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Kleine Hand in großer Hand

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22.07.2002
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Kleine Hand in großer Hand

Die Leute mögen mich nicht. Warum? Ich weiß es nicht, sie tun so, als sei ich ein Verrückter. Was mache ich falsch? Bin ich so anders als sie?

Kälte kroch zwischen den Schichten meiner Kleidung hindurch. Ich kniete nieder und zog die Jacke meiner Tochter noch ein Stück weiter zu. Sie fröstelte.
„Zieh die Handschuhe an, damit deine Finger nicht kalt werden.“
„Ist gut“, erwiderte sie und schenkte mir eines ihrer eisbrechenden Lächeln. Mir wurde warm. Ums Herz. Der Boden war bedeckt von einem flüchtigen Schleier aus Frost. Unsere Schritte kratzten über den Rollsplitt. Unangenehmes Kratzen.
Ich nahm sie bei der behandschuhten Hand und versuchte meine Schrittlänge der ihren anzupassen. Mein kleiner Engel. Niemals würde Mama dich so sehen. Feige. Warum war sie abgehauen, einfach gegangen?
Ich sei verrückt. Auch meine Frau fiel mir in den Rücken.
„Aber ich habe ja noch dich, du bleibst immer bei mir“, hauchte ich in die kalte Morgenluft hinein. Und fasste die Hand meiner Tochter ein wenig fester.

Eine Mutter mit ihrer Tochter kam uns entgegen. Sie sah mich an, lächelte nicht. War es Angst in ihren Augen? Sie zog ihre Tochter sanft auf die Straße hinaus.
„Gibt es einen Grund warum Sie uns ausweichen? Halten Sie sich für etwas Besseres als wir“, fuhr ich sie an. Ärgerlich schoss eine weiße Wolke in den kalten Morgen. Mir war warm. Ums Herz. Meine Hände waren kalt. Hauptsache ihre waren warm, das war alles was zählte.
Keine Antwort; keine Antwort der Frau.
„Geh weiter, achte nicht auf den Mann, der ist krank“, raunte sie ihrem Kind zu und zog es hastig mit sich fort. Sie verschwanden.

Mein kleiner Engel lächelte. „Die sind doch alle doof.“
Ungeduldig zog sie an meiner Hand.
„Komm weiter, sonst komme ich noch zu spät zur Schule“, flötete sie belehrend. Ihre weichen Wangen leuchteten rot. Warm.
„Ja, entschuldige. Zur Schule, stimmt ja.“ Meine Tochter, sie war wie ihre Mutter. Nur nicht so feige. Wir schafften es auch alleine. Wozu brachten wir die Mama, wozu brauchten wir die Welt?
„Wir haben ja uns“, sagte sie und ihre Stimme klang ruhig und weise. Diese Weisheit in dem Alter. Sie war so unglaublich. Ich hatte laut gedacht. Sie hatte verstanden. Meine Tochter.

Kleine Hand in Großer Hand, kleiner Schritt neben großem Schritt. Fast schwebte sie über das unebene Pflaster. Ihre Füße berührten kaum den Boden.
„Freust du dich auf die Schule?“
Sie lächelte. Ein kleiner Engel mit roten Pausbäckchen.
„Klar, da werde ich mit all meinen Freunden spielen.“
Da ging sie immer einen Schritt weiter in den Tag hinein. Um sie herum war mir warm. War sie weg, war ich kalt.
„Weißt du eigentlich, dass ich dich lieb habe“, flüsterte ich ihr ins Ohr.
Es entlockte ihr ein Kichern, „das kitzelt.“ Wie hunderte kleiner Glöckchen.
Weihnachten würde schön werden. Geschenke auspacken. Die Wärme. Wenn sie um mich herum war, nur dann.
Ich war nicht verrückt. Die anderen waren es. Aber was kümmerte es uns...
„Wir habe ja uns beide“, sie lächelte.

Ein Stück entfernt standen zwei ältere Damen. Die tratschten gerne. Ich mochte sie nicht, meine Tochter mochte sie nicht. Ich zog meine Jacke noch ein Stück höher, fasste ihre Hand wieder ein wenig fester.
Wir kamen näher. Sie sahen mich an. Kalt. Die Luft, die Menschen.
„Starren Sie nicht so auf uns“, fauchte ich den beiden Schrullen entgegen. Sie waren jetzt ganz nah. Ich roch ihre Lügen.
Meine Tochter lachte und sprang sorglos an den Alten vorbei.
„Was schaut Ihr denn so, haben wir euch was getan?“
Kein Ton, kein Wort. Wie tot. Meine Tochter lachte. Wir haben uns beide. Sie zog mich weiter, lachte laut, wie Glöckchen nur klingen können.
Wir beide. Nur wir beide. Der Rest der Welt war uns egal. Egal, egal. Bleib bei mir, bei dir ist mir warm. Nur bei dir, nur bei dir. Ums Herz.

„Der arme Mann ist nicht mehr der Selbe, seit seine Tochter damals...“ lügende Schlangen.

 

eltern sollten ihre kinder nicht überleben... *seufz*.
hi prodi,
tja, was soll ich hier dir sagen?! traurige geschichte!
ich glaube, ich würde auch verrückt werden, wenn meine tochter ... .
es kann sein, dass ich deswegen mehr für deine geschichte empfinde, als ein kinderloser leser. aber ich denke, ob kinderlos oder nicht, sie löst in dem leser grundsätzlich emotionen aus.
ja, die geschichte ist traurig, und ich habe richtig traurigkeit empfunden. auch wenn ich WIRKLICH keine fan von traurigen geschichten bin :D - so muss ich aber sagen, dass sie sehr gut geworden ist.
die idee war solide und der sprachstil leicht und fliessend.
eine in sich abgerundete geschichte.
prima!
barde

 

Hallo Prodi,

ja wirklich bewegend die Geschichte - gekonnt spannung erzeugt, was denn nun wohl kommen würde und es überzeugend aufgelöst...

vielleicht reagiert er etwas zuu extrem gegenüber den leuten - aber ansonsten sehr gut, was hier "sehr traurig" heißt...und auch stilistisch sehr sauber..

grüße, streicher

 

Hallo ihr beiden,

danke euch für die Antworten und das Lob *rotwerd*.

ich glaube, ich würde auch verrückt werden, wenn meine tochter ... .
Ich bin noch ziemlich Kinderlos :D. Du hast aber auf eine Weise recht, vielleicht kann ich mich daruf so einlassen, weil ich einen Bruder habe der erst sieben ist.

Ich bin etwas irritiert, da ich eure Beiträge nach wirklicher Kritik durchstöbert habe und nur das leichten Hinweis auf die Reaktion gefunden hab. Ich freue mich zwar wirklich über das Lob, aber gibt es denn nichts was ich übersehen habe, RS oder Komma-Fehler, irgendwas?

vielleicht reagiert er etwas zuu extrem gegenüber den leuten
Ansichtssache glaube ich, jemand der so am Ende ist, reagiert glaube ich für keinen vor uns vorstellbar. Aber vielleicht hast du auch recht.

Ich danke euch beiden auf jeden Fall :D.
Liebe Grüße
Roman

 

hi Prodi.

hat mir gut gefallen. nachdem du so gerne möchtest daß jemand Fehler findet habe ich nochmal genau geschaut.
und nur gefunden:
"es Kitzelt"

da schreibt man kitzelt klein. glaub ich.

liebe Grüße, alex.

 

Hallo prodi,

eine sehr gut aufgebaute Geschichte, mit einer interessanten Wendung am Schluß. Es ist bezeichnend, daß die Menschen den Protagonisten meiden, obwohl sie wissen, warum er sich so „verrückt“ verhält. Gut getroffen ist auch das Verhalten des Protagonisten, sein Kind sagt (in seiner Vorstellung) genau nur das, was er im Moment hören will (bzw. muß um nicht verrückter zu werden).
„Ich roch ihre Lügen“ - an manchen Orten auf der Welt muß es ja ganz schön stinken!
Wenn Du unbedingt noch eine Kritik willst: Die „Glöckchen“ empfinde ich als zu süß, da mögen aber Kindheitserinnerungen dran schuld sein.

Tschüß... Woltochinon

 

Hey,
danke auch dir Woltochinon, auch für das Lob, aber noch mehr für die Kritik.
Was du mit den Glöckchen gesagt hast finde ich gut. Ich überlege noch was ich daraus machen könnte. Irgendeine Idee?
Kindheitserinnerungen? Naja, ich weiß nicht so recht, eher wohl kein besseres Wort in den Sinn gekommen :D! Aber wer weiß ;)
Gruß
Roman

 

Hallo prodi,

vielleicht ist es eine Möglichkeit es so zu schreiben: Ein Kichern, hunderte Boten ihrer Fröhlichkeit. (Falls Du die „hunderte“ erhalten willst. Das „Kichern“ muß man wohl wiederholen, sonst stimmt der Bezug nicht).

