Kleid aus Rosen
Ein Windhauch zog durch das offene Fenster herein. Er streichelte die Haare des Mädchens und verfing sich im feinen Gewebe der Bettdecke. Die warme Sommerluft trieb den leichten Stoff nach oben und als dieser wieder langsam niederging, fielen auch die Lider des Mädchens herab und schlossen die Welt um sie herum aus. Sie wollte alleine sein, doch sie wusste, dass er sich bald zu ihr legen würde. Sie sehnte sich nach dem Schlaf, der sie von den dunklen Gedanken, die in ihrem Kopf kreisten, erlösen würde, doch sie blieb wach. Aber noch bevor die alten Erinnerungen erneut begannen ihre Seele zu peinigen, drangen die schweren Schritte ihres Vaters zu ihr herauf. Jede seiner Bewegungen sah sie vor ihrem inneren Augen. Das Mädchen verfolgte seinen Gang, die hölzerne Treppe hinauf und sah wie sich seine große Hand um die Türklinke legte und sich Eintritt verschaffte in ihr Zimmer.
Sie hielt die Augen geschlossen und blieb ganz ruhig liegen. Damals, als ihr Vater das erste Mal bei ihr schlief, da konnte sie sich vor Angst nicht bewegen, doch nun lag sie still da, weil sie damit abgeschlossen hatte. Es war nicht so, als mache es ihr nichts mehr aus. Im Gegenteil, aber die Nächte wiederholten sich und sie redete sich ein, dass alles einmal an ihr vorbei gehen würde. Also hielt sie still. Nacht für Nacht. Immer die Hoffnung in ihrem Herzen, dass es eines Tages zur Routine gehörte. So wie ihr Frühstück, oder die tägliche Dusche.
Ihr Vater war nun bei ihr. Sie spürte, wie die Federung ihres Bettes unter seinem massigen Körper nachgab und es leise aufstöhnte, so als vertone es ihre eigene Bitterkeit. Seine raue Hand schob sich unter die Decke und sie spürte wie die schwieligen Finger langsam über ihren Rücken glitten und ihre Hüften umfassten. Er drückte sie herum, bis ihr Gesicht nach oben zeigte und die warme Luft von draußen ihr darüber strich. Seine Hand begann wieder zu wandern; den Bauch hinauf, bis seine Finger ihre Brüste umfassten. Sie hörte seinen Atem, wie der stoßweise hervordrang und immer lauter in seiner Lunge rasselte. Dann glitt seine linke Hand wieder nach unten, während seine Rechte immer noch eine ihrer Brüste umschlossen hielt und diese leicht zwischen seinen Fingern knetete. Die Muskeln ihres Bauches zogen sich zusammen, als die großen Finger über den Bauchnabel hinwegstrichen. Hinter ihren immer noch geschlossenen Lidern sah sie das Bild von Würmern vor sich, die sich über ihren Bauch schlängelten und nicht innehielten, sondern immer weiter krochen. Ekel kam in ihr auf und ihr Magen drehte sich herum. Sie hatte sich geschworen durchzuhalten und abzuwarten, doch jedes Mal wurde es schlimmer. Angst, Wut und Hass brandeten in ihr wie Wellen auf und schlugen gegen die Mauer, die sie selbst in ihrem Kopf errichtet hatte. Immer stärker trafen sie darauf und als die Finger des Mannes ihren Schlüpfer zur Seite drückte und sich zwischen ihre Beine legten, da war es wie eine Explosion, die sich in ihrem Kopf vollzog. Die Mauern brachen und die Wellen ihrer Gefühle brachen heraus und überschwemmten ihr Gehirn. Doch die Wassermassen stoppten nicht, sondern die unbändige Kraft dahinter trieben sie vorwärt, bis ihr ganzer Körper darin ertrank.
Die Lider des Mädchens schlugen in einem Sekundenbruchteil nach oben und legten die dunklen Augen dahinter frei. Sie glänzten und zitterten und man sah in ihnen die freigesetzte Energie, die sich nicht mehr kontrollieren lies. Sie stieß die Hand ihres Vater beiseite und sprang aus dem Bett. Der Umklammerung entrissen klaubte sie im Lauf das Hemd des Mannes vom Boden auf und lief so schnell sie konnte aus dem Zimmer. Ihre Beine überschlugen sich fast, so schnell durchquerte sie den Flur und hastete die Treppe hinunter, durch den Eingangsbereich und an der Küche vorbei, bis ihr halbnackter Körper draußen stand und die warme Luft sich wie ein Schleier über sie legte.
