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Kleider machen eben doch keine Leute
Ungewöhnlich heiß war es an diesem auch sonst für Herrn Ferchner außerordentlich ungewöhnlichen Tag. Er lag wie jeden Tag auf seiner Lieblingsbank im Stadtpark und döste ein wenig vor sich hin.
Die Zeitungen wie eine Decke über seinen ausgemergelten Körper gelegt, wachte er plötzlich auf als eine dieser kleinen Gören ihr Mutter fragte: "Was ist mit dem Mann da Mami?"
Schlimmer aber als das Unwissen des Kindes, war die Antwort der Mutter, die ihn sofort wieder auf den Boden der offensichtlich für ihn schlechten Tatsachen holte: "Geh schnell weiter. Du sollst doch so etwas nicht so laut fragen. Er könnte dich hören."
Er könnte dich hören...
Eine Unverschämtheit! Dann schlief er eben auf einer Bank oder unter einer Brücke, anstelle eines Federbetts. Na und?
Da er aber schonmal wach war, konnte er ja genausogut aufstehen und sich ein kleines Frühstück gönnen. Er hatte noch genau einen Euro und vierundfünfzig Cent, was höchstens noch für eine Currywurst an dem kleinen Imbiss um die Ecke reichen würde.
So nahm er seine gesamten Finanzen und ging noch etwas schlaftrunken zum Kiosk. Dort war bereits einiges los, woraus er schloss, dass er ziemlich lang geschlafen haben musste und ein Blick auf die im Kiosk hängende Uhr brachte ihm auch die Sicherheit, dass er gleich eher zu Mittag essen würde, als zu Frühstücken.
So kaufte er sich seine Currywurst und als er sich zu seinem Lieblingsplatz am Flussufer zum essen aufmachen wollte, sprach ihn plötzlich eine Stimme an: "Guten Tag, sie haben nicht zufällig Lust auf etwas Gesellschaft? Ich hätte ihnen einen interessanten Vorschlag zu machen."
In dem Trubel hatte er den eigenartig angezogenen Fremden Mann kaum verstanden, aber da er gerade nichts besonderes vor hatte, stellte er seine Currywurst auf den Tisch und fragte etwas zweifelnd: "Sie wollen mir aber kein Hasch andrehen? Den kann ich mir sowieso nicht leisten."
"Wie kommen sie denn darauf?", fragte ihn der Fremde entrüstet,"ich will ihnen nur einen Tausch vorschlagen, aber wenn sie kein Interesse haben..."
"Nein warten sie, ich habe Interesse", unterbrach er ihn hastig, und noch während er begann zwei komische Ausbeulungen des Hutes an seinen Schläfen zu erkennen, fragte er schon mit deutlich mehr Interesse, als zu Anfang:"sagen sie mir doch, um was für eine Art Tausch es sich handelt."
"Nun gut. Ich bin ein Mensch, der sich als eine Art Wohltäter derer, die für ihre missliche Lage nichts können, fühlt. Daher würde ich gerne ihre Schuhe für einen todschicken Markenanzug eintauschen. In den Taschen werden sich übrigens ein paar gut bedruckte Geldscheine befinden.", er zog ein Bild aus einer Tasche zeigte es ihm und flüsterte ihm darauf schmeichlerisch zu: "Ich weiß sie können nichts dafür, dass sie von ihrem Chef gefeuert wurden und ihre Wohnung gepfändet wurde. Es war eine Verkettung dummer Zufälle."
Von diesem Angebot beeindruckt, wollte er den "Wohltäter" noch fragen wo der Haken sei, aber als er plötzlich seinen alten Förderer in der Schule zu erkennen glaubte, sagte er nur noch:"In Ordnung. Ich machs."
Mit hocherfreuter Stimme klärte ihn der andere auf, dass der Anzug bereits auf seiner Bank unter den Zeitungen versteckt liegen würde, wenn er ihm die Schuhe gleich gäbe.
Nach kurzem Zweifeln, gab er ihm diese und ging darauf sofort zu seiner Bank, um nach dem Anzug zu sehen. Er hatte einfach nicht anders können, es war wie ein Zwang gewesen ihm seine Schuhe zu geben. Seine Currywurst hatte er inzwischen vollkommen vergessen und als er noch einmal hinter sich schaute, um zu sehen ob der Mann noch da war, sah er nichts mehr von ihm. Nur noch einen Tierschwanz, glaubte er hinter der Häuserreihe verschwinden zu sehen, aber bevor er noch länger darüber nachdachte, begann er in seiner plötzlich aufkeimenden Angst loszulaufen, um sich von der Anwesenheit des Anzugs zu vergewissern.
