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Kleine Leben

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23.03.2017
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Kleine Leben

Ein Wohnprojekt, in idyllischer Lage, Wohnraum gerade für sozial benachteiligte Bevölkerungsgruppen, hieß es beim Bau der Anlage, hochmodern, trotzdem zeitlos, wobei die Lage am Standpunkt des Betrachters hängt, von der Anlage aus gesehen ist die Lage idyllisch, von der Idylle aus gesehen nicht, modernes Design, acht Häuser, zwölf Stockwerke, dann eben auf die harte Tour,

denkt sich Walter, die Beine parallel, linke Schulter vorgeschoben, rechter Arm nach hinten, Oberkörper nach rechts aufgedreht, dann kräftiges Durschwingen des rechten Arms, der Stein fliegt gegen die flackernde Leuchtstofflampe im Eingangsbereich, Flackern, ein geringfügiger Mangel, der keine sofortige Behebung auf Kosten des Projektträgers notwendig macht, hat Walter gelesen, laut einer Statistik wird in mehr als einem Dutzend Ländern unregelmäßig flackernde Beleuchtung bei der verschärften Befragung von Gefangenen eingesetzt, hat Walter im Internet gelesen, im Internet,

mit dessen geringer Kapazität Mahmut versucht, zwischen stehenden Bildern Kontakt zu einem Bruder aufzubauen, der aus Kostengründen da geblieben ist, wo die anderen weg wollten, ein großflächiges Demonstrationsprojekt, Standort unbekannt, soll verschiedene 5G-Anwendungen präsentieren, die 5G-Musterstadt wird vom Bund mit bis zu zwei Millionen Euro gefördert, gefördert und gefordert

werden auch Joy und Andi aus den 1,5-Zimmer-Einheiten zwischen Stockwerk 3 und 5, in den Blocks 2-7, funktionale Parzellierung bietet erstaunlichen Wohnkomfort auf kleinem Raum, fast alles ist in irgendeiner Form klappbar, Andi ist kurz davor, eine Liga aufzusteigen, er muss nur seinen dünnen Vorsprung über die Nachspielzeit retten, Joy muss das auch, dann kommt sie pünktlich zu ihrer Qualifizierungsmaßnahme, ob mit oder ohne Zertifikat – nutzen Sie die beruflichen Chancen, die sich nach Ihrer Weiterbildung ergeben, überprüfen Sie aber unbedingt vor einer Qualifizierungsmaßnahme mit dem Job-Futuromaten, welche Tätigkeiten automatisiert werden könnten, automatisiert

wurde auch Walters Arbeitsplatz, jetzt macht er den Facility Manager für Block 1-4 und schreibt, nachdem er die Röhre ausgetauscht hat, wie immer einen ausführlichen Bericht über Vandalismus in seinen Blocks, ständig ist was, nicht nur der Träger habe Schuld, arme Leute seien nun einmal dumm, wir erleben häufig, dass Arme eine Teilschuld an den Missstände in ihren Vierteln trifft, nehmen sie die London riots, die Randalierer zerstörten ihre eigenen Viertel, sie fügten anderen Armen Leid zu, steckten Wohnhäuser in Brand, ruinierten Existenzen, heute ist eine Leuchtstoffröhre mit geringfügigem Mangel der sinnlosen Zerstörungswut von ein paar Halbwüchsigen zum Opfer gefallen, gestern hat einer in den Fahrradkeller von Block 2 geschissen, so fängt es an, angefangen

hat es mit einem Klingeln an der Wohnungstür, Ronni, an die Heizung gekettet, die Beine taub, schaut dorthin, wo eben noch ein neues Macbook stand, alles weg, das Gras, das Geld, die Playse, der Fernseher, das Macbook, seine Bachelorarbeit liegt, Gott sei Dank, auf einem Stick bei seiner Freundin, er hat nur ein paar Tage verloren, sein Zeitplan ist nicht in Gefahr, acht Wochen, den Scheiß zu Ende machen, dann ist er weg hier, weg von Pauline, ihrem Grundschullehrerinnengehabe, für den Master nach Berlin, Bewerbung läuft, Noten sehr gut, laut Motivationsschreiben interessiert ihn vor allem Unternehmensrecht, genauer: der Themenkomplex rechtlicher Fragen bei Konzernübernahmen , rechtliche Fragen

