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Knopf

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08.11.2001
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Knopf

Knopf

Der Knopf taucht am Rande meines Blickfeldes auf. Zieht meinen Blick auf sich. Es ist ein schöner Knopf. Groß, schwarz und schwach glänzend. Mit einem erhöhten Rand und vier gleichmäßigen Löchern in der Mitte.
Ich hab ihn fallen sehen. Vor ein paar Minuten. Als sie ausgestiegen ist, mitten in der Gruppe. Ihren Schal zurechtgezogen, gegen die Kälte, in der wir gewartet haben. Er fiel, während sie von der obersten Stufe des Busses hinabstieg, blieb dort liegen. Während ich an meinen Handschuhen zupfte, um nach meinem Fahrschein zu suchen. Er glitt einfach am Mantel herunter und sie trat darüber hinweg, ohne ihn zu bemerken. Andere folgten ihr, dicht. Über den Knopf hinweg.

Ich sah sie aussteigen. Davongehen. Nur Zentimeter an mir vorbei. Ihr Ärmel streifte meine Jacke. Gleich darauf drängte ich mich mit den anderen hinein. Ließ mich auf einen Sitz fallen, gleich vorn, den Rucksack auf dem Schoß und endlich warm. Ich ließ den Blick schweifen, ohne zu denken, einfach leer. Bis der Knopf sich in mein Blickfeld schiebt.

Ich hätte es ihr sagen können. Aber warum sollte ich. Ich meine: Es ist doch bloß ein Knopf. Ein schöner Knopf. Bloß ein einfacher, schwarzer Knopf. Aber er gehört zu diesem Mantel. Sie kann einen neuen annähen. Wird sie sicher. Keine große Sache. Ich schiebe den Gedanken beiseite. Will wieder an nichts denken, aber der Knopf rückt ein paar Zentimeter näher, als der Bus eine Kurve nimmt.

Ich hätte es ihr sagen sollen. Es wäre leichter gewesen. Dabei kenne ich sie ja gar nicht. Es ist ja auch nicht mein Knopf. Ich fühle mich verantwortlich. Ein wenig. Aber ein Knopf ist nichts Weltbewegendes. Dann näht sie eben einen neuen an.
Aber sie wird sicher keinen passenden Knopf haben. Also muss sie einen kaufen. Es ist ein einfacher schwarzer Knopf. Den wird man schon irgendwo kaufen können. Also kein Grund, länger darüber nachzudenken.
Ich versuche, mich abzulenken, indem ich die vorbeidriftenden Geschäfte betrachte. Aber der Knopf ist hartnäckig. In welchem dieser Geschäfte würde man wohl einen Knopf kaufen können? Sie wird das sicher wissen. In einem von ihnen wird man die bekommen. Und ein Knopf ist nicht teuer. Ich sehe auf ihn hinunter, beinahe zwanghaft, und erwische mich dabei, ihn wegzuwünschen. Mein Fuß wandert in seine Richtung, obwohl ich nicht weiß, ob ich ihn wegschubsen soll. Die Frage erledigt sich, weil er gerade außerhalb meiner Reichweite liegt. Und ich werde sicher nicht aufstehen und ihn wegnehmen.

Jetzt muss sie einen Knopf kaufen. Keine große Sache. Aber ich muss an mich selbst denken. Daran, dass ich noch nie im Leben einen Knopf gekauft habe. Daran, dass ich noch nie einen angenäht habe. Nicht einmal dann, wenn ein zusätzlicher Knopf unten im Hemd eingenäht ist. Meine Mutter hat das getan. Und seit Jahren niemand mehr.
Ich denke wieder an sie. Daran, dass jetzt ein Knopf an ihrem Mantel fehlt. Und sie einen kaufen muss. Ich starre auf den Knopf und frage mich, ob es wohl Normmaße für Knöpfe gibt. Ob sie einen passenden finden wird. Sonst muss sie alle austauschen. Es waren drei. Und das nur, weil ich nichts gesagt habe. Dabei hätte ich können. Es wäre keine große Sache gewesen.
Als ich schließlich aufsehe, fahre ich zusammen und meine Hand zuckt zum Haltknopf. Beinahe hätte ich meine Haltestelle verpasst. Ein letzter Blick auf den Knopf, als ich darüber hinwegsteige. Und der Gedanke daran, ihn einzustecken. Nur für den Fall, dass ich sie wiedersehe. Hinter mir will noch jemand aussteigen. Das gibt den Ausschlag. Ich trete in den Schnee hinaus und biege in meine Straße ein.
In meinem Kopf sehe ich sie nach Hause kommen, bemerken, dass der Knopf fehlt. Und ich sehe ihr Gesicht dabei. Ein wenig Ärger. Aus dem Frust wird. Und dann schreibt sie auf einen Zettel "Knopf kaufen" und legt ihn auf den Küchentisch. Ich sehe die Überraschung auf ihrem Gesicht, als ich mir vorstelle, sie anzusprechen. Irritiert, dann erfreut. Dann steckt sie den Knopf ein und stapft davon. Ich hätte es ihr sagen sollen. Sie ansprechen, in dem Moment, als sie meine Jacke streifte. Da war es eigentlich schon vorbei. In dem Moment, in dem ich den Knopf fallen sah. Aber da war sie noch ein paar Schritte von mir entfernt.
Jedenfalls hätte ich es ihr sagen sollen. Zumindest den Knopf mitnehmen. Eigentlich. Aber Momente vergehen und ich schließe die Tür auf, werfe den Rucksack in die Ecke und gehe in die Küche. Ja, ich hätte es ihr sagen sollen. Aber eigentlich ist es ja keine große Sache. Nur ein verpasster Moment. Ich setze Kaffee auf und drehe das Radio an.

