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Knocking on heaven´s door
Er ist alt, krank, elend, gebrechlich und des Lebens überdrüssig. Oft genug hat er schon daran gedacht, diesem elenden Dasein ein Ende zu machen. Das traut er sich nicht, denn er will ja nicht in der Hölle landen. Also hofft er jeden Tag aufs Neue, dass es sein letzter sein möge. Leider passiert das nicht. Also muss er weiterleben. Hin und wieder hat er schon mit dem Gedanken gespielt, jemand anderen zu bitten, seinem Leben ein Ende zu bereiten. Doch das ist nicht gut genug, um in den Himmel zu kommen. Man könnte sich ja auch in Gefahr begeben und dabei umkommen. Aber was ist, wenn es schief geht? Wenn man dabei nicht stirbt, sondern nur verletzt oder gelähmt wird. Es könnte ja auch passieren, dass einem die Beine abgefahren werden. Dann ist alles noch viel schlimmer. Der Gedanke ist auch nicht gut. Also lebt er weiter.
Heute steht er in der Bank vor der Kassiererin und bittet sie, ihm die letzten hundert Euro, die er noch für diesen Monat hat, auszuzahlen. Er wird damit schon irgendwie über die Runden kommen. Noch während die Kassiererin ihm das Geld über den Tresen schiebt, stürmt ein maskierter Mann in den Bankraum, schubst den alten Mann zur Seite, hält der verängstigten Frau einen riesigen Revolver vor die Nase und blafft sie an, indem er ihr eine Plastiktüte zuwirft: „Vollmachen. Aber zack, zack. Wenn du nicht innerhalb von zwei Minuten damit fertig bist, puste ich dich um.“ Die Kassiererin sitzt wie erstarrt und rührt keinen Finger. Da handelt der alte Mann – ohne nachzudenken. Er schiebt sich vor den Bankräuber und versucht, ihm den Revolver zu entwinden. Im selben Moment löst sich ein Schuss. Die Kugel trifft den alten Mann mitten ins Herz; und er ist sofort tot.
Drei Tage später. Er steht im Himmel vor der Himmelspforte und ist arg verwundert. Das soll die Himmelspforte sein? So hat er sie sich aber nicht vorgestellt. Er dachte an ein großes, zweiflügeliges Tor aus schwerem Eichenholz mit massiven Verschlägen. Aber das, was er sieht, kann unmöglich das Himmelstor sein. Er steht vor einem kleinen verwitterten Türchen, so geschätzt 80 cm breit und 1,60m hoch. Das kann nicht das Himmelstor sein. Er blickt sich um, ob sich eventuell noch woanders ein Tor befindet. Mm, da ist weit und breit nichts anderes, außer diesem kleinen Türchen. Zaghaft klopft er daran. Und es geschieht – nichts. Er blickt sich noch einmal um und denkt: Das kann es ja nicht sein. Ich bin hier sicherlich falsch. Als er sich gerade abwenden will, sieht er auf dieser verwitterten Tür einen kleinen Klopfer, schon ein wenig angerostet. Fast sieht es so aus, als wolle dieser Klopfer jeden Moment abfallen. Er nimmt das angerostete Eisenteilchen in die Hand und schlägt damit kräftig zu. Es hallt überraschend laut. Auf der anderen Seite wird unwilliges Gemurmel laut und die Tür wird einen kleinen Spalt geöffnet. Petrus lugt hindurch und meint ungehalten: „Ich bin zwar schon ewig alt, aber noch lange nicht taub. Warum hämmerst du so an diese Türe?“ Der Greis begehrt Einlass. Daraufhin fragt Petrus ihn nach dem Namen, dem Todestag und der Todesart.
Im Hintergrund wird eine Stimme laut: „Ja, das ist in Ordnung. Dieser Mann darf rein.“
Petrus öffnet die Tür ein wenig weiter, so dass der alte Mann gebeugt hindurchschlüpfen kann. Dann steht er Petrus gegenüber und glaubt auch da, seinen Augen nicht trauen zu können. Der sieht gar nicht so aus, wie man ihn sich landläufig vorstellt. Denn er hat weder lange, graue und zottelige Haare, noch einen zotteligen Bart. Er ist auch nicht in ein weißes Gewand, das von einem goldenen oder silbernen Gürtel gehalten wird, gekleidet. An seinen Füßen trägt er auch keine Sandalen. Von einem Heiligenschein kann gar nicht die Rede sein.
