Was ist neu

Knucklehead

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29.07.2003
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Knucklehead

...mein Name ist Legion;
denn wir sind viele.
Markus 5, 1-20

Tom, Will und Duck.
Mick, Bon und Brian.
Sie fuhren mit ihren Motorrädern durch die nächtliche Stadt, kamen aus ihrem Revier der Perros und wollten in den feiner gepinkelten Stadtteil der Zuhälter, dem Callgirlring.
Duck schliff einen Sarg hinter sich her. Funken stieben.
In ihrem Revier brach die Konkurrenz ein, jetzt schliffen sie die Quittung über den Asphalt. Die ganze Strecke bis hinter die Linien des Feindes.
Ihnen war klar, sie würden einen starken Gegner noch wütender machen, so-bald sie den toten Luden in der Kiste hinter ihnen ablieferten.
Der Sarg schlingerte über die Strasse, schlug an den Bordstein und wurde zurück geworfen, doch das war egal, dem Toten würde das nicht mehr stören. Will hatte ihn abgeknallt, es war eigentlich seine Beute, doch Duck war der-maßen außer sich vor Freude über den erlegten Zuhälter, daß Will zugunsten seines jungen Kumpels darauf verzichtete, seine Trophäe selbst abzuschlep-pen. Der Ermordete konnte sich freuen, wenn er noch könnte, daß sie ihm die Eier nach seinem Einzug in Walhalla abschnitten.
Angelangt an ihr Ziel stellten sie den Sarg mitten in einem stillen Ge-werbegebiet ab, dann öffnete Duck noch einmal mit Bon zusammen den Dek-kel.
> Du stopfst ihm jetzt seinen Schwanz ins Maul! <
> Ich faß sein Ding nicht an, Will! <
> Quatsch nicht. Du sollst dem Kerl ja keinen blasen. Er soll es selbst tun! <
Will, der älteste unter ihnen trat einen Schritt vor und stemmte die Hände in die Hüften. Er mochte es, daß ihr Neuzugang seit kurzem aufbegehrte. Der Junge war auf dem richtigen Weg. Aber noch war es nicht soweit, noch nicht, fand Will.
Duck gab dem Blick Wills nach und zog die Lederhandschuhe aus, nahm ei-nen Putzlappen. Damit faßte er in den Sarg und holte das blutige Ge-schlechtsteil hervor. Mit der anderen Hand bog er dem toten Luden das Kinn herunter und steckte ihm das Glied zwischen die Zähne. Dann schlossen sie den Deckel, ein Zettel war obenauf befestigt: „Ruby Tuesday wilderte das letz-te Mal in unserem Revier“ stand darauf zu lesen.
> Gut so <, sagte Will, > kommt, hauen wir ab und gehen einen drauf trinken. Wir sind schon viel zu lange in der Gegend. <

Es herrschte Krieg zwischen den Perros und dem Callgirlring der Stadt.
Die Auseinandersetzungen eskalierten und fanden ihren bisherigen Höhe-punkt in dieser letzten Aktion.
Die Männer drehten auf, die Horde rollte über den Asphalt, vorbei an einer verrohrten Industriekulisse, dessen wie in der Luft hängenden Pipelines mit kaltem, blauem Licht angestrahlt wurde. Sie hatten den Befehl ihres Präsiden-ten erfolgreich ausgeführt, ihre und somit seine Ehre wieder hergestellt. Nun wollten sie den Erfolg feiern. Sie dachten jetzt nicht an Mord und das Will vor kurzem einen Menschen tötete. Im Moment genossen sie es, mit ihren Motor-rädern durch die Nacht zu fahren, kein Gedanke an strafrechtlicher Verfolgung oder Vergeltung von der Seite ihres Gegners.
Vielmehr hatten sie sich heute vorgenommen, Duck, den jüngsten in der klei-nen Abordnung der Hunde nach einem Jahr der Probe als vollwertiges Mit-glied aufzunehmen.
Für diese Weihe fuhren sie einen bestimmten Ort an. Es war wildes Land, von allen vergessen, das Buschland schloß an seiner gegenüber liegenden Seite ihr Wohnviertel auf zwei Seiten ein, in dem sie alle aufgewachsen waren.
Sie fuhren einen schmalen Trampelpfad entlang, der zwischen Büschen und Dornhecken hindurch führte, dann setzten sie ihre Chopper auf die Haupt-ständer. Die Motoren verstummten, zu Fuß gingen sie die letzten Meter, um an den gesuchten Ort zu gelangen.
Das Ritual der Aufnahme war festgelegt und erforderte bestimmte Tätigkeiten und Handlungen.
Tom holte eine nagelneue Jeansweste, die „Kutte“ aus einem mitgeführten Plastikbeutel. Die Weste aus grauen Jeansstoff war vorn an den Aufschlägen mit einigen Aufnähern verziert. Sie zeigten die üblichen Motive: Chopper, To-tenköpfe und die Namen bekannter Motorradhersteller. Auf dem Rückenteil aber glänzten große silberne Adlerschwingen, deren gefiederte Rücken nachtblau schimmerten. Über den Schwingen aus dickem Stoff war der Name ihrer alten, ursprünglichen Gang eingestickt: Eagles.
So nannten sie sich, bevor sie sich dem mächtigen Clan der Hunde – den Per-ros anschlossen.
Will nahm Tom die Kutte aus der Hand, > die riecht viel zu neu, findet ihr nicht? < Will sprach zu der Gang, alle nickten zustimmend außer Duke. Er stand mit Tom etwas abseits und wartete die Dinge ab, die da kommen soll-ten.
Als nächstes warf Will die Weste in den Dreck, eine Handvoll Regen hatte den Untergrund zuvor aufgeweicht. Das Kleidungsstück verfärbte sich dunkel, Pflanzenreste blieben daran hängen und auch der Kot eines wilden Tieres. Danach beschlossen sie, die Kutte reinzuwaschen, in dem sie sich im Kreis aufstellten, die Hosenschlitze öffneten, um auf die am Boden liegende Weste in ihrer Mitte zu pissen. Endlich konnte Duck das Symbol der Zugehörigkeit aufnehmen und in einem Tümpel in der Nähe einweichen. Bei den anderen kreisten Bierdosen und Dope, die Weihe war gelungen.

Tom hatte nach dem ersten Bier von der Feier genug. Er wandte sich von den anderen ab und ging zurück zu seiner Maschine. In seinem Kopf kreisten Ge-danken, die er allein und ungestört abklären wollte. Mit einem Tuch und etwas Chrompolitur bearbeitete er trotz des spärlichen Lichts der ersten Dämmerung Felgen und Speichen seiner Knucklehead. Der Mord an den Luden würde nicht ohne Folgen bleiben, das war ihm bewußt. Reaktion, Gegenreaktion. Jedesmal härter auf beiden Seiten.
Ruff, ihr Präsident bot ihnen Geld, viel Geld, wenn seine besten Leute halfen, die Brutalität zu schüren. Tom zweifelte schon längere Zeit daran, ob das noch mit ihren damals gefaßten Grundsätzen über ein möglichst freies Leben zusammenpaßte. Was sie taten, besaß nichts mehr von der Freeway – Rider Romantik einer großen, breiten Strasse, die mitten in den Sonnenaufgang führte. Das war es doch gewesen, was sie immer wollten: den endlos langen Highway Richtung Süden nehmen, raus aus dem Muff ihres sozial schwachen Abbruchviertels und den Rest der Welt zeigen – es gibt uns!

Tom fand, bevor ihr Stern richtig aufging, ging er auch schon wieder unter und der letzte Rest seines kümmerlichen, sterbenden Lichts leuchtete direkt in das Auge Satans, der persönlich am Tor seines dunklen Reiches wartete, um für sie die Höllenpforte aufzustoßen.
Bei seiner Beschäftigung schweiften seine Gedanken ab in die Vergangenheit. Ein Stück weit bis zu seiner Jugend in ihrem Viertel.
> Asoziales Pack! < Das schrieen sie ihnen hinterher.
Die Jungs wuchsen gemeinsam auf. Das Teehüttenviertel war ihre Heimat.
Asoziales Pack und die ganze Liste anderer Beschimpfungen von der Schule an bis zu dem Tag, an dem sie ihren Club gründeten, die Kutte mit dem Em-blem des Adlers anzogen und in der Rotte auf den ersten günstig erworbenen Maschinen auf Tour gingen.
Für ihre Motorräder und deren Unterhalt arbeiteten sie. Überall, am Bau, im Hafen als Tagelöhner.
Die vier beeindruckten die anderen Jungs im Viertel mit den röhrenden Sound und dem Chrom ihrer Maschinen, den Westen mit den vielen Patches und den Adlerschwingen auf dem Rücken. Und sie hingen in ihren Clubs und Kneipen ab, spielten Billard, richteten Kicker- und Flipperturniere aus, lernten Gleich-gesinnte kennen.
Sie waren gemeinsam stark und in der Gemeinschaft konnten sie ihre Pro-bleme besser bewältigen. Und es war cool, zu Thin Lizzy’s Song „The Boys are back in Town“ die Maschinen zu starten und der Welt außerhalb ihres Re-viers in einer starken Clique zu begegnen; die für sie eine allgemeine Be-zeichnung hatte: Rocker!

