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Kleine Karos

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15.03.2008
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Kleine Karos

Hier hatten die Dinge ihre Ordnung. Die Fransen des Teppichs waren stets glatt gestrichen, jedes Möbel stand seit Jahrzehnten auf demselben Fleck. Wie die mit dem Messer verzierte Butter und der milchgefüllte Blümchenkrug im Kühlschrank. Auch Edgar hatte seine Plätze. Auf jedem der sechs Sitzarrangements war es ein anderer, je nachdem, welche Mahlzeit eingenommen wurde, ob Fest- oder Alltag war.
Aber überall saß er kerzengerade, das Haar ordentlich zur Seite gescheitelt, in den Hemden mit den kleinen Karos, die Frau Mutter so sehr an ihm liebte. Mit keinem Schmuck außer frischgeschruppten Händen und penibel geschnittenen Nägeln, sauberen Öhrchen und Rauscheengelwangen - vom Artigsein oder Gekniffenwerden. Denn Sauberkeit und Ordnung schmücken einen Jungen am besten – manchmal kniff sie tatsächlich seine Wange, wenn sie das sagte.
Eines Abends saßen Frau Mutter und der Alte nebeneinander auf der Couch, sie blätterte in einem Katalog für Kindermode, er guckte irgendwas mit Sport. Edgar saß weiter weg, vor dem Kamin, und baute an einer Burg aus kleinen Plastiksteinen. Trotzdem hörte er Frau Mutter sagen: "unser Junge würde auch ein tolles Modell abgeben."
Am nächsten Tag sah er selbst durch den Katalog und fand, dass Frau Mutter Recht hatte. Lauter kleine Jungs wie ich, dachte er. Hübsch, ordentlich, sauber. Er kratzte an einem Jungen, um zu sehen, was hinter der glänzenden Oberfläche war. Aber da war nur die nächste Seite mit demselben Jungen in anderen Anziehsachen. Er legte den Katalog zurück und baute weiter.

Edgar war Kronprinz und einziger Untertan. Seine manikürten Hände lagen vor den Mahlzeiten im gewünschten Abstand zum Teller, parallel, wie es sich gehörte, immer an derselben Stelle, die Handgelenke am Tischrand abgestützt, wenn er gerade keinen Bissen nahm, als würden sie dort magnetisch festgehalten. Frühstück, Mittag, Abendbrot. 8:30, 12:30, 17:30. Tagein, tagaus, jede Woche, jeden Monat, jedes Jahr. Allmahlzeitlich wurde er vom Alten über das Leben belehrt, während Frau Mutter die Exzellenz im Detail suchte. Nie ist etwas exzellent, alles ist verbesserungswürdig. Das äußerte sich im Herumzippeln an Hemdkragen und -ärmel, in dem millimeterweisen Verschieben des von Edgar aufgedeckten Bestecks und Geschirrs, oder der Korrektur seiner Gabel- oder Handhaltung. Sitz gerade! Halt die Gabel ordentlich! Krempel den Ärmel runter! Nimm die Ellbogen vom Tisch! Edgar stellte sich dann vor, einer der kleinen Plastikritter von seiner Burg zu sein, klappte sein Visier runter und zog in den Kampf gegen das fehlerhafte Detail.