Nein, vor ihm steht ein alter Mann, sicherlich. Allerdings sind seine Haare kurz geschnitten, modern frisiert und der Bart ist ein Drei-Tage-Bart. Gekleidet ist er mit einem modernen Anzug, darunter trägt er ein farbig passendes T-Shirt und an seinen Füßen sind Sneakers. Der alte Mann ist verwundert und glaubt zu träumen. Er träumt nicht. Petrus fährt ihn barsch an: „Setz dich da auf die Wolkenbank und warte, bis du eingewiesen wirst.“
Der Greis setzt sich hin und wartet. Vielleicht ist schon eine kleine Ewigkeit vergangen. Das weiß er allerdings nicht, denn im Himmel gibt es weder Zeit noch Uhren.
Ein junger Mann schlendert auf ihn zu. Er hat eine große Liste in der Hand und fragt ihn nach seinem Namen, seinem Todestag und seiner Todesart. Als er die Antwort bekommen hat, hakt er ab. Erst dann stellt er sich vor: „Ich bin der Erzengel Jonathan und habe die Aufgabe, Neuzugänge mit dem Himmelsgefüge vertraut zu machen.“ Der alte Mann ist abermals erstaunt, denn so hat er sich einen Engel nicht vorgestellt. Jonathan ist ein junger, smarter Mann, mit toll frisierten Haaren und einem pausbäckigen, freundlichen Gesicht. Er trägt lässige Freizeitkleidung und seine Füße stecken in Hallenturnschuhen.
Jonathan bittet den alten Mann um ungeteilte Aufmerksamkeit und legt los: „So, ich erkläre dir nun, wie es sich hier im Himmel verhält. Der Himmel besteht aus vier Ebenen. Die unterste Ebene ist für die Seelen derjenigen gedacht, die stets ein rechtschaffenes und anständiges Leben geführt haben. Sich nichts zuschulden kommen lassen und hin und wieder eine gute Tat begangen haben. Diese Ebene ist gut bevölkert, denn von diesen Seelen gibt es viele.
Auf der nächsten Ebene befinden sich die Seelen der klugen Köpfe. Als da wären Professoren, Gelehrte, Erfinder und Weltverbesserer, eben Menschen, die auf die ein oder andere Weise Gutes bewirkt haben. Davon gibt es allerdings nicht so viele, so dass noch gehörig Platz vorhanden ist.
Auf der Dritten Ebene findest du die Seelen der Reichen, na ja im Grunde genommen, der Superreichen. Allerdings haben diese Menschen auch Gutes getan. Sie haben auf diese Weise, Hungersnöte gelindert, Flüchtlingen ein Zuhause ermöglicht und bei Katastrophen mit Geld geholfen. Damit haben sie Schlimmeres verhindern können. Ansonsten haben sie sich wenig um ihre Mitmenschen gekümmert, sind unter sich geblieben und haben ihren Reichtum in vollen Zügen genossen. Aber immerhin, sie waren ja nicht ganz schlecht.
Auf der vierten und gleichzeitig höchsten Ebene befinden sich die Seelen der Politiker aus aller Welt, der Diktatoren, der Feldherren und Menschen, die eigentlich nichts Gutes getan haben. Im Gegenteil, sie waren der Menschheit Verderben und doch sitzen sie da an höchster Stelle. Nun wirst du dich zu Recht fragen, wie kann denn so etwas passieren? Die einfache und klare Antwort ist: Das weiß niemand.“
Jonathan blickt auf den alten Mann und zuckt mit den Schultern. Dann öffnet er das kleine Gatter am schiefen Zaun der untersten Ebene, weist dem Greis den Weg und meint: „Du wirst es sicherlich verstanden haben, dass deine Seele auf der untersten Ebene ihren Platz hat.“
Der alte Mann geht durch das Türchen und noch im Weggehen des Erzengels hört er wie dieser murmelt: „Sei froh, dass du dort hingehörst.“