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KOMA

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18.02.2002
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KOMA

KOMA


Klirren, Krachen. Vor meinen Augen tanzt die Welt einen irrsinnigen Tanz. Ein Baum, direkt vor mir. Wurzeln oben, Krone unten. Wasser an einer gläsernen Barriere. Ein penetranter Geruch steigt mir in die Nase, beißend. Ich weiß, ich müsste ihn kennen, aber der Name fällt mir nicht ein. Ein Tuten wird hörbar, langgezogen. Wie von einem Schiff, muss ich denken.

Dann: Stille.

***

Ich schwebe im Dunklen, es ist schön warm. Die Stäubchen, die in meinem Blickfeld tanzen, gefallen mir . Sie glitzern. Sie sind bunt.

Ich genieße es, so zusammengerollt zu sein. Wie eine Kugel. Ich rolle schaukelnd hin und her. Um mich herum schwappt Wärme, durchdringt mich, hüllt mich ein.

Das Licht kommt plötzlich, es ist leuchtend. Malt Dinge für mich in das Schwarz. Sieht kitzelig aus, das Licht. Ich freue mich darüber. Andere, die nicht ich sind, freuen sich auch. Ich kann ihre Freude spüren.

Ich dehne mich aus, strecke mich weit. Alles ist so warm, so leuchtend, so schön. Ich wundere mich flüchtig, wie groß ich bin.

***

Drei Wochen ist es nun schon her, seit ich wieder aufgewacht bin.

Man hat mir erzählt, ich hätte einen schweren Autounfall gehabt und danach im Koma gelegen. Drei ganze Jahre lang.

Ich konnte mich an keinen Unfall erinnern. Das kann ich bis heute nicht.

Mein Name ist Doris Margolies, so hat man es mir gesagt, und ich bin selbständige Handelsvertreterin. Zweiunddreißig Jahre bin ich alt, allein lebend, keine Kinder. Im Bereich Partnerschaft auch Zero, denn nach dem Wissen der Schwestern hat mich in den ganzen drei Jahren keine lebende Seele besucht. Meine Mutter soll kurz nach meinem Unfall gestorben sein. Ich gäbe sonstwas, wenn ich mich an ihr Gesicht erinnern könnte. Geschwister sind keine vorhanden. Sofern es noch weitere Familienmitglieder gibt, ist das Verwandtschaftsverhältnis so weitläufig, dass ich mich nicht einmal dann erinnern könnte, wenn kein Unfall mein Gedächtnis in ein Chaos nicht zusammenpassender Bildfetzen verwandelt hätte.

Am Tage des Unfalls war ich wohl gerade auf Geschäftsreise. Wohin? Gute Frage. Man hatte einen Terminplaner, ein Notebook und mehrere Angebotsentwürfe bei mir gefunden. Sah also nicht so aus, als wäre ich unterwegs ins lange Wochenende gewesen. Der Rest ist schnell erzählt: Blitzeis auf der Fahrbahn, ein Lastwagen im Gegenverkehr, Kontrolle verloren, Wagen überschlagen, Bekanntschaft mit einem Baum gemacht – Ende Gelände.

Diese spärlichen Informationen sind alles, was von meinem Leben übrig geblieben ist. Und selbst die habe ich aus zweiter Hand.

Es klopft an der Tür, ich drehe den Kopf und schaue in das Gesicht meiner Physiotherapeutin. Wie immer schaut sie gut gelaunt drein. So gut gelaunt, dass es mir gehörig an den Nerven zerrt.

„Guten Morgen, Frau Margolies, na, wie geht’s es uns denn heute?“ will sie von mir wissen. Dumme Frage, weil rein rhetorisch. Sie kann gar keine Antwort erwarten. Ich bin immer noch intubiert – mein Atemzentrum ist noch nicht ganz aus seinem Drei-Jahres-Urlaub zurück. Das einzige, worauf ich antworten kann, sind Ja-Nein-Fragen. Ich beantwortete sie mit Hilfe der Augen. Einmal blinzeln heißt ja, zweimal blinzeln nein. Darauf hatte ich mich mit den Ärzten und Schwestern geeinigt als es galt zu prüfen, ob und an was ich mich überhaupt noch erinnerte.

„Also, dann wollen wir mal.“ Strahlendes, professionelles Zahnpastalächeln. Die Therapeutin hebt meinen linken Arm an. Mir wird immer noch schlecht bei dem Anblick. Dünn wie ein Stock ist er, die Finger sind klauenartig einwärts gekrümmt. Kontraktur nennt sich das, habe ich mich belehren lassen. Zu gut Deutsch: Die Muskeln sind verkümmert. Kommt vor, wenn man lange inaktiv im Bett liegt und – mangels Angehöriger – nur so oft bewegt wird, wie es der knapp bemessene Zeitplan der Schwestern zulässt. Also beim morgendlichen und abendlichen Waschen und beim zweistündigen Lagern. Wie der Rest von mir aussieht, will ich besser gar nicht wissen.

Die nächsten dreißig Minuten werde ich geklopft, geknetet, massiert, durchbewegt, mit Öl eingerieben und ausgestrichten. Ich mache gut mit, das sagt selbst meine anspruchsvolle Krankengymnastin. Ich will mich ja auch so schnell wie möglich wieder bewegen können. Ich MUSS mich wieder bewegen können, koste es, was es wolle. Wenigstens ein bißchen. Also strenge ich mich an, ungeachtet der Schmerzen, die mir den Schweiß in die Augen treiben und schwarze Kreise vor meinen Augen tanzen lassen. Und wirklich gelingt es mir heute zum ersten Mal, den rechten Arm vollständig auszustrecken, das linke Bein ganz anzuwinkeln und meine Lage minimal selbständig zu verändern.

Meine Therapeutin ist vor Begeisterung völlig aus dem Häuschen und lobte mich überschwänglich. Ich bin auch ganz hin und weg. So breit, wie meine Gebissstange es zulässt, grinse ich sie über den Tubus hinweg an. Sie gibt mir noch einen aufmunternden Klaps auf das angestellte Knie, verabschiedet sich und eilt weiter zum nächsten Patienten.