spielen auch bei einer anderen Übernahme eine Rolle, der Vater des Vaters der Braut nickt würdevoll, denkt sich, die Braut ist Arbeitskraft und zukünftige Mutter und hat als solche einen bestimmten Wert, entsprechend ihrer Schönheit, ihren Fähigkeiten und ihrer Ausbildung bezahlt die Familie des Bräutigams deshalb eine ausgehandelte Entschädigung an die Familie der Braut, hier ist man sich aber schon einig, der Brautpreis bezahlt, der stolze Vater des Bräutigams übernimmt die Kosten der Feier, das Brautpaar, seit Jahren ein Paar, beide berufstätig, bekommt, was es sich seit der Geburt des gemeinsamen Kindes gewünscht hat, geboren

hat auch Else in Wohneinheit B I.S9.A3, vier Kinder, bewehrter Beton ist der Konstruktionsbaustoff der Gegenwart, er ist vielseitig, bietet fast unbegrenzte Möglichkeiten der Formgebung und wird als Stahlbeton oder Spannbeton in nahezu allen Bereichen des Bauwesens verwendet, seiner Dauerhaftigkeit wurde in der Vergangenheit zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt, so fallen heute hohe Kosten für die Instandsetzung an, Else ist schon immer da, sie hat 12 Enkel, Grundsteinlegung und anfallenden Sanierungsbedarf kommen sehen, hinter der Theke steht sie normalerweise nicht, eigentlich ist sie Stammgast, heute hilft sie aus, weil Yanis im Bett liegt, im Bett

liegen auch Jana und Dirk, wobei Dirk eigentlich bei Susi liegen sollte und Jana bei Vasili, aber das hat es lang nicht mehr gegeben, so schaut man sich anderweitig um, das Zimmer hat neun Quadratmeter, ein Fenster in den Maßen 80 x 100, Doppelbett, regelmäßiges Quietschen im Raum, Vasili schaut von einem Foto aus zu, Oberkörper frei und braun gebrannt an einem spanischen Strand, zuschauen

muss auch Mike, wie Tarek ihm den Ball durch die Beine schiebt, der Junge hat´s drauf, drückt den Ball lässig über die Linie, wenn der so weitermacht, hat das Zeug zum Profi, der Coach klatscht wie ein Wilder, jetzt nicht nachlassen, Ball weg, ein kleiner Laufdrill, ein Großteil der heutigen Jugend leidet durch zu wenig Bewegung an erheblichen sensomotorischen Defiziten, die müssen fit sein, wenn es am Wochenende ernst wird, ernst

meint es Hamsa, er will einen größeren Teil, schließlich hat er die Kartoffel gefunden, die im Block Gras vertickt, ohne ihn kein Ding und ohne Ding kein Anteil, so einfach, statistisch gesehen, ist die Kriminalitätsrate solcher Problemviertel signifikant höher als in anderen Stadtgebieten, daran haben die sich entwickelnden Parallelgesellschaften die Hauptschuld, sagte kürzlich ein Kandidat für einen Stadtratsposten, für den Stadtrat

sind wir nur Müll, ruft Walter und knallt das Glas auf die Theke, dass es nur so spritzt, wenn Elses Blicke töten könnten, so wischt sie das Bier weg, grunzt, stellt ein frisches hin, einen Kurzen dazu, heute haben ein paar von den Kanakenkindern die Leuchtstoffröhre im Eingangsbereich demoliert, Walter ist in Fahrt gekommen, dann gibt er immer Trinkgeld, wenn er die erwischt, die

erwischen uns nie, Diggi, Hamsa klopft Vasili auf die Schulter, Vasili boxt Andi in den Oberarm, so wird das gemacht, rein, raus, gleich geht’s zu Else, dann ist Book of Ra angezeigt, die deutsche Automatenwirtschaft steht für das legale Spiel, Jugend-, Spieler- und Verbraucherschutz sind Kernanliegen des Dachverbandes, der Spitzenverbände und der darin organisierten mittelständischen, oft familiengeführten Unternehmen, Vasili hat ein gutes Gefühl, heute gibt er, bestimmt.

