Was ist neu

Klang über dem Meer

Mitglied
Beitritt
07.04.2012
Beiträge
8

Klang über dem Meer

Matschend das Geräusch der gedämpften Turnschuhsohlen auf dem geteerten Weg. 130, vielleicht 150 Mal in der Minute, immer gleich, kein Unterschied hörbar. Dazu mein monotones Schnaufen. Saugendes Einatmen durch die Nase, dumpfer, mit mehr Volumen, das Ausatmen durch den Mund. Ich versuche meine Schritte gleichmäßig zu setzen. Nicht zu schnell angehen, jetzt, da die Muskeln noch ausgeruht sind. Der Rhythmus muss stimmen. Drei Schritte auf einen Atemzug, ja so könnte es passen. Die Füße, ich muss auf meine Füße achten. Wenn ich sie voreinander setze, bekomme ich wieder diese Schmerzen in der Hüfte. Links und rechts einer gedachten Linie, so muss ich abrollen. Die Unterarme ein Stückchen höher, damit der Rücken entlastet wird und die Schultern locker bleiben. So könnte es gehen.

Das Rufen der Kinder auf den Wiesen verstummt. Ein Austernfischer fliegt piepend über mich hinweg. Ich bin auf dem Deich. Links ein paar Felder, rechts das Watt und die Salzwiesen. Einatmen, ausatmen – dazu drei Schritte. Lachmöwen und Rotschenkel schreien zwischen den Pflanzen, unsichtbar für mich. Vor mir liegt der Trischendamm. Mehr als zwei Kilometer führt er geradewegs ins Meer. Vor 76 Jahren gebaut, um die Deiche vor einem Priel zu schützen, der wohl immer wieder an der Deichsohle nagte. Und wohl auch, um das Festland mit der Insel Trischen zu verbinden.

Heute liegt Trischen noch immer weit draußen im Meer, zu Fuß unerreichbar. Wie ein lachender Halbmond schaut die kleine Insel auf die Küste, amüsiert vom Treiben der Menschen. Eine Vogelinsel, eine große Sandbank mit ein bisschen Gras. Getrieben von Sturm und Wasser wandert sie jedes Jahr 33 Meter weit Richtung Festland. Behält sie ihr Tempo bei, werden Damm und Insel in rund 360 Jahren wohl doch noch zusammenfinden. Die armen Vögel.

Ich bin jetzt weit draußen auf dem Damm, einer steinernen Zunge, die vom trüben Nordseewasser kostet. Kein anderer Mensch ist hier. Dunkle Wolken schieben sich über den Himmel und graue Schlieren verraten, dass zumindest eine von ihnen, ein Stück weiter draußen, beim Gerangel aufgerissen ist und nun ihre nasse Last verliert. Mein Weg führt mich den Damm entlang auf die Schlieren zu. Links und rechts nur noch Wasser, ab und zu das Sirren von Möwenflügeln in der Luft. Noch ein halber Kilometer, dann bin ich am Ende. Angekommen im Nichts. Meine Schritte werden langsamer als ich das Ende sehe. An der äußersten Spitze bleibe ich stehen, höre meinen Atem, der sich schon zu beruhigen beginnt. Es ist still. Keine Stimmen, keine Autos, kein Schiff oder Flugzeug, keine Wind in den Blättern, kein Hundegebell. Vollkommene Stille. Ich schließe die Augen und bade in der Stille.

Dann beginnt es. Ein sanfter Ton wie von einem winzigen Glöckchen. Unglaublich fein und zart. Zunächst sind es nur ein paar, dann Hunderte, Tausende. Ihr Klang kribbelt auf meiner Haut, lässt einen Schauer über meinen Rücken wandern. Ein letzter Ton mit dem sich die Regentropfen ins Meer stürzen. Es ist in diesem Moment der schönste Ort der Welt und die Engel spielen ein Lied für mich.

Ich spüre die Tropfen die mich treffen, sehe die zerwühlten Wolkenberge und höre das leise Läuten in der Stille. Ein paar Minuten bleibe ich so, bewegungslos und glücklich. Mit den letzten Tropfen wende ich meinen Blick ab vom Meer, setze einen Fuß vor den anderen und beginne wieder zu laufen. Langsam erst, dann schneller und ich denke darüber nach, was mir wohl eben widerfahren ist.

 

Hallo Carduela,

ich danke dir für die freundliche Besprechung. Deine Worte zeigen mir (wieder mal), dass Dinge, die einem selbst sehr klar sind, manchmal dann doch noch der ein oder anderen Information bedürfen.
Aber du hast letztlich Recht, es ist tatsächlich keine Botschaft versteckt, sondern nur die Geschichte eines wunderbaren Augenblicks.
Mit der Zeichensetzung tue ich mich nach wie vor schwer. Aber ich arbeite an mir...

Danke dir, liebe Grüße
Raindiver

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom