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Kleine, kalte Stiche auf glühendem Rot.

Cox

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08.12.2010
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Kleine, kalte Stiche auf glühendem Rot.

Es wäre vielleicht auch anders gegangen. Wer weiß das schon? Noch ein Gespräch vielleicht, nochmal es versuchen… Doch nein. Zu lange schon hatte sie sich eingeredet, dass sie es könnte: es aushalten, herunterschlucken, stillhalten. Jetzt nicht mehr. Sie blickte auf ihre Koffer. Jetzt bin ich frei. Sie atmete tief durch, atmete ein Gefühl ein, das sie fast schon vergessenen hatte: Leichtigkeit, die ihr die Zukunft so weiß wie der Schnee um sie herum erscheinen ließ.
Nein, sie hatte keine Ahnung, wohin sie jetzt gehen sollte. Der Riemen ihrer Tasche schnitt ihr in den Arm, aber sie blieb stehen. Unbeweglich diesen Moment auskostend, einfach hier zu stehen und nicht zu wissen, was sie als nächstes tun sollte. War das nicht gerade einfach wundervoll? Sie gluckste innerlich. 19 Jahre ihres Lebens hatte sie immer gewusst, was zu tun war, immer gewusst, was von ihr erwartet wurde, wie sie sich entscheiden sollte. Und jetzt? Jetzt gab es niemanden außer dieser kleinen Stimme in ihrem Kopf, die ihr immer und immer wieder zuflüsterte: Du bist frei!

Ein Bus rollte an ihr vorbei, spritzte schmierig braunen Schnee auf und hielt ein paar Meter weiter an. Gablenberg. Hm, sollte sie zu Tine gehen? Wahrscheinlich war die ohnehin gerade bei der Arbeit. Tine würde sie verstehen, ja, aber Tine wohnte zu nah. Weiter, weiter weg wäre besser. Und besser auch, wenn sie dort niemand kannte. Denn so bald hatte sie nicht vor ihm wieder zu begegnen. Irgendwann vielleicht. Wer weiß. Aber so bald nicht.
Sie fühlte nach dem Zettel in ihrer rechten Jackentasche. Da stand es – blau auf weiß. Und wenn es doch da stand, dann würde sie sich daran festhalten. Klar, ein Papier ist nur ein Papier und Worte sind nur Worte. Aber solange sie doch da standen, solange sie da so festgeklebt waren, solange konnten sie doch nicht wegfliegen wie der Wind...

Ihr Arm begann zu pochen. Sie hängte sich die Tasche an ihren anderen Arm und blieb stehen. Wie es Mama wohl gehen würde, wenn sie den Brief fand? Darüber durfte sie nicht nachdenken. Mama wird es verstehen. Mama weiß doch am besten, wie es ist, so zu leben.
Aber im Stich gelassen hab ich sie doch…
Wieder rollte ein Bus heran. Der Wind peitschte den Schnee von seinem Dach und rieselte ihn auf sie nieder. Kleine, kalte Stiche auf glühendem Rot. Sie wischte sich über das Gesicht und blickte auf ihre Koffer. Frei, hm? Ja, wenn diese Gedanken sie in Ruhe lassen würden, dann vielleicht. Aber so? Sie schüttelte sich und starrte wieder auf die Straße.
Das hatte sie noch nie gut gekonnt. Aufzubegehren. Tun, was sie wollte. Doch wieso stand sie dann hier, wenn ihr doch der Mut fehlte, es endlich zu wagen? Sie umklammerte das Papier fester.
Du musst es tun. Du musst. Jetzt oder nie, Layla. Komm schon! Trau dich! Bis hier her hast du es geschafft, bis hier her schon an der Freiheit geschnüffelt. Willst du ihr den Rest deines Lebens nachhecheln?
Und wieder schlidderte ein Bus heran. Die Finger in ihrer Tasche umkrallten die Worte. Sie atmete heftig. Zitterte, blieb stehen. Erst als die Türen sich schlossen, riss sie ihre Hand aus der Tasche und schrie: Halt! Ich will doch mit!

 

Hallo Cox und herzlich willkommen hier!

Also, da ist eine junge Frau, die vor einem Mann flüchten will und dabei ihre Mutter im Stich lässt, wenn ich's richtig verstanden habe. Ich weiß nicht, was das für ein Zettel ist, den sie in der Tasche hat und was drauf steht, da fehlt mir ein weiterer Anhaltspunkt.
Schon ganz gut geschrieben, ein paar Sachen könnte man noch besser machen (in meinen Augen). Meine Anmerkungen:

Noch ein Gespräch vielleicht, nochmal es versuchen…
vielleicht, es nochmal

Sie atmete tief durch, atmete ein Gefühl ein, das sie fast schon vergessenen hatte
Doppelung. Wie wär's z.B. mit Sie atmete tief durch, nahm ein Gefühl auf, das sie fast schon vergesen hatte. Oder so...

Denn so bald hatte sie nicht vor ihm wieder zu begegnen.
vor, ihm

Sie fühlte nach dem Zettel in ihrer rechten Jackentasche.
Fühlen heißt für mich eher empfinden, wie wäre es mit Sie tastete...?