Ich entspanne mich erst einmal, lasse den Schweiß auf meiner Stirn trocknen und warte darauf, dass das Zittern in meinen Muskeln wieder aufhört. Ich sammle Kraft.

Während ich die Decke über mir mustere erinnere mich an meinen ersten Besuch seit drei Jahren. Der kam vorgestern. Begleitet von meinem Arzt und einer Schwesternschülerin erschien ein verlegen dreinblickender Mann mittleren Alters. Er stellte sich vor – den Namen hab‘ ich schon wieder vergessen – und friemelte einige Papiere aus der mitgeführten Aktentasche. Und dann ging es los: Er erzählte mir etwas von Unterversicherung, von zurechenbaren Kosten, von Inkasso und gerichtlichen Mahnverfahren, von pfändbaren Titeln und anderen Dingen, von denen ich kein Wort verstand. Nur eines hörte aus dem ganzen Gewäsch heraus: Welches Geschäft ich auch immer vor dem Unfall besessen hatte, es war hochverschuldet und existierte praktisch gar nicht mehr. Ganz davon abgesehen, dass ich ohnehin nicht mehr weiß, wie die Welt da draußen funktioniert, bin ich auch noch komplett ruiniert. Mir gehört nicht einmal mehr das Nachthemd, das ich am Körper trage, und was noch mein ist, ist es mit Sicherheit nicht mehr lange.

Ich blinzelte wie eine Aufziehpuppe mit den Augen, ja, nein, anscheinend immer in adäquater Art und Weise, denn der Mann beendete seinen Monolog und zog mit dem Arzt wieder ab. Zehn Minuten später, als sie sicher war, dass ich nicht vor Aufregung einen Herzinfarkt schließen würde, entfernte sich auch die Schülerin.

Tolle Aussichten, nicht wahr? Finde ich auch.

Endlich bin ich soweit wieder bei Kräften. Millimeterweise ruckel‘ ich mich so weit wie möglich an die rechte Bettkante. Puh, ich schwitze schon wieder wie ein Marathonläufer. Noch ein kleines Stückchen, dann kann ich den grünen Knopf erreichen. Gut, dass ich beim Waschen immer aufmerksam zugesehen habe, was die Schwestern machen, wenn sie sicher gehen wollen, dass nicht bei jeder kleinen Lageveränderung die Monitoren lospiepsen. Wie lange schaltet der Unterbrecher die Überwachung aus? Zwanzig Minuten, oder sind es mehr? Wie lange braucht man für eine Ganzkörperwäsche? Drücken, so, nun noch den roten Knopf für die künstliche Beatmung... Die Maschine zischt noch einmal, der Kolben geht nach unten und steht still.

Endlich.

Stäubchen beginnen vor meinen Augen zu tanzen. Mir gefallen diese Stäubchen. Sie sind bunt, und sie glitzern.

Ich gehe nach Hause. Diesmal für immer.

[Beitrag editiert von: Pipilasovskaya am 22.02.2002 um 11:37]

 

Obwohl ich mit Texten über Todessehnsüchte so meine Schwierigkeiten habe, mag ich den Anfang, die Beschreibung des bewusstlosen (?) Zustands. Ich bekomme wirklich den Eindruck, an einem geborgenen, geschützten Ort zu sein.

Die nervende Hallöchen-Physiotherapeutin finde ich auch gut beschrieben.

Einzig die Schilderung der Realität im bewussten Zustand ist mir nicht hart, nicht erdrückend genug. OK, kein Körper, kein Geld, keine Familie, keine Freunde, gerichtliches Mahnverfahren, eine Aufzählung gesellschaftlicher Zwänge und durch einen Unfall verursachte Behinderungen.
Dass das logische Ergebnis dieser Gleichung dann Selbstmord lautet (oder Rückkehr in den "Koma-Kokon"), überrascht nicht weiter.

Die Ermordung der Physiotherapeutin oder des Arztes - vielleicht beim Baden mit einem Stromkabel - wäre eher mein Geschmack, als mir selbst das Kabel abzuziehen.

 

Hallo Endorphina,

danke für Deinen Kommentar.

Na ja, wenn meine Protagonistin ihren Arzt platt gemacht hätte, hätte die Story wohl kaum noch zur Rubrik "Alltag" gepasst. Außerdem hätte mir der arme Doc viel zu Leid getan: Seine hippokratische Gnaden kann schließlich nichts dafür, dass der Horror für Doris jetzt erst anfängt. Ihn umzubringen hätte ihr vielleicht einen flüchtigen Moment der Genugtuung verschafft, aber was hätte das an ihrem Elend geändert?

Nein, ich wollte darauf hinweisen, dass der einzige Weg zu Geborgenheit, Anerkennung und Glück für die Ärmste tatsächlich der Weg zurück auf die Andere Seite ist - oder meinetwegen auch zurück in den "Koma-Kokon". Hier, in unserer modernen Realität, hatte sie nur so lange etwas zu erwarten, wie sie noch relativ jung, selbstbewusst, attraktiv, erfolgreich, unabhängig, dynamisch und nützlich war. Wer von uns denkt schon, so lange es ihm gut geht, darüber nach, dass es innerhalb von wenigen Sekunden in eine ganz andere Richtung gehen könnte? Ich glaube, das ist tatsächlich "Alltag", passiert täglich hundertfach, in der einen oder anderen Form: Dass Menschen in eine Situation getrieben werden, in der sie keinen Ausweg mehr sehen, weil die Zeit, in der wir leben, in diesem Moment keine Nische mehr für sie bietet.