später, Jahre

"Ich muss gehen", sagte Edgar beim Abendbrot, während der Alte über korrekte Lebensweise dozierte. Frau Mutter sekundierte mit Details und Zustimmung, warf ab und zu ein Stichwort in den Redefluss und aus den Augenwinkeln begehrliche Blicke auf Hemdkragen und Handhaltung. "Ich muss gehen", sagte er noch einmal.
"Wohin?", fragte Frau Mutter.
"Ich weiß nicht", log Edgar, "... um die Häuser."
"Du lügst", stellte der Alte fest. "Du willst zu den beiden. Dorthin gehst du nicht, die sind nicht der richtige Umgang für dich. Die sind verdreht."
"Ach Vater, red nicht so", sagte Frau Mutter und legte dem Alten eine Hand auf den Arm. Edgar stand auf, brachte sein Geschirr in die Küche und zog sich an. Er hörte einen Stuhl über das Parkett schubbern und sah bald die Füße des Alten am Rande des Sichtkreises auftauchen, während Edgar die Schnürsenkel band. "Du wirst nicht gehen", sagte der Alte, leise und fest.
"Ich bin sechzehn", antwortete Edgar und machte die zweite Schleife. "Und werde mich von dir nicht einsperren lassen."
"Sieh mich an und sag noch einmal, dass du nicht tun wirst, was ich sage", sagte der Alte. Edgar stand auf, ohne den Alten anzusehen, und drängte an ihm vorbei, der den schmalen Flur mit seinem kräftigen Altmännerkörper versperrte. Rempelte ihn ein kleines Stück zur Seite. Hart fasste der Alte Edgar an und hielt den schon halb Davongekommenen zurück. Edgar versuchte die Hand abzustreifen, aber sie war fest wie der Schraubstock, den der Alte manchmal spannte, wenn er in der Werkstatt war und etwas reparierte. Edgar versteifte sich, ballte unwillkürlich die Faust.
Schnelle Schritte flogen über Parkett, Teppich und Dielen. Frau Mutter kam und hielt den Alten an der Schulter. "Lass ihn", sagte sie begütigend, "er will bestimmt nur um die Häuser."
"Der weiß, wo er hin will. Der lügt doch", sagte der Alte, ließ aber los. Wortlos und ohne einen Blick zurück ging Edgar aus dem Haus.
Und schwor sich auf dem Weg, dass er es den beiden heimzahlen würde, die Jahre der Knechtschaft, diese hässliche Konstellation, zwei Alte gegen ihn, den Jungen, der zufällig ihr Kind war, in diesen toten Räumen, mit diesen engen Horizonten, wo die Minuten sich mitunter zu Stunden dehnten, seit sechzehn Jahren, er hasste sie, diesen Ort und dieses Leben, in das Frau Mutter ihn gepresst hatte. In eine Umgebung, die lebensfeindlich war, starr und voll kleinlicher Kontrolle und Rechthaberei.
Seine Freunde versuchten ihm an diesem Abend seinen Hass auszureden, wollten sie zur Wut erklären, die verrauchen werde, aber Edgar ließ sich nicht überzeugen. "Seit sechzehn Jahren", sagte er, "bin ich ihnen ausgeliefert in diesem Lebenskampf, der meine ganze Lebenszeit andauert, in der ich ständig beobachtet und korrigiert werde. Das ist Dressur, um mich gegen mich einzunehmen. Um dem, was ich sein könnte, mit ihrem Falschheitskorsett die Luft abzuschnüren. Ich werde es ihnen irgendwann heimzahlen."

später, Monate

"Du wirst mehr Aufgaben übernehmen müssen", sagte der Alte beim Abendbrot. "Unsere alten Herzen schaffen das einfach nicht mehr. Wir haben lange und hart gearbeitet, damit es dir gut geht und du in einem schönen und geordneten Haushalt aufwachsen kannst. Jetzt musst du etwas mehr für uns tun. Wir verlassen uns auf dich."
Zwei Herzinfarkte in einem halben Jahr, fair zwischen dem alten Ehepaar aufgeteilt. Das muss Liebe sein. Edgar war beide Male dabei gewesen und hatte einmal sogar den Krankenwagen rufen müssen, weil der Alte bei einem Geschäftsessen gewesen war. Er war wegen beider Infarkte in großer Furcht um die Leben des Alten und von der Frau Mutter gewesen, und hatte sich danach wie ein dressierter Affe gefühlt. Der im Moment, auf den es ankam, von seiner Wut alleingelassen worden war.
Edgar nickte. "Sag mir, was zu tun ist."
"Der Dachboden muss in Augenschein genommen werden", sagte der Alte. "Ich habe es sonst selbst getan, das weißt du, aber mit meinem halben Herz kann ich die Kisten nicht mehr heben. Sichte, was da ist, und erstelle Inhaltslisten. Die können wir dann mit den alten Listen abgleichen und prüfen, ob alles seine Richtigkeit hat."
Die Kisten. Fotos, Geschirr, Bücher, Schallplatten, Kleidung, Zeitungen. Alles thematisch geordnet und inventarisiert.
"Ja, mach ich", sagte Edgar. "Ordnung muss sein."
"Hat sich der ganze Ärger mit ihm vielleicht gelohnt", sagte der Alte. "Der Junge könnte doch zu etwas zu gebrauchen sein." Beide lächelten ihn an, milde und einig, wie er sie noch nie gesehen hatte, wenn es um ihn ging. Sein Magen zog sich zusammen.

