden. Ja, es ist Starnbald. Die Stimme klingt ja fast genauso wie die vom Lohmark. Sie stehen vor seinem Zimmer. Er packt sie am Arm! Bernd! Der will ihr was antun!“
„Keine Sorge, wir sind nicht weit. Das mit den fast identischen Stimmen ist uns auch schon aufgefallen.“
„Jetzt fragt sie ihn, was er wolle. Er will sie in sein Zimmer zerren. Sie wehrt sich, fragt ihn erneut.“
„Ich bin recht sicher, dass sie laut schreien wird, wenn es ihr zu viel wird. Sie hat unsere Intention erkannt, will ihm etwas abringen, was wir verwenden können.“
„Das scheint sie gerade zu bekommen. Oh, Bernd, das geht doch nicht. Er küsst sie. Das ist kein einfaches Küsschen, Bernd.“ Katharina klang besorgt.
„Dann geht jetzt raus, stellt ihn zur Rede. Wir sind gleich da.“

Als wir näher kamen, schrie Starnbald los: „Was soll das hier? Dieses freche Gör hat mich doch genötigt, sie zu küssen!“​
„Arielle, was hast du getan?“, fragte Saskia mit einem gewiss gespielten Unterton der Empörung.
Sie verzog das Gesicht. „Der at miir seine Zungä in den Muund gesteckt. Bah!“
„Wir kamen gerade heraus, da haben wir das gesehen“, sagte Katharina zu mir, wandte sich dann an den Lehrer. „Herr Starnbald, schämen Sie sich!“
„Komm, Arielle“, sagte ich. „Du erzählst uns jetzt noch einmal, was hier gerade passiert ist. Komm, wir gehen wieder in unseren Raum. Ja?“
„Mmm“, summte sie, grinste mich an.

Kaum war ich mit Saskia und dem Mädchen im Raum, holte ich ein Taschentuch aus der Tasche.​
Sofort spuckte Arielle hinein. „Bah! Das warr so widerlich. Niicht, dass iich noch nie geküsst ätte, auch mit Zungä. Aber där Kerl warr riichtig äkelafft.“
Ich holte eine Tüte hervor, steckte das Taschentuch hinein. „Danke, Arielle.“ Ich lächelte verschmitzt.
Sie grinste ebenso zurück. „Gern geschäen.“
Da kam Herr Starnbald hereingestürmt, ohne vorher anzuklopfen.
„Ich muss doch sehr bitten!“, schrie ich ihn an. „Raus!“
„Das muss ich mir nicht bieten lassen! Dieses Weibsstück ...“ Er zeigte auf Arielle.
Ich trat ihm energisch entgegen. „Raus, habe ich gesagt. Die Beleidigung ist registriert, Herr Starnbald.“
„Das ist unerhört!“
Er schien gerade richtig in Fahrt zu sein. Also drängte ich in die entsprechende Richtung. „Was haben Sie uns zu sagen, Herr Starnbald? Was?“
„Was glauben Sie eigentlich?“
„Na, zum Beispiel, was Sie nachts um vier bei Frau Gabot wollten?“
„Jetzt hören Sie auf! Ich war zufällig draußen auf dem Flur, als diese zwei Burschen aus ihrem Zimmer kamen. Man braucht nicht besonders viel Fantasie, um sich auszumalen, was sie da bekommen haben.“
„Was wollen Sie der Toten da unterstellen?“, grollte Saskia.
„Der Lohmark war doch auch schon mit ihr im Bett! Hat er mir erzählt! Nach diesem gemeinsamen Abend. Dieses Arschloch!“
„Und da dachten Sie sich, 'was der kann, kann ich auch'. Richtig?“
„Sie hat mir die Türe vor der Nase zugeschlagen.“
Ich schaute Saskia an, dann ihn. „Okay, Herr Starnbald, Sie halten sich bitte zur Verfügung, bis wir hier alles geklärt haben. Wir haben jetzt wichtige Dinge zu erledigen.“
„Und lassen Sie die Finger von dieser jungen Frau“, sagte Saskia, wies auf Arielle.
Ich schob ihn an, dass er den Raum als Erster verließ.
Saskia gab Arielle in die Obhut ihrer Lehrerin.

Wir begaben uns in die Rechtsmedizin.​
„Britta, wir haben DNA-Proben“, tirilierte ich.
„Prima. Ich habe eine gute und eine schlechte Nachricht.“
„Wie jetzt?“
„Es waren vermutlich doch nur drei Männer.“
„Also, diese drei glauben wir dann zu kennen. Aber unter ihnen dachten wir nicht den Mörder zu sehen. Wie erklärst du das?“
„Moment“, meinte Saskia. „Der Herr Lohmark sagte, er hätte mit ihr geschlafen. Laut Herrn Starnbald war das jedoch bereits am Mittwochabend. Hat der Lohmark nicht kapiert, dass wir die Tatnacht meinten?“
„Verdammt! Aber wenn er es nicht war, wer war dann der dritte Mann? Aber die Jungs sagten doch, sie hätten sie bei Lohmark gesehen.“
„Irgendetwas passt da noch nicht.“
„Britta, wir brauchen das Ergebnis schnell. Okay?“, sagte ich.
„Also, zur Info: Der erste Mann war so gegen Mitternacht mit ihr zusammen. Da ist die Analyse aufgrund der vergangenen Zeit schon ein wenig verwaschen. Der letzte war so zwischen vier und fünf in der Frühe. Ich muss den Abgleich noch machen.“
„Okay. Wir warten auf deine Analyse. Wir befragen nochmal den Lohmark.“