Mag sein, dass die Dinge, die ich gesehen habe, Schuld an meiner negativen Einstellung haben: Ich war drei Jahre lang Dauernachtwache auf einer onkologischen Station und habe nach einer Arbeitserkrankung, die mir selber ein paar Wochen Koma eingebracht hat, zur kaufmännischen Angestellten umschulen müssen. Heute arbeite ich für ein großes Inkassobüro, und die Schicksale, die hinter manchen Papieren stecken, würde ich kaum glauben, hätte ich nicht das zweifelhafte Vergnügen, sie aus nächster Nähe mitzuerleben.

Die Zeit, in der meine Geschichte spielt, ist die heutige. Nicht die beste aller möglichen Zeiten, aber daran sind wir selber schuld. Wenn ich den einen oder anderen vielleicht dazu gebracht habe, darüber und über die eigene Mitschuld daran einmal nachzudenken, habe ich mein Ziel erreicht. Wenn dieser eine oder andere eventuell für gewisse Behörden arbeitet oder im politischen Umfeld tätig ist, um so besser.

Ich werde mich jetzt mal auf Deine Geschichten schmeißen... Bis später dann!

P.

[Beitrag editiert von: Pipilasovskaya am 26.02.2002 um 09:17]

 

Hat mir auch sehr gut gefallen. Noch nix zum Meckern gefunden. Such morgen nochmal ;)

Gruß, Pan

 

Hallo Morphin, hallo Pan

danke für die nette Kritik.

@Pan: Vielleicht findest Du ja doch noch was. Aber dass das etwas sein muss, dass einem nicht auf den ersten Blick ins Auge fällt, ermutigt mich auch schon mal.Also, munter drauflos.

@Morphin: Auf Deine Frage bezüglich meines Berufs schicke ich Dir eine längere PM, um den Thread nicht zu belasten. Einverstanden?

Liebe Grüsse
P.

 

Hallo Pipilasovskaya

Mit deiner Geschichte habe ich ein großes Problem. Ich finde, sie ist gar keine, jedenfalls keine vollständige. Sie hat einen Anfang, einen Schluss und zu wenig dazwischen.
Personen charakterisieren sich durch ihre Handlungen und nicht durch Behauptungen des Autors. Du häufst lediglich Fakten an, die ihre Situation dokumentieren, was zwar ein durchaus bedrückendes Gefühl hinterlässt, aber deine Hauptfigur nicht lebendig werden lässt. Wie handelt sie in ihrer Situation? Kämpft sie gegen ihr Schicksal - und vor allem: was ist das für ein Mensch, den niemand besucht, außer dem Gerichtsvollzieher?
Du darfst und sollst die Fantasie des Lesers arbeiten lassen, aber du gibst zu wenig, du erweckst deine Figur nicht zum Leben.
Natürlich ist ihr Schicksal menschlich anrührend, das will ich nicht abstreiten, aber die Frage ist, was du aus deiner Idee gemacht hast.
Es gibt nur ein Motiv, das ich erkennen kann: Das Gefühl der Geborgenheit im Koma. Die Probleme im wirklichen Leben sind unerträglich. Wir leben in einer Leistungsgesellschaft, aber das ist eine allgemeine Aussage, die den meisten von uns ohnehin klar ist.

Fazit: Der Geschichte fehlen emotionale Beziehungen der Hauptperson zu anderen Menschen. Natürlich hat sie keine, was ja der Witz an der Sache ist, der Grund für ihren Freitod, aber es fehlt mir beim lesen.
Nehmen wir an, du schlägst die Zeitung auf und liest: Supermann (Christopher Reeves) ist vom Hals abwärts gelähmt, für immer. Anschließend eine ausführliche Beschreibung seines Unfalls und seines Krankenhausaufenthaltes. Dann wird dich das traurig machen; aber als Material für eine Geschichte ist das zu wenig.

Sprache: Die Sprache ist teilweise flapsig. Das Ende resultiert aus Verzweifelung und ich habe nicht den Eindruck, dass die Sprache zu ihrem Innenleben passt. In ausweglosen Situationen hilft man sich mit Zynismus, aber für dieses Thema gefiel es mir nicht. War nicht bedrückend genug.

Ich hoffe, du konntest meine Kritikpunkte nachvollziehen; andere haben diese ja nicht so gesehen.

Mit freundlichen Grüßen

Stefan

 

Hi,

an sich erzeugt der Text eine schöne Amosphäre. Vor allem der bewustlose Zustand ist schön dargestellt.

Was mich alten Nörgler mal wieder total stört, ist der Selbstmord am Ende. Leute das ist sowas von einfallslos und macht immer den Eindruck des "schnell fertig werden wollens".

Trozdem ist die Geschichte echt OK.

Gruß
nightboat

 

Hallo nightboat, hallo Quasimodo,

vielen Dank für Eure Kritik. Ich habe lange darüber nachgedacht.

@Quasimodo:
Dass die Protagonistin zuwenig Leben zeigt, ist richtig. Doch das tun Menschen, die innerlich abgeschlossen haben, nun einmal nicht. Vielleicht bemitleiden sie sich innerlich selbst - ich habe mich nicht getraut, dies länger auszuarbeiten aus Angst, die Geschichte könnte dann zu langatmig werden. Werde das bei erneuten Versuchen berücksichtigen.