 

„Arr, di Arr, di Arrckitucktn -

jarr, di sünd tautul pfarrucktn.
Pauhn onz euburoll Quaduren,
vo se gurrnücht henngehuren.
Vn demm Hurrz büsz ze denn Ullpn
snd di Häusur steitz di sullpn.
Duch di Arrckitucktn tschumpfn:
Onzre Pauhörrn snd di Tumpfn!

Olle zullte mon kastruren,
düßße auff ze pauhin huren;
odur stott ünn rachtn Winkuln
se dönn pauhin, wi se pinkuln“,​
dichtete seinerzeit der starckdeutschen Sprache Matthias Koeppel (Fettdruck durch mich) (unter: http://www.matthiaskoeppel.de/arrck.htm) und wie ein bewegtes Gemälde dazu will mir Deine aktuelle Sozialkritik erscheinen,

lieber Blumenberg,

die mich formal ein wenig an meine „Einsatzgeschichte“ (die wie auf natürliche Weise zum Dreisatz aus Vor-, Einsatz- und Nachsatz wuchs) erinnert. Das ist gut gemacht und brav erzählt – aber, Du ahnst es vielleicht – sie will alles aufzeigen, zumindest auf alles ein Schlaglicht werfen und vergisst darüber, eine Kurzgeschichte zu werden. So bleibt es bestenfalls eine (dann aber ziemlich lang geratene) Einleitung über Joy und Andis Schicksal oder Walters Neigung zu einer Straftat oder Mahmuts vergebliche Kommunitkationsversuche - was ja alles möglich ist, selbst im gleichen Augenblick.

Trivialeres

denkt sich Walter und wirft mit einem gut gezielten Schwung einen Stein gegen die flackernde Leuchtstofflampe …
Kann ein Schwung „gezielt“ sein? Schon die Absicht hat ein Ziel, aber ist es nicht eher umgekehrt, dass der Wurf, nicht der Schwung gezielt erfolgt?

... Fragen bei einer feindlichen Übernahme , rechtliche Fragen
da versucht sich in Komma unrechtmäßig in der Mitte zu halten …

Hier wird‘s ein wenig Slapstick, wenn es heißt

..., vier Kinder, bewehrter Beton ist der Konstruktionsbaustoff der Gegenwart, …
Beton bewaffnet? Ja, vielleicht wehrt Beton was ab, aber Du meinst sicherlich seine „Bewährung“ als Baustoff seit römischer Zeit, adjektiviert „bewähren“

Hamsa klopft Vasili auf die Schulter, …
rechte oder linke? Besser „auf die Schultern“

Ich weiß, manchmal hat man solche Momente, alles in wenige Zeilen zu packen (ich neig dazu, immer auf das fehlende Recht auf Obdach hinzuweisen und vermute mal, dass es eher ein Recht auf Garage oder doch zumindest auf einen Pakplatz gibt und sei der auf Fahrradweg oder gar Bürgersteig. Freie Fahrt für freie Bürger und Platz für Dreckschleudern!

Wie dem auch sei, klingt jetzt paradox,

gern gelesen vom

Friedel

 
Zuletzt bearbeitet:

Hier wird‘s ein wenig Slapstick, wenn es heißt
..., vier Kinder, bewehrter Beton ist der Konstruktionsbaustoff der Gegenwart, …
Beton bewaffnet? Ja, vielleicht wehrt Beton was ab, aber Du meinst sicherlich seine „Bewährung“ als Baustoff seit römischer Zeit, adjektiviert „bewähren“
Schaut man sich den Satz genauer an, Friedel, wird schnell klar, dass Blumenberg sicherlich nicht „bewährter Beton“ meinte, sondern tatsächlich „bewehrter Beton“, im Sinne von mit Stahl bewehrt bzw. armiert bzw. kurz Stahlbeton.

(Was nicht heißen soll, dass es nicht auch einen bewährten bewehrten Beton geben kann, und dass ein Werkstofftechniker dann zum Beispiel die Qualität des Betons, des bewährten bewehrten, bewerten muss.)
:D

 

Hi @Blumenberg,

interessante Stimmung.

Der erste Satz irritiert mich etwas.

Gut finde ich, wie es sich wie eine Welle aufbaut in Bezug auf die Personen: Joy, Walter, Andi, Ronny

wobei die Lage am Standpunkt des Betrachters hängt, von der Anlage aus gesehen ist die Lage idyllisch,
=> Was meinst du hier, vielleicht "wobei die Lage von der Sichtweise des Betrachters abhängt"?

Generell finde ich das Thema und die Kulisse gut.

Viele Grüße

 

ich:
Hier wird‘s ein wenig Slapstick, wenn es heißt
..., vier Kinder, bewehrter Beton ist der Konstruktionsbaustoff der Gegenwart, …

Beton bewaffnet? Ja, vielleicht wehrt Beton was ab, aber Du meinst sicherlich seine „Bewährung“ als Baustoff seit römischer Zeit, adjektiviert „bewähren“

dazu @ernst offshore
Schaut man sich den Satz genauer an, Friedel, wird schnell klar, dass Blumenberg sicherlich nicht „bewährter Beton“ meinte, sondern tatsächlich „bewehrter Beton“, im Sinne von mit Stahl bewehrt bzw. armiert bzw. kurz Stahlbeton.

(Was nicht heißen soll, dass es nicht auch einen bewährten bewehrten Beton geben kann, und dass ein Werkstofftechniker dann zum Beispiel die Qualität des Betons, des bewährten bewehrten, bewerten muss.)


Stimmt,

lieber ernst,

da hätt‘ ich wenigstens Duden.de anklicken sollen (aber bei jedem Wort ...¿) oder die Werbung der Beton.org fürs mehdornige Stuttgart 21 … (getarnt als Bahnstrecke Stuttgart - Ulm). Aber so geht's wenn man noch Steinzeit und die alten Römer im Kopf hat ...

Auf jeden Fall – wieder was dazugelernt und den Sprachschatz auf 302 erhöht!

Gruß aus'm nieseligen Pott und vorm morgigen Kinderkarnevalszug graust mich schon!,

Friedel

 
Zuletzt bearbeitet:

Um auch noch was zu deinem Text zu sagen, Blumenberg:

Den fand ich richtig gut.
Jetzt haben sich mir zwar - nach mehrmaligem Lesen - noch immer nicht alle Handlungselemente zur Gänze erschlossen, ebenso wenig, wie ich sagen kann, ich hätte einen eindeutigen und zweifelsfreien Überblick über das Figurenensemble, bzw. über die Beziehungen der Figuren zueinander.
Was aber egal ist, glaube ich. Weil der Text das vermutlich gar nicht will. Dass die Bilder also dementsprechend unscharf und wackelig sein dürfen, sozusagen wie mit Handkamera aufgenommen. Ein Eindruck, den auch die scheinbare Willkürlichkeit der Szenenabfolge suggeriert.
Die Szenen sind nicht mehr als Schlaglichter gewissermaßen, als würde ich kurz vorm Bahnhof aus einem Zugfenster auf vorbeihuschende Stadtviertel blicken und mir dann über einzelne Bilder und Szenen, die sekundenkurz auftauchen, den Kopf zerbrechen, mir dieses dazu denken oder jenes. Und diese Gedanken und Assoziationen werden dann aber sofort wieder von den nächsten Eindrücken abgelöst. Und genau dieser zufälligen Bilderflut wirst du mit der sprachlichen Gestaltung gerecht, oder sagen wir, mit dem dramaturgischen Kunstgriff, die vielen Szenen nahtlos ineinander übergehen zu lassen - in diesem Fall tatsächlich wortwörtlich, weil ein Absatz den Erzähl-Staffelstab in Form eines Wortes oder einer Formulierung an den nächsten Absatz weitergibt. Was mir sehr gut gefällt und mich wiederum an Überblendungen in einem Film erinnert.
Wie überhaupt der Text für mich was beinahe Filmisches hat. Ein Episodenfilm in Zeitraffer quasi, um nicht zu sagen: Robert Altmans Short Cuts auf Benzedrin.

Ist wirklich toll zu lesen, das Ding. Respekt, Blumenberg.

offshore

 

Hallo euch allen,

wow so viel Betrieb in so kurzer Zeit und schon komme ich mit dem Antworten kaum mehr hinterher. Ich glaube es gehört sich, dass ich eure Anmerkungen in einer Antwort bündle.
Zunächst einmal Danke für die Anmerkungen, Kommentare, Meinungen zu diesem kleinen Stückchen, ich habe sie mit großem Interesse gelesen.

