Kommissar Neumann
“… Bitte beeilen Sie sich, ja”.
“Wir nehmen sofort die Verfolgung auf und senden Ihnen einen Kollegen vorbei der ihre Aussage aufnimmt.”
Wagner bedankt sich und legt den Hörer auf. Sein Blick wandert vom Telefon über die leere Kassa zum Boden hinter der Theke. Geldnoten liegen verstreut auf dem Teppich wie Blätter unter einem kahlen Baum im November. Er bückt sich und sammelt mit zitternder Hand Schein für Schein auf.
Minuten später klingelt die Türglocke. Bitte nur kein Kunde, denkt sich Wagner und schaut zur Tür. “Kommissar Neumann, bei Ihnen wurde eingebrochen?”, stellt sich ein Mann in einem braunem Mantel vor.
“Gut, das Sie hier sind. Martin Wagner, ich bin der Eigentümer. Haben Ihre Kollegen bereits diesen Verbrecher gefasst?”
“Nein… die tappen noch im Dunkeln.”
Der Kommissar wendet sich einer Vitrine zu und betrachtet die einzelnen Schmuckstücke. “Bitte, erzählen Sie mir was passiert ist”.
“Ich war gerade dabei ein paar Schmuckstücke zurück in die Vitrine zu legen, als dieser elende Dieb in den Laden kam. Er richtete eine Pistole auf mich. Ich sah wie sein Finger nervös auf dem Abzug zuckte”. Wagner spürt wieder die Hilflosigkeit; die Todesangst in jenem Moment. Seine Hände beginnen zu zittern. Das Bündel der aufgehobenen Scheine raschelt in seiner Hand. Er setzt sich auf einen Stuhl hinter der Theke, atmet tief durch und fährt fort. “Entschuldigen Sie”.
Neumann, der die Pause bemerkte, schaut auf und sieht wie der Ladenbesitzer blass auf dem Stuhl sitzt. Er schmunzelt und wendet sich dann den Uhren links von ihm zu.
Wagner erblickt vom Kommissar nur den Teil des Rückens der über der Theke ist. Verwundert über dessen großes Interesse für den Schmuck, beschließt er ihn danach zu fragen. “Wissen Sie, Sie haben da sehr schöne Stücke in der Auslage”. Neumann kratzt sich am Kopf. “Konnten Sie etwas verdächtiges an dem Räuber bemerken. Hatte er eine auffallende Kleidung, Dialekt oder bewegte er sich ungewöhnlich?” Wagner schaute entmutigt auf den Boden. “Nein, da war nichts. Der verdammte Schuft hat nicht einmal ein Wort gesagt. Er warf mir nur eine Plastiktüte zu und gab mir mit der Waffe zu verstehen das ich sie mit dem Geld aus der Kassa füllen sollte.” Neumann nickte, blickte dann rasch nach allen vier Wänden um sich dann an sein Gegenüber zu wenden. “Gibt es eine Überwachungskamera?”
“Ja, da drüben. Aber die ist momentan außer Betrieb. Der Techniker behauptete die Umstellung von einem analogen auf ein digitales System wäre kein Problem und in ein paar Stunden gemacht. Dieser Pfuscher, arbeitet jetzt schon seit letztem Samstag daran.” Wagner hält es nicht mehr länger auf dem Stuhl aus. Er steht auf und schlägt auf den Tresen. Dabei entdeckt Neumann zum ersten Mal das Geld in seiner linken Hand. Auf die Frage danach, erhellt sich die Miene des Verkäufers: “Hah. Dieser einfältige Narr von Dieb! Als er mich zwang das Geld aus der Kassa in die Tüte zu geben, ließ ich das meiste einfach nebenbei auf den Boden fallen.” Währenddessen fuchtelte er mit den Scheinen vor dem Kommissar um seinen Sieg zu demonstrieren.
“Wer ist hier der Narr.” Neumann verzieht das Gesicht und kommt einen Schritt näher. “Verdammt nochmal, wissen Sie eigentlich wieviel Glück Sie hatten. Stellen Sie sich vor der Räuber hätte Ihren kleinen Trick bemerkt, dann würden Sie jetzt nicht mehr vor mir stehen sonder…”
“Jaja, ist ja schon gut. Aber ist doch nochmal gutgegangen. Dieser Idiot ist jetzt sicher schon irgendwo untergetaucht, wenn er nicht schon geschnappt wurde. Vielleicht öffnet er gerade in diesem Moment die Tüte, in der keine Tausend Euro sind. Sein dummes Gesicht würde ich zu gerne sehen.”
Neumann presst die Lippen zusammen. “Wenn dieser Idiot wie Sie sagen, wirklich über alle Berge ist, was denken Sie wird er dann machen sobald er bemerkt das er hinters Licht geführt wurde? Hm? Meinen Sie er wird die Sache auf sich ruhen lassen? Oder, wird er wieder kommen und die Rechnung begleichen.”
Wagners Freude verblasst. “Sie werden den Dieb doch fassen? Ihn hinter Gitter bringen, oder?”.
“Ich möchte ehrlich zu Ihnen sein. Wenn innerhalb der ersten halben Stunde kein Hinweis auf den Aufenthaltsort des Verdächtigen vorhanden ist, dann bleibt das meistens auch so”.
Wagner legt das Geld aus der Hand auf die Theke um gemeinsam mit der anderen seinen plötzlich schwer gewordenen Kopf zu halten. “Was soll ich den jetzt nur machen?”
“Haben Sie ein Telefon? Rufen Sie ihre Liebste an, ihre Familie. Sie müssen das nicht alleine durchstehen.”
Ermutigt nickt Wagner und begibt sich in ein Hinterzimmer. Seine Frau nimmt nicht ab, was nicht ungewöhnlich ist wenn Sie, wie jeden Freitag bei ihrer Freundin ist. Er knallt den Hörer auf den Apparat. “Danke, Schatz.”
Als Wagner wieder zurück in den Verkaufsraum geht, schließt sich gerade die Ladentür. Vom Kommissar fehlt jede Spur. Auf der Theke liegt ein Zettel statt dem Geld.
“Leider kann ich jetzt Ihr dummes Gesicht nicht sehen.”