Klausens Reise nach Warnick
Ödes Leben, Langeweile. Was tun? Keine Ahnung! Hmmm... Veränderung wär nicht schlecht: ein Tapetenwechsel, oder gar ein Umzug in ein anderes Örtchen.
So oder ähnlich dachte Klaus vor seiner Abreise - immerhin hatte er fünf Sechstel der vergangen Woche, Höhepunkt der Monotonie, verschlafen. Ein Wunder, dass Kläuschen des Denkens überhaupt noch fähig war und schließlich noch konsequent die Schlüsse ziehen konnte.
Klaus war in Mornot aufgewachsen, ein Dreihäuserdorf an der batonischen Grenze. Schule gab es nicht, der Junge wurde von Anfang an auf das Schlafen trainiert, was bis zu dem Entschluss auch seine Arbeit und Einkommensquelle darstellte. Da es in Batonien zu wenig Luft gibt, ist Schlafen hierzulande und in der Umgebung eine lukrative Verdienstmöglichkeit, zwar werden Schläfer nicht ganz so gut bezahlt wie Bäume, aber immerhin.
Nun stellt sich folgende Frage: wie entkommen aus Mornot? Klaus konnte nicht gut gehen, seine Beine waren untrainiert, auch das Denken fiel ihm schwer (ein Wunder, wie Klaus bloß diesen Entschluss hatte fassen können), allerdings das größte Problem war: es gab keine Wege in Mornot. Um sich nicht unnötig den Kopf zerbrechen zu müssen, kugelte Klaus mal aufs grade wohl aus dem Bett und schwups war er auch schon aus dem Hause herausgekugelt. Monort´sche Häuser bestehen in der Regel nur aus Betten, bei Besserverdienern, wie Klaus als Schläfer einer war, auch aus Mauern, Fenster (ohne Glasscheiben), Tür (stets geöffnet) und Dach.
Da lag er nun und wälzte sich im braunen Gras, kam weder vor noch rückwärts, ein hilfloses Suhlen in den erdigen Massen. Klaus konnte nur auf die Mithilfe der Tiere warten, alles andere schien aussichtslos und würde seinen Tod bedeuten; dennoch - Tiere gab es nicht in Batonien. Auch kam kein Regen, der ihn hätte wegspülen können, noch ein Erdbeben, wodurch er wo andershin hätte rumpeln können. Die Sonne drohte den hilf- und wehrlosen Körper zu enttrocknen. Keine Besserung in Sicht.
Klaus nutzte die aussichtslose Situation für ein kleines Schläfchen, in der Hoffnung, seine fantastischen Träume könnten ihn ins andere Land erretten. Dem war nicht so. Abgesehen davon, dass Klaus mehr schlecht als recht schlafen konnte, von Träumen keine Spur.
Warnick ist ein Landstrich im Osten Batoniens, äußerst fruchtbar und edelste Luftgüte - wenn Batonier des Denkens fähig wären (der Großteil ist es nicht) wäre Warnick ihr einziger Gedanke, im Falle natürlich, sie hätten davon schon einmal gehört, was aber unmöglich der Fall sein kann, denn Batonier können nicht sprechen. Die Bewohner in Warnick hingegen können sehr wohl denken und sprechen, ja sogar auf zwei Beinen laufen, allerdings ist es den Warnickern verboten nach Batonien überzulaufen, was auch vollkommen idiotisch wäre, denn kaum die Grenze überschritten wäre es ihnen unmöglich weiterzulaufen - einerseits der schlechten Luft wegen, andererseits, wie schon mal flüchtig erwähnt gibt es hier und in der Umgebung keine Wege.
Nach Klausens gescheiterter Träumerei schien es nur noch einen Rettungsring zu geben: die Fantasie. Zu fantasieren war ein schwieriges Unterfangen, Kläuschen hatte das noch nie in seinem Leben gewagt, zu anstrengend wäre es für ihn gewesen. Trotzdem musste er es in dieser Situation versuchen, es gab keine andere Möglichkeit dem nahenden Tode zu entrinnen. Das am Boden sich wälzende Männchen strengte sich an: die Augen geschlossen (wie eigentlich immer), die Lippen zusammengepresst, schweres Stöhnen, Ächzen. Kurze Entspannung, zweiter Versuch: Hecheln, die Zähne über die Unterlippe vorgeschoben, verkrampfte Fäuste. Kurzes Aufblitzen in seinem Gesicht, schneller Atem - hat Klaus etwas gesehen? Vollste Konzentration, jetzt muss es klappen! Der ganze Körper spannt sich an, das eben noch vorherrschende schwere Geatme wird durch beinahe ungebrochene Stille ersetzt:
Licht, Licht.
Menschen.
Grün.
Alles grün.
Gemurmel.
Lauf, lauf.
Rederei.
Wunder, ein Wunder.
Warnick?
Das Tageslicht zeigt das Lächeln eines glücklichen Mannes.
Der Gestank der Verwesung macht sich breit.