@ Lieber Khesse,

wobei die Lage am Standpunkt des Betrachters hängt, von der Anlage aus gesehen ist die Lage idyllisch,
=> Was meinst du hier, vielleicht "wobei die Lage von der Sichtweise des Betrachters abhängt"?
in diesem Zusammenhang meine ich tatsächlich den Standpunkt des Betrachters im wörtlichen Sinn, steht er in der Anlage sieht er die Idylle, steht er in der Idylle sieht er die (wenig idyllische) Anlage. Ich freue mich, dass die etwas bedrückende Stimmung herübergekommen zu sein scheint.

@Friedel,
Hallo mein Lieber, freut mich, dass auch nach längerer Abstinenz das Interesse an meinen Texten noch ungebrochen scheint. Ich habe hier eine etwas ungewöhnliche Hauptperson gewählt, nämlich den Block, das ist das zentrale und verbindende Element der einzelnen Szenen. Die Personen sind Bewohner der Anlage und die kurzen, wie Ernst feststellt, unscharfen Blicke auf ihre Leben, sollen dazu dienen, das komplexe Netz von Interaktionen fassbar zu machen, dass sich zwischen ihnen abspielt. Ein Eigenleben von Architektur gibt´s in meinen Augen nicht, sie erwacht immer erst durch die in ihnen lebenden und handelnden Menschen.
Besten Dank fürs Triviale, da schleicht sich doch unerhörter Weise immer noch der ein oder andere kleine Fehler ein.

@ernst offshore,
Lieber Ernst,
besten Dank für den sprachlichen Hinweis auf den Stahlbeton, da warst du etwas schneller als ich .Ich freue mich, dass dir der kurze Text gefallen hat, ich hatte schon die Befürchtung des ein bisschen übertrieben zu haben. Du hast ganz Recht damit, dass der Text eine Art flüchtiger Eindruck sein soll, bei dem durch einzelne Szenen ein verschwommenes, aber anschauliches Ganzes angedeutet werden soll, in dem sich die einzelnen Szenen als gemeinsamen Fixpunkt auf das Gebäude beziehen, in dem sich an manchen Stellen, die Leben der Bewohner überschneiden und kreuzen oder aneinander vorbeigehen. Ich habe dabei den Zeitraum eines Tages im Auge gehabt. (s.o.) Deine Umschreibung mit dem Episodenfilm, bzw. dein schönes Bild eines Blicks aus einem einfahrenden Zuges trifft das ziemlich gut.
Was die sprachliche Darstellung angeht, ging es mir darum, den Text möglichst rasant, wuselig und flüchtig zu gestalten, dazu dient auch die Aufweichung der Absätze, die einen Teil des Kommenden schon in den vorigen Absatz legt. Übrigens interessant, dass bis jetzt niemandem aufgefallen zu sein scheint, dass die Geschichte nur einen Punkt ganz am Ende enthält.

So, das war viel Text, zuviel Erklärung (ich hab mir sagen lassen, man solle sich immer in den Nimbus des Geheimnisvollen hüllen) und hoffentlich insgesamt eine halbwegs befriedigende Antwort auf eure Anmerkungen.

Blumenberg

 

Lieber Friedel,

jetzt habe ich eindlich Zeit gefunden deiner Einsatzgeschichte einen Besuch abzustatten und mich mal etwas über das in hohem Maße verwirrende Gedicht von Herrn Koeppel zu beugen. Das Auftauchen des Hinweises auf deinen Text würde ich weniger als Eigenwerbung werten, sondern vielmehr als Hinweis, auf eine stilistisch ähnliche Idee und ihre, in meinen Augen, äußerst lesenswerte Ausführung, die mit ihren elf Jahren ein für Onlinetexte wahrhaft biblisches Alter hat.

Das ist gut gemacht und brav erzählt – aber, Du ahnst es vielleicht – sie will alles aufzeigen, zumindest auf alles ein Schlaglicht werfen und vergisst darüber, eine Kurzgeschichte zu werden.