Das mit der flapsigen Sprache war allerdings beabsichtigt. Vielleicht habe ich das nicht so richtig 'rübergebracht: Wie beschreibt man eine "Kiss-my-ass" -Stimmung denn besser? Wie soll ich das ausdrücken, das Gefühl, dass einem alles auf die Nerven geht und man nur noch seine Ruhe haben möchte, und zwar für immer? Ich habe selber Suizide miterlebt, einmal war es besonders schlimm, da ist ein Patient vom Sonntagnachmittags-Frei zurückgekommen, ganz normal, und hat sich anschliessend im Stationsbadezimmer (!) erschossen. Der Patient hatte irgendeinen metastasierenden Krebs und war nur noch palliativ behandelbar. Was er allerdings genau hatte, ist mir entfallen - ist schon zu lange her. Bezeichnend war jedoch, dass auch er diese eher kalte, abgeklärte und teilweise "flapsige" Sprache hatte, die wir allerdings als Versuch, die Situation mit Galgenhumor zu meistern, interpretiert haben. Insofern hat also meine Protagonistin eine Vorlage in der Realität gehabt.
Angemerkt hat man ihm nichts von seiner Absicht. Obwohl wir alle darauf getrimmt waren, Patienten genau zu beobachten und jede Veränderung (auch stimmungsmäßig) im Pflegebericht festzuhalten, ist niemand auch nur entfernt auf die Idee gekommen, er könne sich mit dem Gedanken an Selbstmord tragen. Wir hätten ihn sonst auch kaum übertags nach Hause gelassen. Wie soll sich Deiner Meinung nach jemand verhalten, der bewegungsunfähig, entstellt, pleite ist, die Schnauze voll hat und sich nur noch vom Acker machen will?
Ich weiss, ich weiss - die Ideen sollten eigentlich aus mir selber kommen. Aber ich trage mich auch nicht mit der Absicht, Profi zu werden, also: Vorschläge gefällig? Ich freue mich über jeden.

@nightboat:
Freut mich, dass Dir meine Geschichte gefällt. Du meinst aber, Doris hätte sich nicht töten sollen. Frage: Wärest Du an ihrer Stelle - was würdest DU tun. Ah ja, falls Du männlich bist: Bedenke auch, dass eine Frau sehr viel mehr nach Äußerlichkeiten beurteilt werden als Männer. Statistisch ist bewiesen, dass z.B. männliche Außendienstler auch gerne eine Glatze oder einen Bauchansatz haben dürfen; das tut dem Eindruck die Professionalität betreffend scheinbar keinen Abbruch. Eine Frau dagegen, die auch nur ein bisschen Übergewicht hat, würde schon beim Vorstellungsgespräch ausselektiert, unabhängig von ihrer sonstigen Qualifikation. Traurig, aber auch heute noch wahr - trotz allem Emanzipations-Gerede.

Alles Liebe
P.

[Beitrag editiert von: Pipilasovskaya am 01.03.2002 um 08:53]

 

Hallo Pipilasovskaya (war das nicht aus "Pippi Langstrumpf"?)

@Quasimodo:
Dass die Protagonistin zuwenig Leben zeigt, ist richtig. Doch das tun Menschen, die innerlich abgeschlossen haben, nun einmal nicht.

Da stimme ich dir zu. Leider schreibt das Leben nicht die besten Geschichten. Im wirklichen Leben gibt es Zufälle, in einer Geschichte haben sie nichts verloren. Im wirklichen Leben ergeben sich die Leute manchmal ihrem Schicksal, in einem Roman müssen sie dagegen kämpfen - ist halt sonst ein bisschen langweilig.
Auch wenn die Geschichte traurig ist, bestimmt wird sie besser, wenn die P. etwas mehr Leben zeigt.

Das mit der flapsigen Sprache war allerdings beabsichtigt. Vielleicht habe ich das nicht so richtig 'rübergebracht:
Du behauptest: Eine Person kann kurz vor dem Selbstmord stehen und dennoch zynische Scherze machen. Das sehe ich ähnlich. Es schien mir halt nicht zur Stimmung zu passen


Wie soll sich Deiner Meinung nach jemand verhalten, der bewegungsunfähig, entstellt, pleite ist, die Schnauze voll hat und sich nur noch vom Acker machen will?
Auf diese Frage kann ich nur ausweichend antworten. Ich würde nicht über solche Extremsituationen schreiben, weil ich sie nicht glaubhaft rüberbringen könnte. Erstens befinde ich mich nicht in einer solchen ausweglosen(?) Situation, kann also die Emotionen nicht nachvollziehen.
Zweitens geht es mir ähnlich wie nightboat: Soviele Geschichten enden mit Selbstmord, irgendwie stumpft das auf Dauer ab, was zugegebenermaßen traurig ist.

Stefan

[Beitrag editiert von: Quasimodo666 am 01.03.2002 um 14:31]

 

Liebe Pip...ich hab nicht viel zu schreiben. Ich fand deine Geschichte rundum gut, hab sie gerne gelesen! :thumbsup:

 

Hi Pip...

Schöne Geschichte, besonders der Anfang hat mir gut gefallen. Der Autounfall und die folgende Bewußtlosigkeit sind klasse beschrieben.
Als die Geschichte dann so richtig losgeht, plätschert sie angenehm dahin (ist nicht negativ gemeint) und ich kann mich gut in die arme Frau hineinversetzen.
Nur als sie sich dann für den Suizid entscheidet komm ich überhaupt nicht mehr mit. Ich weiß, das ihre Situation sehr auswegslos ist, aber so wie sie sich vorher gibt hab ich sie trotzdem oder gerade in dieser Lage für extrem Tough gehalten. Also, wieso diese plötzliche Wendung ihrer Lebenseinstellung?
Eine Kleinigkeit nur noch: wenn sie schon länger bei Bewußtsein war, als ihre Krankengymnastin zu ihr kommt, weiß sie glaub ich eh schon wie der Rest ihres Körpers aussieht und muß nicht sagen, daß sie dies gar nicht wissen möchte.

So long

Signore Salami

 

Hallo Ihr Lieben,

vielen Dank für die ehrliche, nette und aufmunternde Kritik. Ja, ich stehe erst am Anfang meines neuen Hobbys und muss noch viel lernen. Dazu bin ich hier ;) ! Es ist gar nicht so einfach, eine real erlebte Situation so aufzupolieren, dass sich eine gute Geschichte daraus entwickelt. Aber ich gebe die Hoffnung nicht auf. Hier z.B. kann ich tun, was Stephen King in seiner Autobiographie "Das Leben und das Schreiben" als allerbestes Training empfiehlt: Lesen, lesen und nochmals lesen. Nicht nur die Geschichten, sondern auch die Kritiken. Das tue ich gerade, und hoffentlich macht es demnächst auch bei mir mal "pling".