Tom bemerkte nicht, das Will gekommen war und ihn beobachtete.
> Wenn dir was nicht paßt, dann sag es! < Wills Schatten fiel auf ihn, Tom hockte immer noch vor seiner Maschine und polierte hastig und mit energi-schen Bewegungen den Chrom. Er warf den Lappen neben den Vorderreifen und stand auf. Er sah Will fest in die Augen und sagte, > Duck’s Weihe ist eine Lüge! <
Will, sein Begleiter seit ihrer Kindheit nahm einen letzten Schluck aus seiner mitgebrachten Dose, zerknüllte das Blech und warf sie achtlos zur Seite.
> Das ganze Leben ist eine Lüge, wir werden belogen von dem Irren da oben, der unsere Story schreibt, also, was willst du? < Will wurde bei jedem Wort seines Satzes lauter, die Männer bekamen das von ihrem Platz aus mit und gingen zu den beiden Streitenden.
> Ich bin nicht ein Outlaw geworden, um nun der lange Arm eines alten, ge-waltgeilen Diktators zu werden und für seine Geschäfte auch noch meinen Kopf hinhalten zu müssen. <
Tom hatte gesprochen und sah einen nach dem anderen aus der Gruppe an.
> Tom... , Tom <, Will hob beschwichtigend beide Hände, > wir werden unse-ren Clan nicht verraten. Wir werden zu ihm halten < Toms Augen weiteten sich, dann tippte er Will hart mit dem Finger auf’s Revers.
> Ich will dir mal was sagen Will. Der Clan hat uns verraten! Als wir die ersten Mädchen auf den Strich schickten und begannen, Kindern Drogen auf Schul-höfen zu verkaufen, an dem Tag spuckten wir unser Wappen mitten ins edle Antlitz. An dem Tag, als wir das erste Geschäft für irgendeinen Gangsterper-ron abkassierten und arme Teufel von Ladenbesitzern zusammen schlugen, an dem Tag faltete unser Adler gedemütigt seine Flügel zusammen und ver-schwand in irgendeinem verstaubten Schrank! <
Blitzschnell schlug Will zu. Unter anderen Umständen hätte er es nie gewagt, Tom zu schlagen. Tom war kleiner als er, aber dafür drahtig und immer noch kräftig. Will wußte, was sein Kumpel aushalten konnte und das war eine Men-ge. Von der Wucht des Uppercuts getroffen stürzte Tom zu Boden. Aber er war nicht benommen, auf den Steinen sitzend zeigte er von unten mit dem Finger auf Will. > Wo ist dein Adler Will, wo hast du ihn versteckt. Na komm, sag schon oder schämst du dich etwa? <
Tom hatte einen Stein in den See geworfen, in dem Will lange schon eine Menge unterdrückte. Gedanken, die unter dunklem Wasser schwelten. Aber an der Oberfläche begann es jetzt zu brodeln. Er wollte es nicht zeigen, wollte erneut auf Tom losgehen. > Jetzt ist es genug <, der hünenhafte Brian stellte sich zwischen die beiden Kontrahenten.
Will stoppte in der Bewegung, für die anderen sah es erst aus, als wolle er etwas sagen. Doch dann schnaubte er nur, drehte sich um und ging.

Während Stille innerhalb der Gruppe einkehrte, sahen sie sich nur an. Bon half Tom auf die Beine, der volle Mond sendete letztes, blasses Licht zwi-schen den Bäumen auf die Ledernacken und ein Betrachter hätte die Szene als idyllisch einstufen können. Will war zu seinem abseits ruhenden Motorrad gegangen und nestelte irgendwas aus einer der Packtaschen hervor. Sie sa-hen es von weiten und warteten gespannt ab, als er langsam zu ihnen zurück kam.
Es war etwas unförmiges in Mattschwarz. > Du hast sie die ganze Zeit mitge-führt? < Brian fragte. > Ja! < Will faltete die reichlich zerknitterte Jacke aus-einander und drehte sie so, das alle das Wappen sehen konnten, den Adler mit seinen gelb leuchtenden Augen und den weit ausgebreiteten Flügeln. Ihr Wappen.
> Na, was meint ihr. Für die Freiheit? <
> Für die Freiheit <, kam es im Chor zurück.
Tom kam einen Schritt auf ihn zu, > laß mich es machen. Ich will sie dir anzie-hen! < Bereitwillig gab ihm Will die Lederjacke. Tom legte sie ihm über den Nacken herum, ergriff erst den einen Arm, dann den anderen und streifte Will die Jacke über. Das eingenähte Wappen lag jetzt straff über Will’s Rücken und die Flügel des Adlers breiteten sich aus von Schulter zu Schulter.
Die Männer lachten, > so gefällst du uns schon viel besser! <
> He, Will! <
> Hmm? < Will drehte sich zu Tom herum. Er sah die Faust kommen, aber zu spät. Mit einer schnellen Drehung um sich selbst ging er in den Staub.
> Jetzt sind wir quitt! < Als Gefühle in Will’s Kinnlade zurückkehrten, lachte er mit den Männern mit.
Toms linke Faust hatte getroffen, auf dessen Fingerknöcheln das Wort L – O – V – E tätowiert war, auf jeden Knöchel ein Buchstabe. Auf der rechten Faust aber stand das Wort H – A – T – E.

> Zugriff! <
Die Stimme kam mechanisch und verrauscht aus dem Funkgerät.
Die Polizisten der Sondereinheit entsicherten fast gleichzeitig ihre Maschinen-pistolen und schritten vor. Sie waren in Tarnoveralls gekleidet, dazu Schutz-weste, Helm mit Helmvisier.
Ruff’s Zugeständnis an seine Männer war ein Clubhaus am Rande der Stadt.
Die Polizei griff am Morgen nach dem Leichenfund zu, sie wollten die Perros im Schlaf überraschen, die gerade eine harte Fete hinter sich gebracht hatten.
Aus Sicherheitsgründen parkte die Gang ihre Motorräder hinter dem Gebäu-de. Das Feld vor den Polizisten war also frei.
Das Haus war rundum von bewaffneten Polizeikräften gesichert. Sechs Mann stürmten die Tür und schwangen einen Rammbock, beim dritten Stoss gab das stabile Holz nach. Der Rammbock wurde fallen gelassen, die sechs Mann sprangen zur Seite und suchten Deckung an der Hauswand. Ein Stosstrupp von jeweils zwei Mann stürmten das Innere des Clubhauses, links und rechts sprangen sie hinter die Türöffnung und hielten ihre vollautomatischen Waffen im Anschlag, zielten auf die gerade erwachenden Menschen.
Ohne Wachposten hatten die Perros nicht den Hauch einer Chance, bevor sie richtig wach waren, klickten bereits die Handschellen. Als die Handschellen ausgingen, benutzte die Polizei Stripes.
> Gefesselt und entwaffnet, zum Abtransport bereit <, wurde dem Einsatzleiter gemeldet.

Ein großer, hagerer Mann mittleren Alters fuhr eine schwarze Limousine in eine Tiefgarage, die unter einer modernen Villa lag. Bevor er ausstieg, löste er die Verkleidung der Fahrertür und nahm ein Gewehr aus seiner Verankerung. Dabei achtete der Mann darauf, nicht einen seiner wohl gerundeten und gefeilten Fingernägel zu ruinieren. Mit der Waffe in der Hand mühte er sich redlich ab, die Kellertreppe hinauf zu gehen, die direkt in einen parkähnlichen Garten führte. Langsam ging er einen schmalen, plattierten Gang entlang, der an beiden Seiten von Rosenbüschen flankiert war. Bei jedem Schritt zog er sein rechtes Bein nach. Der Hinkende wechselte die Waffe von der einen in die andere Hand, um vorsichtig mit den Fingern der freien Hand eine große, burgunderrote Blüte zu unterfassen. Er roch andächtig daran. Einige Pollen setzten sich vom lauen Wind getrieben auf seinen dunkelblauen Anzug, er nahm die Schirmmütze ab und wischte sie vorsichtig damit fort.
Weiter ging sein mühevoller Weg durch eine Hintertür in eine Garage. Innen näherte er sich einem Ziel. Unter einem weißen Tuch war nur ein Stück eines metallenen Rohres zu sehen, dessen Ende förmlich in einem dickwolligen, roten Teppich steckte.
Die dünnen Lippen des Mannes verzogen sich zu einem kleinen Lächeln, als er das Tuch beiseite zog. Darunter stand sie dann: eine extrem gepflegte, chromblinkende Rennmaschine, eine Braker.
Er streichelte liebevoll über eines der verchromten Endrohre, die bis hoch zur Sitzbank reichten. Für ihn war die Maschine etwas ganz besonderes, verlieh sie ihm doch die Mobilität, die ihm zu Fuß seit Jahren fehlte. Saß er einmal auf diesem Motorrad und gab Gas, bemerkte niemand mehr sein Handicap.
Der hagere Mann schloß den Tankrucksack auf, schraubte den Lauf vom übrigen Teil des mitgeführten Gewehrs, legte beides in einem Tuch ge-wickelt in den Sack zu der bereits verpackten Munition und einer Skorpion.
Während er eine sauber verpackte Lederkombination aus einem Spind heraus holte, gingen seine Gedanken zu den letzten Stunden und wieder in die Zu-kunft.
Der Hinkende zog seinen dunklen Anzug umständlich aus, faltete ihn und ver-staute ihn in dem Schrank. Zuletzt setzte er den Helm auf und beschloß, ein Fast Food anzufahren und bei einer Tasse Cappuccino noch einmal im Gei-ste seinen Plan durchzugehen.

