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"Komm gut nach Hause"
"Komm gut nach Hause!", rief er ihr hinterher, als sie die wenigen Stufen durchs Treppenhaus hinunterhuschte. "Ja, du auch!", kicherte sie. Diesen Insider hatten sie schon seit Jahren und sie fragte sich für einen Moment, ob der Versprecher ihrer besten Freundin wohl auch in fünf Jahren noch ihr Abschiedsritual sein würde.
An der frischen Luft angekommen atmete sie tief durch. Sie liebte die kühle, klare Winterluft. Es war wohl das Einzige, was sie an dieser düsteren Jahreszeit mochte.
Um ihr Fahrrad zu holen, schloss sie die Tür zum Garten auf und ging die paar Schritte an der Hauswand entlang, bis sich diese nach rechts bog. Gerade als sie die Ecke des Hauses überschritten hatte, vernahm sie eine Bewegung aus dem Augenwinkel. Eine dunkle Gestalt presste ihr die Hand auf den Mund und zog sie um die Ecke des Hauses.
Sie erkannte die kalten, knochigen Hände noch bevor sie das schmale Gesicht sah, das unter der Kaputze einer schwarzen Sweatshirtjacke versteckt war. Er löste die Hand von ihrem Mund und ließ sie zu ihrem Hals wandern, um diesen zuzudrücken. Sie schnappte nach Luft und versuchte sich zu wehren, doch der Angreifer war zu stark. "Halt still!", befahl er zischend. Sie wehrte sich umso mehr, was ihn dazu veranlasste, ihre Kehle fester zuzudrücken.
"Hör mir zu, dann lasse ich los."
Sie hörte auf, sich zu winden und atmete schwer, als er die Hände von ihr nahm.
Er blickte mit seinen stahlblauen Augen direkt in ihre. "Ich kenne dein kleines Geheimnis.", raunte er ihr drohend zu.
Einen Moment lang starrte sie ihn ungläubig und erschrocken an, dann wollte sie an ihm vorbeigehen. "Schön für dich. Bist ja 'n ganz Schlauer.", sagte sie sarkastisch. Er legte seine Hand auf ihr Dekolleté und schubste sie unsanft rückwärts gegen die Hauswand.
"Ich sage es ihm.", wisperte er.
Sie seufzte. "Was willst du von mir?!"
"Du kennst meine Lage.", antwortete er, "Rat' doch mal".
Obwohl er kaum größer war als sie und sie abgesehen davon nichts von ihm hielt, bekam sie Gänsehaut. Trotzdem entschloss sie sich, keine Schwäche zu zeigen. Angesichts der Tatsache, dass er weder Job noch eine gescheite Ausbildung hatte, war offensichtlich, was er wollte.
"Vergiss es.", fauchte sie.
Er blieb ruhig. "Er wird dich nicht nur verlassen,", seiner Augen funkelten böse, als er weitersprach, "Er wird dich auch einweisen lassen. Und damit ist deine - ach so gut durchgeplante - Karriere im Arsch. Niemand stellt jemanden wie dich als Polizistin ein."
"Halt's Maul!". Sie kochte innerlich. "Du bist so armselig. Schau dich doch selbst an! Du hast nicht einmal Beweise!"
Er grinste, packte ihren Arm mit einer Hand und schob mit der anderen den Ärmel ihres dunkelblauen Hardrock Café-Pullovers hoch, bis ihre Armbeugen freilagen. Sie versuchte panisch, ihre Ärmel wieder herunterzuziehen, doch er hielt ihr Handgelenk fest.
Er betrachtete ihren Arm genauer. Unzählige Einstichwunden übersähten die Innenseite ihres Unterarms. "Dope, hm?", sagte er leise, um anschließend verächtlich zu schnauben. "Du bist so dumm!".
Peinlich berührt und zugleich unendlich wütend spürte sie, wie ihr das Blut in den Kopf schoss.
"Woher weißt du es?", fragte sie leise, ohne ihn anzusehen. Seine Blicke brannten auf ihrer Haut.
"Das war doch nicht schwierig!", triumphierte er. "Wie naiv du bist, zu glauben es würde nicht auffallen, wenn du alle paar Stunden für 'ne halbe Ewigkeit im Bad verschwindest. Wenn dein Blick danach immer glasig ist und du dich an manchen Tagen kaum auf den Beinen halten kannst?"
Erneut versuchte sie, sich aus seinem festen Griff zu befreien. "Du hast keine Ahnung von mir! Halt dich nicht für 'was Besseres!", wetterte sie.
Er entblößte seine makellos weißen Zähne und lachte laut. "Du glaubst wohl, du bist ne ganz toughe, hm?". Er ließ ihren Arm abrupt los und sie schnaubte wütend: "Kümmer dich um deinen eigenen Scheiß, Arschloch!".
Nun trat sie an ihm vorbei und ging zu ihrem Fahrrad.
Er lachte erneut. "Wir verlegen das Gespräch auf einen Tag, an dem du nicht deine Tage hast.". Er zwinkerte ihr provozierend zu, dann verschwand er.