Das einzig Positive ist, dass ich nicht vorhabe, mit Schreiberei mein Brot zu verdienen. Mit Unbehagen habe ich mittlerweile mitbekommen, dass dies bei den meisten Autoren dieser Website anders ist, die haben wohl echte Ambitionen. Insofern ist fraglich, ob ich hier überhaupt richtig bin, ob ich die Gestalter dieser Site weiterhin mit meinen Amateurergüssen belästigen sollte.
Ich stehe also nicht unter so hohem Druck wie andere hier. Die beiden bisher erschienenen Geschichten sind mein erster Versuch, etwas zu schreiben, das nicht nur ich selber lese. Ich mag das Schreiben. Eigentlich hatte ich erwartet, in Grund und Boden gedonnert zu werden und bin über das Ergebnis ziemlich überrascht. Dennoch bin ich mir nicht sicher, ob ich die Kapazitäten der Kritiker hier weiter blockieren sollte, wo die doch alle Hände voll damit zu tun haben, den zukünftigen Berufsautoren unter die Arme zu greifen. Ich denke, ich versuch's erst mal im "stillen Kämmerlein" und werde mich erst dann wieder unter kritische Augen wagen, wenn ich glaube, ich hätte DEN absoluten Bringer zu bieten.

@Quasimodo und alle, die noch Probleme mit meinem Nick haben:
"Pipilasovskaya" hat nichts mit Pipi Langstrumpf zu tun, sondern ist einfach die formelle Anrede für ein weibliches Pipilasi.

Pipilasi (= gesprochen "Pipilaschi", mit kurzem "a") ist ein surikata- oder erdmännchenähnlicher Bewohner eines magsichen Waldes; lebt meist in der Nähe von Pilzen, unter deren Hut es sich bei Gefahr flüchtet.

(Das werdet Ihr in keinem Buch finden; das stammt aus unserem familieninternen Privatuniversum).

Alles klar?

Gruss
P.

[Beitrag editiert von: Pipilasovskaya am 04.03.2002 um 08:37]

 

Hallo Pipilasovskaya,

vielleicht trügt mich ja mangelndes Literaturverständnis, fehlende Leseerfahrung oder nichtvorhandener Intellekt: die viele, und stellenweise auch sehr harsche Kritik an Deinem Text kann ich nicht nachvollziehen.

Ich halte die Sprache, von einigen Ausnahmen abgesehen, für gut gewählt, der Inhalt spricht mich an (auch und gerade in dieser Darreichungsform, lesen sie die Packungsbeilage) und die Frage, ob und weshalb die Geschichte erzählenswert sein mag, wische ich ganz unbekümmert beiseite, indem ich sie persönlich beantworte: Ja, auch nach einem zweiten Lesen.

Auch Texte großer Autoren (quäle mich gerade durch 'Der Untertan') können mißfallen, Zweifel daran aufkommen lassen, weshalb diese verfaßt oder von anderen für gut befunden wurden. Oder die Empfindung erwecken, mit einem anderen, subjektiv empfundenen, Makel behaftet zu sein. Deshalb ist, eine allgemeingültige, absolute Wahrheit aussprechen zu wollen, die auch nur irgendein Werk letztgültig beurteilt, meiner Ansicht nach Hybris.

Ich mag Deine Art zu schreiben, denke, daß Du nicht nur über eine Sprache verfügst, verweise da auf 'Jetzt gehörst du mir'. Ich wage zu bestreiten, daß sich aus der angesprochenen 'Flapsigkeit' in diesem Text eine vollständige, bescheiden ausfallende Bewertung über Deine Fähigkeiten ziehen ließe. Im Gegenteil.

Selbstmord, Suizid, Freitod, weshalb denn nicht? Es gibt sicher viele Gründe dafür, weshalb nicht ebensoviele Geschichten? Ich bin der Überzeugung, daß diese Geschichte dadurch keinen Schaden erleidet, vielmehr, daß sie dadurch gewinnt.

Nein, auch auf die Gefahr hin, sich der Sünde der Wiederholung schuldig zu machen: Ich halte den Text für sehr gut, habe ihn gerne gelesen, er hat mich angesprochen und verdient meiner Ansicht nach wesentlich mehr Lob denn Kritik.

Claus.

PS: Wobei vielleicht an Kritik auch zu erkennen sein könnte, daß der Text auch auf den Kritik Übenden nicht völlig miserabel gewirkt hat. Von mir selbst muß ich zugestehen, daß ich nur dann kritisiere, wenn ich in einem Text noch etwas zu retten sehe. Vielleicht ist das ein Fehler. Aber es fällt schwer, etwas zu sagen, wenn es gar nichts Gutes zu sagen gibt. Und das ist bei so vielen hier veröffentlichten Geschichten der Fall.

[Beitrag editiert von: cbrucher am 21.03.2002 um 04:38]

 

Hallo Claus,

da bin ich wieder :) . Bin gerade damit fertig geworden, meine andere Geschichte zu editieren. Nochmals danke für die Hilfe.

Je nun, so harsch, wie Du schriebst, finde ich die Kritik an meiner Geschichte gar nicht. Wenn ich daran denke, wie einige der härteren Kritiker (z.B. Pan oder Morphin) andere Geschichten verrissen haben, dann bin ich geradezu hochgelobt worden.

Ich glaube, die hohen Ansprüche resultieren daraus, dass viele hier veröffentlichende Autoren durchaus eine Karriere als Schriftsteller anstreben, entweder haupt- oder nebenberuflich. Ich habe das zu spät erkannt. Ich dachte, diese Website gelte allein der literarischen Unterhaltung von Amateuren für Amateure. Als ich mitbekam, dass sich hier Verlagslektoren, Deutschprofessoren und professionelle Schriftsteller herumtreiben, hatte ich erst Panik, mich überhaupt weiter hier aufzuhalten. Aber: Ich lebe noch ;) ! Und weil ich die Site jetzt nicht mehr missen mag, bleibe ich auch hier.