„Was passierte in den mehr als zwei Stunden zwischen Mitternacht und halb drei, wo die Jungs bei ihr waren?“, fragte ich.​
„Was Jaques und Dirk erzählten, klang nicht so, als wenn sie viel Zeit hatten verstreichen lassen, nachdem Frau Gabot zurück in ihr Zimmer gegangen war“, meinte Saskia.
„Dann haben sie möglicherweise den ersten Besucher um Mitternacht, wie Britta sagte, gar nicht gesehen.“
„Wir haben Frank und sein Spusi-Team noch gar nicht gefragt, was sie gefunden haben.“
„Stimmt, Saskia.“
Wir machten uns sofort auf den Weg.

„Ich dachte schon, ihr kommt gar nicht mehr zu mir. Ich habe ein paar Dinge, die interessant sein könnten. Wir haben ein paar Kampfspuren rund um das Bett gefunden, ebenso im Eingangsbereich. Dann haben wir diverse blonde Haare gefunden, allerdings keine echten“, erklärte Frank.​
„Du meinst also von einer Perücke?“
„Richtig. Wir haben allerdings im Zimmer keine gefunden. Dann haben wir recht frische braune Schuhcremespuren unten am Türblatt entdeckt. Da hat wohl jemand seinen Fuß in den Spalt gestellt, um ein Schließen zu verhindern.“
„Der Starnbald trug braune Schuhe“, warf Saskia ein. „Die Jungs trugen Turnschuhe, der Lohmark ebenso.“
„Okay, dann schauen wir uns das mal an. Danke, Frank.“

Wir fuhren erneut zur Jugendherberge.​
„Zuerst fragen wir aber den Lohmark, was er in der Tatnacht getan hat.“
Ich klopfte an dessen Tür, er ließ uns sofort herein.
„Herr Lohmark, ich glaube, wir müssen da noch eine Sache klären. Wann waren Sie in der Tatnacht bei Frau Gabot?“
„Oh, Herr Kommissar, mir ist inzwischen aufgegangen, dass wir uns zuletzt falsch verstanden hatten. Ich war in jener Nacht nicht bei ihr, sondern sie für etwa fünfzehn Minuten bei mir. Entschuldigen Sie bitte, dass ich das nicht gleich gesagt hatte. Ich hoffe, ich habe damit keine Schwierigkeiten heraufbeschworen.“
„Nein, nein, vermutlich eher das Gegenteil. Wann war sie bei Ihnen?“
„So etwa um zwei. Aber was sie mir da erzählt hatte, hätte ich Ihnen vielleicht früher mitteilen sollen“, er seufzte, „oder selbst aktiv werden sollen ...“
„Selbst aktiv werden?“
„Ja, unmittelbar danach. Dann wäre sie vielleicht noch am Leben.“
Diese bittere Erkenntnis kommt leider zu spät, dachte ich. „Herr Lohmark, erzählen Sie bitte.“
„Sie sagte mir, dass Starnbald bei ihr war, mit einer Perücke verkleidet, damit er so aussah wie ich.“
„Das wäre in der Tat eine hilfreiche Information gewesen. Wann war Starnbald bei ihr?“
„So gegen Mitternacht, sagte sie.“
„Und was ist da passiert?“
„Sie trug nur einen Bademantel, Herr Kommissar. Er ist auf jeden Fall handgreiflich geworden, hat ihr recht brutal in den Schritt gegriffen, wie sie sagte. Sie sagte auch, dass er sich vorher genüsslich die Finger geleckt hätte. Wie krank ist das denn? Aber sie hatte ihm einen Kinnhaken verpasst. Da hat er von ihr abgelassen und ist raus gerannt, hat sie dabei beschimpft.“
„Entschuldigen Sie, wenn ich das frage, aber hatten Sie an dem Abend mit ihr Geschlechtsverkehr?“
„Nein. Nein, das eine Mal am Mittwochabend war alles. Sie hatte es so gewollt. 'Nur einmal, das muss genügen', sagte sie.“
Ich zog die Augenbrauen hoch. Das hat sie doch auch zu den Jungs gesagt, dachte ich.
Wir verabschiedeten uns, gingen zu Starnbald.

