Mitglied
- Beitritt
- 20.08.2017
- Beiträge
- 48
- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 8
Komischer Kauz
Drei Tage und drei Nächte braucht die Seele, um den Körper zu verlassen, um den Weg zurück zu finden in das Reich neben dem Leben. In dieser Zeit soll der Mensch nicht allein gelassen sein. Im Übergang sollte er begleitet sein, mit Kerzen, Myrrhe, Leichenstarre durch Hände halten wärmen, nicht alleine gehen lassen.
Das hatte ihm ein alter Rishi einmal gesagt, damals, als er für ein Jahr in Indien gearbeitet hatte.
Keine Totenruhe, sondern Totennähe in diesenTagen, begleitet von dem liebsten Menschen, der das Leben mit der oder dem Toten geteilt hatte.
Damals in Indien war er jung, den Tod als Krankenpfleger der Gesellschaft für Zusammenarbeit (GEZ) immer vor Augen, so viele Kinder, so viele Alte hatte sterben sehen und in den Tod begleitet. Gestorben an Krankheiten, die er vorher niemals gesehen hätte, den Blähbauch des Hungers, die Lepra und viele andere unbekannte Arten zu sterben.
Nein, er hätte dem Bestatter niemals erlaubt, ihr ein weißes Totenhemd anzuziehen.
Aber er hatte sie geschminkt in der ihr eigenen Art, und ihr behutsam das angezogen, was sie beide über viele Jahre in ihren engsten Stunden so sehr erfreut und erregt hatte.
Es war Winter, und er wagte es nicht, die Heizung aufzudrehen. Bei wenigen Grad unter Null in der Wohnung lag sie neben ihm im Bett. Die Kälte war gut für sie.
Er küsste ihre kühle wachsweiße Stirn.
Ja, sie war gegangen und er fühlte sie nicht mehr, aber noch lag sie neben ihm.
Er vergaß die Zeit…
Nach fast einer Woche brach die Polizei auf Bitten der Nachbarn die Wohnungstür auf.
Der Wohnungsinhaber lag bewusstlos neben einer weiblichen Leiche, selbst offensichtlich fast verdurstet.
Die forensische Untersuchung ergab Spuren von Sperma auf dem Körper der toten Frau, das zu mehreren unterschiedlichen Zeitpunkten auf die Leiche ejakuliert worden sein musste. Die Tote trug seidene Dessous.
Als er körperlich genesen aus dem Krankenhaus entlassen wurde, überstellte man ihn in eine offene psychiatrische Anstalt.
Die Staatsanwaltschaft hatte darauf verzichtet, eine Klage wegen Störung der Totenruhe nach § 168 StGB zu erheben, und die Ärzte und Betreuer in der Anstalt waren nicht der Meinung, der Patient könne an einer Paraphilie im Sinne des F 65.8 leiden. Also keine klassische Nekrophilie.
Er zählte also nach dem Urteil der Spezialisten nicht zu jenen Leuten, deren Sexualtrieb auf Leichen ausgerichtet wäre.
Er wurde entlassen und kehrte in seine Wohnung zurück. Die anfängliche Aufregung um seine Rückkehr legte sich bald, die Tage waren wieder dieselben.
Nachbarn sahen ihn nur noch selten, meistens am Mittwoch und am Sonntag, wenn er sich gesenkten Hauptes zum Friedhof schleppte, um das Grab seiner Frau zu besuchen. Man wunderte sich etwas darüber, dass er bei jedem Wetter um diese Zeit unterwegs war, manchmal ohne Mantel und Hut, obwohl kalt war oder regnete.
Ein vereinsamter komischer Kauz.
Er grüßte niemanden mehr und nahm wohl auch niemanden mehr wahr.
Meistens blieb er von Sonnenaufgang bis zur herein brechenden Dunkelheit bei ihr.
Es gab für ihn nichts mehr zu tun, nur noch in ihrer Nähe zu sein und abzuwarten.
Abwarten auf den Tag nach allen kosmischen Ewigkeiten, an dem sie sagen würde:
„Ich habe auf Dich gewartet.“