Interessant finde ich auch, welche Reaktionen eine Geschichte beim jeweiligen Leser, auch bei mir, auslöst. Es ist, als würde der Autor auf einem Xylophon spielen. Da kann er alles mal treffen: die hohen Töne ebenso wie die tiefen, von den vielen dazwischen, die jenseits von gut und böse sind, ganz zu schweigen. Selbst ein Hemingway dürfte Fans haben, Leser, die sein Buch nach dem Durchlesen achselzuckend zur Seite legen und nach fünf Minuten vergessen haben, und harsche Kritiker, die das Buch gnadenlos niedermachen und auf jeder Seite ein Haar in der Suppe wittern. Was soll's? Es sind immer nur subjektive Meinungen, und je nach Intention des Lesers wird von "sehr gut" über "na ja, geht so" bis "absoluter Schwachsinn" immer alles dabei sein.

Ja, auch in diese Geschichte ist Selbsterlebtes eingeflossen, sowohl persönliche Erfahrungen (die Eindrücke im Koma) als auch berufliche (der Selbstmord eines Patienten). Auch ich habe generell nichts gegen Selbstmordgeschichten, mit einer Ausnahme: Geschichten, in denen Selbstmord als modischer "Flirt mit dem Tod", als idealisierter Liebestod oder auch als Ausweg aus allen möglichen Problemchen idealisiert oder romantisiert wird.
Das erinnert mich ein wenig an die sogenannten "Selbstmord-Foren", wo vorwiegend Jugendliche in Selbstmordphantasien schwelgen, die nicht selten auch umgesetzt werden. Sowas ist für mich ein Schlag ins Gesicht derjenigen, die leben wollen, aber nicht können, oder die durch eine Verschlechterung aller Lebensumstände so verzweifelt sind, dass sie für sich tatsächlich keinen anderen Ausweg mehr sehrn. Langer Rede kurzer Sinn: Suizid ist für mich kein Witz oder Modetrend, wie z.B. das Gruftie-Sein.

In diesem Sinne bedanke ich mich auch hier für deine liebe (ja, so empfinde ich das nun einmal) und aufmunternde Kritik, und sage: Bis bald.

P.

[Beitrag editiert von: Pipilasovskaya am 21.03.2002 um 09:06]

 

Hallo,

der Anfang der Geschichte gefällt mir ausgesprochen gut, sowohl verwendete Sprache, als auch die semantisierende Darstellung des komatösen Zustands. Später habe ich mich gefragt, ob es gerade an diesem Punkt für den Text nicht von Vorteil wäre, wüsste der Leser durch den Titel noch nicht, um welchen Zustand es sich handelt. Aber da ich es nun einmal wusste, fällt es mir schwer die Frage zu beantworten.
Der Mittelteil liest sich flüssig und die sachliche Illustration der ihr verbliebenen bzw. infiltrierten Erinnerungen empfinde ich als passend.
Nur dann (und ich glaube da schließe ich mich der Meinung einiger Vorkritiken an) sollte ein Sprachwechsel erfolgen. Die Empfindungen der Protagonistin blieben mir völlig verborgen. Zwar wird ihre missliche Lage bzw. ihre derzeitige Zukunftsperspektive angesprochen, jedoch in einer nüchternen Sachlichkeit, die hier nicht greift. Sie erweckt kaum den Eindruck einer verzweifelten Frau. Müßte sie übrigens auch nicht....wäre da nicht das Ende, welches mich zwar durchaus überraschte, aber in erster Linie, weil ich es als unpassend empfand.
Etwas irritiert scrollte ich also wieder nach oben. Stand da nicht etwas von „Ich MUSS mich wieder bewegen können“, ein Satz, der Optimismus,- nein, mehr als das-, einen Kampfwillen ausdrückte? Ich brauchte tatsächlich ein bis zwei Sekunden, bis mir klar wurde, dass genau dies die „Finte“ sein sollte, und sie sich natürlich nur bewegen wollte, um final das Knöpfchen drücken zu können. Aber es stellte sich bei mir kein „Aha-Effekt“ ein. Wie soll ich es ausdrücken? (Herr, schmeiß Wörter...) Ich empfinde die Geschichte durch das Ende als unrund. Obgleich Du es auf einen gewissen Überraschungseffekt abgesehen hast, würde ich bei einer solchen Geschichte darauf verzichten, und sie eher so abändern, dass ihre Verzweiflung schon im Mittelteil greifbar wird. Vielleicht so real greifbar, dass der Leser am Ende fast erleichtert, ja froh ist, wenn sie es schafft den Knopf zu erreichen.
Ähm...ich hoffe man konnte es im Ansatz verstehen.
Auf jedem Fall kann er der Geschichte nur zum Vorteil gereichen, wenn Du sie verlängerst, denn es ist eine gute Geschichte, die gut geschrieben wurde und sicher alles andere als langweilt.
Außerdem sieht es so aus, als hättest Du dafür extra etwas medizinische Recherche betrieben und allein dies finde ich schon ganz beachtlich. (Oder irre ich?)

Viele Grüße,

Miss O’Gyn :)

 

Ahhhhhhh, Shit, man sollte doch mal ein paar Kritiken vorher lesen, vor allem die des Autors.
Also vergiß das mit der Recherche. Sah gerade, dass dieses Wissen offenbar schon vorher vorhanden war.

 

Hallo Miss O'Gyn,

danke für deine Kritik und deine Geduld beim Durchlesen.

Ich habe hier gelernt: Eine Geschichte, bei der der Autor seine Intention erst erklären muss, ist schlecht. Demnach muss meine wohl grottenschlecht sein (seufz).

Trotzdem: Meine Protagonistin bleibt, wie sie ist. Genauso wie dargestellt sehe ich sie, und genauso soll sie bleiben!