Ruff dachte, die Welt gehöre ihm und er brauche nur zu bestimmen, was ge-spielt wird. Alle würden zu ihm aufsehen und darauf warten, welche Spielre-geln und Einsätze er ausrief.
Schon am Morgen erfuhr Rufus von einem Informanten von der Polizeiaktion im Clubhaus und er schloß daraus, das sie ihn wahrscheinlich holen würden. Aber das war nicht sein einziges Problem, in letzter Zeit liefen immer mehr fremde Pferde auf seiner Bahn. Das Konkurrenz ihn angreifen könnte und ihm seinen Rang streitig machen würde, daran hatte er oft gedacht. Das ein Machtkampf zwischen ihm und einer rivalisierenden Organisation dermaßen eskalieren könnte, daran glaubte er bisher nicht. Er saß auf der Hauptwache im Büro eines Inspektor Goldingers und seines Kollegen, der im Augenblick guter Polizist spielte und Kaffee besorgte.

Renner, Goldingers langjähriger Kollege war auf dem Weg zurück vom heili-gen Kaffeeautomaten. Er gehörte mit zur Sonderkommission, die noch in der Nacht gebildet wurde, direkt, als sie vom Tatort aus dem Gewerbegebiet ka-men. Der Kommissar ereichte die Tür, die ins Verhörzimmer führte, wo sein Partner einem zwielichtigen Geschäftsmann und mutmaßlichen Chef einer Bande hoffentlich inzwischen einige wichtige Details entlocken konnte.
Renner öffnete die Tür und ging einen Schritt hinein, er sah auf den Rücken des maßgeschneiderten Anzugs von Edgar Rufus, dann in das Gesicht seines Kollegen. Beide saßen an einem nackten Tisch jeweils an den Stirnseiten.
> Herr Rufus! Ich möchte ihnen jetzt eine Frage stellen. < Der Befragte nickte langsam.
> Haben sie einen Mord in Auftrag gegeben? <
> Nein! <
Renner hielt die Hand noch immer auf die Klinke der offenen Tür und schüttel-te innerlich den Kopf. Was für Fragen sein Kollege stellen konnte. Er wußte, das dieser Mann für sie eine harte Nuß darstellte, die es zu knacken galt.
Der Polizist wandte sich um, sah noch einmal in den leeren Flur, dann schloß er die Tür.

Ihr Glück war es, auf dieser Party nicht erschienen zu sein.
Die sechs hatten beschlossen, ihren Traum vom Süden endgültig wahr zu machen und auf Tournee zu gehen, wie sie sich ausdrückten. Die Männer hatten noch an dem Morgen ihres Freiheitsschwures ausgemacht, an welchen Orten sie sich zur ausgemachten Zeit Mann für Mann einsammelten. Es war nicht nötig, und ganz und gar nicht in der Nähe des Hauptquartiers, daß sie auffällig in der Rotte fuhren.
Ihr Glück war es weiterhin, das sie Rufus für einen Bericht nicht aufsuchen sollten, ein vom Präsidenten eingesetzter Beobachter war aus der Entfernung bei der Tat dabei. Das war sicherer und brachte keinen mit irgend jemanden in Verbindung.
Sie konnten die Zeit für ein paar Stunden Schlaf nutzen und um Geld und Campingausrüstung zu besorgen.
Tom wählte einen Platz, um auf die anderen zu warten, an dem er ihr ganzes Viertel übersehen konnte. Hinter einem Fenster ging ein sanftes Licht an. Er kniete im Gras am oberen Rand einer Senke, welches ihr Viertel ein-schloß. Hinter ihm begann das wilde Buschland. Sein Blick ruhte auf das mil-de Licht seines Elternhauses, wo Sie jetzt wie immer in der Küche das Abendessen herrichtete.
> Mutter <, flüsterte er, > Mutter. <
> He! Willst du dort anwachsen oder mit uns auf Tournee? <
Sie waren über einen Feldweg gekommen, den er vorher auch genommen hatte. Er war in Gedanken so mit Ihr beschäftigt, das er Will und Bons Knucklehead’s nicht mal kommen hörte. Tom erhob sich, drehte dem Heim seiner Eltern den Rücken zu. Er ging zu den anderen Jungs, die mit laufenden Motoren auf ihn warteten.
Ich hoffe, ihr passiert nichts, dachte er, als er auf seine Maschine stieg, starte-te und mit den beiden anderen hinter aufgewühlten Dreck in den kühlen Abend verschwand.

Sie fuhren in einen Sonnenuntergang, der staubig violett vor ihnen am Hori-zont stand. Die Maschinen donnerten über den Asphalt.
Die Männer hatten inzwischen zusammengefunden. Es blieb ruhig in der Gruppe, bis auf einen Zwischenfall.
Auf einer Nebenstrasse fuhr ein Cabriolet von hinten heran. Der Fahrer über-holte Will und kam an den wild geordneten Pulk nicht sofort vorbei. Laut hu-pend drängte er sein Fahrzeug zwischen die Biker, was ein Fehler war. Bon fuhr neben den Wagen, packte den jungen Mann in den Nacken, hob ihn fast mühelos ein Stück vom Sitz und stieß ihn nach vorn. Der Fahrer war nicht angeschnallt und schlug mit der Stirn auf die Kante der vorderen Scheibe sei-nes Wagens. Das Auto rollte nach rechts aus, bis es an eine Laterne stieß. Blutend sackte der Mann auf seinem Sitz zusammen. Bon setzte nach, hielt und zog ein Stilett aus dem Schaft einer seiner Stiefel und stach in den Vor-derreifen.
Bevor es zu weiteren Schwierigkeiten für den Mann im Wagen kam, war Will heran, > es ist gut jetzt! <

Einige seiner besten Jungs waren auf und davon, hatten mit ihrer Loyalität gegenüber ihm gebrochen. Ruff war schon lange nicht mehr der Meinung, seine Männer würden für ihn alles tun, bis in den Tod hinein. Um keine Revol-te aufkommen zu lassen, setzte er ausgesuchte Spione ein. Einer davon mel-dete ihm die Flucht sechs seiner bewährtesten Männer. Er fühlte sich in seiner Eitelkeit als Präsident der Perros gekränkt. Sie waren abgehauen und hatten ihn somit verraten. Mit der Flucht seiner Leute fürchtete er, das der Respekt, den man ihn entgegenbrachte, bröckelte. Noch ein Problem, das seine Angst nährte, die Perros zu verlieren. Die Gang, welche er von seiner Jugend an führte und bis zur heutigen Organisation mit all ihren Geschäften aufbaute.