Ihr Arm begann zu pochen. Sie hängte sich die Tasche an ihren anderen Arm
Wieder Doppelung. Vielleicht "auf die andere Seite" oder so?

Das hatte sie noch nie gut gekonnt. Aufzubegehren.
Aufbegehren. Denn das "Das" bezieht sich auf dieses Wort und so wie es da steht, ist es kein Nomen.

Bis hier her hast du es geschafft, bis hier her schon an der Freiheit geschnüffelt.
2x hierher (Eleganter fände ich: "von der Freiheit gekostet" oder so)

Halt! Ich will doch mit!
Anführungszeichen.

Ja, also, hat mir gefallen.
Aber was steht auf dem Zettel? ;)

Viele Grüße,
Maeuser

 

Hey Cox,

und Willkommen bei Kg.de.

Sprachlich hat mir Dein kleiner Text, bis auf wenige Ausnahmen, sehr gut gefallen. Inhaltlich konnte er mich nicht befriedigen, weil ich das mit dem Brief nicht begreifen konnte. Ich denke, es geht um ein Mädchen, dass aus dem Elternhaus flüchtet? Oder aus der Stadt? Will sie von den Eltern weg, oder ist der Brief von einem Freund/Ex, weswegen sie weit weg will? Ich bekomme das nicht entziffert. Da fehlt es mir an Information.
Die Aufbruchstimmung dagegen hast Du gut eingefangen. Dieses, hey Welt hier bin ich, in der man sich dann doch schnell wieder verloren fühlt, einen Ängste und Sorgen begleiten, denen man sich stellen muss. Diese Ambivalenz des Erwachsenwerdens finde ich gut herausgearbeitet.


Sie atmete tief durch, atmete ein Gefühl ein, das sie fast schon vergessenen hatte: Leichtigkeit, die ihr die Zukunft so weiß wie der Schnee um sie herum erscheinen ließ.

Dieser Satz will mir irgendwie nicht stimmen.
Sie atmete tief durch, atmete ein Gefühl ein, das sie fast schon vergessenen hatte: Leichtigkeit. Die Zukunft erschien ihr so weiß und leicht, wie der Schnee, der sie umgab.

Jetzt gab es niemanden(Komma) außer dieser kleinen Stimme in ihrem Kopf, die ihr immer und immer wieder zuflüsterte: Du bist frei!

Denn so bald hatte sie nicht vor ihm wieder zu begegnen.

Wer ist 'ihm'?

Da stand es – blau auf weiß. Und wenn es doch da stand, dann würde sie sich daran festhalten. Klar, ein Papier ist nur ein Papier und Worte sind nur Worte. Aber solange sie doch da standen, solange sie da so festgeklebt waren, solange konnten sie doch nicht wegfliegen wie der Wind...

Die Worte jetzt, oder was? Die sollen nicht wegfliegen können? Das hier habe ich nicht begriffen tut mir leid.
Erst ist es wichtig, dass sie frei ist, dass sie wen nicht wiedersehen will/muss und nun hat sie irgendein Papier mit Worten in der Hand, die möglichst lange bei ihr bleiben sollen, die sie festhält. Wer hat sie geschrieben - 'er' ja dann sicher nicht, oder?
Ich bekomme das nicht zusammen. Sorry.

Ihr Arm begann zu pochen. Sie hängte sich die Tasche an ihren anderen Arm und blieb stehen.

Das ist sprachlich weniger gelungen, wegen der Wortwiederholung. So was wirkt oft sehr bemüht. Als würden dem Autoren die Worte ausgehen. Und wie hängt man eine Tasche an einen Arm? Mal so als Bild gedacht ;).

So viel von mir. Ich wünsche Dir hier viel Spaß.

Beste Grüße Fliege

 

Danke

Hallo!
Vielen Dank für die Rückmeldungen. Ehrlich gesagt freue ich mich sehr darüber, weil sie zeigen, dass meine Absicht mit diesem Text voll aufgegangen ist. Ich wollte genau das: mehr Fragen aufwerfen, als Antworten geben. Deshalb diese spärlichen Hinweise nur mit "ihm", der Mutter und dem Zettel, auf dem irgendwelche Worte stehen.

Ich studiere momentan auf Lehramt (u.a. Deutsch - irgendwie logisch) und ich wollte eine Geschichte schreiben, über die sich diskutieren lässt. Wo ich die Schüler fragen kann: "Was denkt ihr, was auf diesem Zettel steht?"
Klar, ich selbst weiß natürlich, was ich mir dabei gedacht habe, was da drauf steht, aber ich bin überhaupt nicht dazu bereit, das zu verraten, weil es die Chance kaputt machen würde, dass 10 verschiedene Leute 15 unterschiedliche Ideen entwickeln, was für Worte darauf stehen könnten. Das finde ich einfach spannend. Insofern: Sorry, ihr müsst eure eigenen Theorien dazu aufstellen...

