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Klausur
Ich schmunzele, wenn ich daran zurückdenke, daß ich einmal aufgrund ungenügender Vorbereitungen die glorreiche Idee hatte, die anstehende Klausur über das Gedächtnis des Menschen, allein mit Schummelzetteln bestehen zu wollen, die ich in den entferntesten Winkeln meiner Klamotten versteckte. Ich brachte es sogar fertig kleine Karteikärtchen in meinen 68er-Studentenschuhen unter Ferse und Ballen zu deponieren. Dementsprechend verhaltensauffällig benahm ich mich auch während der Klausur. Ich wackelte und zappelte mit dem ganzen Körper hin und her, bückte mich ein ums andere mal und musste gleichzeitig 3 Prüferinnen im Auge behalten.
Selbstgemachte Leiden.
Eigentlich war es nur eine Frage der Zeit, wann ich erwischt werden würde. Meine kleinen Klausur-Hilfen aus den Schuhen zu bekommen ist eine Sache, viel schwieriger ist es aber, nachdem man sie unauffällig auf dem Pult positioniert hatte, sie wieder im richtigen Augenblick verschwinden zu lassen. Für mehrere Minuten musste ich riskieren sie offen liegen zu lassen, sie nur teilweise mit dem Unterarm zu verdecken.
Ich arbeitete mit meiner Mimik.
Mit den Augenwinkeln beobachtete ich alle „Aufseherinnen“ und beim leisesten Verdacht eine könnte in meine Richtung blicken, runzelte ich die Stirn, schaute aus dem Fenster und gab die Figur eines gedankenversunkenen Prüflings ab, der gerade dabei war, sein Wissen in adäquat gültiger Satzform zu Papier bringen.
Ich schwitzte und fühlte übermäßig starkes Herzklopfen, wie weggeblasen war die Souveränität, keine Spur mehr von Nonchalance, die ich nur allzu gerne im öffentlichen Leben zur Schau stellte, um so wenig wie möglich an Angriffsfläche zu bieten.
Alle 10-20 Minuten ging unsere Professorin durch die Reihen und inspizierte ihren Zuständigkeitsbezirk. Ihre zwei Schießhunde beäugten uns, als bekämen sie eine Kopfgeldprämie für jeden überführten Prüfling. Die Eifrigere von beiden postierte sich ungefähr eine halbe Stunde lang 3 Reihen hinter mir und schenkte mir ununterbrochen ihre Aufmerksamkeit
Durch einen Umstand wurden sie nämlich doch noch auf mich aufmerksam. Anne, eine meiner Leidensgenossen, fragte mich in einem sehr ungünstigen Moment, wieviel Zeit noch verbliebe. Ich antwortete und geriet somit ins Visier der Lehrbeauftragten. Der Schweiß rann mir von der Stirn. Während dieser Zeit klebten meine kleinen Karteikärtchen an meinem Unterarm, und ich befürchtete jeden Moment einen gellenden Aufschrei meiner kleinen blonden zur Bewachung abgestellten studentischen Hilfskraft.
Ich wurde nicht erwischt, aber ich fiel trotzdem durch.
Warum? Weil ich ganz einfach zu blöde war, die richtigen Antworten den entsprechenden Fragen zuzuordnen. Ich hatte überhaupt keine Ahnung von diesem Themengebiet. Ich bin mir sicher, dass das bei der Korrektur der Klausuren der Dozentin aufgefallen sein wird, außerdem verriet mir ihr süffisantes Lächeln, dass sie zumindest etwas ahnte.
Ich fiel durch die Prüfung und das zurecht und so ergab es sich, daß diese Klausur ein Fortsetzung erfuhr, und zwar eine mündliche, in der ich meine Studierfähigkeit aufs neue unter Beweis stellen durfte.
Ein halbes Jahr später trat ich zum zweiten Mal in der gleichen Disziplin an. Allerdings war ich der einzige der dort antrat, denn meine Professorin zog es vor, gar nicht erst zu erscheinen. Sie hatte mich vergessen. Heute möchte ich meinen, dass dies mein Glück bedeutete, die Dame hatte offenbar ein schlechtes Gewissen.
So kam es, daß sie mich einen Tag später prüfte, und nicht vergaß sich an die fünfundzwanzigmal vor und während der Prüfung für ihr gestriges Versäumnis zu entschuldigen. Nein, ich übertreibe nicht. Nun .......rein formell entschuldigte sie sich auch nur 3-4 mal, aber in der Prüfung kam mir jede ihrer Fragen wie eine Art Entschuldigung vor. Hätte ich mich nicht auch bei ihr entschuldigen müssen?
[ 10.08.2002, 11:31: Beitrag editiert von: Archetyp ]