Hier beziehst du dich, nehme ich an, auch auf das Feedback zu deiner Geschichte, man habe es nicht Recht mit einer richtigen Geschichte zu tun. Ich hier habe ich eine etwas andere Meinung, ich finde es gelingt dir in dem Satz eine Geschichte zu erzählen, vor allem , da sie mit der gekoppelten Rahmenhandlung das Ergebnis der polzeilichen Untersuchung der beiden Komissare aus der Perspektive eines allwissenden Erzählers vorwegnimmt. In einer naturwissenschaftlich technischen Sprache wird der Ablauf des Dramas derselbe sein, den du rasant und bildhaft schilderst. Ich frage mich aber, ob bei meiner Geschichte der Fall nicht noch etwas anders gefasst ist. Ich habe es ja oben schon gesagt, die Idee war es das Haus über einzelne kleine Handlungsfetzen zu erschließen, die unmittelbar einsetzend und endend die Rahmenhandlung, den Ablauf eines Tages im Block, eher indirekt erschließen sollten.
"Alles zeigen" möchte der Text dagegen nicht, ich bin mir der vielen Leerstellen, die ja auch Ernst aufgefallen sind, durchaus bewusst und habe sie durch die Kürze des Textes noch einmal verstärkt. Ich empfinde ein solches Hochhaus als einen unübersichtlichen und wuseligen Ort, an dem sich durch die Dichte der Besiedlung eine nicht zu überschauende Zahl an Beziehungen ergibt, was ich über die sprunghaften Fokuswechsel und nur knappen Verknüpfungen der einzelnen Figuren miteinander zeigen wollte. Ob beides geklappt hat wird wohl jeder Leser für sich beurteilen müssen (das macht Feedback ja so spannend) und ich überlasse ihm auch letztelich gerne das formale Urteil den Text als Geschichte oder Nichtgeschichte aufgezufassen.

Eine gewisse Sozialkritik als Thema kann ich mir häufig nicht verkneifen, hoffe aber, dass hier die Schwelle ab der sowas nervt nicht überschritten wurde.

Noch einmal liebe Grüße

Blumenberg

 

Ich empfinde ein solches Hochhaus als einen unübersichtlichen und wuseligen Ort, an dem sich durch die Dichte der Besiedlung eine nicht zu überschauende Zahl an Beziehungen ergibt, was ich über die sprunghaften Fokuswechsel und nur knappen Verknüpfungen der einzelnen Figuren miteinander zeigen wollte.

Moin, Blumenberg,

Du sagst es, Hochhäuser sind "unübersichtliche und wuselige Orte", die sicherlich eine unübersichtliche Zahl von Beziehungen erzeugen könnten. Tatsächlich kommt's dabei auf die Offenheit der Bewohner gegenüber den Mitbewohnern an.Meine Eltern wohnten in ihren letzten Jahren in einer dieser Mietskasernen und kannten nicht mal alle direkten Nachbarn der gleichen Etage, auf der sie wohnten.

Es sind Orte möglicher Begegnung und zugleich realer Entfremdung, die m. E. durch Single-Haushalte heutigentags noch verstärkt wird ganz im Sinne und dem Wohle der Ökonomie.

Dank Dir fürs Vorbeischauen und die klugen Anmerkungen zu meinen Anfängen hierorts!

Bis bald

Friedel

 

Hallo ihr Lieben,

ich habe den Text an Hand eurer Rückmeldungen noch einmal gründlich überarbeitet und versucht, dem ein oder anderen Protagonisten etwas mehr Tiefe zu verleihen, wobei der Textumfang noch einmal zugenommen hat. Ich hoffe, das der Text dadurch nicht an Geschwindigkeit verloren hat und sich immer noch in den stilistischen Rahmen fügt.

Beste Grüß und noch einmal vielen Dank für die hilfreichen Kommentare

 
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„...
Akkadi hatte gelesen , dass das Babel-Syndrom durch eine Studie der
Investmentbank Dresdner Kleinwort Benson in Xiang Gang empirisch
belegt sei. Man glaubte, eine eindeutige Korrelation zwischen
Gigantomanie (Architekturrekorden) und nationalem UNHEIL
(Wirtschaftsabschwüngen) entdeckt zu haben.
Da musste Akkadi an O. denken, das er liebevoll Bab-ilim in seiner
Sprache nannte oder kürzer Babil, was ans Geplapperte um ihn herum
erinnerte.
Der Gärtner im Schrebergarten steht eher auf Troja.
...“ aus: Kadingirra oder Bab-ilim ist überall

Ein Eigenleben von Architektur gibt´s in meinen Augen nicht, sie erwacht immer erst durch die in ihnen lebenden und handelnden Menschen.
was durch ganze Geisterstädte infolge der Weltfinanzkrise und Immobilienblasen bis hinein nach China sich belegen lässt.