Und tatsächlich, die hastig weggeschmissenen Zeitungen zeugten nur noch von seiner Eile, als er den Anzug bereits angelegt hatte. Als er dann auch noch das Geld in den Taschen gefunden hatte, war ihm egal ob er seine Currywurst stehen gelassen hatte, oder ob seine Füße auf dem heißen Asphalt brannten. Gleich würde er sich im nächsten Laden ein paar Socken und ein zum Anzug passendes Paar Lackschuhe kaufen.
Er ging in das nächste Geschäft und kaufte ungeachtet der überraschten Blicke der Verkäuferin ein Paar Schuhe und ein Paar Socken. Sie verkaufte sie ihm mit abschätzigen Blicken, als sie aber ihr Trinkgeld sah, war es mit ihrer Hochnäsigkeit vorbei, vielmehr freute sich sich nun über zwanzig Euro von einem, bis eben Schuhlosen Mann.
Mit offensichtlich besserer Laune ging er nun wieder in den Park um seine Currywurst nachzuholen. Allerdings ging er nicht mehr zu der Imbissbude, wo die Wurst nur so vor Fett triefte, sondern zum Seerestaurant, am anderen Ende des Südteils des Parks. Als er aber an seiner Bank vorbeikam, wollte er es sich nicht nehmen lassen, noch ein letztes Schläfchen vor dem neuen Leben zu machen. Mit knurrendem Magen schlief er auch gleich ein und versank in einen Traumlosen und flachen Schlaf.
Als er nach einer halben Stunde aufwachte, konnte er seine Schuhe nicht mehr finden. Sein erster Gedanke war natürlich, dass sie ihm geklaut worden waren, aber warum in aller Welt sollte ihm dieser Dieb dann noch etwas Bargeld und ein Kärtchen dagelassen haben?
Es war exakt der Preis den er für die Schuhe bezahlt hatte und auf dem Kärtchen stand in scharlachroter Schrift geschrieben:
Es war mir eine Ehre mit ihnen Geschäfte zu machen.
Voller Wut versuchte er mit aller Gewalt den Zettel zu zerreißen, aber alle Mühe war nutzlos. Der Zettel schien unzerstörbar, so warf er ihn weg und machte sich zum Seerestaurant auf, wo er sich ein saftiges Schnitzel genehmigen würde. Als er aber die Tür öffnete kam gleich ein Kellner auf ihn zu und sagt mit wichtigtuerischer Stimme: "Es tut mir leid, aber ihre Kleidung ist nicht unseren Maßstäben entsprechend." "Aber sie können mir doch nicht", er stockte kurz und schnappte vor Aufregung und Wut kurz nach Luft, "wegen meiner Schuhe den Einlass verbieten!" Einige Gäste hatten sich schon nach ihnen umgedreht und der Kellner sagte leise aber gefasst: "Sie sehen doch, wie ich kann.", und schloss die Tür.
Empört ging er zum nächsten Restaurant, welches keine zwei Straßen entfernt gelegen war, um einen neuen Versuch zu unternehmen, aber wieder wurde er mit der Bitte weggeschickt, ohne Schuhe nicht noch einmal herzukommen.
Nach dem dritten Versuch ging er, mittlerweile vom Hunger so geplagt, dass er nicht auf die Idee kam sich neue Schuhe zu kaufen, wieder zu seinem alten Stammimbiss, doch als er sich dort ein großes Weizenbier und eine große Portion fettiger Pommes bestellen wollte, lachte ihn der Besitzer nur aus und sagte er solle in einem solchen Aufzug sonst wo essen nur nicht in seiner Bude.
Vom Hunger und Unverständnis für all die Geschehnisse getrieben, rannte er zu seiner Bank, um nach seinen alten Klamotten zu suchen, aber er konnte nichts außer einem neuerlichen Zettel finden, auf dem diesmal wieder in tiefroter Schrift geschrieben stand:
Es war mir wahrlich eine Ehre mit ihnen Geschäfte zu machen.
In seiner Wut wollte er sich seine unglücksbringenden Klamotten vom Leib reißen, aber sie schienen an seinem Körper festgeklebt worden sein. So sehr er sich auch abmühte, er schaffte es nicht einmal den Reißverschluss zu öffnen. Nach einem halbstündigen Kampf gab er schließlich auf und ließ sich erschöpft auf seine Bank fallen.
Es war inzwischen dunkel geworden und als ihm kurz der scheinbar rettende Einfall in den Sinn kam, merkte er fast zeitgleich auch, dass es Samstag war und er heute keine Schuhe mehr kaufen können würde und was noch schlimmer war, morgen war Sonntag, da hatten die Geschäfte auch zu.
So fiel er in einen unruhigen Schlaf.
