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Klopfen an Türen
Kam er sie besuchen, so freute sie sich jedes Mal. Sie tranken zusammen Tee, sie lachten. Die Frau dachte über eine Zukunft im Gemeinsamen nach und schmunzelte selbst in der Bahn, wenn sie an seine Scherze dachte. Er war lustiger als andere, möglicherweise sogar lustiger als alle anderen, dachte sie zu sich selbst. Selbst die einfachsten Sätzen verzauberte er mit seiner Art der Betonung in kleine Kunstwerke der Komik. Und groß war er! Männer müssen groß sein und lustig sein, so ist das eben nun einmal. Allzu ernst sind sie alle. Wie wenig Männer überhaupt nur den Versuch wagen etwas Lustiges zu sagen. Männer sind und waren immer unlustig, er war es aber eben gerade nicht. Und wie groß er war! Nicht wie all die Männer, die nur knapp größer als sie waren. Überragen müssen sie sie doch! Überragen wie ein Baum das Buschlein.
Mit der Zeit wurden ihre Treffen zum Alltag. Selbst als sie in die Heimat fuhr, kam er nach, um sie dort zu besuchen. Dabei war dort in ihrer Heimat nicht einmal etwas Spannendes oder gar Sehenswertes.. „Mit dir ist jeder Ort voller Spannung!“, sagte er dann zu ihr. Sie war überrascht, aber auch entzückt, mit ihm hatte sie doch gar nicht gerechnet. Was für eine Spontanität, dachte sie sich. Nun konnte selbst seine Familie sehen, wie groß er doch war.
Erst fiel es ihr nicht auf, doch seine Besuche wurden häufiger. Wie beim Besuch in der Heimat freute sie sich zunächst noch über sein spontanes Auftreten. Wollte sie doch schließlich so viel Zeit mit ihm verbringen, wie es ihr nur möglich war. Ein Mann wie er! Interessiert an ihr! Was er nur in mir sieht, fragte sie sich manchmal zwischen all der Treffen. Sollte sie ihn auch einmal spontan besuchen? Sie versuchte es, mehrmals sogar, doch stieg sie in die Bahn, so stieg er als Überraschung an der nächsten Haltestelle ebenso ein. „Ich dachte, ich besuche dich mal in der Bahn!“, sagte er. Langsam fingen ihre Freunde an skeptisch zu werden, als sie von der Überzahl der Treffen hörten: Woher er überhaupt wusste, in welcher Bahn sie saß, fragte eine ihrer Freundinnen, als sie davon berichtete. Sie selbst zuckte die Achseln: „Er möchte wohl wirklich nicht, dass ich ihm zuvor komme mit der Überraschung. Einmal hatte ich probiert ohne irgendeine Planung einfach in eine beliebige Bahn zu springen. Ich war mir selbst nicht einmal sicher, ob sie zu ihm fahren würde. Und dann kam er plötzlich aus der Toilettentür im Zug, in der Hand hatte er einen Strauß Blumen für mich. Meine Lieblingsblumen sogar!“
An einem Abend besuchte er sie plötzlich vier Mal; kaum verabschiedet, kam er wieder bei ihr vorbei für einen Überraschungsbesuch. Eines Tages klopfte es an der Tür, während er sie besuchte, und er stand vor der Tür, während er noch am Tisch einen Tee trank. Plötzlich klopfte es aus dem Schrank und noch während sie ihren Besuch aus dem Schrank in die Wohnung herein bat, klopfte es bereits aus dem Ofen. “Wenigstens hat er jedes Mal ein neues Gastgeschenk dabei”, dachte sie sich, während sie sich am Kopf kratzte. Aus dem Ofen kam er dann aber doch nur mit großer Mühe heraus. Nie hätte sie gedacht, dass seine Größe in einer Situation ein Problem darstellen würde. „Hab ich´s doch geschafft“, sagte er triumphierend, als er aus dem Ofen heraustrat, mit Pralinenschachteln in beiden Händen. Sie schaute hinter ihn zum Ofen und merkte an „Das ist mir aber peinlich, der Ofen ist doch ganz schmutzig“.
Mit den Wochen wurden ihre Hände wund vom häufigen Öffnen aller Türen, an denen es irgendwann im Minutentakt klopfte. Langsam wurde ihr klar, dass es ihm nie um sie ging, es ging ihm immer nur um das Besuchen, um das Klopfen, um das Hereinkommen. Es artete regelrecht zu einer Sucht für ihn aus. Er war zudem unzufrieden damit, wie lange sie brauchte, um die Türen zu öffnen. Sie versuchte ihm zu verdeutlichen, dass sie auch schlafen und arbeiten musste und nicht immer nur ihn hereinbeten könnte. Er hatte hierfür jedoch wenig Verständnis: „Willst du mir etwa erklären, dass das alles bedeutsamer für dich ist als ich es für dich bin? Dass ich dir derart unwichtig bin, dass du nicht einmal das Duschen unterbrechen kannst, um mir die Tür zu öffnen?“, fragte er sie wütend, als er ihre Wohnung gerade durch die Terassentür betrat. Sein Argument war schlüssig, doch wurde es immer schwieriger für sie ihren Alltag mit seiner Frequenz der Besuche in Einklang zu bringen. Sie wurde nachlässiger mit dem Öffnen und begann sich zu fragen, ob er bei anderen Frauen klopfen würde, während sie auf Toilette war und er in der Zeit vier Mal versuchte sie zu besuchen. Hatte er überhaupt noch genug Zeit, um andere Menschen zu sehen? Die Möglichkeit alleine beschäftigte sie.
Wochen um Wochen vergingen und sie wurde immer erschöpfter. Die Türgriffe waren völlig abgenutzt. Sie wusste, dass er bald durch das Holz der Haustür durchklopfen würde, so viel Holz hatte sich mittlerweile schon abgelöst. Sie war müde von all den Überraschungsbesuchen und -geschenken, Geschenkpapier und Blumen türmten sich in ihrer Wohnung. Und dann fiel ihr auf, dass sie es nicht einmal mehr für überraschend hielt, wenn er vor der Tür stand.
Sie hatte genug von all dem: “Ihr Männer seid doch alle gleich!”, sagte sie und baute noch am selben Tag alle Türen in ihrer Wohnung aus, so dass niemals jemand wieder klopfen konnte.