später, Tage

"Kiste 212a, Zeitungen und Zeitschriften mit interessanten Artikeln Januar bis Mai 1996", las Edgar vom Aufkleber, warf einen Blick in die Kiste, und hakte sie auf seiner Liste ab. "Kiste 212b, Zeitungen und Zeitschriften mit interessanten Artikeln Juni bis Dezember 1996." Edgar kontrollierte gähnend den Inhalt und hakte auch diese Erinnerungskiste ab.
"Kiste 213, Geschenke von entfernten Verwandten, zum eventuellen Weiterverschenken. 1992 - 95" Edgar öffnete die nächste Kiste und schaute die Geschenke an: Ein steinhartes Lebkuchenherz, ein Räuchermännchen, eine Kuckucksuhr. Hakte alles ab. Den Knigge hielt er einen Moment in der Hand und überlegte, wer sich da einen Spaß erlaubt haben könnte. Lief unter Sachbuch. Abhaken.
Der Alte hatte noch drei Fotoalben verzeichnet, die fand Edgar rechts, unter der Kuckucksuhr. Dafür war in der Foto-Kiste wohl kein Platz mehr, dachte er und durchblätterte ein Album in dem schwachen Licht des Dachbodens.
Fotos vom Haus, Exemplare der Steinsammlung des Alten und Gestecke aus getrockneten Blumen der Frau Mutter. Der Alte mit Edgar auf dem Arm. Frau Mutter mit Edgar auf dem Arm. Der Alte mit Frau Mutter. Edgar. Frühling, Sommer, Herbst und Winter. Immer die gleichen Motive. Alle drei Monate wurde alles einmal abfotografiert. Er blätterte die anderen Alben durch.

Im dritten Album waren ein paar Motive von einem Sommertag vor vielen Jahren, an den die Erinnerung mit Kraft zurückkehrte. Edgar übte mit seinem Holzschwert fechten, während der Alte mit nacktem Oberkörper in der prallen Sonne stand und Baumaterial zusägte. Edgar blickte immer wieder vom Spiel auf; sah das Spiel der knotigen Muskeln, den verschwitzten Oberkörper, das entschlossene Gesicht des Alten.
Im Dämmerlicht, weit nach dem Abendbrot, wurde Edgar nach draußen geholt. Der Alte zeigte, was er für Edgar im Schweiße eines langen Nachmittags geschaffen hatte: Auf der alten Platane schien etwas im Dreivierteldunkel zu hocken, mit einem großen schwarzen Loch in der Mitte: Ein Baumhaus, erkannte Edgar beim zweiten Blick, zu dem eine Strickleiter führte.
Er stand skeptisch vor dem zusammengezimmerten Unterschlupf, dem man offensichtlich in den Rachen steigen sollte. Sagte leise "danke" zum Vater, ging vorsichtig näher und kletterte die Leiter hinauf. Am Eingang versprach er, ihm nie das Schwert in den Gaumen zu rammen, wenn er in seinem Maul sitzt. Dafür sollte es nichts weiter tun, als das Maul offen halten und die Zunge hängen lassen. Das Baumhaus erhob keine Einwände, wodurch der Handel für Edgar perfekt wurde. Beide Seiten hielten sich an die Abmachung und Edgar baute von da an seine Burgen im Mund des wohlwollenden Monsters mit der heraushängenden Zunge, wann immer es ging.

Mehr noch als die Fotos betrachtete Edgar das Licht und seine Reflektionen. Die Finger glitten über die Folie, fassten den Einband des Albums, streichelten den Albumrücken. Alles soll bewahrt bleiben, erinnerte er einen Spruch des Alten, und blickte über die Kisten.
Beim Drübergucken fühlte er dieses Archiv etwas bedeuten und für einen Moment schwindelte ihm. Edgar schloss die Augen, roch den Muff und ahnte auf einmal den Geist, der hinter dieser Bewahrungskampagne stand. Den blinden Glauben, das Leben müsste konserviert werden.
Und dann, auf einmal - die Erhebung im Albumrücken. Edgar tastete die Irritation ab. Eine minimale Veränderung der Haptik, ein kleines Plateau, von Glattheit eingegrenzt. Er drehte das Fotoalbum um und inspizierte den Rücken. Da war ein Teil aufgetrennt und mit Klebestreifen später wieder aufgeklebt worden, erkannte er beim genauen Hinsehen. Das passte ihm nicht auf diesen Erinnerungsfriedhof, diese kleine Unordnung war fremd. Faszinierend. Edgar puhlte das Versteck auf, klappte den so entstandenen Deckel um und sah – Fotos.
Frau Mutter in ihrem Lieblingskleid. Das Gewagte, wie der Alte einmal gesagt hatte. Kniekurz und mit großen roten Punkten auf weißem Grund. Das hatte sie zu Edgars Geburt geschenkt bekommen. "Mein Glückskleid!", hatte sie einmal gerufen. Dazu eine rote Schleife im Haar und rote Lackschuhe mit flachen Absätzen.
Frau Mutter tanzte eng mit einem Mann mit Oberlippenbart, den Edgar noch nie gesehen hatte. Küsste ihn auf einem anderen Bild. Nicht auf die Wange, sondern auf den Mund. Nicht zurückhaltend, sondern leidenschaftlich. Auf dem letzten Foto standen Frau Mutter und der Fremde Arm in Arm vor einem imposanten Gebäude, das Edgar bekannt vorkam. Durchnummeriert waren die Bilder und mit Daten versehen. Zum Beispiel dem Tag der Aufnahme: 22.2.1992. Er steckte die Bilder in sein Hemd, legte das Album zurück und machte weiter mit den Kisten 214 – 225.