Tom, Will und die anderen vier fuhren ihre zu Choppern umgebauten Knucklehead’s mit original 47er Rahmen. Während Tom mitten im Pulk fuhr, fuhr Will ganz hinten, dabei sah er oft in die Spiegel und suchte die Strasse in ihrem Rücken nach Verfolgern ab. Die Bullen selber würden sie so nicht ent-decken, falls sie von der Polizei gesucht wurden, dann würde eine Straßen-sperre vor ihnen auf sie warten.
Du nimmst die nächste Kurve, schon sind sie da und erwarten dich!
Will gab Gas und fuhr an der Rotte vorbei, mit Handzeichen bedeutete er den Fahrern, das sie ihm nach rechts auf einen Parkplatz folgen sollten.
Es war früh, sie waren die Nacht durchgefahren. Das erste Licht des neuen Tages würde noch eine Weile auf sich warten lassen.
Das ist gut so, fand Will. Er stieg von seinem Motorrad und legte den Helm ab. Die Männer wußten, er hatte was vor und sie kannten ihn gut genug, er würde sich kaum von seinem Vorhaben abbringen lassen. Was immer es auch war, er würde sein Ding durchziehen, stumm sahen sie ihn nach, als er den Weg zur Tankstelle nahm.
Will betrat den Raum vor dem Schalter, es war ruhig so früh. Der Kas-sierer saß an seinem Platz hinter der Zahltheke und blätterte in einer Zeit-schrift. Er war an das Aussehen verschiedenster Kunden gewöhnt, auch an den Anblick von Bikern in ausgebleichter Lederkleidung. Der Türgong ver-klang, er schaute wieder in sein Magazin.
Niemand, der nicht auffallen wollte, betrat mit einem Helm ein Ge-schäft. Will vermied es, die eventuell eingerichtete Videokamera zu suchen, um nicht unbedingt sein Gesicht als Vollbild zu zeigen.
Er baute sich dicht an der Theke vor dem jungen Mann auf.
> Jetzt kassier ich<, er kam sofort zu seinem Anliegen. Der Jüngling vor ihm sprang von seinem Hocker, seine Hände gerieten aus Will’s Blickfeld.
> Ach bitte, keine Tricks! < Will sprach und zog dabei einen 38er Chief Special ein Stück weit aus der Jacke hervor. Der Kassierer kapierte sofort und händig-te ihm ein Bündel Geldscheine aus, die er aus der geöffneten Kasse entnahm. Zufrieden sammelte Will ein, > jetzt gehen wir beide ein Stück spazieren! < Er schob den Kassierer vor sich in Richtung Hinterausgang. Sie gingen einen kurzen Flur entlang, passierten eine Eisentür und standen mitten im Grünen. Hinter der Station gab es keine weitere Bebauung, nur ein hügeliges Gelände, einige Dutzend Meter weiter begann ein Wald. > Na los, gehen wir noch ein Stück! < Der junge Mann vor ihm wagte nicht, sich umzudrehen, er ging ein-fach weiter hinein in das wilde Land und dachte dabei an seine junge Familie. Er dachte daran, das seine Frau ihn geraten hatte, diesen Job nicht anzu-nehmen und er hoffte, sie und das Baby wiederzusehen.
Noch einen Schritt, und noch einer, und immer so weiter. Die Unsicherheit, was hinter ihm war, machte ihn nervös und der Gedanke daran, das er leben wollte, egal wie... .
Keine Chance im Moment, irgendeine Deckung in den Rücken zu bekommen, die Schonung war einfach noch zu weit weg. So ging er weiter auf wackeligen Füssen.

Ein lauter Knall riß die Männer aus ihrer starren Anspannung.
> Du wirst dich eines Tages tot pissen! <
Sie maulten Mick an, der die Tür eines Dixie – WC’s zuschmiss, das am Rand einer Baustelle stand. Will erschien aus dem Rücken der Tankstelle. Er kam zu ihnen zurück mit einem Bündel Geldscheinen in der Hand.
Schweigend setzte er seinen Helm auf, alle starteten ihre Maschinen. Jeder von ihnen hatte vor ihrer Abreise für genügend Geld gesorgt. Es war nicht richtig gewesen, durch diesen Überfall Aufsehen zu riskieren. Doch der Rest der Bande wußte, knappe Finanzen spielten hierbei keine Rolle. Will wollte fortan als erster vorne fahren, ihnen anzeigen, das er den Gangleader mach-te.
Einzig und allein dieser Grund – ich bin der Boss, daß war es gewesen, was er ihnen anzeigen wollte, mehr nicht.
Sie fuhren ein Stück weiter die Landstrasse entlang, bald bogen sie ab, alles blieb hinter ihnen zurück. Unbehelligt erreichten sie am Abend ihr erstes Etappenziel, einen See mit einem Wald davor. Der Süden war ihre Richtung und nicht weit entfernt von ihrem Rastplatz lag eine große Stadt.

> Halt endlich still! <
Brian kniete mit dem Rücken zu Will, als ob in dieser Wildnis jeden Moment Englands Queen auftauchte, um ihn zum Ritter zu schlagen.
Will hielt das Gewehr erneut im Anschlag. Dabei legte er den Lauf der Waffe auf Brians breiter Schulter.
> Ruhig, Junge, ruhig. Jetzt halt doch endlich still, verdammt noch mal! <
> Wenn du mit deiner Zielerei nicht bald fertig wirst, werden wir sowieso vor Hunger eingehen <, sagte Brian.
> Wenn du nicht so zappeln würdest, hätten wir schon längs was im Bauch! <
Will nahm erneut Maß durchs Zielfernrohr, dabei suchte er mit dem Finger vorsichtig den Druckpunkt.
Auf einer Lichtung im Morgengrauen standen einige Rehe und ästen.
Kurz vor dem Schuß und Brians Erlösung brach Will ab. Er löste den Finger vom Abzug und nahm den Lauf von Brian.
> Ich kann nicht! <
> Was ist? <
> Sieh selbst. <
Brian nahm Will das Gewehr ab und sah selbst durch das Zielfernrohr.
> Hübsche Kerlchen! < Eines der Rehe hatte mit dem Abweiden der Wiese inne gehalten und sah zu ihnen mit seinen großen Augen hinüber. Die Ohren des Tieres waren nach vorne gerichtet und lauschten. Im nächsten Moment tauchte ein Kitz aus einem sicheren Gebüsch auf. Brian sagte zu Will, > etwas weiter hab ich vorhin rammelnde Karnickel gesehen. Schießen wir lieber die über’n Haufen! <

Während Will und Brian auf eine andere Seite des Waldsaumes gingen, be-schlossen die übrigen Männer ein Bad zu nehmen.
Sie zogen ihre Kleidung aus und liefen zu einem nahen Tümpel. Sie ver-scheuchten einige Enten, die laut schnatternd flohen, als sie sich in das eiskalte Wasser warfen.
Die Sonne kam kaum noch über die hohen Wipfel der Bäume, die dicht am Rande des kleinen Sees standen. Bon stieß sich den Kopf an einem faulen-den Baumstumpf, der aus dem Wasser ragte. Die anderen spotteten, er solle sich gefälligst einen Helm aufsetzen.
Nach dem Bad betrachtete er angewidert seinen linken Arm, > mach das weg, mach das weg <, rief er.
Die anderen schauten fasziniert, zwei Blutegel hatten sich an seiner Haut festgesaugt. >Ok<, sagte Tom, > komm mit zum Lager, dort schneiden wir sie von deiner Haut los. <
Der Lärm eines Motorrades ließ sie aufhorchen. > Scheiße, einer von uns hät-te als Wache bei den Zelten bleiben müssen! <
Nackt und in aller Eile rannten sie einen moosbewachsenen Hang hinauf, > He! Und was ist mit mir? < Bon blieb als einziger stehen und sah ihnen nach.
Am Lager angekommen, sahen sie, das ihr Zeug durchwühlt war. Sie hörten noch immer das Motorengeräusch. Wahrscheinlich kam der Flüchtende nicht so schnell weg auf dem sandigen Feldweg.
Eilig zogen sie ihre Sachen an, > verdammt, meine Weste ist weg. Dieses Schwein hat meine Kutte geklaut! < Tom waren die anderen nicht schnell ge-nug. Nur mit seiner Hose bekleidet sprang er barfuß auf die Knucklehead, startete und nahm die Verfolgung auf.
Wie ein Irrer jagte er den Weg entlang, die Maschine brach ständig nach links und rechts aus. Er sah den Verfolgten, der mit seiner vorsichtigeren Fahrwei-se schneller vorankam, den Rand der Strasse erreichen. Und er sah, das der Dieb auf seiner Kutte saß, dessen Aufschläge links und rechts vom Sattel hin-gen und im Fahrtwind flatterten. Glühend vor Wut drehte er den Gasgriff auf, die Maschine machte einen Satz, dann lag Tom auf der Seite im Staub.
Der Motor erstarb, er rieb sich die Augen frei, ein Schatten fiel auf ihn. Als er aufschaute, sah er ein verwittertes, hölzernes Schild.


WARNING!

Area of

HIJAS DEL CAMINO

... better, you go out of there!

Die anderen tauchten neben ihm auf und lasen das gleiche. Keiner sagte et-was, nur Mick begann zu lachen und hieb sich dabei mit der Hand auf den Schenkel.
> Sieht aus, als hätte dich eine Tochter der Strasse beklaut! Ich hab von ihnen gehört. Und nichts gutes! <

Rufus faltete die Zeitung zusammen, nahm die frische Tasse Kaffee, lehnte sich zurück und schlug bequem die Beine übereinander. Er saß in seinem Club am Ende der Strasse. Der Präsident drehte sich nach einer halb nackten Tabledance – Queen um, die ihm ein gestohlenes Handy reichte, an dessen Ende jemand zur vereinbarten Zeit mit Informationen wartete. Er erfaßte den schlanken Arm des Mädchens und mit leichten Schwung landete sie auf sei-nem Schoß.
> Ist der Adler gelandet? < Ruff lauschte mit dem Gerät am Ohr.
> Ja! Auf seinem Flug hat er ein Nest geplündert. <
> Ist sein scharfes Auge blind? <
> Blind und ahnungslos! <
Edgar Rufus informierte sich über Weg und Richtung der Verfolgten. Dann legte er auf mit dem Hinweis, das er genügend seiner Leute für die Jagd ent-senden würde. Später wollte er sich dann wieder melden. Zwischen den nied-lichen Titten der Tänzerin hindurch sah er auf das Handy, als könne er auf dem Display die Verfolgung bildlich sehen.
Er begann zu schwitzen, aber nicht, weil die Kleine ihre festen Brüste in sein Gesicht drückte. Ihm wurde bewußt, er hatte gerade den Fehler eines blutigen Anfängers begangen.