Er wachte früh am nächsten morgen auf und spürte die Leere in seinem Bauch immer mehr. Es war mittlerweile unerträglich geworden und wenn er nicht bald etwas zwischen die Zähne bekam würde er noch völlig durchdrehen.
Mit wackligen und sichtlich müden Schritten lief er in Richtung Imbissbude, an der er immer noch die größten Hoffnungen auf etwas zu essen hegte. Doch als der Wirt ihn erkannte, rief er ihm sofort mit ein paar Frühaufstehern zu, dass er sich gefälligst wegscheren solle, er mit seinem Bonzenanzug. "Wenn du etwas anderes an hast, kannst du gerne wiederkommen.", schrie er ihm noch mit heiserer Stimme nach.
"Würde ich ja gerne", flüsterte sich Herr Ferchner selbst zu "aber ich kann nicht!"
So brach er zum ersten Mal seit Jahren in Tränen aus. Er ging an seine Lieblingsstelle am Ufer des Sees und legte sich ein wenig hin. Das Gras erschien ihm plötzlich sehr appetittanregend, aber soweit wollte er es nicht kommen lassen. Dann sank er wieder in einen unruhigen Schlaf, aus dem er erst Stunden später, von einem Liebespaar geweckt wurde. Sie wollten gerade an ihre Lieblingsstelle des Parks, die wohl mit seiner übereinstimmte, als sie ihn erblickten und das Mädchen erschrocken sagte: "Lass uns lieber gehen, der Herr dort will wohl noch ein bisschen schlafen."
Das ihn jemand als Herr bezeichnet hatte, war nun schon sehr lang her, aber es sorgte leider auch nicht für einen vollen Magen.
Er stand auf reckte sich und ging ein wenig durch die Stadt. Als er an sich herunterblickte fiel ihm mit Schrecken auf, dass der Anzug faltenlos geblieben war. In der Stadtmitte hielten sich Sonntags nicht besonders viele Leute auf und dementsprechend leer waren auch die Gassen zwischen den Geschäften. Ihm war inzwischen eine neue Idee gekommen: Er konnte doch einfach jemandem ein paar Schuhe abkaufen, schließlich hatte er ja genug Geld.
Da kam schon die erste Person, aber bevor er ihr seinen Vorschlag unterbreiten konnte, entfernte sie sich hastig von ihm und sagte entrüstet, er solle sie bloß in Frieden lassen.
Nur wegen seiner Schuhe? Unfassbar!
Von diesem Rückschlag geschockt, ging er zurück an seinen Platz am See. Er wollte nur noch diesen verdammten Tag hinter sich bringen. Doch als er am dort ankam war das Liebespaar von vorhin schon da und hatte es sich sichtlich bequem gemacht, worauf er dann zu seiner Bank ging, um noch ein wenig Zeit totzuschlagen.
Wie durch ein Wunder gelang es ihm einzuschlafen und als er eine Stunde später aufwachte kam ihm eine neue Idee. Er würde einfach ins Kino gehen und sich einen Eimer Popcorn und eine eisgekühlte Flasche Bier genehmigen.
Dort angekommen, wies ihn der Ticketverkäufer aber erschrocken mit dem Hinweis, dass Schuhe in einem Kino Pflicht wären, zurück.
Hungrig und durstig ging er zum See um wenigstens etwas zu trinken.
Am nächsten Tag stand er, schon kurz bevor der Laden überhaupt öffnete, vor der Tür um sich endlich die ersehnten Schuhe zu kaufen. Sie gab ihm schnell seine Schuhe und er verließ eilig das Geschäft, um endlich etwas zu essen zu bekommen. So schnell ihn seine Beine trugen lief er in das nächste Restaurant und noch während er rannte, spürte er plötzlich wieder den Gehweg unter seinen Füßen. Er hielt ruckartig an, schaute fassungslos auf seine beiden Füße und setzte sich auf den Boden. Starr vor Schreck, blieb er dort eine Weile sitzen und schaute immer wieder auf seine nackten Füße.
Weinend und entgeistert, ging er in eine kleine Gasse setzte sich hin schaute ins Leere. Was war das für ein Mann gewesen, der ihm diesen Tausch angeboten hatte? Er fand keine Antwort auf seine Frage und legte den Kopf zwischen seine Knie. Plötzlich legte ihm jemand ein kleines Kärtchen in die zufällig offene Hand. Hastig schaute sich Herr Ferchner um, doch er konnte wieder nur einen Tierschwanz erkennen. Was hatte es damit nur auf sich?
Er schaute auf das Zettelchen und las wenig überrascht:
Es war mir eine wirklich große Ehre Geschäfte mit ihnen zu machen.
Es war wohl sein letztes Geschäft...