In Kiste 219 waren die Terminkalender der beiden. Ordnung muss sein, dachte Edgar, und kontrollierte sie. Beim Alten fand er eine Geschäftsreise nach Polen vom 15. - 28.2.92 notiert. Frau Mutter war im selben Zeitraum verreist. Der Fremde hieß Tina, wie Frau Mutters weiche Handschrift behauptete, und das riesige Gebäude stand in einem Dorf namens Klein-Zuchow, wo Frau Mutter Reiten war.

selber Tag, abends

"Reichst du mir mal bitte die Tomaten?", fragte Frau Mutter. Edgar gab die Tomaten und sah zu, wie sie dünne Scheiben abschnitt. "Kann ich helfen?", fragte er. Sie schüttelte den Kopf. Es sei ausreichend, wenn er das Gemüse reiche. "Warst du eigentlich in Ungarn oder Bulgarien damals?", fragte er. "Ich bringe die beiden Länder gerne mal durcheinander." Etwas wie ein Schatten lief über Frau Mutters Gesicht. "Was soll ich denn dort gemacht haben?", fragte sie.
"Du hast doch mal erzählt, dass du dort Urlaub gemacht hast", behauptete Edgar. "Das muss kurz nach meiner Geburt gewesen sein."
"Blödsinn", sagte sie nach wenigen Momenten. "Ich war nur einmal allein im Urlaub. Bei einer Freundin, Reiten. Sonst waren Papa und du immer dabei. Wie kommst du überhaupt darauf?", fragte sie.
"Mir ist, als hättest du es vor ein paar Jahren mal nebenbei erwähnt", Edgar schien zu überlegen ,"und das fiel mir heute wieder ein, als ich die ganzen alten Kisten kontrolliert habe. Aber vielleicht täusche ich mich ja auch", ..., "hattest du nicht damals dein Lieblingskleid an, rote Punkte auf weißem Grund?"
Frau Mutter erbleichte. Schüttelte den Kopf und verlangte die Gurke. Edgar reichte sie und sagte, dass er etwas verwechselt haben müsse. Frau Mutter zerschnibbelte die Gurke in erstaunlicher Geschwindigkeit zu feinstmöglichen Scheiben. Dekorierte immer abwechselnd eine Tomaten- und eine Gurkenscheibe auf den Teller und herrschte Edgar an, dass er gefälligst mithelfen solle, nicht nur stehen und zusehen.

Am Abendbrottisch beobachtete Edgar verstohlen seine Eltern und überlegte, wie sich die Szene verändern würde, wenn er Mutter auf die bärtige Tina ansprechen würde, und, im nächsten Satz, aufs Reiten. "Gerade sitzen!", unterbrach die sein Gedankenspiel. Er straffte sich unwillkürlich, knirschte mit den Zähnen und tippte gegen die rechte Hemdtasche, in der die Bilder waren. Dann lächelte er, nickte ihr dankend zu, und aß weiter.

 

Hey Kubus,

und Willkommen in der Jugend :). Ich hab mich ja gefreut und dachte hey, wie schön. Aber sag mal, was ist aus dem spritzigen Kubus geworden, der mit dem schrägen Personal, das er normalerweise durch allerlei Abenteuer schickt? Da suchst Du Dir ausgerechnet für eine Jugendgeschichte so eine Langweilerfamilie aus. Ich meine Ausbruch und alles anders machen, Revolution gegen die Alten, klar, unbedingt ein Thema - aber die Auflösung: Mutti ist mal fremd gegangen und jetzt weiß ich was, Menno!
Also inhaltlich hat sie mich jetzt nicht begeistern können. Klar, schön geschrieben, die Karos finde ich übrigens toll - auch diese staubtrockene Atmosphäre bringst Du super rüber, dieses Tote in der Familie - vielleicht bringst Du sie nur eine Spur zu echt rüber ;).