Du schriebst, ihre Verzweiflung käme nicht deutlich zum Vorschein. Sie ist aber gar nicht "verzweifelt" in dem üblichen Sinne von Hysterie und Panik. Nein, sie trifft eine Entscheidung, rational und rein von der Vernunft her, weil sie weiss, dass sie im Diesseits nichts mehr zu erwarten hat. Sie hat - meiner Meinung nach - das Recht dazu, und sie tut, was sie für richtig hält. Die Geschichte umfasst einen Zeitraum von etwa 2 Stunden - zwischen Wecken und Ende der Krankengymnastik. Wie lange kann man einen so kurzen Zeitraum strecken, ohne langweilig zu werden?

Alles, was man über Doris wissen muss, geht aus der Geschichte selbst hervor.
Sie hat - entweder durch eine Hirnkontusion oder durch Sauerstoffmangel - irreparable Hirnschäden davongetragen - das zeigt schon der Umstand, dass dauernd ihr Atemzentrum aussetzt. Es ist fraglich, ob sie überhaupt jemals ohne künstliche Beatmung wieder wird leben können. Das trifft sicher auch auf eine ganze Reihe von Fähigkeiten wie Lesen, Schreiben, Feinmotorik etc. zu. Auch die andauernde Totalamnesie weist darauf hin, die Doris zu einer Frau ohne Vergangenheit, ohne Identität und ohne Zukunft sein lässt.
Ich liess am Anfang der Geschichte auch Benzin im Wagen auslaufen (der Geruch, zu dem Doris der Name nicht mehr einfiel). Also ist ihr Körper nicht nur verkrüppelt, sondern auch verbrannt. DESHALB will sie im Detail gar nicht wissen, wie sie aussieht.

Sie ist also ein Krüppel, sowohl geistig als auch körperlich, und wird für den Rest ihres Lebens ein Pflegefall bleiben. Da sie es verabsäumt hat, sich zu der Zeit, als sie noch erfolgreich und ganz oben war, eine familiäre Basis aufzubauen, ist niemand da, der ihr die Last tragen hilft. Das bedeutet: Nach längerem Krankenhausaufenthalt und Reha vermutlich ab in ein Pflegeheim.

Wird es denn wenigstens ein gutes Pflegeheim sein? Nein. Denn Doris ist hochverschuldet. Privatversicherungen haben die Angewohnheit, den Vertrag aufzukündigen, wenn längere Zeit keine Beiträge eingegangen sind. Und da Doris im Koma lag und sonst niemand da war, ist genau das geschehen. Mittlerweile wird sie über das Sozialamt pflichtversichert sein, aber die Leistungen werden auf ein absolutes Minimum beschränkt sein. Sie wird sich also irgendwann in einem öffentlichen Pflegeheim zwischen neunzigjährigen Opas mit Schlaganfall und Alzheimer-Omis in einem unpersönlichen Zwei- oder Dreibettzimmer wiederfinden.

Ihre Firma (vermutlich ein Ein-Mann-Unternehmen) dürfte mittlerweile liquidiert, ihre Wohnung aufgelöst, ihre Wertsachen zur Befriedigung der Gläubiger versteigert und der Rest irgendwo eingelagert worden sein. Sie hat also nicht einmal ein Zuhause. Die Rechnung für die Einlagerung warten irgendwo auf sie, ebenso wie die Kosten für den Krankenhausaufenthalt, der nicht rückwirkend von der Pflichtversicherung übernommen wird. Das dürften Rechnungen sein, die in die Hunderttausende gehen.

Doris weiss also, was ihr bevorsteht. Sie weiss, dass sie nichts hat, nichts mehr ist und keine Chancen hat, auch nur annähernd dort wieder hinzukommen, wo sie einst war. Für den Rest ihres Lebens wird sie auf Almosen angewiesen sein, nicht nur finanziell, sondern auch emotional. Abhängig von Menschen, denen sie nur soweit etwas bedeutet, als sie dafür bezahlt werden.

Sie zieht Bilanz über ihr Leben und sieht, dass alle Posten durch die Bank im Minus stehen. Ausgenommen ihre nackte biologische Existenz: Sie ist ein menschlicher Blumenkohl.

Kühl und überlegt kommt sie zu dem Schluss, dass das nicht das ist, was sie will. Sie plant ganz bewusst ihr Ableben, beobachtet die Schwestern beim Abschalten des Life-Support-Systems, um dieses Wissen im geeigneten Augenblick für sich nutzen zu können. Und dann arbeitet sie auf diesen Punkt hin.

Hier setzt die Geschichte ein.

Ob meine Protagonistin an ein Leben nach dem Tode glaubt? Keine Ahnung. Sie kennt nur den Zustand des Komas, der ihr sehr angenehm erschien. Bestenfalls kehrt sie in diesen Zustand zurück, in dem sie glücklich war (und hofft es auch). Schlimmstenfalls hört sie auf zu existieren und hat dann keine Sorgen mehr.

Also, worüber soll ich schreiben? Hadern mit dem Schicksal, das nicht stattgefunden hat, weil Doris weiss, das es eh nix ändert? Eine Todesangst, die sie nicht empfindet, weil der Zustand, den wir alle fürchten, ihr nicht unbekannt ist? Lange philosophische Betrachtungen über Gott und das Leben oder das Leben nach dem Tod, die sie gar nicht anstellt, weil sie für ihre Entscheidung unwesentlich sind?

So. Jetzt ist dieses Posting länger geworden, als die ursprüngliche Geschichte war.

Noch einmal: Diese Geschichte wird nicht in ein tränenseeliges Rührstück umgewandelt. Sie soll eigentlich im Leser nur zwei Fragen erstehen lassen:

Erstens: Was ist das für eine Gesellschaft, in der es möglich ist, durch einen unverschuldeten Schicksalsschlag von einer Sekunde zur anderen von allem abgeschnitten zu werden, was das Leben lebenswert macht?

Zweitens: Wieso ist es uns Menschen verwehrt, den Zeitpunkt unseres Ablebens frei zu entscheiden?