„Sie schon wieder?“​
„Ja, Herr Starnbald. Wir haben einen Mord aufzuklären. Da hätten wir noch ein paar Fragen an Sie.“
„Wie kann ich Ihnen denn helfen? Ich habe von der Tragödie nichts mitbekommen.“
„Sie waren gegen Mitternacht bei Frau Gabot. Dafür gibt es Zeugen. Was wollten Sie von ihr?“, fragte ich.
„Was? Wer sagt das?“
„Sie waren bei ihr! Punkt! Was wollten Sie von ihr?“
Er druckste herum. „Na, gut. Ich war bei ihr. Der Lohmark hatte mir erzählt, dass er mit ihr im Bett war. Am Mittwochabend. Da wollte ich mein Glück auch mal versuchen.“
„Sie hat es aber nicht zugelassen. Richtig?“
„Nein. Das sagte ich doch schon. Sie hat mir die Tür vor der Nase zugeknallt.“
„Rührt davon der blaue Fleck an ihrem Kinn? Nein, ich denke, Sie haben den Fuß dazwischen gestellt“, sagte ich mit einem Blick auf seine braunen Lederschuhe. „Wir haben braune Schuhcreme gefunden.“
„Das ist nicht wahr!“
„Dürften wir mal in Ihre Schränke schauen?“, fragte Saskia, öffnete dabei den Kleiderschrank, ohne seine Antwort abzuwarten.
Er sprang auf sie zu, schrie: „Nein!“
„Ich habe schon gesehen, was ich gesucht habe“, sagte ich. „Wozu haben Sie eine blonde Perücke im Schrank liegen?“
„Das geht Sie nichts an.“
„Haare dieser Perücke wurden beim Mordopfer gefunden, Herr Starnbald. Ihre Stimme ist mit der des Kollegen leicht zu verwechseln. Und mit dieser Perücke wollten sie Frau Gabot vorgaukeln, Sie seien er.“
„Wie wollen Sie das denn beweisen?“
Jetzt musste ich spekulieren, erinnerte mich an das, was Lohmark uns eben berichtet hatte. „Wir haben Ihre Speichelspuren in ihrer Vagina gefunden.“
Er stöhnte theatralisch. „Ja, mein Gott! Ich habe ihr in den Schritt gegriffen. Mit feuchten Fingern gleitet es halt besser“, sagte er, grinste.
„Machen Sie sich nicht lustig! Wir haben noch mehr gefunden. Sie waren später noch einmal bei ihr. Auch dafür gibt es Zeugen, Herr Starnbald!“
„Niemals! Ich habe niemanden gesehen ...“ Entsetzt schluckte er, realisierte, dass er sich gerade verplappert hatte.
„Vielen Dank, Herr Starnbald. Sie sind vorläufig festgenommen“, sagte ich, holte die Handschellen heraus, um sie ihm anzulegen.
Wir beförderten ihn ins Revier, sperrten ihn in eine Zelle.

Danach fuhren wir erneut zu Britta in die Rechtsmedizin.​
„Wir sind fertig mit unserer Arbeit“, neckte ich sie.
„Und ich weiß, wer der Täter war“, entgegnete sie.
„Gut. Ich sage dir, was du gefunden hast. Die älteste Spur war der Speichel von kurz nach Mitternacht. Das war Starnbald. Dann die Spermaspuren von Jaques und Dirk. Und zum Schluss desgleichen von Starnbald, der zudem Spuren beim Schlag ins Gesicht von Marie Gabot hinterlassen hat. Hinzu kommen die falschen blonden Harre einer Perücke, die Frank am Tatort gefunden hat.“
„Absolut korrekt, Bernd. Einzelne Haare dieser Perücke habe ich übrigens auch in ihrer Vagina gefunden. Daran waren ebenfalls DNA-Spuren von Starnbald. Sag mal, woher hattet ihr eigentlich die Speichelprobe von diesem Mann?“
„Oh, das war ein ...“, stammelte ich, „ein Glücksfall. Er hatte sich an diesem Mädchen vergriffen, das uns diese Probe dann übergeben hat.“
„Ich nehme mal an, ihr habt sie nicht dazu animiert?“ Britta wirkte ein wenig aus der Fassung.
„Nein. Das hätten wir schließlich gar nicht tun dürfen. Nein, sie hat Eins und Eins zusammengezählt und ist selbst zu ihm gegangen, hat ihn ein bisschen provoziert, denke ich.“
Britta verdrehte die Augen.
„Wir haben nicht gesehen, was sie getan hat“, versicherte Saskia.
Ich nickte, atmete tief durch, sagte: „Ein perfekter Tag Polizeiarbeit, wenn da nicht die unangenehme Tatsache der toten Marie Gabot wäre.“
„Und der Täter ist geständig“, fügte Saskia hinzu.

Guido Starnbald gestand ein, dass er in Panik geraten war, als Marie Gabot nach seinem Faustschlag mit dem Kopf gegen die Bettkante gestürzt war. Er sei nicht mehr Herr seiner Sinne gewesen, habe sich wie ein wildes Tier auf sie gestürzt, ist dann geflüchtet, anstatt ihr zu helfen.

 

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