 

Hallo arc en ciel,

eine sehr schön geschriebene Geschichte über einen verpatzten Moment. Anfangs mußte ich mich an den Stil gewöhnen, an die kurzen Sätze, die immer wieder durch längere ersetzt werden - aber dann, als ich mich eingelesen hatte, gefiel mir Deine Geschichte besser.
Eigentlich ist es belanglos, sich über sowas seine Gedanken zu machen - aber man tut es trotzdem. Immer wieder, weil wir Menschen nun mal so sind. Nichtigkeiten beschäftigen uns so sehr, daß wir sie oft zu Wichtigkeiten aufbauschen.
Deine Geschichte hat mir sehr gefallen.

Gruß,
stephy

 

hi Stephy!
lieben Dank!
ich weiß, die Geschichte kommt jetzt ein wenig "off-season". Geschrieben hab ich sie auch vor einem halben Jahr. Als ich mir den A... abgefrohren habe.
Zwar hab ich mich nicht in solche Gedanken hineingesteigert. Aber ich hab mir die leeren und entleerten Gesichter der Menschen im Bus angesehen. und ich hab mich gefragt, ob sie wohl aus einer Mücke einen Elefanten machen würden. Ja, ich denke, sie würden. Und hier macht jemand aus einem Knopf eben ein schlechtes Gewissen.

Lieben Dank fürs Lesen und die Kritik!

Frauke

 

hallo arc en ciel!

eine nette Geschichte für zwischendurch, aber nichts bewegendes. Du hast den Augenblick gut eingefangen, die Gedanken. Aber es ist eben nciths anderes als ein Knopf. Und ein verpasster Moment, dieser Schlussgedanke gefällt mir gut. Daraus könnte man die Gedanken weiterspinnen, was wäre wenn, was hätte sein können, wenn er den Knopf...
Gut geschrieben, mir sind keine Holperer aufgefallen.

schöne Grüße
Anne

 

hi Anne!
auch Dir lieben Dank.
Mir ging es hier auch sicher nicht um tiefschürfend philosophische Gedankengänge, sondern mehr um die menschliche Eigenschaft, Dinge aufzubauschen.
Darum, daß Menschen Dingen eine unterschiedliche Wichtigkeit zubilligen, als wir vielleicht erwarten.

Und um sein Verhaltensmuster. Denn sein Verhalten finde ich schon sehr interessant ;)

Lieben Dank,

Frauke

 

Hallo arc en ciel,

sehr schön, wie du den ungenutzten Augenblick beschreibst, schilderst, wie der Protagonist sich immer intensiver in seine Zweifel verstrickt und die sich mit der Unwiederbringlichkeit des Augenblickes auseinander zu setzen beginnt. Aus dem Leben gegriffen.

Eine völlig banale, alltägliche Situation, gekonnt und den Leser aktivierend umgesetzt. Klasse Idee! Man braucht nicht große Dramen, große Gefühle um eine gute Kurzgeschichte zu schreiben.

Gruß vom querkopp

 
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Hallo Frauke,

klasse Geschichte. Ich mag den Stil indem es geschrieben ist und solche Ellipsen hier:

Keine große Sache.
Gibts ja viele von, von diesen Halbsätzen. Toll liest sich das, spricht auch irgendwie für die Persönlichkeit dieser Person. Es lässt sich viel von ihrer Persönlichkeit herauslesen, obwohl du ja fast gar nichts von ihr/ihm schreibst. Nur, dass er seit Jahren wohl keinen Menschen mehr um sich hat.