Sonst so:

Auch Asta hatte seine Plätze. Auf jedem der sechs Sitzarrangements war es ein anderer, ...

Da Asta ein doch eher seltener Name ist, dachte ich, es ginge um einen Hund - und überlegte tatsächlich, wieso sitzt der gerade und hat gescheiteltes Haar :).

... die Frau Mutter so sehr an ihm liebte. Mit keinem Schmuck außer ...

Den Übergang finde ich jetzt nicht so glücklich.

Asta stellte sich dann vor, einer der kleinen Plastikritter von seiner Burg zu sein, klappte sein Visier runter und zog in den Kampf gegen das fehlerhafte Detail.

Ich hätte es ja schöner gefunden, wenn er gegen die Frau Mutter ins Feld ziehen würde, so stumm. Wäre auch ein toller Übergang. So schauts ja aus, als wolle er sooo perfekt sein, wie man es von ihm verlangt und welcher Junge möchte das schon?

... die Jahre der Knechtschaft, diese hässliche Konstellation, zwei Alte gegen ihn, den Jungen, der zufällig ihr Kind war, in diesen toten Räumen, mit diesen engen Horizonten, wo die Minuten sich mitunter zu Stunden dehnten, seit sechzehn Jahren, er hasste sie, diesen Ort und dieses Leben, in das Frau Mutter ihn gepresst hatte. In eine Umgebung, die lebensfeindlich war, starr und voll kleinlicher Kontrolle und Rechthaberei.
Seine Freunde versuchten ihm an diesem Abend seinen Hass auszureden, wollten sie zur Wut erklären, die verrauchen würde, aber Asta ließ sich nicht überzeugen. "Seit sechzehn Jahren", sagte er, "bin ich ihnen ausgeliefert in diesem Lebenskampf, der meine ganze Lebenszeit andauert, in der ich ständig beobachtet und korrigiert werde. Das ist Dressur, um mich gegen mich einzunehmen. Um dem, was ich sein könnte, mit ihrem Falschheitskorsett die Luft abzuschnüren. Ich werde es ihnen irgendwann heimzahlen."

Mag ich nicht. Ist mir zu ausformuliert, zu über, zu - ich weiß nicht, vielleicht hätte ich gerne ein wenig von seiner Wut gespürt, statt sie in Gedanken vergekaut zu bekommen. So einen Asta, der durch die Strassen hetzt, gegen Zäune donnert, eine Taube verscheucht - sowas halt.

"Du wirst mehr Aufgaben übernehmen müssen", sagte der Alte beim Abendbrot. "Unsere alten Herzen schaffen das einfach nicht mehr. Wir haben lange und hart gearbeitet, damit es dir gut geht und du in einem schönen und geordneten Haushalt aufwachsen kannst. Jetzt musst du etwas mehr für uns tun. Wir verlassen uns auf dich."

Okay, die beiden Alten sind schon speziell, aber das der Alte so redet, den hab ich mir nach der Flurszene etwas schroffer vorgestellt. Das wirkt arg bemüht auf mich.

... Sichte, was da ist, und erstelle Inhaltslisten. Die können wir dann mit den alten Listen abgleichen und prüfen, ob alles seine Richtigkeit hat."

:) das dagegen passt gut

"Ja, mach ich", sagte Asta. "Ordnung muss sein."

"Ordnung muss sein." - so sagt er das? Wut verflogen okay, aber gleich das Verhaßte als richtig und gut zu übernehmen, ohne den Nachtretesatz geht auch.

Also, ich hab das schon nicht ganz ungern gelesen, aber irgendwie wollt ich wohl was anderes :).

Lieben Gruß Fliege

 
Zuletzt bearbeitet:

Hi Fliege

und danke fürs Willkommenheißen in deiner Rubrik.:) Gib mir ein bisschen Zeit, dann schreib ich auch wieder was Spritziges. Dafür muss man ja im richtigen Flow sein, zur Zeit tragen mir die tellurischen Kräfte nur so Elterngeschichten zu, die will ich gerade nicht komisch darstellen. Es ging mir um Familienbande und die tyrannische Kraft, die sie haben können, die strenge Diszplin, die wieder in Mode zu kommen scheint.
Das ist ja so ein dominanter Erzähler, der den Hass in diesem kurzen Abschnitt betont, keinen Raum für bspw traurig sein oder andere Gefühle lässt, allein schon mit den Benennungen Frau Mutter und der Alte. Ich dachte der könnte den Leser zu einer proAsta-Haltung bewegen, vor allem in Hinsicht auf seinen Rachewunsch. Bis auf zwei Ausnahmen verhalten sich die Eltern dem Jungen nicht zugewandt, die Ausnahmen sollten helfen, Astas Wandel nachvollziehbar zu machen. Des ist ja meine Pointe, wenn man so sagen will. Ach je, das ist viel zu viel. Wer hat sich das bloß einfalln lassen? :hmm:
Und was du über den unbeholfen in den Text gestellten Absatz sagst, stimmt natürlich, so was darf man eigentlich nicht erzählen oder behaupten mit Erzählerstimme, das muss gezeigt werden. Ich hätte diesen Vorsatz: "Ich werde es ihnen heimzahlen." geschickter in den Text einflechten sollen. Denn das war wenigstens für mich das Wichtigste an der Geschichte, die Wandlung in seinem Charakter. Dass er seine Gelüste in dem Moment aufgibt, in dem er die Möglichkeit zur Rache hätte.

Da Asta ein doch eher seltener Name ist, dachte ich, es ginge um einen Hund - und überlegte tatsächlich, wieso sitzt der gerade und hat gescheiteltes Haar

Schöne Vorstellung. :D Ich werde ihn trotzdem anders nennen, ich nenne ihn Edgar.

Den Übergang finde ich jetzt nicht so glücklich.

Versteh ich nicht.

Ich hätte es ja schöner gefunden, wenn er gegen die Frau Mutter ins Feld ziehen würde, so stumm. Wäre auch ein toller Übergang. So schauts ja aus, als wolle er sooo perfekt sein, wie man es von ihm verlangt und welcher Junge möchte das schon?

Hm, da ist was dran. So habe ich das gar nicht gesehen.

Okay, die beiden Alten sind schon speziell, aber das der Alte so redet, den hab ich mir nach der Flurszene etwas schroffer vorgestellt. Das wirkt arg bemüht auf mich.

Aber das ist ja die Szene, ab der Edgars Eltern auf ihn angewiesen sind. Da ändert sich mit der Sachlage der Tonfall.

das dagegen passt gut

Danke, das mit den Erinnerungskisten im Oberstübchen erschien mir passend für den konservativen Geist, für die strenge Form, die möglichst keine Veränderungen will. Alles soll bewahrt werden und während man sich an die Sachen und Erinnerungen krallt, rinnen sie nur um so schneller durch die Hände.

"Ordnung muss sein." - so sagt er das? Wut verflogen okay, aber gleich das Verhaßte als richtig und gut zu übernehmen, ohne den Nachtretesatz geht auch.

Diese verhasste Wendung gibt ihm später die Legitimation, die Terminplaner zu durchstöbern.

Also, ich hab das schon nicht ganz ungern gelesen, aber irgendwie wollt ich wohl was anderes .

So bunt und mit viel sprudelndem Farbstoff?

Herzlichen Dank und Gruß!

Kubus

 

Hallo Kubus,

das ist jetzt schon die zweite kg hier in der Rubrik in recht kurzer Zeit, obwohl ich hier eigentlich kaum lese. (was für ein Satz, was für eine Info :schiel: )

Also ich habe es gern gelesen. Da stecken so viele schöne Beobachtungen drin, Kleinigkeiten, Feinheiten, die alle so herrlich erzählt sind, bildhaft. Das mag ich, Nostalgie mit Pfiff.
Wenn ich den Text strenger bewerten würde, dann könnte ich meinen, für diese Pointe ist das ganze Aufgebausche doch ein bisschen lahm. Also da wird die Kindheit, die Jugend des armen Kerls aufgerollt, auch dieser Sprung vom Untertan zum Rebell angesprochen und letztlich frage ich mich ein bisschen weswegen du das erzählst. Also weswegen ist das jetzt hier in dieser Geschichte drin. Lesen lässt es sich ja prima und da ich den Ton mag, gefällts mir auch. Aber da sehe ich den roten Faden nicht. So bleiben schöne Ideen in schöne Bilder gepackt. Auch schon eine Menge, aber da dürfte schon ein bisschen mehr als das sein ;)

grüßlichst
weltenläufer

 

Kann es gar nicht fassen,

lieber Kubus,

dass dieses kleine meisterliche Werk um die Familie eines 1992 geborenen gehen solle. Ähnlich könnte es auch dreißig und auch vierzig Jahre früher zugegangen sein, da aber noch mit Geschwistern … Zeitlos einfach die Geschichte von

Frau Mutter
(erinnert an die Misfits, die mal als verklemmte Kerle beim Spieleabend auftraten und Frau Jahnke immer von Frau Mutter ehrfürchtelte) und
dem Alten
, der immer mein "alter Herr" bleibt und wäre er schon wieder im großen Quark, vor allem aber
Edgar … Kronprinz und einziger Untertan,
der das Geheimnis seiner Frau Mutter kennt.
"Ach [Friedel], red nicht so", sagte Frau Mutter und legte dem Alten [Friedel] eine Hand auf den Arm ...