Sie machten sich bereit für die Suche nach Tom’s Kutte. Da ihr Rastplatz nun verraten war, räumten sie ihr Campingzeug zusammen, jeder packte sein Zelt gerollt hinter dem Sattel. Mick war als erster fertig und ging noch einmal weit hinein den Wald. > He, was rennst du so weit zwischen den Bäumen, willst du einen See anlegen? < Die Männer lachten.
Als Mick zurück kehrte, waren ihre Maschinen längs gestartet. Alle waren be-reit für ein neues Abenteuer.

Bonnie wußte, sie mußte auf dem sandigen Feldweg vorsichtig fahren.
Die Hija würde mit der erbeuteten Kutte bei Carmen Ehre einlegen und die Chefin damit überzeugen, das sie nun ein vollwertiges Mitglied der Töchter der Strasse war.
Die Hijas del Camino legten Wert auf Mut, aber auch auf Vorsicht. Die Regeln waren klar, eine davon war, selbst das hübscheste Gesicht unter einem Helm zu verbergen. Jegliche Schminke war verpönt, langes Haar mußte unter der Lederjacke verborgen werden. Sie trugen ihr Wappen auf der Haut, als Täto-wierung auf der linken Schulter: die schwarze Lilie gepaart mit einem Schlan-genkopf. Auch Bonnie war soweit, das Jahr der Prüfung war um, sie wollte endlich unter der Nadel der Zeremonienmeisterin. Nur, wenn Carmen, Lilith’s erste Tochter ihr Ok gab und der blutige Odem der Göttin auf ihrer Schulter brannte, erst dann war sie eine von ihnen.
Eine echte Hija del Camino.

Sie brauchten nicht lange zu suchen, sie wurden gefunden.
Die Männer wagten es und fuhren in die Stadt ein. Sie bewegten sich durch die Viertel, versuchten, sich zu orientieren, einen ersten Anhaltspunkt zu fin-den. Biker treffen sich überall wieder, jemand fuhr ihnen mit einer gut gepfleg-ten Braker entgegen, hob die Hand und grüßte sie. Sie grüßten zurück.
> Sie zeigen keine Flagge. Man erkennt sie nicht ohne weiteres <, sagte ihnen Mick. Sie achteten auf Chopper und kamen dabei an das Ende einer Strasse. Weit hinter ihnen am anderen Ende tauchten in ihren Rückspiegeln plötzlich Motorräder auf. Die Fremden standen dort, beobachteten sie nur.
> Wir fahren um den Häuserblock und versuchen in ihren Rücken zu kom-men<, rief Will. Sie brauchten es nicht mehr zu tun, um die Biegung herum erschienen vor ihnen Maschinen.
Die Männer fuhren in eine Nebenstrasse, jetzt verfolgt von ungefähr zwanzig Maschinen. Sie bemerkten, sie wurden geleitet. Sie bogen ab, sobald vor ih-nen Ledernacken auftauchten und fuhren so eine Weile die Strassen entlang, bis ihre Fahrt in einem von Häusern umschlossenen Hinterhof endete.
Sie hielten endgültig inmitten des großen Hofes auf dem Kopfsteinpflaster. Hinter ihnen kamen unter dem Torbogen eines Reihenhauses an die hundert Chopper hindurch. Die Hijas stellten sich unter dem Gedröhne ihrer Maschi-nen im Halbrund hinter ihnen auf. Die im Karree gebauten mehrstöckigen Häuser warfen den Widerhall der donnernden Motoren immer und immer wie-der zurück.
Die Männer wußten, das, was jetzt zählte, war Ruhe bewahren. Also stand ihnen jetzt nur zu, abzuwarten, was sich vor ihnen abspielen würde.
Der Hof besaß einen Umfang von Hundert mal hundert Metern, in dreißig Me-tern Entfernung vor ihnen standen einige verrostete eiserne Tore, an denen bunte Wäscheleinen hingen. Rechts daneben hatte man mit Paletten eine behelfsmäßige Bühne aufgebaut, belegt war sie mit einem verschlissenen Perser-Teppich. Links und rechts davon standen einige Fässer, deren unterer Rand durchlöchert war, provisorische Öfen für die kältere Jahreszeit. Alles sah aus, als wenn es schon ewig dort stehen würde, Wind blies zwischen den Häusern und über den Hof, Staub erhob sich vom Boden, fegte in kleinen Wirbeln davon.
Auf der Bühne stand ein Pult, daneben ein Fahnenmast. Aus einer Hintertür erschienen zwei Frauen in Leder, eine davon hielt ein Bündel aus dunklem Stoff. Die Frauen gingen zu dem Mast, falteten das Bündel auseinander, kurz darauf hißten sie die Flagge der Hijas.
Der Hintergrund ein tiefblaues Samt, in der Mitte des Stoffes ein Kreis aus hellem Blau, darin eine schwarze Lilie, umschlungen vom Körper einer Schlange, der scheinbar im Nichts begann.
Der Kopf des Reptils war auf die umstehenden Bandenmitglieder gerichtet, mit glühenden Augen wurden sie beobachtet.
Das Maul der Schlange war weit aufgerissen, von einem der Giftzähne rannen einige Tropfen roten Blutes.
Das Zeichen der Hijas del Camino.

In dem Augenblick, als der Wind die Flagge entfaltete, betrat das obere Ende einer steinernen Treppe, welche die oberen Wohnungen erschloß, eine hoch gewachsene Frau. Ein Raunen ging durch die Menge der umstehenden Hijas, die Präsidentin betrat die Bühne.
Hier, in ihrer Burg ließ sie ihr langes rotbraunes Haar seine Freiheit. Allen war es gestattet, hinter den Mauern ihrer Burg ihre Weiblichkeit zu zeigen. Auf die Bühne begleitet wurde sie von zwei Mitgliedern der Bande, von der eine Toms Kutte hoch empor hielt, die andere eine brennende Fackel.
Die Präsidentin trat an das Pult, im letzten ersterbenden Gedröhne der Moto-ren hob sie beide Hände. Bei ihrer Größe sah das erhaben aus und als Ruhe herrschte, sprach sie.
> Es sieht so aus, als hätten wir hier ein paar Pisser, die nicht lesen können! < Bei diesem Satz sah sie die Männer an.
> Also, gut. Machen wir es ihnen auf eine andere Weise deutlich, was wir von ihren Besuch halten! < Allgemeines Gelächter der Frauen ringsum, die erste Hija nahm die Fackel und kam damit Toms Kutte bedrohlich nahe.
> It’s your burnin’ Chapter <, hörte Tom eine der weiblichen Biker sagen, die mit dem Finger direkt auf ihn zeigte und ihn lächelnd dabei zuzwinkerte. Er schloß aus ihrer englischen Aussprache, das die Hijas nicht nur in dieser Ge-gend vertreten waren.
Tom hing an das Kleidungsstück, es bedeutete ihm ein Teil seiner Freiheit. Blitzschnell zog er zwischen Hose und Gürtel eine versteckte Beretta mittleren Kalibers hervor, > der Adler köpft die Schlange! <
Die Hijas im Halbrund hinter ihnen reagierten als erste, metallisches Knacken von Hämmer und das Ratschen von Schlitten verschiedenster Schußwaffen war zu hören. Alle Fenster der Häuser waren mit den Töchtern besetzt, Hand-feuerwaffen, darunter auch etliche Gewehre, zielten auf die kleine Gruppe. Irgend eine Mutter rief, > Kind! Nicht! <
Staunten die Perros vorher schon über die Menge der eintreffenden Töchter, so wurde ihnen jetzt in vollem Umfang bewußt, wieviel größer ihr möglicher Gegner war. An vielen Fenstern standen gleich drei oder vier Hijas. Nach ei-nem zweiten Überblick schätzten sie die Bande auf etwa vierhundert anwe-sende Mitglieder.
> Mach keinen Mist, Tom <, Will warnte.
Was sie jetzt brauchten, war Diplomatie, doch das brauchte Zeit.

