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Kleine Hand in großer Hand
Die Leute mögen mich nicht. Warum? Ich weiß es nicht, sie tun so, als sei ich ein Verrückter. Was mache ich falsch? Bin ich so anders als sie?
Kälte kroch zwischen den Schichten meiner Kleidung hindurch. Ich kniete nieder und zog die Jacke meiner Tochter noch ein Stück weiter zu. Sie fröstelte.
„Zieh die Handschuhe an, damit deine Finger nicht kalt werden.“
„Ist gut“, erwiderte sie und schenkte mir eines ihrer eisbrechenden Lächeln. Mir wurde warm. Ums Herz. Der Boden war bedeckt von einem flüchtigen Schleier aus Frost. Unsere Schritte kratzten über den Rollsplitt. Unangenehmes Kratzen.
Ich nahm sie bei der behandschuhten Hand und versuchte meine Schrittlänge der ihren anzupassen. Mein kleiner Engel. Niemals würde Mama dich so sehen. Feige. Warum war sie abgehauen, einfach gegangen?
Ich sei verrückt. Auch meine Frau fiel mir in den Rücken.
„Aber ich habe ja noch dich, du bleibst immer bei mir“, hauchte ich in die kalte Morgenluft hinein. Und fasste die Hand meiner Tochter ein wenig fester.
Eine Mutter mit ihrer Tochter kam uns entgegen. Sie sah mich an, lächelte nicht. War es Angst in ihren Augen? Sie zog ihre Tochter sanft auf die Straße hinaus.
„Gibt es einen Grund warum Sie uns ausweichen? Halten Sie sich für etwas Besseres als wir“, fuhr ich sie an. Ärgerlich schoss eine weiße Wolke in den kalten Morgen. Mir war warm. Ums Herz. Meine Hände waren kalt. Hauptsache ihre waren warm, das war alles was zählte.
Keine Antwort; keine Antwort der Frau.
„Geh weiter, achte nicht auf den Mann, der ist krank“, raunte sie ihrem Kind zu und zog es hastig mit sich fort. Sie verschwanden.
Mein kleiner Engel lächelte. „Die sind doch alle doof.“
Ungeduldig zog sie an meiner Hand.
„Komm weiter, sonst komme ich noch zu spät zur Schule“, flötete sie belehrend. Ihre weichen Wangen leuchteten rot. Warm.
„Ja, entschuldige. Zur Schule, stimmt ja.“ Meine Tochter, sie war wie ihre Mutter. Nur nicht so feige. Wir schafften es auch alleine. Wozu brachten wir die Mama, wozu brauchten wir die Welt?
„Wir haben ja uns“, sagte sie und ihre Stimme klang ruhig und weise. Diese Weisheit in dem Alter. Sie war so unglaublich. Ich hatte laut gedacht. Sie hatte verstanden. Meine Tochter.
Kleine Hand in Großer Hand, kleiner Schritt neben großem Schritt. Fast schwebte sie über das unebene Pflaster. Ihre Füße berührten kaum den Boden.
„Freust du dich auf die Schule?“
Sie lächelte. Ein kleiner Engel mit roten Pausbäckchen.
„Klar, da werde ich mit all meinen Freunden spielen.“
Da ging sie immer einen Schritt weiter in den Tag hinein. Um sie herum war mir warm. War sie weg, war ich kalt.
„Weißt du eigentlich, dass ich dich lieb habe“, flüsterte ich ihr ins Ohr.
Es entlockte ihr ein Kichern, „das kitzelt.“ Wie hunderte kleiner Glöckchen.
Weihnachten würde schön werden. Geschenke auspacken. Die Wärme. Wenn sie um mich herum war, nur dann.
Ich war nicht verrückt. Die anderen waren es. Aber was kümmerte es uns...
„Wir habe ja uns beide“, sie lächelte.
Ein Stück entfernt standen zwei ältere Damen. Die tratschten gerne. Ich mochte sie nicht, meine Tochter mochte sie nicht. Ich zog meine Jacke noch ein Stück höher, fasste ihre Hand wieder ein wenig fester.
Wir kamen näher. Sie sahen mich an. Kalt. Die Luft, die Menschen.
„Starren Sie nicht so auf uns“, fauchte ich den beiden Schrullen entgegen. Sie waren jetzt ganz nah. Ich roch ihre Lügen.
Meine Tochter lachte und sprang sorglos an den Alten vorbei.
„Was schaut Ihr denn so, haben wir euch was getan?“
Kein Ton, kein Wort. Wie tot. Meine Tochter lachte. Wir haben uns beide. Sie zog mich weiter, lachte laut, wie Glöckchen nur klingen können.
Wir beide. Nur wir beide. Der Rest der Welt war uns egal. Egal, egal. Bleib bei mir, bei dir ist mir warm. Nur bei dir, nur bei dir. Ums Herz.
„Der arme Mann ist nicht mehr der Selbe, seit seine Tochter damals...“ lügende Schlangen.