Genauso das Rätseln darüber, vor wem sie weg läuft, wobei das durch den Hinweis auf die Mutter etwas einfacher sein sollte (--> Vater) und man auch noch in die Richtung interpretieren könnte, dass sie aus seiner Familie mit Migrationshintergrund kommt (wo es evtl. Probleme kultureller / religiöser Art gibt), da ihr Name ja "Layla" ist. Das ist - soweit ich nicht falsch informiert bin - ein arabischer Name (bedeutet so viel wie "schön wie die Nacht", was ja auch irgendwie etwas Geheimnisvolles an sich hat).

Ja, das mit den Doppelungen hab ich noch ziemlich drin in meinem "Schreibgebrauch". Werd die Verbesserungsvorschläge bei Gelegenheit mal einarbeiten.

Grüße! Cox

 

Hallo Cox,

ich nochmal ...

Ich wollte genau das: mehr Fragen aufwerfen, als Antworten geben.

Das ist deprimierend für den Leser. Man sollte da schon unterscheiden, ob der Text einfach nur ein Rätsel sein will, auf dass es beliebig viele Antworten gibt, oder ob er vielleicht zum diskutieren anregt, weil man sich dazu Gedanken macht und eine entgegengesetzte Haltung einnimmt.

Wo ich die Schüler fragen kann: "Was denkt ihr, was auf diesem Zettel steht?"

Das ist genauso eine Frage, wie - "Was glaubt ihr, was es morgen zum Mittag gibt?"
Wer hat den Lust, auf eine solche Frage eine Antwort zu suchen. Ich würde da ganz schnell sagen, "was zu Essen halt". Also, ich mach mir doch erst gar nicht die Mühe, nach der Antwort zu suchen. Wozu auch? Alles und Nix wäre möglich. Man verliert sich in Spekulationen, aber nicht in Diskussionen. Kleiner, feiner Unterschied ;).

Wenn ich wüsste, was drauf steht, dann kann ich darüber diskutieren, ob ich ihre Reaktion als angemessen empfinde, oder ob da im Vorfeld schon eine Menge geschehen ist, was die Protagonistin treibt ... da käme so was eine Diskussion zu Stande und keine Aufzählung von Möglichkeiten, derer es hier zu viele gibt.

Meine Meinung. Du fändest es spannend, dieses beliebige rumgerate. Ist es in der Tat, aber auch nur für Dich. Nicht für die Schüler.

Besten Gruß Fliege

 

Hallo Fliege,
hm, wenn du das so sehen möchtest, ist das dein gutes Recht. Ich bin da anderer Meinung, die vermutlich daher rührt, dass ich beim Schreiben immer im Hinterkopf hatte, dass ich eine Geschichte für den Deutschunterricht schreiben möchte. Das ist ein relativ enger Fokus.

Ich konnte es als Schülerin nie leiden, wenn von mir verlangt wurde, eine Geschichte zu interpretieren, in der sowieso schon alles gesagt ist und es deshalb auch immer nur "richtig" oder "falsch" gibt. Dass es aber oft viele "richtige" Lösungen geben kann, wird dabei völlig unter den Tisch fallen gelassen und Schüler tendieren dann leicht dazu, beim Schreiben mehr daran zu denken, was der Lehrer (vermeintlich) will, und nicht, was sie selbst hier - mit ihrem eigenen Erfahrungshintergrund - (hinein)lesen.

Ja, vielleicht wäre es "leichter" für Schüler, wenn man ihnen mehr Anhaltspunkte geben würde. Aber Kreativität und ein eigenständiges Weiterdenken wird dadurch nicht gefördert.

Der Text lässt einem meiner Meinung nach viele Möglichkeiten der Aufgabenstellung: Man kann die Schüler eine "Vorgeschichte" verfassen lassen, die erklären soll, weshalb Layla wegläuft; man kann sie selbst den "Zettel" schreiben lassen, wie sie ihn interpretieren; oder man kann sie einen erweiterten inneren Monolog verfassen lassen, der auf die Rolle der Gewissensbisse ("kleine, kalte Stiche") stärker eingeht. Ich kann mir sogar eine Erörterungsaufgabe vorstellen, die mit dem Abwägen "gehen - bleiben" spielt. uvm.
Je mehr man aber davon vorgibt, desto wahrscheinlicher ist es, dass man - egal, was für eine Aufgabe man stellt - nachher 30 fast gleichlautende Aufsätze erhält. Das fände ich persönlich zwar leichter zu korrigieren, aber auch viel langweiliger.

 
Zuletzt bearbeitet:

Ich denke, das sind einfach unterschiedliche Zielgruppen, Schüler und Leser in diesem Forum. Ich verstehe deine Position, Cox, und denke, das könnte funktionieren (kommt auch darauf an, wie alt die Schüler sind, über die wir reden, welche Schulform und Klasse), stimme als Forumsleser aber eher Fliege zu.
Die Leser in diesem Forum erwarten wohl nicht in dem Maße, dass sie sich interpretatorisch und arbeits- sowie zeitaufwändig mit der Geschichte befassen sollen, wie Schüler es mit einer geeigneten Aufgabenstellung tun würden.
Von daher finde ich beide Standpunkte verständlich..

 

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