Bevor es zu Verhandlungen kam, nahm eine andere Aktion ihren Lauf. Ange-stiftet von den Perros selbst, aber den Perros, welche jetzt ihre Feinde waren.
Alle waren sie im Hof und an den Fenstern versammelt. Niemand achtete auf den Eingang, die Hausunterführung, welche den hauptsächlichen Zugang in das Innere des Quadrats ermöglichte.
Einige Blendgranaten flogen auf sie zu. Beim Aufschlag wurde vorerst allen die Sicht vernebelt, dann wurde geschossen.
> Abhauen! Los, abhauen! <
Will schrie. Die Jungs um ihn begriffen sofort, das sie vorerst zu Fuß die Flucht durch die Hintertüren der Häuser antreten mußten. Würden sie versu-chen, mit ihren Motorrädern durch das Portal zu fliehen, würden sie in das Feuer des Gegners hinein fahren und gleichzeitig von den Hijas hinterrücks erschossen werden; die sofort wütend auf den Eingang schossen.
Die Töchter der Strasse blieben dort stehen, wo sie standen, viele duckten sich und gingen in die Combat-Stellung, zielten und schossen mit ihren Waf-fen ins Blinde hinein.
Im dritten Stock eines der Häuser überrumpelten die Outlaws eine aufge-brachte Familie und besetzen einige Fenster, die eine gute Sicht auf den Hin-terhof ermöglichten. Ob sie wollten oder nicht, sie hatten nun einen stillen Pakt mit den Hijas, waren Verbündete im Kampf.
Die erste Idee war die lebensrettende gewesen.
Kaum besetzten sie die Fenster, hörten sie mindestens eine automatische Schnellfeuerwaffe, eine tschechische Skorpion oder eine Uzi. > Wartet, bis der Nebel verfliegt, jeder Schuß ein Treffer! < Wieder war es Will, der den Befehl gab, der Nebel hob sich und wurde licht.
> Könnt ihr was sehen <, Tom wartete auf eine Antwort, die Hijas waren nun hinter der Bühne und in den Kellereingängen in Deckung gegangen. Alle schafften es nicht, wagten nicht mehr, ihren Standort mitten auf dem Hof zu verlassen, aus Angst, dem Gegner einen Moment zu lang den Rücken zu keh-ren.
> Die Schweine halten einfach die Läufe in den Eingang und schießen blind! < Tom machte die anderen darauf aufmerksam, ein glücklicher Umstand für alle, die mitten im Hof standen. Bisher lagen nur einige Verletzte am Boden, Bon-nie wurde angeschossen. Sie humpelte und versuchte, irgendeine Deckung zu erreichen.
Tom sah es. Er konnte sich nicht darüber freuen, die Diebin so getroffen zu sehen.

> Ich muß auf den Hof! < Noch ehe jemand protestieren konnte, drehte Tom sich um und rannte die Treppen hinunter auf den Platz zu Bonnie. Er umfaßte sie mit einem Arm, zog sie zu den Häusern zurück. Dabei beobachtete er den Eingang, in dem jetzt ein Schatten erschien. Die Waffen der Hijas vor ihnen schwiegen im Moment, um sie nicht zu treffen, aber von oberhalb aus den Fenstern hörten sie Schüsse. Die Schatten fiel, Tom’s Leute gaben ihnen Feuerschutz. Plötzlich stürmten mehrere Leute den Eingang, sie feuerten da-bei aus automatischen Waffen. Er erkannte ihren eigenen Clan – Perros.
Sie wurden nicht getroffen, da die Angreifer zu sehr damit beschäftigt waren, die Gefahr von oben möglichst klein zu halten. Tom konnte Bonnie endlich in einen der Kellergänge zerren, nebenbei bemerkte er, das seine Kutte nun endgültig brannte.
Frauen bedeuteten ihnen nicht mehr, als Sex und Vorzeigeobjekt. Die Männer tätigten alle Geschäfte unter sich, Frauen teilten ihr Leben nur insofern, das sie für Verpflegung und Sex zuständig waren, mehr nicht. Tom dachte darüber nicht anders, war er doch in dieser Gemeinschaft erwachsen geworden, die wie verschiedene Völker in verschiedenen Ländern auch ihren eigenen Kult und ihre Rituale besitzen.
Nun war es jedoch anders, Tom erkannte den von außen erzwungenen Pakt der beiden Gruppen an und somit waren die Hijas für ihn ebenbürtige Kämpfe-rinnen und Eidgenossen.
Von unten vom Kellereingang her sahen sie den letzten sich verflüchtenden Nebel, dafür lag jetzt der Rauch der heißen Waffenläufe über ihnen und die Luft war geschwängert von dem stickigen Geruch öliger Magneten. > Ich muß nachladen <, sagte Bonnie zu Tom.
> Du brauchst einen Arzt <, erwiderte Tom. Eine Kugel hatte ihre linke Wade durchbohrt, ein glatter Durchschuß.
> Tut mir leid, das mit deiner Kutte. <
Tom zuckte mit den Achseln, > ist halt Kult! Nicht mehr zu ändern, ist aber jetzt auch nebensächlich. Zunächst müssen wir hier rauskommen. < Weiter kam ihre Unterhaltung nicht, Tom half mit, eine blutende, vor Schmerz schrei-ende Hija festzuhalten.
Die Angreifer schafften es jetzt auch, trotz der Masse der Hijas den Hof zu stürmen.
Die Verteidiger griffen daher nun zu einer anderen List, sie gingen durch die Flure der Häuser und versuchten den Feind von außen anzugreifen. Im Keller nahmen sie bereit gestellte Molotow-Cocktails mit. Oben schaffte es Will, sei-ne Chief Special gegen ein Repetiergewehr von einer der Hijas zu tauschen. Er zog den Bügel nach unten, eine leere Hülse fiel aus, dann wieder nach oben. Anlegen, Schießen, Laden, Anlegen, Schießen, Laden, Anlegen, Schießen, Laden. Bei jedem Schuß fiel auf dem Hof ein Mann.

Abgelegen vom Portal zum Hof standen die Maschinen des Gegners. Die Wa-che war schnell überwältigt, brennende Sprit-Cocktails landeten in den Haufen geparkter Bikes und steckten die meisten davon in Brand.
Mit den schwarzen Rauchwolken kam eine überwältigende Wut über die Töchter der Strasse. Die Stecher der Waffen hämmerten im Akkord, Kugel um Kugel verließ die Läufe. Im tödlichen Hagel dieses Straßenkampfes mußte der Gegner aufgeben und die Flucht zu Fuß antreten, wer noch fliehen konnte. Die restlichen Cocktails flogen ihnen hinterher, einige liefen noch ein Stück weit als lebende Fackel, bevor sie sich auf den Boden wälzten und verzweifelt versuchten, die Flammen zu ersticken. Doch die Flammen waren seit der er-sten Kugel entfacht und brennendes Benzin ist eine furchtbare Waffe. Aus der Ferne ertönten erste Sirenen.
In diesem Reigen aus Alarmsirenen, schreienden Menschen, Pulverdampf und dem Geruch nach blutigen Eisen dröhnte aus dem Portal heraus der Sound von überdrehten Motoren. Will’s Gang nutzte die letzte Gelegenheit, um auf ihren Choppern zu fliehen. Tom hatte den Anschluß gefunden, aus der Menge von kämpfenden, zwischen Verletzten und Toten hindurch mußten sie abhauen.
Den brennenden, schmorenden Asphalt unter die Räder nehmen. Wieder hat-ten sie der Allgemeinheit einen Grund gegeben, sie zu hassen.

Er fand, er war ein Idiot. Ruff konnte seinen Informanten nicht erreichen, das gestohlene Handy hatte die Nummer des Spähers nicht gespeichert. Er ver-suchte es noch mal, drückte auf Menüauswahl, während er mit der linken Hand die schwere Limousine steuerte. Nichts! Leer.
Dem Informant wurde die Nummer des Gerätes mitgeteilt, als er vom Club aus startete. Doch niemand dachte an die Funktion, Telefonnummern bei Be-darf nicht anzeigen zu lassen. Und es gab keine Notiz über die Nummer des Spähers. Niemand merkt sich heutzutage mehr eine Telefonnummer, Spei-cher und Notizfunktionen haben das menschliche Gedächtnis ersetzt.
Scheiße, Ruff’s einziger Gedanke im Moment.
Er konnte auch seinen Fahrer nicht erreichen, also fuhr er selbst.
Er war auf die Schnelle abgereist. Ruff fragte sich, wann war er das letzte Mal Motorrad gefahren?
Egal, der starke, schnelle Wagen würde ihn rechtzeitig hinbringen. Sie waren auf Landstrassen gefahren, um Fluchtmöglichkeiten nutzen zu können, er und seine Jäger nahmen Autobahnen.
Rufus fühlte sich allein, sein einziger Trost; neben ihm auf dem Sitz lag ein stählerner Buchhalter aus Chicago. Ruff würde die Sache selbst in die Hand nehmen.
Es war zudem ein Fehler gewesen, die Flüchtenden so lange am Leben zu lassen. Rufus konnte sich nicht mehr auf diese Männer verlassen. Er fragte sich, wann würden sie singen, sollten die Bullen sie zuerst fassen
In dieser Situation versuchte er ein letztes Mal seinen Chauffeur ans Handy zu bekommen. Er nahm sich vor, wenn er ihn zu Gesicht bekam, wür-de er mit einer Kugel dafür sorgen, das er auf dem anderen Bein auch noch hinkte.