Wenn sich diese beiden Fragen aber nicht stellen, und wenn stattdessen Hauptthema ist, warum sich meine Protagonistin nicht stundenlang heulend im Bett wälzt, dann hat meine Geschichte ihr Ziel wohl verfehlt.

Tschüssikowski
P.

[Beitrag editiert von: Pipilasovskaya am 22.03.2002 um 08:34]

 

Hi Pipilasovskaya

Dein Schreibstil gefällt mir ganz gut.

Beschreibungen wie z.B. diese beiden hier:

Ich schwebe im Dunklen, es ist schön warm. Die Stäubchen, die in meinem Blickfeld tanzen, gefallen mir . Sie glitzern. Sie sind bunt.

Das Licht kommt plötzlich, es ist leuchtend. Malt Dinge für mich in das Schwarz. Sieht kitzelig aus, das Licht. Ich freue mich darüber. Andere, die nicht ich sind, freuen sich auch. Ich kann ihre Freude spüren.

sind nicht einfach zu formulieren, finde ich. Du hast es jedoch geschafft ein sehr realistisches Bild in Worten darzustellen. Kompliment.

Überhaupt ist es Dir gut gelungen die "mangelnde Zeit" des Pflegepersonals auszudrücken und damit die "ich-bin-ja-sowieso-nur-ein-belangloser-Patient-unter-vielen" Atmosphäre gleich mit einzubauen.
Ich habe selbst mal zwei Wochen in einem Krankhenhaus eine Art Pratikum gemacht. Daher sehe ich Deine Geschichte vielleicht auch wiederum aus einem anderen Blickwinkel als einige andere Kritiker.

Was mir jedoch nicht so gut an der Geschichte gefallen hat war der Selbstmord am Ende.
Es hat, meiner Meinung nach, nicht so ganz zum Rest gepasst.
Zuerst hatte ich den Eindruck, es würde Berg auf gehen mit Doris, weil sie Fortschritte macht.
Nachvollziehbar war ihr Selbstmord nur dadurch, weil sie keine Angehörigen hatte die ihr Halt gaben und Hoffnung auf eine positive Zukunft machten.

Im Großen und Ganzen sehe ich jedoch keinen wirklichen Grund warum du an der Geschichte etwas ändern solltest.

Gruß

L.o.C.

 

Hallo Pip..

Ich finde Deine Geschichte deshalb so gut, weil sie ganz nüchtern die Alternativen beschreibt, die einem in einer solchen Situation noch bleiben, nämlich nur noch zu Vegetieren, ohne Aussicht jemals wieder auf die Beine zu kommen, oder konsequenterweise seinen Abschied einzureichen, und das ohne jegliches, unnötiges Pathos, oder Moralische Wertverbrämung.
Deshalb halte ich sie für absolut gelungen.
Auch das, was Du über Deine Beweggründe, und Deine persönlichen Hintergründe schreibst bestätigt mich in meiner Meinung.

Treffend, schön, und gekonnt beschrieben hast Du auch den Komatösen Zustand Deiner Protagonistin, es ist einfach glaubhaft, und nachvollziehbar für jemand der diese Erfahrung noch nicht am eigenen Leib gemacht hat.

Ich kenne ähnliches aus meiner engeren Verwandschaft, wo sich eine Großnichte von mir seit Jahren in einem Waschkoma befindet, und ein Onkel von mir seit einem Schweren Unfall als Sozialfall in seiner Wohnung dahinvegetiert.....

Noch ein Satz am Ende zu den "Profiambitionen"

Ich bin kein Profi, und was meine Ambitionen angeht, so bemühe ich mich zumindest, keinen Scheiß zu schreiben, und ich lerne hier täglich dazu.Es ist für mich schön, mich mit den Gedanken, und Empfindungen der anderen Autoren auseinanderzusetzen,genauso, wie es mir weiterhilft, wenn sich jemand durch meine Geschichten, oder Kommentare angesprochen fühlt.

Das zeigt einem nämlich gerade in Momenten des Selbstzweifels, daß man mit dem, was einen bewegt nicht so alleine dasteht, wie man es manchmal zu fühlen geneigt ist.

Schön, also, daß Du nicht die "Flucht" ergriffen hast, und ich freue mich weiterhin auf Deine Geschichten.

Lord

 

Hallo Mylady,
hallo Mylord,

danke für eure nette Kritik.

Ja, der Selbstmord, der stört viele (seufz). Aber was solls: Doris ist hin, da lässt sich nichts mehr dran ändern. Das, was sie noch vom Leben zu erwarten hätte (und dieser Rest kann auch ganz schön lang sein, mit 32) ist halt nicht das gewesen, was sie unter Leben versteht. Friede ihrer Asche.

Dass Du, Mylady, irritiert warst über die Zielstrebigkeit, mit der sie ihr Ziel anvisierte, kann ich mir denken. Aber, ob du es glaubst oder nicht: Die gibt es tatsächlich. Vorlagen im wirklichen Leben vorhanden.

Mylord, ich merke schon, dass du mehr als die anderen verstehst. Das mit deiner Großnichte tut mir herzlich leid. Ich weiss nicht, inwieweit ihr Koma mit meinem übereinstimmt, doch eines lass dir sagen: Sie bekommt mehr mit, als die Umwelt glaubt. Geräusche, Lichtblitze, Bewegungen des Körpers etc. können in ihre "Traumerfahrungen" mit eingebaut werden. Daher ist es wichtig, ihr Dinge zu offerieren, mit denen sie sich auch im Wachzustand wohlfühlen würde (z.B. ihre Lieblingsmusik oder ihre Lieblings-Fernsehsendungen) und negative Äusserungen am Krankenbett zu vermeiden. Wenn man darauf achtet, wird es ihr ungeachtet ihrer Isolation auch im Koma nicht schlecht ergehen.

Nochmals vielen Dank für eure liebe Aufmunterung, und was die nächste Geschichte betrifft: Ich feile bereits daran. (Komisch, dabei wollte ich am Anfang nur ein einziges Mal....) :)

 

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