Die Straße vor ihr war leer und der schwarze Asphalt glitzerte in fahlen Mondlicht und offenbarte sich ihrem Auge wie ein steinerner Fluss. Sie schlang sich das weite Hemd um ihren zierlichen Körper und wanderte in die Nacht hinaus. Sie folgte dem Fluss, so als würde sie darin treiben. Immer weiter nahm er sie mit, bis die Häuser die sie kannte hinter ihr zurückblieben und alles um sie herum etwas neuem gewichen war. Das Mädchen war fort von zu Hause und sie wünschte sich nie mehr dahin zurückkehren zu müssen, aber tief im Inneren wusste sie, dass die gewonnene Freiheit nur von kurzer Dauer sein würde.
Alle Häuser waren dunkel und ihre Fenster wirkten wie leblose Augen. Bis auf eines. Ein schwacher Lichtstrahl drang daraus hervor und der Fluss entschloss sich das Mädchen nicht länger mit sich zu tragen. Sie verließ die Straße und ihre nackten Füße folgten den Strahlen des Lichts, das ihr entgegenfiel. Sie streckte sich und warf einen Blick hinein. Drinnen war ein Mann zu sehen. Er hatte ihr den Rücken zugedreht und beugte sich über eine nackte Frau. Das Mädchen wandte bereits den Blick ab, als sie bemerkte, das der ältere Mann im Inneren seinen Kopf leicht zur Seite gedreht hatte und sie aus seinem Augenwinkel betrachtete. Sie hielt inne. Der Mann drehte sich nun ganz herum und legte den Blick frei, auf die nackte Frau, die vor ihm mit geschlossenen Augen lag. Ein Bildnis war auf ihrer weißen Haut zu sehen. Es war ein Gesicht. Ein Gesicht, dass lachte und das weinte und es schien dies gerade in diesem Augenblick zu tun, so als würde es leben. Der Mann hatte das Bild gemalt. Er hatte es in die nackte Haut der Frau gestochen. Und dieser Mann winkte das Mädchen, dass draußen in der Dunkelheit stand nun zu sich hinein. Es folgte.
Jetzt lag es dort, wo zuvor die Frau gelegen hatte und der Mann sprach mit leiser Stimme auf sie ein und nur das Mädchen konnte seine Worte hören. Sie nickte stumm und öffnete die Knöpfe an ihrem Hemd. Langsam streifte sie es ab, während er die letzten Reste ihrer Kleidung entfernte. Nackt lag das Mädchen nun da und der Mann, den sie fortan nur noch ihren Meister nennen sollte, begann ein Bild in ihre Haut zu stechen. Er setzte die Nadel auf das weiße Fleisch und jeder Stich verursachte einen Schmerz, wie ihn das Mädchen noch nie gespürt hatte. Doch sie blieb liegen und konzentrierte sich darauf. Der Schmerz war ihr Leben.
Schließlich trat Stille ein und der Meister nahm die Nadel beiseite. Er betrachtete das Mädchen. Nicht ihren Körpern, sondern sein Werk. Als es ihre Augen öffnete und an sich herunterblickte, war da kein Bild, sondern nur ihr Vater, wie er sich auf sie legte und begann seine Tochter auf die ihm eigene Weise zu lieben.
Während er stöhnend auf ihr lag wuchs ein Rose aus ihrer Haut und erblühte in einem prachtvollen Rot. Nur das Mädchen sah diese Rose und es war, als wären all die Schmerzen endlich vergessen.
Ihr Vater kam immer wieder, doch jedes Mal wuchsen neue Rosen, bis ihr Körper über und über von diesen bedeckt war. Sie trug ein Kleid aus Rosen und würde es ihr Leben lang nicht mehr ablegen und nur sie selbst wusste, welchen Preis der Meister genommen hatte.
Meister, Meister, gib mir Rosen;
Rosen auf mein weißes Kleid;
Stech die Blumen, in den nackten,
unberührten Mädchenleib
-Subway to Sally