Und wieder kein Futter für die Kleinkrämerseele. Was glaubt man eigentlich, wofür ich mir diesen Balg halte? Aber nein, bissken doch noch:

Tagein, Tagaus, jede Woche, …
tagaus

Kann’s anders sein: warum – und ähnlich später nochmal -

Und schwor sich auf dem Weg, dass er es den beiden heimzahlen würde, die Jahre der Knechtschaft, …
Zuviel der „Würde“, reichte nicht schon Konj. I, also „werde“?

Ein Baumhaus, erkannte Edgar beim zweiten Blick, zu dem eine Strickleiter führte.
Unglücklich gestellt, obwohl nur ausgefuchste Teufelskerle wie der Alte und noch eher Frau Mutter auf den Gedanken einer Strickleiter zum zwoten Blick konstruieren können …

Schöne ironische Jugendgeschichte!

Allmahlzeitlich
!
und
Zwei Herzinfarkte in einem halben Jahr, fair zwischen dem alten Ehepaar aufgeteilt
Ist nicht geteiltes Leid verdoppeltes?

Gern gelesen

Gruß & schönes Wochenende vom

Friedel

 
Zuletzt bearbeitet:

Moin Friedel!

Ich habe Handys und Computer und andere Signale für zeitgenössische Geschichten ausgespart und mich auf das für die Geschichte wesentliche konzentriert. Hoffe ich. :D Zeitlos sind Konflikt und Motiv, konservative Haltung vs rebellischem James Dean usw. Ist ja bekannt. Aber unter anderem durch Amy Chua und Bernhard Bueb ist das Thema in den letzten Jahren wieder verstärkt in den Blickpunkt geraten.

Zuviel der „Würde“, reichte nicht schon Konj. I, also „werde“?

Die Frage verstehe ich mal als rhetorische und dich als meinen Konjunktiv-Priester. Ich glaube das einfach mal ohne drüber nachzudenken. Ist ja eh fast Sonntag.

Danke für das viele Lob. Schreibe ich so gut mittlerweile oder wirst du etwa altersmilde? :)

PS: Ach ja, bevor ichs vergesse:

"Ach [Friedel], red nicht so", sagte Frau Mutter (Amy Chua) und legte dem Alten [Friedel] eine Hand auf den Arm ...

Watt meinst? ;)

Hey weltenläufer!

Okay, nehmen wir mal an, du hättest diesen Text strenger bewertet: Also ich finde es unbedingt nötig, dass eine Geschichte mehr enthält als schöne Bilder und Sätze. Ich will doch kein Schönwetterschreiber sein. Dafür lohnt der Aufwand nicht. Also mein Anliegen, was ich erzählen wollte vor allem: Das ist seine Wandlung, vom Hass zum ? . Dass er in dem Moment, in dem er seine Rache kriegen könnte, sich dagegen entscheidet. Ich meine das ist so ein Moment der Entscheidung, den inneren Vorgang dabei kann man nicht darstellen, behaupte ich mal. Aber ich habe versucht Äußerlichkeiten zu zeigen, die dafür sorgen können, dass ein Blickwinkel geändert wird. Und vielen Dank für die hübschen Worte, die du für den Text gefunden hast. Hat mich gefreut.

Grüße
Kubus

 

Huhu Kubus,

wie schön, dass ich mir, nach meiner langen Abwesenheit, gerade deine Geschichte rausgesucht hab. Hat sich gelohnt.
Deine Art zu schreiben empfinde ich als sehr annehm und vor allem passend zur Geschichte.
Einige mMn sehr schöne Formulierungen und Beobachtungen.