Etwas stört mich beim Lesen. Die Szene spielt sich im Bus ab. Und das erfahre ich so richtig erst ganz am Ende. Dabei spielt es ja wohl keine große Rolle. Ich denke nicht, dass du es uns mit Absicht vorenthälst. Du sagst zwar, dass die Frau aussteigt am Anfang. Aber ich dachte, dass der Mann (ich sag jetzt mal Mann) sie beim Aussteigen aus dem Bus oder so beobachtet hat. Also das er auf einer Straße steht. Und dieses Bild hatte ich eben im Kopf. Naja, gut er sucht seinen Fahrschein, aber das kann er ja auch an wenn er an der Haltestelle steht. Hmm, naja vielleicht bn ich auch nur schwer von Begriff. Oder es ist schon zu spät. ;)

Grüße, Thomas

 

hi Thomas!
ganz lieben Dank für so viel Lob.
Ich freue mich besonders, daß Du so viel über "ihn" herauslesen konntest.
Ich werd mal sehen, ob ich die Bus-szenerie wirklich zu sehr versteckt hab. Aber er steigt doch ein, läßt sich auf den Sitz fallen, der Knopf rutscht in der Kurve zu ihm rüber, er sieht aus dem Fenster...
und trotzdem ist es noch zu versteckt. :shy:

Lieben Gruß,

Frauke

 

Ich glaube du musst das nicht ändern. Ich war wohl gestern schon zu müde um das alles noch richtig zu erfassen. Was nichts daran ändert, dass mir die Geschichte trotzdem gefällt.

 

Hallo Arc en ciel,
auch mir hat deine Geschichte sehr gut gefallen.
Was für einen "inneren Kampf" Dein Prot doch ausgstanden hat. Soll er den Knopf aufheben oder nicht? Was wäre wenn... Aber es geht einem wirklich manchmal so, man zerbricht sich den Kopf über irgendwelche belanglose Kleinigkeiten.
Eine kleine Sache noch:

Ziemlich am Anfang des letzten grossen Abschnittes schreibst Du: Ob sie eine passenden finden wird?
Da hast Du bei eine das n vergessen. Bin mir nicht ganz sicher ob man passenden in dem Fall nicht sogar gross schreiben würde.

Liebe Grüsse
Blanca

 

Hallo arc en ciel,

Deine Geschichte hat mir gut gefallen.
Sie erinnert mich ein wenig an mich.
Ich verzettle mich auch immer in solche Gedankengänge, wobei ich aber versuche, vielleicht doch sofort zu reagieren, was meinen Mann schon so manches Mal in die Verzweiflung trieb.

Was wäre wohl gewesen, wenn sie die Frau auf den verlorenen Knopf aufmerksam gemacht hätte, ist die Frage, die sich mir stellt.
Irgend wie erscheint mir die Perspektive lohnender, hättest Du vor gehabt, das Ganze noch weiter zu spinnen.
So hast Du toll eine verpasste Gelegenheit beschrieben, an der ich nichts finde, außer Bewunderung über Deine schöne Art zu schreiben.

Sei beschützt

Mutav

 

hi Blanka, hi Mutav!
das n wird korrigiert. Aber ich glaube, Kleinschreibung ist da doch richtig, weil es ja noch Bezug zu dem Wort Knopf hat. Und damit kein Substantiv ist.... Kommentare dazu? hat jemand mehr Recht, als ich? ;)

ich fand auch, daß die verpaßte Gelegenheit, war der interessantere Blickpunkt. Die Alltagsgeschichte schlechthin.
Was wäre sonst passiert? sie hätte danke gesagt, und wäre weggegangen. Oder sie hätten sich unsterblich verliebt und wären in den Sonnenuntergang davongeschwebt :D
Ich weiß nicht. Ich denke, schreiberisch war mehr aus dieser Situation herauszuholen.

Lieben Dank,

Frauke

PS: ist definitiv "Alltag", oder? wie viele schon mal so einen Gedankengang hatten? ;)

 

Ja ich würde sagen, dass gehört in die Rubrik Alltag. Und zu dem was vorher diskutiert wurde. Ja,die verpasste Gelegenheit steht im Mittelpunkt, aber sie sagt doch noch eine Menge mehr aus. Für den Protagonisten gab es sicher viele verpasste Gelegenheiten, insbesondere ein Frau anzusprechen.

 

Hallo arc en ciel,

nur ein Knopf ist es, an dem du deine Figur letztendlich in all ihrer Unsicherheit, Zögerlichkeit und Verträumtheit porträtierst. Das ist dir wirklich sehr schön gelungen. Es mag eine verpasste Chance sein, es ist aber auch eine Geschichte darüber, wie unsere Hilfsbereitschaft unter zaghaften Grübeleien leidet.
Hätte dein(e) Prot sich bei einer Brieftasche anders verhalten?

Schöne Geschichte.
Lieben Gruß, sim

 

hi Sim!

interessante Überlegung, das mit der Brieftasche. Ja, ich denke, er / sie? hätte sich anders verhalten. Dann wäre es um einen wichtigen Gegenstand gegangen. Und außerdem hätte er auch nachträglich feststellen können, wem sie gehört.

mir hat beim Schreiben der minimalistische Ansatz gefallen: so ein Kleinkram wie ein Knopf... sieht man alle Tage irgendwo liegen. Aber sieht ihn auch jemand fallen? und was kann sich daraus ergeben?

Lieben Dank,

Frauke

 

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