Im zweiten Fall: Lachte laut, so herzlich, wie nur sie es konnte. (Oder: So herzlich, wie nur sie lachen konnte).

Ich hoffe, Dich damit zumindest auf eine Spur gelenkt zu haben,

liebe Grüße,

tschüß... Siegbert

 
Zuletzt bearbeitet:

Lieber Prodi!

Da bekommst Du ein dickes Lob von mir. :)
Du hast wirklich toll erzählt und ich bewundere den Spannungsaufbau!
Erst dachte ich ja an eine sehr liebevolle Vater-Tochter-Beziehung und daß vielleicht dann kommen würde, wie glücklich er ist mit seinem Leben... Durch Sätze wie

und versuchte meine Schrittlänge der ihren anzupassen.
läßt Du alles wirklich sehr real erscheinen. Dachte, jetzt kommt dann gleich eine Szene am Spielplatz usw. - Naja, oft kommt es anders als man denkt und das ist Dir hier wirklich gelungen! :thumbsup:

Schlimm genug, wenn ein Kind stirbt, scheint hier auch noch die Beziehung zwischen Vater und Mutter am Leid in die Brüche gegangen zu sein, was das Ganze noch schlimmer macht, wenn man sich dann nicht gegenseitig hilft.

Zu diesem Thema:

Wie hunderte kleiner Glöckchen.
Mich störte der Ausdruck nicht, ich fand ihn sogar schön. Und mir fällt auch als Alternative nur wieder sowas ähnliches ein: "Wie das Klingen eines Glockenspiels." - Das ist dasselbe in Grün, da kannst Du gleich Deine Version stehen lassen...:lol:

meiner Kleidung hindurch. Ich kniete mich hin und
- Was hältst Du von "Ich kniete nieder" oder "Ich kniete mich nieder" oder "Ich kniete mich auf den Boden"?

„Ist gut,“ erwiderte sie
- "Ist gut", erwiderte sie (das kommt ein paar Mal vor, daß Du erst den Beistrich und dann das Anführungszeichen machst, gehört aber umgekehrt...;))

„Wir habe ja uns beide,“
- haben

Sie sahen mich an. Kalt. Die Luft, die Menschen.
„Starren sie uns nicht so an,“ fauchte ich die beiden Schrullen an.
- würde statt "Starren ... an" schreiben: "Starren Sie nicht so auf uns" und eventuell dann weiter: "fauchte ich den beiden Schrullen entgegen."

Je nach dem, wie bzw. ob Du oben die Stelle mit den Glöckchen ausbesserst, gehört dann die Stelle auch verändert:

wie Glöckchen nur klingen können.

Bleibe bei mir
- würde nur "bleib" schreiben (also ohne e)

„Der arme Mann, ist nicht mehr der Selbe, seit seine Tochter damals...“ lügende Schlangen.
- Der arme Mann (ohne Beistrich) ist ... Tochter damals...", lügende Schlangen.

Alles liebe,
Susi

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Prodi,
eine sehr traurige Geschichte. Du hast ein Gefühl geweckt.

Lukasch

(Ich habe wenig geschrieben, weil alles gesagt worden ist, wollte dir aber zu dieser Story gratulieren)

 

Hallo,
erstmal danke euch beiden, dir Susi für die ausführliche Kritik und das Lob, dir Lukasch für nur das Lob.

Habe mich jetzt dafür entschieden die Glöckchen da zu belassen wo sie sind. Liegt wohl doch an meiner Kindheit :D !

@Häferl:
Vielen Dank fürs Aufmerksam machen auf die Fehler *schnellausbesser* :D. Hoffe es war keine allzu anstrengende Wiedergutmachung.

Freut mich wirklich, dass es dir gefallen hat. Das mit den Kommata bei wörtlicher Rede werde ich mir merken. Man lernt halt nie aus. Mal nebenbei frage ich mich gerade warum ich das nicht in der Schule gelernt habe...? Naja, habe ich wohl irgendwie verschlafen :D!

Danke nochmal.
Liebe Grüße
Roman

 

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