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Knopf
Knopf
Der Knopf taucht am Rande meines Blickfeldes auf. Zieht meinen Blick auf sich. Es ist ein schöner Knopf. Groß, schwarz und schwach glänzend. Mit einem erhöhten Rand und vier gleichmäßigen Löchern in der Mitte.
Ich hab ihn fallen sehen. Vor ein paar Minuten. Als sie ausgestiegen ist, mitten in der Gruppe. Ihren Schal zurechtgezogen, gegen die Kälte, in der wir gewartet haben. Er fiel, während sie von der obersten Stufe des Busses hinabstieg, blieb dort liegen. Während ich an meinen Handschuhen zupfte, um nach meinem Fahrschein zu suchen. Er glitt einfach am Mantel herunter und sie trat darüber hinweg, ohne ihn zu bemerken. Andere folgten ihr, dicht. Über den Knopf hinweg.
Ich sah sie aussteigen. Davongehen. Nur Zentimeter an mir vorbei. Ihr Ärmel streifte meine Jacke. Gleich darauf drängte ich mich mit den anderen hinein. Ließ mich auf einen Sitz fallen, gleich vorn, den Rucksack auf dem Schoß und endlich warm. Ich ließ den Blick schweifen, ohne zu denken, einfach leer. Bis der Knopf sich in mein Blickfeld schiebt.
Ich hätte es ihr sagen können. Aber warum sollte ich. Ich meine: Es ist doch bloß ein Knopf. Ein schöner Knopf. Bloß ein einfacher, schwarzer Knopf. Aber er gehört zu diesem Mantel. Sie kann einen neuen annähen. Wird sie sicher. Keine große Sache. Ich schiebe den Gedanken beiseite. Will wieder an nichts denken, aber der Knopf rückt ein paar Zentimeter näher, als der Bus eine Kurve nimmt.
Ich hätte es ihr sagen sollen. Es wäre leichter gewesen. Dabei kenne ich sie ja gar nicht. Es ist ja auch nicht mein Knopf. Ich fühle mich verantwortlich. Ein wenig. Aber ein Knopf ist nichts Weltbewegendes. Dann näht sie eben einen neuen an.
Aber sie wird sicher keinen passenden Knopf haben. Also muss sie einen kaufen. Es ist ein einfacher schwarzer Knopf. Den wird man schon irgendwo kaufen können. Also kein Grund, länger darüber nachzudenken.
Ich versuche, mich abzulenken, indem ich die vorbeidriftenden Geschäfte betrachte. Aber der Knopf ist hartnäckig. In welchem dieser Geschäfte würde man wohl einen Knopf kaufen können? Sie wird das sicher wissen. In einem von ihnen wird man die bekommen. Und ein Knopf ist nicht teuer. Ich sehe auf ihn hinunter, beinahe zwanghaft, und erwische mich dabei, ihn wegzuwünschen. Mein Fuß wandert in seine Richtung, obwohl ich nicht weiß, ob ich ihn wegschubsen soll. Die Frage erledigt sich, weil er gerade außerhalb meiner Reichweite liegt. Und ich werde sicher nicht aufstehen und ihn wegnehmen.
Jetzt muss sie einen Knopf kaufen. Keine große Sache. Aber ich muss an mich selbst denken. Daran, dass ich noch nie im Leben einen Knopf gekauft habe. Daran, dass ich noch nie einen angenäht habe. Nicht einmal dann, wenn ein zusätzlicher Knopf unten im Hemd eingenäht ist. Meine Mutter hat das getan. Und seit Jahren niemand mehr.
Ich denke wieder an sie. Daran, dass jetzt ein Knopf an ihrem Mantel fehlt. Und sie einen kaufen muss. Ich starre auf den Knopf und frage mich, ob es wohl Normmaße für Knöpfe gibt. Ob sie einen passenden finden wird. Sonst muss sie alle austauschen. Es waren drei. Und das nur, weil ich nichts gesagt habe. Dabei hätte ich können. Es wäre keine große Sache gewesen.
Als ich schließlich aufsehe, fahre ich zusammen und meine Hand zuckt zum Haltknopf. Beinahe hätte ich meine Haltestelle verpasst. Ein letzter Blick auf den Knopf, als ich darüber hinwegsteige. Und der Gedanke daran, ihn einzustecken. Nur für den Fall, dass ich sie wiedersehe. Hinter mir will noch jemand aussteigen. Das gibt den Ausschlag. Ich trete in den Schnee hinaus und biege in meine Straße ein.
In meinem Kopf sehe ich sie nach Hause kommen, bemerken, dass der Knopf fehlt. Und ich sehe ihr Gesicht dabei. Ein wenig Ärger. Aus dem Frust wird. Und dann schreibt sie auf einen Zettel "Knopf kaufen" und legt ihn auf den Küchentisch. Ich sehe die Überraschung auf ihrem Gesicht, als ich mir vorstelle, sie anzusprechen. Irritiert, dann erfreut. Dann steckt sie den Knopf ein und stapft davon. Ich hätte es ihr sagen sollen. Sie ansprechen, in dem Moment, als sie meine Jacke streifte. Da war es eigentlich schon vorbei. In dem Moment, in dem ich den Knopf fallen sah. Aber da war sie noch ein paar Schritte von mir entfernt.
Jedenfalls hätte ich es ihr sagen sollen. Zumindest den Knopf mitnehmen. Eigentlich. Aber Momente vergehen und ich schließe die Tür auf, werfe den Rucksack in die Ecke und gehe in die Küche. Ja, ich hätte es ihr sagen sollen. Aber eigentlich ist es ja keine große Sache. Nur ein verpasster Moment. Ich setze Kaffee auf und drehe das Radio an.