Diese Prämisse der vorherigen, kürzeren Version bleibt erhalten und die

... etwas ungewöhnliche Hauptperson ..., nämlich de[r] Block … ist das zentrale und verbindende Element der einzelnen Szenen
wird erweitert auf
[e]in Wohnprojekt, in idyllischer Lage … gerade für sozial benachteiligte Bevölkerungsgruppen, …, acht Häuser, zwölf Stockwerke, ...
,
das Personal ist nicht der „Bewohner“ - und sei‘s als statistische Größe , sondern eine große Zahl von Bewohnern (acht Häuser x zwölf Stockwerke x vier Wohneinheiten/Stockwerk x (unterstellte durchschnittliche) vier Bewohner/Wohneinheit, 1.536 Bewohner – quasi ein kleiner Stadtteil - auf engstem Raum, und alle unterscheiden sich von einander.
Natürlich ist „Walter“ nicht einfach Hausmeister im property managment, sondern stolzer „Facility Manager“ – ob die Bezahlung durch den Titel besser wird, frage er mal den Account Manager – Manager beide ohne avarage manager salery – und das (wahrscheinlich vom Eigentümer – egal, ob privat oder als juristischen Person* organisiert) und gewollter Verfall.

Aber warum,

lieber @Blumenberg,

denkt sich Walter,
oder wer auch immer – wie etwa auch
der Vater des Vaters der Braut
gleich mit? „Sich“ hebt allemal den Rückbezug hervor. Natürlich sprechen viele so, obwohl ein schlichtes „ich denke“ oder auch „Walter denkt“ wie auch der Großvater der Braut … genügte. Und – wenn es das so gibt und nicht nur eine Abstellkammer ist -
das Zimmer hat neun Quadratmeter,
drei Meter im Quadrat …?, bleibt einem die Spucke weg. Das Zimmer zur Einzelhaft ...

Einige Flusen sind aufzulesen, wie selbstverständlich zunächst bei „Walter“

..., Oberkörper nach rechts aufgedreht, dann kräftiges Dur[ch]schwingen des rechten Arms, …
und hier
..., jetzt macht er den Facility Manager für Block 1[...]-[...]4 und schreibt, nachdem …
sind Leerstellen zwischen Ziffern und "bis"-Zeichen einzurichten.

, Else ist schon immer da, sie hat 12 Enkel, …
Zahlen bis zwölf werden üblicherweise in lit. Texten ausgeschrieben (natürlich kann man auch die höheren Zahlen ausschreiben, aber ab 13 sind sie zusammengesetzt und mit jeder Stelle mehr steigt die Langeweile und das Risiko des Vertippers).

Kurz: Unsere kleine Stadt (nicht zu verwechseln mit Wilder's "Grover's Corners", "Our Town") soll schöner werden!, aber es darf nix kosten.

Wie schon zuvor will mir Deine aktuelle Sozialkritik wie ein bewegtes Gemälde erscheinen, das behutsam um einige Farbtupfer aus Schlaglichtern und Gedankensplittern erweitert wurde.

Gern gelesen vom

Friedel,
der noch ein schönes Wochenende wünscht

* Wobei die Genossenschaft das kuriose Verhältnis schafft, dass i. d. R. Mieter = Genosse = Miteigentümer ist, der zahlt denn auch nach Eigenwerbung der Wohnungsgenossenschaften keine Miete, sondern eine „Nutzungsgebühr“ (eigentlich Stoff für eine Satire, wenn das „Wohnprojekt“ genossenschaftlich organisiert wäre, dann bekäme die Aussage W.s

… ständig ist was, nicht nur der Träger habe Schuld, arme Leute seien nun einmal dumm, wir erleben häufig, dass Arme eine Teilschuld an den Missstände[n] in ihren Vierteln trifft, ...
eine ganz andere Dimension, der Genosse Miteigentümer/-bewohner trägt Mitschuld.

 

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