Das Ende ... nun ja, direkt nach dem Lesen dachte ich mir auch "Hm, so viel Wind für so wenig Ende?". Aber beim zweiten Nachdenken finde ich das Ende sehr passend.
Wobei ich nicht mal unbedingt einen Wandel in seinem Charakter sehen würde. Sondern eher die Erkenntnis, dass er nun auch ein "Druckmittel" gegen zumindest ein Elternteil hat. Er hat seine ganze Kindheit nur Druck zur Perfektion und Ordnung von seinen Eltern erfahren. Und mit diesen Fotos gerät er ebenfalls in eine Position, von der aus der (auf die Mutter) Druck ausüben kann.
Eher die Wandlung von dem reinen Wunsch nach Rache zu einem abwartenden, überlegten Rachezug oder Gegenschlag. Oder er ist schon zufrieden, dass er könnte, wenn er wollte ;)

Hat mir alles in allem doch sehr gut gefallen!

 

Salut moonshadow

Freut mich, dass mein Text keine Enttäuschung für einen erfahrenen Leser war! Wandel in seinem Charakter war daneben gegriffen, denk ich auch jetzt - ich meine eher die Veränderung seiner Perspektive oder einer inneren Einstellung.

Er hat seine ganze Kindheit nur Druck zur Perfektion und Ordnung von seinen Eltern erfahren. Und mit diesen Fotos gerät er ebenfalls in eine Position, von der aus der (auf die Mutter) Druck ausüben kann.

Jo, das unterschriebe ich. Wenn ich den Faden weiterspinne, sehe ich auch die Möglichkeit, dass er abwartet, um seine Rache geschickter in die Wege zu leiten. Oder ihm reicht es, die Eltern in ihrer Fehlbarkeit und Schwäche erlebt zu haben, um sich von dem jugendlichen Rachewunsch zu emanzipieren. Ob der blinde Hass gegen die Vernunft siegt? Fortsetzung ..... ;)

Kubus

 

Moin Kubus,

hehe, genau diese Gedanken hatte ich dann auch noch. Spielraum ist ja ausreichend da ;)

Sowas finde ich richtig gut an Geschichten: Wenn sie einen nach dem Lesen noch beschäftigen und es keine klar ersichtliche Richtung gibt, in die sich die geschichte weiter entwickeln würde, sondern mehrere Möglickeiten.

Hat SPaß gemacht, auch 1-2 Tage nach dem Lesen ;)


Viele Grüße

 

Hey Kubus,

Mir hats gut gefallen. Du zeigst viel Liebe zum Detail, machst die Personen greifbar und das Ganze endet mit einem Machtwechsel. Gut!

Dass die Mutter dieses Foto aufgehoben hat, verstehe ich allerdings nicht. Wer würde das schon machen? Und wenn, dann doch wohl nicht in einer Kiste, deren Inhalt regelmäßig überprüft wird.
Zwischenzeitlich hat mir das Tempo ein wenig gefehlt und ich fragte mich, ob die Sprache nicht zu weit weg von der Zielgruppe ist ... Ich finde, dass die Geschichte eher was für geübte Leser ist. Mein Eindruck.

Handwerklich, Stilistisch etc. kann man dir nichts vorwerfen und deine Beobachtungsgabe hast du auch diesmal nicht vernachlässigt.
Mir gefällt auch das offene Ende und ich stelle fest, dass es sich immer lohnt, eine Kubusgeschichte zu lesen. Man wird nicht enttäuscht und meistens überrascht.

Bis zum nächsten mal

Herrlollek

 

Jau Herrlollek, bin froh dass du das ansprichst: Das "Versteck" ist echt Mist, dacht ich während des Schreibens auch, aber ich hatte auf die Schnelle nichts Besseres am Start, da hab ich das so gelassen. Mit der von Fliege bemängelten Stelle mit dem Vorgekauten sind das die beiden Hauptschwächen hier, mE.

Und mit der Zielgruppe, ja, für Jugendliche ist das wahrscheinlich echt nix, im Nachhinein in der Rubrikbeschreibung las ich: Dass es ja für Jugendliche sein sollte. Kategorien und Kubus, eine Geschichte voller Missverständnisse -

Mir gefällt auch das offene Ende und ich stelle fest, dass es sich immer lohnt, eine Kubusgeschichte zu lesen. Man wird nicht enttäuscht und meistens überrascht.

Gut ....... gut!

He Regenbogenschwarz

Sowas finde ich richtig gut an Geschichten: Wenn sie einen nach dem Lesen noch beschäftigen und es keine klar ersichtliche Richtung gibt, in die sich die geschichte weiter entwickeln würde, sondern mehrere Möglickeiten.

Ich hab das mit den offenen Enden bei andern KGlern gelesen und es dann selbst bei den letzten Geschichten versucht. Fand ich erstaunlich viel Aufwand, diesen Schlussabsatz zu schreiben - aber scheint sich ja gelohnt zu haben. Das freut mich!

Grüße! - bis

Kubus

 

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