Die Polizei setzte zumindest einen Hubschrauber ein. Das Whap, whap der Rotoren war noch nicht über ihnen, auch sehen konnten sie den Helikopter noch nicht. Die gebirgige Strecke, die sie nahmen, um aus der Stadt rauszu-kommen, spendete ihnen zumindest einen Tunnel als vorläufige Deckung. Der Lärm der Rotorblätter kam näher, verfing sich in dem hohlen Loch, in dem sie steckten, verharrte eine Weile, wurde erst leiser und prasselte noch einmal lauter in die Tunnelöffnung auf der anderen Seite hinein. Als der Hubschrau-ber endlich abzog, hörten sie das Läuten eines Handys.

Sein Handy läutete.
Er sah auf das Display, eine wichtige Nummer leuchtete auf. Wichtiger noch war die Handynummer des Informanten, die er extra abspeicherte. Und weil er ihn immer erreichen konnte, ging ihm seine Beute nicht verloren. Als gelernter Elektroniker war es seine Aufgabe, den Zuhälter zu verwanzen. Dadurch konnten sie den besten Ort und Zeitpunkt für den Mord abpassen.
Hätte Ruff Eins und Eins zusammengezählt, wäre ihm eingefallen, das er das gleiche mit allen und jedem tun konnte. Auch mit einem Bandenchef namens Edgar Rufus.
Was er ja am Ende auch ausführte.

> Da meldet sich der Grund, warum sie uns so schnell gefunden haben! <
Will schrie und zeigte mit dem Finger auf Mike. Der Hubschrauber über ihnen, die lärmenden Maschinen im dunklen Tunnel, wahrscheinliche Verfolger hinter ihnen und keine Ahnung, wohin der Weg vor ihnen sie führte, ließen ihre Ner-ven weit im roten Bereich vibrieren.
Und nun das – ein Verrat!
Mick schrie zurück, > in all den Jahren, habe ich euch jemals verraten! <
Wer sich über den Willen der Gemeinschaft hinwegsetzt, der muß weichen.
Aus ihrer Sicht war die übrige Gesellschaft kriminell, die von Anfang an nicht zuließ, das sie sich integrieren konnten. Und das schweißte sie zusammen, nichts schlimmeres gab es als einen Verräter in ihren Reihen, noch schlimmer war es für Mick, er wurde von ihnen als Verräter angesehen.
Wenn du aus dem Teehüttenviertel stammst, erwarte nichts, außer noch mehr Ärger.
Seine Mutter prägte ihm diesen Satz oft ein. Damit reagierte sie nicht lieblos, sie wollte ihrem Sohn nur allzuviel Enttäuschung ersparen und Mick auf eine Welt voller Hindernisse vorbereiten. Und um ihn das noch einmal zu sagen, rief sie ihren Sohn nun an.
> Du hast dich über unser Abkommen hinweg gesetzt, drauf geschissen! Ver-schwinde! <
Mick kapitulierte vor der Angst der anderen, der großen Kapazität seines Handyakkus und seinem Fehler, das Gerät bei der letzten Benutzung außer dem Vibrator versehentlich den Ton zugeschaltet zu haben.
Wortlos startete er die Maschine. Ohne einmal nach ihnen zurück zu blicken fuhr er die Strasse entlang. Bevor er rasch zu einem kleinen, schwar-zen Punkt wurde, sah Tom noch einmal die Schwingen des Adlers auf Micks ledernen Rücken. Und plötzlich meinte er zu erkennen: nicht der Adler ist frei, seine Schwingen sind zu groß, sein Körper zu mächtig. Sein Sturz auf die Beute ist rasend, doch sein Flug ist nicht so schnell und wendig wie der des kleineren unscheinbaren Falken. Der Falke ist frei, solange der Schatten des Adlers nicht über ihn fällt. Ein Geräusch schreckte Tom aus seinen Überle-gungen auf, er sah zu seinem Freund. Will warf das Handy zu Boden, trat mit dem Stiefel drauf, bis es knirschte unter der Sohle. Dann ging er zu seiner Knucklehead, während die Jungs immer noch den kleinen, schwarzen Punkt Duke nachschauten.
Der Helikopter hatte seine Suche noch nicht beendet. In ihren Rücken hörten sie ihn wieder heran nahen. Sie sahen hinter sich, als erwarteten sie, das das Fluggerät direkt in den Tunnel fliegt. Als die Geräusche sich verstärkten, fiel ein Schuß am anderen Ende des Tunnels, Tom sah zu Will. Der Gangleader setzte sein Gewehr von der Schulter ab und ließ es sinken. Der kleine schwarze Punkt fing an zu eiern. Geriet erst rechts, dann links an den Stra-ßenrand, bevor er endgültig in den Straßengraben kippte.
> Will! < Tom schrie auf, > Will! <
In ohnmächtiger Wut stürzte Tom auf seinen Freund zu, überrannte ihn. Beide fielen in den Staub, Will verlor das Gewehr, das einige Meter über den Asphalt schlitterte. > Du hast es endgültig übertrieben, spielst hier Herr über Leben und Tod und wir wissen nicht mal, ob er wirklich schuldig war. < Tom keuchte die Worte über seine Lippen, während er Will am Boden festnagelte.
> Er ist..., er war..., einer von uns! < Tom sprach jetzt eindringlich, fast leise.
> Ja! Er „war“ einer von uns <, sagte Will genauso ruhig. > Ich hab Mick nicht getötet, Tom! Ihn nicht. Und den Zuhälter auch nicht! <
> Was quatscht du da. Wir haben gesehen, wie du geschossen hast und der Lude aus seinen Schuhen kippte. Und genau dasselbe haben wir hier gese-hen. <
> Es muß ein Scharfschütze gewesen sein, der zeitgleich auf den Mann schoß. Er muß gewußt haben, das ich absichtlich daneben zielte. Schätze, es ist genau derselbe, der Mick auf den Gewissen hat und der jetzt vor uns in den Büschen Stellung bezogen hat, um uns in die ewigen Jagdgründe zu schicken. Ich bin kein Mörder, Tom! <
Die Männer standen um sie herum, hörten stumm das Gespräch. Als Will den Schützen erwähnte, sahen sie nach vorn. Für Tom und die anderen war jetzt keine Zeit, die neue Wahrheit zu verdauen, er sah weit entfernt eine Braker, die am Straßenrand parkte. Mit so einer Rennmaschine konnte man für eine Sekunde auftauchen und wieder verschwinden. Der Fahrer mußte in den Bü-schen am Straßenrand Deckung gefunden haben. > Er wartet auf uns, wartet ab, bis wir einer nach den anderen aus dem dunklen Tunnel rauskommen.< Tom vermutete ebenfalls, das ihr Jäger so lange ausharrte, bis sie die sichere Dunkelheit der Röhre aufgaben und vorpreschten. Zurück konnten sie nicht, der Heli stand nun nah über dem Tunnel, ein Lichtkegel fiel einige Meter in die Öffnung hinein. Er schätzte, weitere Verfolger waren auf dem Weg, ob nun Perros, die Polizei oder beide zusammen.
Tom sah sich um und befand, ein Zurück ist unmöglich. Der Lichtschein ver-schwand und der Hubschrauber wechselte noch einmal die Seite, jetzt sahen sie ihn am anderen Ende der Röhre auftauchen, plötzlich hörten sie den rat-ternden Feuerstoß einer automatischen Waffe. Sie sahen, wie der Heli einge-hüllt in einer schwarzen Rauchwolke ein, zwei schnelle Drehungen vollführte und dann auf die Strasse stürzte. Trotzdem die Maschine eine niedrige Höhe eingehalten hatte, explodierte sie beim Aufprall. Die Explosion trieb eine ge-waltige Feuerlohe gefolgt von noch mehr schwarzen Rauch in die Tunnelröhre hinein.
> Jetzt oder nie <, Will schrie und sprang gemeinsam mit Tom auf, sie rannten zu ihren Maschinen und jagten mitten in das Inferno aus Feuer, Rauch und glühenden Wrackteilen hinein. Die Höllenpforte stand weit offen.

Der Hinkende hatte den Kampf und ihre anschließende Flucht aus der Distanz gesehen. Eilig entfaltete er dann am Ortsausgang eine Karte, suchte den Weg, den sie genommen hatten. Er sah eine Möglichkeit, sie zu erwischen, seine Rennmaschine war um einiges schneller und wendiger als die relativ behäbigen Chopper.
Er schoß in der Mordnacht eine Viertelsekunde nach Will. Direkt, nach dem er durch das starke Visier seines Gewehres ein Staubwölkchen sah, das die abgefeuerte Kugel oberhalb eines Laternenmastes aufwirbelte. So schlecht konnte nur jemand mit Absicht zielen, für ihn ein Zeichen beginnen-der Auflehnung. Er vermutete von Anfang an, das sie fliehen würden. Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte er die sechs Männer gleich in der Einsam-keit des Tatorts neben den Sarg des Luden gelegt. Mausetot!
Er hatte mehr gesehen als Rufus und konnte daher besser zählen.
Es würde Ärger geben, die Bullen würden den Tod ihrer Kameraden nicht so einfach hinnehmen. Aber er konnte jetzt nicht mehr zurück, nicht so kurz vor dem Ziel und seiner selbst auferlegten Prüfung, die ihm beweisen sollte, das er mehr konnte, als große, schwarze Limousinen steuern. Vor al-lem bedauerte der Hinkende, das er die Skorpion nicht so schnell mit einem neuen Magazin laden konnte. Dafür stand die Braker in diesem Moment zu weit weg, in dessen Tankrucksack ein Ersatzmagazin lag. Er warf die Maschi-nenpistole achtlos weg und zerrte den Schultergurt seines Präzisionsgeweh-res über den Kopf. Die Waffe leistete ihm schon gute Dienste, als er den Lu-den ermordete. Es war sein erster Beweis, das er es noch konnte. Auf Men-schen zielen und treffen, Aufträge erledigen trotz seiner Behinderung. Der Hinkende bewegte sich auf die Strasse zu und brachte das Gewehr im An-schlag.

Vor ihnen auf der Landstrasse sank endgültig die Sonne. Das matte Rot, das durch die schwarzen Rauchschwaden leuchtete, wies ihnen nicht nur den Weg, sondern schien gleichsam ein Omen zu sein, ein böses Vorzeichen. Vor dem Glutball der Sonne erschien eine aufrecht gehende Gestalt, siegessicher, als wär’s Asmodis selbst, der sie in seinem blutigen Heim willkommen hieß. Rotglänzende Schlieren auf dem Asphalt, die bis zu den Vorderrädern ihrer Maschinen reichten, ihr Teppich war ausgerollt.
Die Männer auf ihren Choppern sahen, wie diese Gestalt noch einige Meter ging, bevor sie auf der Mittellinie der Strasse stehen blieb.
> Soll das ein Show Down auf dem Highway werden <, schrie Bon den Män-nern zu.
Seine Frage wurde im nächsten Moment beantwortet. Bon blieb als erster auf der Strecke. Sein Helm barst, seine Stirn zertrümmerte ein schlankes, ultra-schnelles Projektil.
Will folgte ihm als nächster, mit seinem Bike bog er in einem wilden neunzig Grad Winkel ab und querte die Fahrbahn. Das Vorderrad schlug mit Wucht an der hinteren Böschung des Straßengrabens. Sein schon schlaffer Körper machte einen Überschlag über den Lenker. Wie eine Puppe hing sein Torso mit dem Kopf nach unten in den Graben. Ihr Mörder schaffte es, zwei der Ma-schinen mit Treffer in den Tanks in Brand zu schießen.
Alle fielen hinter Tom, der zwischen toten Kameraden und dicken, schwarzen Rauchwolken laut schreiend vorstürmte und den Gasgriff aufdrehte bis zum Anschlag. Deckung gab es auf der Strasse zwischen den Gräben keine, also kam ihm in den Sinn, Angriff ist die beste Verteidigung, nein, ist vielleicht die letzte Verteidigung!

So jagte Tom auf seinen Gegner zu. 80, 90, 120 km/h.
100, 80, 60 Meter bis zu der Gestalt auf der Strasse. Tom sah, wie der Mann vor ihm nachlud. Weiter vorn tauchte ein großer Wagen auf, dessen Besitzer er kannte. Er griff in eine Innentasche seiner Weste, seine Hand umschloß etwas ovales.
50, 30, 20 Meter.
Der Gegner hob die Waffe an, um ihn genau ins Visier zu nehmen. Kugeln pfiffen Tom entgegen, zwei oder drei Treffer bekam die Maschine ab, das ver-doppelte seine Wut. Er riß das ovale Etwas heraus, führte eine handvoll Stahl zu seinen Lippen, zog mit den Zähnen einen blanken Stift heraus.
10 Meter. Hinter dem Schützen war das Fahrzeug fast heran. Der Biker riß sich am Lenker nach vorn. 5 Meter. Tom hob den rechten Fuß, streckte das Bein. Der Feind schoß weiter.
2, 1 Meter und Aufschlag. Tom traf den Schädel des Widersachers mit bra-chialer Wucht, etwas knackte und brach, die Waffe des Typs sank und gab weiter einige Kugeln ab in Tom’s Bike hinein.
Tom war am Gegner vorbei, wollte bremsen, wollte absteigen und den Mörder seiner Leute ins Gesicht treten, bis nichts mehr davon übrig war.
Doch es blieb keine Zeit, nur mit einer Hand am Lenker verriß er bei diesem Stoss sein Bike. Er steuerte zur Gegenfahrbahn auf den Wagen zu, rammte die Fahrerseite des Fahrzeugs, hinterließ Beulen und rauhe Spuren. Doch, das, was er zuvor eisern fest hielt und nur für den allerhöchsten Notfall ge-brauchen wollte, traf sein Ziel.
Edgar Rufus hörte Glas splittern. Ein kleiner Schatten flog an ihm vor-bei, das kurze Geräusch eines schweren, dumpfen Aufpralles folgte. Im rech-ten Fußraum rollte das Wurfgeschoß von links nach rechts und umgekehrt, bevor das tödliche Ei endgültig liegen blieb.
Und während er mit weit aufgerissenen Augen auf die Handgranate schaute, solange ihm der Zünder noch Zeit ließ, stellte er fest: das Leben kann viel zu kurz sein, wenn man einen Chauffeur beschäftigt, der sich am Ende doch noch loyal zeigt und seinem Präsidenten den direkten Weg in die Hölle be-schreibt.

Eine Kurve mußte er nach dem Anprall nehmen, ein scharfer Knall, dann ein jaulendes Quietschen. Die Antriebskette riß und verfing sich in den Speichen des Hinterrades. Tom und das Motorrad fielen, schlitterten über den schmut-zigen Asphalt. Tom hoffte, die Maschine würde auf diesem Weg liegen blei-ben, die Knucklehead blieb nicht liegen. Er landete mit dem Genick am Pfo-sten einer Leitplanke, die man am Außenrand der Kurve aufgestellt hatte. Der Outlaw blieb dort schwer verletzt liegen, sein Motorrad rutschte auf ihn zu und quetschte ihn vollends an den weißen Pfosten.
Zeitgleich hörte er eine gewaltige Detonation. Der Wagen explodierte, wäh-rend er die brennende Braker des Mörders vor sich her schob.

Mit einem schwachen Ruck schob Tom den Helm vom Kopf. Das Sicherheits-teil rollte holprig und mit näselndem Klang einige Meter von ihm weg. Tom lag schwer verletzt und kaum noch bei Besinnung bäuchlings über den Tank sei-ner Maschine. Einige Male sackte sein Bewußtsein weg. Wie in abgehackten Bildsequenzen ertappte er sich dabei, sah sich selbst, wie er versuchte, mit den Händen Zentimeter für Zentimeter seinen Körper von der Maschine runter zu ziehen. Die Motorik seiner Beine war außer Kraft. Wie ein Betrunkener am Boden drehte er sich mal auf die eine, dann auf die andere Seite. Grotesk fuhr sein linker Arm nach oben, seine Hand wollte weiter vorn ein Stückchen gro-ben Asphalt finden, wo er seine Finger hineinkrallen konnte.
Er wiederholte diese Bewegung einige Male und es sah aus, als winke er sei-nen toten Kameraden weiter hinten – kommt doch, kommt.
Und mit einem Mal hörte er den Sound. Den typischen Klang der Motoren. Und dann standen sie da – Knuckleheads.
Will, Bon, Brian und die anderen mit ihren Maschinen, auch Mick war wieder bei ihnen.
> Na, was ist, du Memme! Willst du noch lang dort liegen bleiben oder endlich aufsteigen und mit uns reiten? Weißt du nicht mehr, wir wollen nach Süden. < Tom hörte Will. Er stand auf, so, als wenn nichts gewesen wäre außer ein paar weitere Schrammen.
Tom stieg auf und gemeinsam verschwanden sie inmitten einer Staubwolke in den untergehenden Glutball, der Sonne entgegen
Für immer Frei. Für immer Adler.

Amigos! Era You Un Placer.

Im Westen. Sept. bis Nov. 2003

 

Zum Gruss bluesnote,

ich hab bis jetzt nur den ersten Absatz gelesen, und den Rest überflogen weil ich in Eile bin :(

Mir gefällt der erste Abatz ziemlich gut. Aber was sollen die ganzen Bindestriche zwischen den Wörtern ??
Die stören doch schon ziemlich beim lesen..!

MFG Odin

 

Hallo Odin

Das ist wahrscheinlich ein technischer Fehler meinerseits, ich habe den Text aus einem Dokument .rtf statt .doc eingefügt, ohne die automatische Silbentrennung zu deaktivieren.
Ich weiss auch nicht, warum sämtliche Literaturseiten keine vernünftige Silbentrennung zulassen.

Viele Grüsse.

Udo

 

Ich weiss auch nicht, warum sämtliche Literaturseiten keine vernünftige Silbentrennung zulassen.
Weil's HTML ist und HTML keine Silbentrennung kennt :teach:

 

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